Es gibt im russischen Internetsegment so einen nationalen Zeitvertreib „Wir schreiben Briefe an den guten Zar Präsidenten Russlands“. Unserer Meinung nach ist es eine äusserst zweifelhafte Beschäftigung, was ihre Effektivität angeht, dennoch schießen Webseiten, die den Russen die Möglichkeit anbieten, einen Brief ins Nichts zu schreiben und ihre Lebensprobleme zu erläutern, gerade wie Pilze aus dem Boden. Und das Volk schreibt und schreibt, hinterlässt seine Kilobytes an Hilferufen im virtuellen Raum.
Und wenn es nur die Rentner wären, die über die Bürokratie und die Fahrlässigkeit der Staatsbeamten und kommunaler Dienste schreiben würden – nein, selbst die arbeitslose Jugend schreibt diese offenen Briefe ins Nichts. Und die Liberalen lügen ja tatsächlich, denn der russische Präsident hat ja geholfen, indem er Arbeitsplätze im Donbass und Syrien erschaffen hat. Und wer sich nicht am gepanschten Alkohol vergiftet und noch immer den Wunsch hat, seine Schulden der Heimat und sonstigen Geldgebern zurückzuzahlen, sucht nach einer Möglichkeit, wenn schon nicht im eigenen Land, so wenigstens im Nachbar- oder auch im Nahostenstaat Geld zu verdienen, und nicht als ein einfacher Handwerker oder Haushaltshilfe, sondern als ein treuer Diener, als ein Opritschnik der hybriden Zarenarmee.
Zu diesen sozial-politischen Überlegungen sind wir gekommen, als wir auf zwei offene Briefe an den russischen Zar vom russischen Staatsbürger Iwatschew auf der Webseite „Offene Briefe an W.W.Putin“ gestossen sind (Brief1, Brief2), sowie auf einen Brief an Andrei Malachow, den berühmten Moderator der Talkshow „Pustj Goworjat“ im russischen TV-Sender „Erster Kanal“.
In seinen Briefen beklagt sich Anatoly Iwatschew über seine übermassige Schulden. Um die Tiefe seines Leidens zu verstehen, bleiben wir bei ein paar Zitaten stehen und ergänzen diese Zitaten mit seinen eigenen Fotos:
Sehr geehrter Wladimir Wladimirowitsch Putin, ich bitte Sie um Hilfe. Ich, Anatoly Andrejewitsch Iwatschew, arbeitete als Zugführerassistent bei der Eisenbahn. Habe einen Kredit in Höhe von 850 000 Rubel genommen. Zahlte regelmässig. Dann bin ich gekündigt worden. Ich habe einen Vertrag unterzeichnet und bin als Zeitsoldat nach Tschetschenien gegangen.
Wir haben ein Foto gefunden, auf dem A.A.Iwatschew im Verwaltungszentrum des Schali-Bezirks in Tschetschenien, der Stadt Schali, vor dem Rathaus abgelichtet wurde:
Und hier noch ein Foto von Anatoly Iwatschew, das bereits am Checkpoint auf dem Territorium der ME 65384 in der Stadt Schali entstanden ist, wo die 17. selbstständige motorisierte Schützenbrigade stationiert ist.
Und noch ein paar Ausschnitte aus seinen Briefen:
„Ich hatte nicht genug Geld zum Leben: habe eine Familie und dann noch der Kredit. Bin als Freiwilliger in den Donbass. War dort ein Jahr lang. (Aus dem Brief an Putin wird ersichtlich, dass er 2014 in den Donbass gegangen war).Im Brief an die Talkshow schreibt er: „Während ich mich dort befand, haben sich meine Schulden bei der Bank vergrössert“.
Dazu haben wir ein Photo, auf dem A.A.Iwatschew in Gesellschaft anderer russischer Hybridsoldaten zu sehen ist, die sich während der Zeit der Kämpfe um Ilowajsk und Debalzewe mit weißen Armbändern ausstatteten:
„Bin im Dezember 2015 aus Donbass zurückgekommen. Bei der Bank war ich im Rückstand“.
Und auch hier finden wir eine Bestätigung für seine Worte: Im Winter 2016 wandte sich A.A.Iwatschew ans Schiedsgericht des Transbaikaliens, um ihn als Bankrott anerkennen zu lassen. Wie es aussieht, wird wohl im Donbass gar nicht so viel Geld gezahlt, wobei die Arbeit wesentlich dreckiger als die Arbeit eines Handwerkers und viel gefährlicher als in einer Bergschacht ist. Aber naja – dort wird auch längst kein Lohn mehr ausgezahlt und in Russland kann man wohl kaum auf die Strasse gehen und Massenkundgebungen veranstalten, ist ja nicht die Ukraine.
Der russische Staatsbürger lässt aber nicht nach: Öffentlich beklagt er sich über seine schlimme finanzielle Lage und gibt dabei seine persönliche Angaben und seine Adresse preis:
Ich, Anatoly Andrejewitsch Iwatschew, wohne unter folgender Adresse: Kalinin-Strasse 28, Tschita, Tschernyschewski Bezirk, Tel: +79141397956, E-Mail: ivachev88@inbox.ru.
Diese Angaben werden auch gleich durch seinen Truppenausweis der terroristischen Bandenformation „DVR“ belegt:
Andere Fotos von seiner „ukrainischen Dienstreise“:
Das taktische Zeichen „11 in einem Rhombus“ gehört zum Bataillon „Wostok“, das in Makijiwka stationiert ist:
Statt eines Fazits über das Leben des ehemaligen Zugführer-Assistenten, der sich wegen Schulden auf den Weg machte, die „Russische Welt“ zu verteidigen, zitieren wir seinen neuen Hilferuf:
Ich lebe in Transbaikalien, in der Stadt Tschita. Überall sieht es schlecht mit Arbeit aus, überall wird gekündigt. Es gibt keine Arbeit, bitte helft mir. Oder helft mir, als Freiwilliger nach Syrien zu kommen. Dort verdiene ich wenigstens Geld und kann meine Schulden begleichen. Danke im Voraus.
Wir möchten an der Stelle nicht moralisieren – es ist wohl jedem ersichtlich, was der Begriff „Freiwillige aus Russland“ bedeutet. Menschen, die wegen Schulden bereit sind, in Nachbarstaaten oder auch fernen Staaten zu wüten und zu töten. Willkommen in Putins Russland…
Dieses Material wurde von Vidal Sorokin exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
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2 Responses to “Krieg als Arbeit: Wie russische Staatsbürger wegen Schulden in den Krieg ziehen”
23/07/2017
Die russische 7.Militärbasis im besetzten Teil von Georgien und ihre Soldaten im Krieg im besetzten Teil des ukrainischen Donbas - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Lesen Sie zum Thema: Krieg als Arbeit: Wie russische Staatsbürger wegen Schulden in den Krieg ziehen […]
27/07/2017
Soldater från den 7:e militära basen i Rysslands aggression mot Ukraina[…] Ett foto med ett axelmärke med Nya Rysslands flagga kan vara ett indirekt tecken. Men det här är inte det enda argumentet i våra resultat. En person presenterad i InformNapalms tidigare utredningar, en tidigare soldat i 17:e motoriserade skyttebrigaden från Tjetjenien, som tjänstgjorde i Donbass, Anatoliy Ivachev, har hjälpt oss att få större. Intressant nog skickade han ett brev till president Putin och begärde en utplacering till Syrien för att täcka sina skulder (Läs mer: Wie einen russischen Bürger wegen Schulden in den Krieg ziehen). […]