von Lilia Schewzowa
Wir wollen wieder Freunde sein!
Es ist klar mit wem. Mit dem Westen natürlich. Das ist die Hauptmessage des „Russischen Davos“ in Sankt-Petersburg. In verschiedenen Variationen und in verschiedener Ausführung versucht der Kreml die liberale Welt zu überzeugen: „Wir wollen keine Konfrontation, wir sind bereit Euer Partner zu sein, und überhaupt „sind wir euch gar nicht böse““. Kremls Streben, aus der Isolation und dem Sanktionsregime auszureissen ist durchaus verständlich. Kann man denn eine Macht sein, wenn man sich in einem politischen Ghetto befindet? Kann man denn eine Tankstelle des Westens bleiben, wenn man ihn permanent an den Beinen beißt? Es entsteht aber ein Problem: Wie stellt man einen Rückzug und die geopolitische Niederlage als einen Sieg dar? Wie sichert man sich die Gegenliebe der liberalen Welt? Wir sind bereit, die Gegensanktionen abzuschaffen, sagt Putin. Und was ist, wenn Europa uns übers Ohr haut und uns nicht entgegenkommt?
Zu einem noch grösseren Problem des Kremls wurde die Unmöglichkeit, auf das Antiwestlertum zu verzichten, als einen Mobilisierungsmechanismus und Legitimation der eigenen Macht – anderen hat er ja nicht! Und gleichzeitig mit dem Westen befreundet zu sein und dabei gegen ihn einen Krieg im gesellschaftlichen Bewusstsein zu führen erfordert besonders raffinierte Equilibristik. Um so mehr, da die Konfrontation mit dem Westen sowohl für die politische Klasse als auch für einen Teil der Gesellschaft zu einer Lebensart geworden ist. Als Beweis dafür dient der Hexensabbat der russischen Fußballfans in Marseille. Das Einfliegen der amerikanischen Jets ist für uns die übliche Methode für Nötigung zur Liebe. Andere haben wir auch nicht.
Und was ist mit dem Westen? In der Person des zum Petersburger Wirtschaftsforum angereisten Vorsitzenden der Eurokommission Junker und des italienischen Premierministers Renzi (denn der Schelm Sarkozy vertritt niemanden außer sich selbst) bestätigte der Westen, dass es kein Verhandeln geben wird und die Sanktionen nur im Austausch gegen die Ausführung des Minsker Abkommens abgeschafft werden. Pech aber auch. Dieses Abkommen sollte zu einer Falle für die Ukraine werden, ist aber zu einem Auffänger für Russland geworden.
Und selbst wenn zum Jahresende die westlichen Sanktionen gegen Russland abgeschafft werden sollten, wird die neue Realität wohl kaum günstig für uns sein. Die Ironie besteht darin, dass der Kreml es tatsächlich fertiggebracht hat, den Westen zu verändern, und ihn dazu gezwungen hat, auf die Idee, die seine Beziehung zu Russland im Lauf der letzten 25 Jahre geprägt hatte, zu verzichten: auf das Streben zu Russlands Integration. Heute herrscht im Westen die Idee des Misstrauens, die die Umrißformen einer Zügelung und notgedrungener Zusammenarbeit annimmt. Der Westen hegt Argwohn gegen die russische Unterstützung von linken und rechten Antisystemkräften in den eigenen Ländern. Der Westen hat es geschafft, über russische Gegensanktionen hinwegzukommen und sich auf andere Märkte umzuorientieren, womit er seine Abhängigkeit von Russland bedeutend verringerte. Politische Kräfte, die Moskaus Interessen in der westlichen Gesellschaft lobbyieren, sind Marginale.
Das Wichtigste aber ist die Tatsache, dass die westliche gesellschaftliche Meinung nun gegenüber Russland feindlich gesinnt ist. Zum Beispiel betrachten heute nur 14% der Deutschen Russland als ein Land, dem man vertrauen kann, und 58% sprechen davon, dass die Sanktionen gegen Russland aufrecht erhalten bleiben sollen. Die Skandale mit den russischen Fußballfans bestärken im westlichen Bewusstsein das Bild eines Russen, das in der Karikatur von „Charlie Hebdo“ festgehalten wurde: ein besoffener Neandertaler, vor dem man seine Haustüren dicht machen sollte. Also wird die gesellschaftliche Meinung der westlichen Elite nicht erlauben, sich auf enge Umarmung mit Moskau umzuorientieren. Das ist die Welt, die Russland um sich herum selbst erschaffen hat. Also wird auch der Versuch, ins alte Sandkästchen zurückzukommen, ebenfalls scheitern. Und unklar ist, wie die Tankstelle ihre Fürstlichkeit bewahren soll, wenn der Westen aufhört, dem Gegner nachzugeben.
von Lilia Schewzowa; übersetzt von Irina Schlegel; Titelbild: Charlie Hebdo
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