Ein Interview mit Andrej Teteruk über Streitkräfte für Spezialoperationen (SSO), Restrukturierung und Perspektiven der ukrainischen Armee. Andrej Teteruk ist Abgeordneter der Rada, Kommandeur eines Freiwilligenbataillons. Er war während seiner militärischen Karriere u.a. Kommandeur einer Aufklärungseinheit und im weiteren Verlauf Stabsoffizier (24.12.2015)
Guten Tag, Andrej! Angesichts der Tatsache, dass wir am 1. Januar 2016 unseren Verbündeten eine Konzeption für Streitkräfte für Spezialoperationen (SSO) vorlegen müssen, wäre es sinnvoll die Diskussion zu dieser Thematik abzuschließen. Eine Frage an Sie, als jemanden, der mit beiden Seiten im Gespräch steht, also dem Generalstab und dem Kommando der SSO: Was wird zurzeit bezüglich der SSO unternommen? Wird es sorgfältig und rechtzeitig getan? Gibt es Aspekte, basierend auf welchen eine Sabotage des Prozesses des Aufstellens von Truppen wie den SSO in der gegebenen Zeit möglich ist?
– Ich würde die Bedeutung von „wird unternommen“ hervorheben. Allerdings werden erst die Zeit und das finale Resultat zeigen, ob die Vorgehensweise korrekt war. Bis dato hat man bei uns bezüglich solcher Truppen nichts unternommen. Wir hatten die Luftlandetruppen, die als ein Werkzeug angesehen wurden, um jede erdenkliche Aufgabe zu lösen. Außerdem gab eine Menge Einheiten des Innenministeriums, des SBU (ukrainischer Nachrichtendienst, Anm. d. Übers.), der militärischen Aufklärungsbehörde und des Verteidigungsministeriums, die individuelle spezielle Einsatzprofile aufweisen. Die Nachbarschaft zu Russland, die Länge der Grenze und die direkte Bedrohung für die Ukraine haben dazu geführt, dass wir die SSO im Rahmen von Reformen der ukrainischen Streitkräfte und des Generalstabs brauchen. Daran interessiert ist nicht nur die Ukraine, sondern auch unsere Verbündeten, die in der Ukraine einen defensiven Vorposten sehen.
Daher wird alles, was jetzt geschieht, einen positiven Abschluss finden: Es finden Gespräche statt, Fristen werden gesetzt und Pläne geschmiedet. Nach dem Einreichen der Dokumente wird man erkennen, inwieweit unsere Entscheidungsträger bei militärischen Fragen in der Lage sind die Pläne selbst umzusetzen oder ob Unterstützung bzw. Einmischung unserer militärischen Verbündeten notwendig ist. Aktuell ist mein Eindruck, dass Oberst Kriwonos, der Kommandeur der ukrainischen SSO, den Fragen zur Aufstellung der Truppe, der Ausbildung und Entwicklung sehr viel Aufmerksamkeit widmet. Es gibt also begründeten Optimismus, von einem guten Endresultat auszugehen. Bezeichnend ist das Interesse unserer militärischen Verbündeten, umgehend zu helfen beim Aufbau von Übungsplätzen und Ausbildungszentren, in welchen die ersten Instrukteure geschult werden sollen. Diese wiederrum werden unsere eigenen Soldaten nach Programmen ausbilden, die der Methodik der Truppenausbildung moderner Armeen entwickelter Staaten entsprechen.
Ich würde mir wünschen, dass bestimmte Beziehungen zwischen gewissen Offizieren und Generälen nicht die Ukraine dabei stören werden, Truppen auf die Beine zu stellen, die wir so sehr brauchen. Deswegen treten Emotionen in den Hintergrund, während Fehler uns einem positiven Resultat nicht näher bringen. Es wäre wünschenswert, dass Muschenko (als oberster militärischer Kommandeur der Streitkräfte, Anm. d. Übers.) und andere am Konflikt Beteiligte genug Weisheit aufbringen, um zu verstehen, dass wir ein Hauptziel haben: Einen starken Staat und nicht persönliche Ambitionen. Genau das sollte das Ziel aller unserer Militärangehörigen sein, die an den Reformen in der ukrainischen Armee mitwirken.
Manche haben die Ansicht, dass wir die SSO nicht nur für uns und unsere nationalen Aufgaben aufstellen, sondern auch für die Bedürfnisse unserer Verbündeten. Um Information aus dem Konflikt mit Russland analysieren zu können. Was halten Sie davon?
– Das kann schon sein. Ich habe von Anfang an gesagt und werde auch weiterhin sagen, dass auf unseren Übungsplätzen, auf denen NATO-Ausbilder präsent sind, beiderseits ein Lernprozess stattfindet. Nicht nur wir werden ausgebildet, sondern es ist ein gegenseitiges Lernen. Unsere Offiziere und Soldaten, die im Rahmen der Anti-Terror-Operation gekämpft haben, haben sowohl gegen Einheiten gekämpft, die durch russische Ausbilder trainiert worden waren als auch gegen reguläre russische Truppen. Sie haben unbezahlbare Kampferfahrung und Verständnis für das Vorgehen in einem modernen Konflikt gesammelt. Schon die Kriege in Vietnam und Afghanistan hatten ihre Besonderheiten und jetzt werden Kämpfe mittels moderner Artilleriesysteme, präzisionsgelenkter Waffen und Panzerbataillons ausgetragen. Korrekte Positionswahl für eigene Truppen im Gelände, schnelles Reagieren auf feindliche Truppenaktivitäten, auf Sabotage- und Aufklärungseinheiten sowie auf Beschuss durch Präzisionsschützen. Letzteres hat große Bedeutung in den aktuellen Kämpfen gehabt. Das alles sind immens wichtige Erfahrungen und die US-Amerikaner wollen daran teilhaben. Sie haben nach Irak die Dienstvorschrift geändert – Jetzt beobachten sie ebenfalls aufmerksam wie die russische Armee vorgeht, wie sie Ziele aufklären und bekämpfen, wie sie offensive Operationen durchführen, wie sie Umgruppierungen vornehmen und wie man bei dieser Art von Kriegsführung unbemannte Fluggeräte einsetzt… Und die US-Amerikaner beobachten und lernen selbst – Aus dem Verständnis heraus, dass sie selbst diese Erfahrungen in den nächsten Jahren anwenden werden.
Es heißt, dass die Verbündeten nach einer Analyse der Reformen der Streitkräfte (es geht hierbei nicht nur um die SSO, sondern um Reformen der gesamten Streitkräfte der Ukraine) bei diesem Prozess intervenieren können, falls sie erkennen, dass Sabotage stattfindet. Wie wahrscheinlich ist das?
– Ich denke, dass der Präsident als oberster Kommandeur der Streitkräfte, genug strategisches Gespür aufbringen wird, um zu entscheiden, was richtig ist und was nicht. Denn im Endeffekt trägt er die Verantwortung für die Reformen der Streitkräfte und des Generalstabs sowie die für die Verbesserung der Wehrfähigkeit des Landes. Ich denke, wenn wir schlussendlich Streitkräfte haben wollen, die unser Land verteidigen können, so muss er als erfahrener Politiker den Ratschlägen unserer strategischen Partner Gehör schenken. Und wenn er erfährt, dass jemand aus verschiedenen Gründen die Reformen sabotiert und blockiert, muss diese Person ersetzt werden. Weil wir ein gemeinsames Ziel haben – ein starkes Land. Ein starkes Land muss in der Lage sein, sich selbständig oder mit Unterstützung durch Verbündete zu verteidigen. Um ein würdiger Verbündeter zu sein, müssen wir im militärischen Sinn stark sein. Sabotage ist in dieser Hinsicht daher vollkommen inakzeptabel.
Vor kurzem war Poroschenko im Stab des nordatlantischen Bündnisses und hat sich mit dem Oberkommandeur der NATO getroffen. Gibt es da eine Verbindung zu den aktuellen Prozessen in der ukrainischen Armee?
– Genau das ist eine Etappe der Reformen. Solche Treffen legen den Vektor fest und stützen die Tatsache, dass die Ukraine sich gemäß den NATO-Standards entwickelt. Da geht es nicht nur um Ausrüstung und Taktik, sondern um die Einsatzstrategie der ukrainischen Streitkräfte. Es geht darum, zu verstehen wie wir die Streitkräfte neu strukturieren und womit wir sie ausstatten. Wir können kein gleichberechtigter Partner der NATO sein, wenn wir in einem aktuellen Konflikt veraltete T-64-Panzer einsetzen, während die NATO-Staaten über Panzer wie „Leclerc“, „Leopard“ und „Abrams“ verfügen. Wir müssen uns entsprechend entwickeln. Wir müssen Ausrüstung erneuern, denn leider nutzen wir nachwievor sowjetisches Potenzial. Erst in den letzten eineinhalb Jahren haben wir bei der Festlegung des Budgets Möglichkeiten geschaffen, die der ukrainischen Rüstungsindustrie erlauben gleichzeitig Ausrüstung instandzusetzen, neue Systeme zu entwickeln und alte Systeme zu gemeinsam mit anderen Verbündeten zu modernisieren.
Können Sie ein Beispiel anführen?
– Absolut. Es werden jetzt Panzer mit Nachtsichtsystemen ausgerüstet. Diese arbeiten passiv bei einer Sichtweite von bis zu 800 Metern und erlauben im aktiven Modus (d.h. mit Beleuchtung), dass die Panzerbesatzung praktisch alles sieht, was im Kampfeinsatz notwendig ist – bei Tag oder bei Nacht. Man sieht alles unabhängig von Tageszeit und Witterung wie auf einem Präsentierteller. Solche Feuerleitanlagen und Wärmebildgeräte steigern die Effektivität der Panzer enorm besonders vor dem Hintergrund, dass unsere Panzertruppen vor kurzem oft „blind“ bei Nacht agieren mussten. Ein getarnter Panzer mit modernen Visieranlagen, der seine Stellung ständig wechselt, ist eine ausgesprochen mächtige Waffe in fast jedem Gelände. Außerdem werden Truppen, die nachts nicht mehr „blind“ sind, wesentlich die Effektivität von gegnerischen Aufklärungstrupps reduzieren. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Alle Maßnahmen zielen darauf ab, die Effektivität im Kampf durch Aufrüstung zu erhöhen.
Zurzeit gibt es Kritik bezüglich der Tatsache, dass die Nationalgarde neue Ausrüstung erhält, während die ukrainischen Streitkräfte mit alter Technik ausgestattet werden. Dabei kann man nicht sagen, dass die Nationalgarde eine neue Truppengattung ist. Eigentlich sind es die alten Truppen des Innenministeriums, die Reformen unterzogen worden sind. Sie erhalten neue Ausrüstung und die Streitkräfte nicht. Woran liegt das?
– Das hängt davon ab wie Budgets festgelegt werden, wie Ressourcen verwaltet werden und wie das Management der jeweiligen Organisation gestaltet ist. Das Verteidigungsministerium und die Nationalgarde sind zwei völlig unterschiedliche Organisationen, die verschiedenen Ministern unterstehen. Der Stil der Verwaltung ist anders, die Aufgabenstellung und Lösungswege unterscheiden sich. Jemand ist erfolgreich, andere weniger erfolgreich, manche reagieren schneller als andere auf situative Änderungen und nutzen Situationen unterschiedlich. Das Ministerium für Verteidigung ist in allen Ländern die konservativste Behörde von allen, was Entwicklungen betrifft. Daher ist es logisch, dass man dort mit Innovationen behäbig umgeht. Mich stimmt positiv, das Stepan Poltorak ein Ehemaliger der Nationalgarde ist und bereits einige Prozesse initiiert hat, als er noch Kommandeur der ukrainischen Nationalgarde war. Ich vertraue darauf, dass er mit seinen Fähigkeiten auch in der Rolle des Verteidigungsministers gute Ergebnisse liefern wird. Er beurteilt die vor ihm stehenden Probleme sehr nüchtern und vernünftig. Ich bin mehr als überzeugt davon, dass er sie lösen kann.
Kommen wir zurück zum Thema SSO. Welche Aufgaben, glauben Sie, sind für so wichtig, dass diese neue Truppengattung sie bereits 2016 angehen sollte?
– Zuallererst – Die Bekämpfung von Aufklärungs- und Sabotageeinheiten. Aktive Kampfhandlungen finden nicht statt und der Gegner wird zwecks Destabilisierung Sabotagetrupps einsetzen, die von ukrainischen Truppen genutzten Gebiete verminen und Kidnapping sowie andere ähnliche Maßnahmen durchführen werden. Beschäftigen muss man sich damit schon jetzt. Außerdem: SSO müssen bereit dafür sein, Spezialoperationen auf feindlichem Gebiet durchzuführen. Unentdeckt.
Und Informationskriegsführung? Denken Sie, dass unsere SSO so etwas schultern können? Ist das machbar?
– Wenn ein Mensch mit Hingabe und einem gewissen Fanatismus das Ziel des Aufstellens solcher Truppen verfolgt, wird das Resultat sich bestimmt sehen lassen. Wenn aber das Projekt der SSO nur für die eigene Karriere genutzt wird, darf man ebenfalls auf entsprechende Ergebnisse sein. Warten wir die verwaltungspolitischen Entscheidungen dazu ab, dann werden wir besser unsere Perspektiven einschätzen können.
So wie ich das sehe, treten Sie dafür ein, dass Kriwonos und Muschenko sich einig werden?
– Unbedingt. Kriwonos arbeitet in jedem Fall bereits in dieser Richtung. Und Muschenko ist verpflichtet, ihm entsprechende Mittel zu Verfügung zu stellen, damit Streitkräfte für Spezialoperationen auf die Beine gestellt werden, ausgebildet und trainiert werden sowie schlussendlich einsatzbereit sind. Man darf diese Truppen nicht nach Richtlinien infanteristischer Einheiten aufstellen. Es gilt zu differenzieren. Ich habe sowohl mit Kriwonos als auch Muschenko gesprochen: Es ist notwendig, dass die beiden persönliche Differenzen überwinden, interne Konflikte lösen und gemeinsame Sache machen, um die Wehrfähigkeit des Landes zu stärken.
Andrej Teteruk im Interview mit Serg Marco für petrimazepa.com; übersetzt von Viktor Duke
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