
Bei der Kasperwahl am 18. März 2018 wird nicht die Frage über die Machthaber in Russland entschieden. Denn über diese Frage wird heute schon entschieden. Und nicht von Hundert Millionen Wählern, sondern von etwa 100 Mitgliedern des erweiterten Politbüros der russischen Kleptokratie. Der Name „Putin“ steht zweifellos auf der Shortlist der repräsentativen Beamten-Geschäftsleute. Aber erstmals in den 17 Jahren seiner Regierungszeit sieht sich der amtierende Präsident mit gewissen Problemen in diesem Milieu konfrontiert.
Bei der „Elite“ sind Zweifel hinsichtlich Putins Fähigkeit aufgekommen, in den nächsten sechs Jahren die für die Brigade wichtigste Funktion eines Interface bei ihren Beziehungen zum ewig verhassten und ewig geliebten Westen effektiv zu erfüllen. Die Niederlage bei den neoimperialistischen Abenteuern, für welche Putin höchstpersönlich die Verantwortung übernommen hat, wurde zur größten außenpolitischen Niederlage des Regimes und hat seine wirtschaftlichen „Stützen“ untergraben, indem die Beziehungen zu den westlichen Partnern, die die aus dem Land gebrachten Mittel kontrollieren, bis aufs Äußerste verschärft wurden.
Es ist eine existenzielle Bedrohung für das Wertvollste der russischen Machthabenden entstanden – nicht nur für ihre Vermögenswerte sondern für ihre ganze Lebensweise im Westen (für die Bildung ihrer Kinder, ärztliche Behandlung, Urlaub, Wohlsein ihrer Frauen, ihrer Konkubinen, für ihr langes glückliches Leben, Organtransplantationen, schließlich für ihre politische und biologische Unsterblichkeit), die ihnen die in Russland gestohlenen Milliarden bescheren. All das wurde von einem einzigen Menschen in Frage gestellt, der mit seiner aufreißerischen Angeberei die gegenseitig vorteilhaften Beziehungen der „Elite“ mit dem Westen vereitelt hat.
In Paris machte sich der französische Präsident Emmanuel Macron lustig über „unser alles“ und stellte Putin auf seinen Platz, indem er zeigte, wie die Anführer des Westens nun mit dem Kreml sprechen werden. Putin war erbärmlich und baff vor Überraschung. Man merkte, dass er psychisch und physisch nachgelassen hat, was die zunehmende Sorge seiner Umgebung nur verstärkt hat.
Am 7. Juli durchlief der lebenslange Präsident das womöglich wichtigste Casting in seinem Leben in Hamburg. Selbstverständlich nicht vor den G-20, sondern vor seinem „Elite“-Publikum. Wenn sein lange hinausgezögertes Treffen mit Donald Trump nach dem Pariser Szenario abgelaufen wäre, hätte seine Umgebung womöglich zu entschiedenen Maßnahmen gegriffen. Putin brauchte verzweifelt einen „Sieg“, es war ihm wichtig zu zeigen, dass er noch groß ist und die Weltprobleme zu zweit mit Trump löst. Und Trump hat seinen Freund Wladimir Putin nicht fallen lassen. Den ersten „Sieg“ hat er Putin noch in Washington beschert, wo die Kabinettsmitglieder das Format des bevorstehenden Treffens besprachen: vollwertige zweiseitige Verhandlungen oder ein unerwartetes Treffen beim Gang zum Klo. Die Minister neigten zur Idee des Gangs. Trump bestand dagegen auf 45-minütigen Verhandlungen unter Teilnahme der Außenminister.
Das Treffen dauerte über zwei Stunden. Trump eröffnete mit einem zaghaften Zugeständnis, dass seine Bekanntschaft mit dem Problemlöser globalen Ausmaßes Putin eine große Ehre für ihn, den bescheidenen Immobilienmakler, gewesen war. Scheinbar war für Trump auch die Bildung einer gemeinsamen Kommission zum Kampf gegen den Cyberterrorismus mit dem vermutlichen Organisator von Hackerangriffen auf die USA ebenfalls eine große Ehre. Nach dem Ende dieses G-2-Gipfeltreffens bezeichnete Trump dessen Ergebnisse als «tremendous».
An jenem Tag liefen die irrsinnigen außenpolitischen Talkshows in den staatlichen Sendern des russischen TVs ununterbrochen 24 Stunden lang und ergötzten sich an den physiologischen Einzelheiten des Triumphs. Putin und Trump hören auf uns. Hören auf uns. Moskau-Potomac. Unsere Völker gemeinsam. Der Propagandist Solowjow zeigte das eine Photoshop mit Putin. Die Propagandistin Simonjan versprach, mit einer amerikanischen Flagge durch Moskaus Zentrum zu fahren. Die Amerikaner haben es wieder verdient. Putin hat offensichtlich gespürt, dass er den benötigten Eindruck bei seinen zweifelnden Gefährten hinterlassen hat. Direkt aus Hamburg ist er ins Kloster Walaam gereist, um ehrerbietig die heiligen Gebeine zu küssen, was in der Sprache seiner PR-Manager meistens bedeutet, dass der orthodoxe Anführer eine schicksalhafte Entscheidung getroffen hat.
Trump erwies sich nicht als Aktivaposten für Putin, sondern als Stein an seinem Hals
Aber dieser Triumph des putinschen Willens hielt nur ein paar Tage an. Als Trump nach Washington zurückkam, traf er auf erbitterte Kritik seines Benehmens und auf neue Beschuldigungen der Zusammenarbeit mit dem Kreml während seiner Wahlkampagne. „Why, oh why, does Trump love Russia so very much?“ – so betitelte Fareed Zakaria seinen präzedenzlos harten Artikel in der Washington Post. Sein Schluss gibt die in der amerikanischen Hauptstadt herrschende Stimmung wieder, die für Trump nichts Gutes bedeutet. „Womöglich gibt es eine einfache Erklärung für das, was passiert ist. Womöglich ist Trump von Putin als einem Anführer begeistert. Womöglich teilt Trump die Weltsicht seines älteren Beraters Steven Bannon, derzufolge Russland kein ideologischer Gegner sondern ein Verbündeter ist, ein weißer Christ, der den Muslimen entgegensteht. Womöglich gibt es aber auch eine andere Erklärung für die Verehrung Russlands und seines Anführers. Dieses Rätsel liegt nun im Herzen der Präsidentschaft Trumps, und es gibt keine Zweifel daran, dass der Sonderstaatsanwalt Robert Müller dieses zu lösen bemüht ist“.
Und während Müller das „Spionen-Puzzle“ knackt, erklärte der Sprecher des Repräsentantenhauses Paul Ryan, dass der Gesetzentwurf über die harten Sanktionen gegen den Kreml, den der Senat mit einem Stimmenverhältnis von 97:2 verabschiedet hat, der Zweiten Kammer ohne jegliche Änderungen zur Abstimmung vorgelegt wird. Auf Änderungen hatte Trump-Administration vergeblich bestanden. Nun wird diese Gesetzesvorlage höchstwahrscheinlich in ihrer ursprünglichen Form auf dem Tisch des Präsidenten landen, und die Weigerung, dies zu unterschreiben, würde für Trump den politischen Selbstmord bedeuten.
Der innenpolitische Sieg, den Trump aus einem noch nicht von Müller festgestellten Grund Putin zu schenken beschlossen hat, wurde zu einem Pyrrhussieg. Die Köpfe des Kremls können immer noch nicht den einfachen Gedanken fassen, dass ein US-Präsident kein Capo einer Verbrecherclique ist. Und das amerikanische politische System – selbst wenn man es auf die eine oder andere Weise schafft, sich seiner Loyalität zu versichern – nicht von Moskau aus gesteuert werden kann. Es ist umgekehrt: Jeder Schritt Trumps in Richtung Putin ruft eine scharfe Reaktion in Washington hervor, die sich in absolut konkrete Gesetze transformiert.
Trump erwies sich nicht als Aktivposten für Putin sondern als Stein an Putins Hals. Und Putin – als Stein am Hals von Trump. Das ist das wahre Ergebnis der allumfassenden Operation „Trump Unser!“. Und die am 7. Juli durch das erweiterte Politbüro gezogene Schlussfolgerung, dass der Anführer seiner Sache noch gerecht wird, steht wieder in Frage. Sehr beispielhaft ist in diesem Sinne ein Artikel in der Washington Post darüber, welche Maßnahmen gegen das Russland Putins in der Obama-Administration besprochen wurden, nachdem das Ausmaß der Beteiligung des Kreml an der amerikanischen Wahlkampagne deutlich geworden war. Keine von diesen Maßnahmen, außer der Beschlagnahme von zwei russischen Residenzen, wurde tatsächlich umgesetzt, die Liste ist dennoch äußerst interessant. Sie trifft die schmerzhaftesten Akupunkturstellen der russischen „Elite“. Die Liste beinhaltet unter anderem die Veröffentlichung und das Einfrieren aller Konten der Kreml-Kleptokratie, angefangen bei Putin, sowie Visaverbote. Diese Fragen sind die nächsten Fragen der Tagesordnung für die amerikanisch-russischen Beziehungen.
In der Rückschau wird klar, welchen kolossalen Fehler der Kreml begangen hat, als er auf Trump setzte. Clintons Präsidentschaft war in Wirklichkeit keine Bedrohung für den Kreml – die heutige erbitterte Anti-Putin-Position der Demokraten ist durch die innenpolitische Konjunktur bedingt. Diese Position ist nicht so sehr Anti-Putin als Anti-Trump. Die Demokraten spüren, dass Putin die größte Schwachstelle des jetzigen US-Präsidenten ist, und sie schlagen auf diese gnadenlos ein. Und wenn Clinton an die Macht gekommen wäre, so hätte es höchstwahrscheinlich wieder irgendsoeinen weiteren „Reload“ gegeben. Nun sind die Brücken zwischen dem „putinschen“ und dem amerikanischen Establishment aber endgültig niedergebrannt.
Quelle: Andrej Piontkowski für svoboda.org; übersetzt von Irina Schlegel, editiert von Klaus H. Walter.
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