
Photo: Baikal jetzt. August 2015. Das Photo wurde tagsüber gemacht.
Ständig bekomme ich Petitionen mit der Bitte, Informationen über den brennenden Baikal zu verbreiten, das Land zu informieren und generell irgendwie bei der Brandbekämpfung zu helfen. Sie sind alle in folgender Rhetorik verfasst: Wladimir Wladimirowitsch, wir stehen hinter Ihnen, warum hören Sie uns nicht? Und wo sind die Journalisten, warum helfen sie nicht, darüber zu informieren?
Ok, Leute. Gut. Ich bin ein Journalist. Lasst mich euch helfen. Ich habe genug Abonnenten, ich werde die Informationen verbreiten, eröffne Konten und starte Spendenaktionen für die Geschädigten der Brandkatastrophe, den Einkauf von allem Nötigen und organisiere Freiwilligen-Trupps… Ach nein, halt. Ich bin ja ein Volksverräter. Mein PayPal und Qiwi sind gesperrt. Ich bin während der Kampagne gegen Alexei Nawalnys Spendensammlung für seine Stiftung unter die Walze geraten. Wisst ihr noch, wie damals das Crowdfunding bekämpft wurde? Aber ich bin noch glimpflich davon gekommen. Also Leute, Crowdfunding ist in Russland entweder verboten, oder fast verboten. Meine Brieftaschen sind gesperrt, eine Spendenaktion kann ich für euch nicht organisieren. Erstens, weiß ich nicht wohin und zweitens, will ich für diese Aktion nicht wie Konstantin Jankauskas ein Jahr unter Hausarrest verbringen.
Was tun also… Ah! Aber natürlich! Ewgenia Tschirikowa! Sie wird euch helfen! Das ist diejenige, die sich mit dem Wald auskennt, die in der Lage ist, sich für ihn einzusetzen, bürgerliches Engagement zeigt, ein Ass in Wirtschaft ist, eine Menge internationaler Prämien hat, eine Menge Verbindungen hat und Auswege kennt, und überhaupt. Schreibt Zhenja! Sie hilft euch bestimmt. Ah, nein, halt. Sie kann nicht. Zhenja ist doch ein politischer Flüchtling und ist jetzt irgendwo im Baltikum…
So, lasst mich doch mal überlegen. Ah! Ja klar! Ewgeni Witischko! Schreibt Witischko! Er weiß auch alles über den Wald, er ist Ökologe mit einem international bekannten Namen, ein Bürgeraktivist, er wird euch ganz bestimmt helfen. Ah, nein, halt. Witischko ist doch im Knast. Eingesperrt just wegen des Waldes und der Ökologie…
Und was nun? Ah, ach ja! Suren Gasarjan! Ein Freund und Mitstreiter von Witischko, Ökologe, ein Waldschützer! Er weiß, was zu tun ist! Er wird helfen! Schreibt ihm! Ah, nein, halt. Suren ist doch jetzt auch ein Flüchtling…
Ah, ich hab’s! Aber ja doch! Denis Sinyakov! Er ist doch ein Berufsfotograf bei „Greenpeace“! Alle Waldbrände, Naturkatastrophen, Proteste, Freiwillige – das ist sein Element. Er wird die Information mit Sicherheit verbreiten. Das ist derjenige, an den ihr euch wenden solltet. Ah, nein, halt. Denis ist doch in die Heldenstadt Stockholm gezogen, nachdem er zwei Monate nach den Protesten auf der „Priraslomnaja“ im Kittchen saß… Und überhaupt ist Greenpeace bei uns heutzutage irgendwie nicht angesagt – Kekse von der Außenministerin, ausländische Agenten und Pipapo.
Nein, Grigori Kuksin versucht dort irgendwas zu löschen mit seiner Mannschaft, mit ganzen fünf Personen, aber das ist bisher irgendwie auch alles.
Ah! Ja, Mitya! Mitya Aleshkovskiy! Da habt ihr jemanden, der etwas kann! Das ist jemand, der weiß was wie zu tun ist! Das ist derjenige, der die Sammlung und den Transport der humanitären Hilfe nach Krymsk organisiert hat – Lasterweise, in Kolonnen. Das ist derjenige, mit dem wir in Blagoweschtschensk waren, der die Hilfsgüter für die Menschen und die Organisation der Freiwilligen-Bewegungen während des Ausnahmezustands im Griff hatte. Ach nein, halt. Mitya versucht doch im Moment ein Kinderhospiz zu bauen. Anstelle unseres Staates, jawohl. Jaja, in Russland gibt es im 21. Jahrhundert hinter dem Ural kein einziges Kinderhospiz. Also wenn sich Mitya teilen kann, könnte er sich möglicherweise auch noch dem Baikal widmen, aber das glaube ich nicht.
Ah, ja! Pawel Schechtman! Das ist derjenige, der bei allen Abrissen von historischen Bauwerken unter jeden Bulldozer kroch! Das ist derjenige, der um den Khimki-Wald gekämpft hat! Das ist derjenige… Ah, nein, halt! Pascha ist doch als Flüchtling in Kiew.
Ayder Muschdabaev? Der stellvertretende Redakteur einer Zeitung mit einer Drei-Millionen-Auflage? Genau! Er wird helfen! Ah, nein. Er wird nicht helfen. Ayder ist doch dort – ein Krimtatare, ein politischer Flüchtling in Kiew, er versucht den zerschlagenen krimtatarischen Fernsehsender wieder aufzubauen.
Also wer noch… Alena Popova? Olga Romanenko? Ksenya Vasilchenko? Artem Ayvasov? Matwej Krylov? Alle mir bekannten Freiwilligen, mit denen ich nach Krymsk, und nach Blagoweschtschensk und nach Mordwinien fuhr? Ich weiß nicht. Meiner Meinung nach sind sie alle ausgebrannt. Meiner Meinung nach ist mit ihnen genau dasselbe passiert, wie mit mir – die Menschen brennen nicht mehr danach, sich für das Land ihren hinteren Muskel, ihre Seele und ihre Gesundheit zu zerreißen. Sie werden nicht mehr auf eigene Kosten euren Wald retten kommen. Und generell – das Gesetz über Freiwillige, der FSB und so weiter. Sie buchten einen noch für diese Sache ein. Wofür der Scheiß?
Vielleicht soll man einfach schreiben, dass die Leute aus eigener Initiative fahren sollen? Was denn? Unser Land ist reich an Öl, hat Treibstoff in rauen Mengen, es gibt eine Luftfahrtindustrie, es lässt sich keine Föderalisierung erkennen, ein Zentrum, eine Vertikale, ein staatlicher Monopolist in der Luftfahrindustrie. Hinsetzen und losfliegen. Wo liegt denn das Problem? Ach so? Was? Wie viel, wie viel kostet ein Ticket nach Irkutsk? Seid ihr dort vom Mond gefallen oder was… Ja, wahrscheinlich wird kaum jemand fliegen…
So. Mist. An wen solltet ihr euch letztlich wenden, meine Freunde. Wer könnte denn von euch berichten. An wen solltet ihr schreiben, damit sie euch helfen. Der Armee? Die befindet sich in den Feldern vor der Ukraine. Den Kosaken vom Ural? Sind in Donezk.
Boris Nemzow, der in Irkutsk eine Kundgebung zum Schutz des Baikals abhielt? Ermordet. Nawalny? Sein Bruder ist in Geiselhaft, er hat andere Sorgen. Ilja Ponomarjow? Ein Flüchtling in den USA. Dmitry Zimin? Er ist erledigt. Lenta.ru? Zerschlagen. „Kommersant“, „Gaseta“, NTW, ORT? Abgekauft oder zerschlagen. „Grani“? Gesperrt. „Ej“ („Ezhednevnij Zhurnal“ – dt.“ Tägliches Journal“)? Gesperrt. „Meduza“? Ist im Ausland. Rustem Adagamow? Flüchtling. Andrei Mironow? Gefallen bei Slowjansk. All meine bekannten Sonderberichterstatter und Fotokorrespondenten? Kommen nicht aus dem Donbass heraus.
Womöglich Putin selbst? Der Präsident des Landes, das hier und jetzt, genau in diesem Augenblick, brennt und untergeht? Er trinkt Tee im Fitnesscenter, hat eine Fotosession. Dem ist nicht nach euch.
Das war’s, glaub ich. Es gibt niemanden mehr, dem man schreiben könnte, Leute. Während ihr geschwiegen habt, solange ihr von nichts wusstet, solange man nicht euch geholt hat, solange „ich mich nicht für Politik interessiere“, solange das Rating bei 86 % liegt – Erledigt – SCHLUSS! Meine Bekannten, die euch hätten helfen können, sind entweder ausgewandert, weggesperrt oder ermordet. Es ist nichts und niemand mehr da, dem ich schreiben könnte. Was soll ich euch denn noch sagen. Schreibt Putins kämpferischen Burjaten. Oder besser gleich an das Guiness-Buch der Rekorde. Es gibt, meiner Ansicht nach, keine anderen Alternativen mehr.
Feurige Grüße vom unabhängigen Journalismus, der Meinungsfreiheit, der Opposition und der Zivilgesellschaft.
Quelle: Arkadij Babtschenko; übersetzt von Kateryna Matey.
CC BY 4.0
One Response to “Arkadij Babtschenko: Es ist nichts und niemand mehr da, dem ich schreiben könnte”
31/05/2018
Ein genialer Coup: Wie der Russe Babtschenko und der ukrainische SBU den Kreml hinters Licht führten - InformNapalm (Deutsch)[…] Arkadij Babtschenko: Es ist nichts und niemand mehr da, dem ich schreiben könnte […]