
Im Jahr 1991 sind zwei kommunistische Imperien auseinandergefallen. Zuerst das kleine jugoslawische und dann das große sowjetische. Auseinandergefallen sind sie zwar aus dem gleichen Grund, der Prozess des Auseinanderfallens war aber gänzlich unterschiedlich. „Die geistigen Krampen“ des Kommunismus waren verrottet und nichts hielt die kleineren Mitgeschöpfe in der Umlaufbahn des älteren großen Bruders – Serbien und Russlands – mehr zurück.
Der Charakter des Zerfalls war durch die Befindlichkeit des serbischen und russischen Volkes entsprechend vorbestimmt. Ihre charismatischen Führer jener Zeit – Milosević und Jelzin – haben sich als geborene Populisten in ihrer Politik von der Geisteshaltung der überwältigenden Mehrheit ihrer Mitbürger leiten lassen. Die Serben, mit dem Virus des lokalen Imperialismus befallen und der verlorenen Hoffnung, ihr Jugoslawien zu erhalten, stürzten sich darauf, aus seinem Körper eine Große Serbische Welt herauszuschneiden, wobei sie ein halbes Dutzend Kriege entfesselten und verloren, die Zehntausende von Leben mitgerissen haben.
Befürworter solch eines Szenarios der Aufteilung des sowjetischen Imperiums gab es auch in Russland. Eigentlich war der vom Staatskomitee für den Ausnahmezustand (GKTSCHP) organisierte Putsch kein kommunistischer sondern ein imperialistischer. Und einer der Anführer der „siegreichen Demokratie“ – Gawriil Popow – hat eindringlich zur brüderlichen Zergliederung der Ukraine exakt nach dem heutigen putinschen Schema aufgerufen. Aber zur Protestdemonstration gegen die Beloweschski-Abmachungen, welche die Sowjetunion strikt entsprechend den formellen Grenzen der ehemaligen Unionsrepubliken aufteilten, sind am Tag ihrer Ratifizierung im Obersten Sowjet Russlands nicht mehr als 100 Menschen gekommen.
Nicht nur die Einwohner der ehemaligen Sowjetunion sondern die ganze Welt ist in Vielem der Weisheit und Großzügigkeit des russischen Volkes verpflichtet, das sich von Aufrufen zur „Sammlung der russischen Territorien“ nicht verführen ließ. Das jugoslawische Szenario hätte im postsowjetischen Raum, der mit Atomwaffen voll bespickt war, zu einer Weltkatastrophe werden können.
Marginale imperialistische Fanatiker vom Schlage einer heutigen Berühmtheit, des Kriegsverbrechers Girkin, sind zum Morden an Kroaten und Bosniern auf den Balkan gereist – dies war ihr Trostpreis.
Unter ihnen gab es weit und breit keinen unauffälligen tschekistischen Oberstleutnant Putin, der zu diesen schicksalsreichen Zeiten keinerlei imperialistische Instinkte äußerte. In den Tagen des Putsches hat er lediglich gehorsam dem Bürgermeister von Sankt Petersburg die Diplomatentasche hinterhergetragen, der in der nördlichen Hauptstadt gegen die Putschisten kämpfte. Und nach dem Sieg der hellen Kräfte der Demokratie und des Fortschritts ist er in den Sumpf der Finanzschemata „Buntmetalle und Erdölprodukte im Austausch gegen ein Bagelloch“ untergetaucht, wobei er die ersten bescheidenen Ziegelsteine das Fundament seines persönlichen Finanzimperiums legte.
Heute ist in historischer Perspektive offensichtlich, dass es im strategischen Kurs auf die Nomenklatur-Privatisierung keine prinzipielle Unstimmigkeiten zwischen den Jelzin-nahen „Reformatoren“ und dem Putschistenlager gab. Können Sie sich die sieggewohnten Janajew oder Pawlow vorstellen, die auf Leckerbissen des staatlichen Eigentums verzichten, die sie zusammen mit den Tschernomyrdins und Alekperows eigentlich schon begeistert in ihre Taschen stopfen? Es war ein gemeinsames Konsensprojekt der sowjetischen Apparatschiks, das in den Korridoren der Lubjanka gereift war, anscheinend schon zu Andropows Zeiten.
Der Drachen des Kommunismus, der vom 19. bis 21. August rituell-beispielhaft zerschmettert wurde, war zu der Zeit schon glücklich verstorben – in erster Linie in den Köpfen und Herzen seiner Ideologen und Führer, die Leninporträts gegen Porträts von Franklin abgelöst haben. Sie sind in etwas Anderem auseinandergegangen.
Die Sippen, die hinter dem Putsch gestanden haben, wollten nicht nur ein Rieseneigentum, sondern auch die imperialistische Größe als Draufgabe besitzen.
Der Pragmatiker Jelzin verstand, dass man das geschrumpfte Imperium nicht mal um den Preis Großen Blutes erhalten können wird. Das bildungsmethodische Beispiel von Jugoslawien war schon vor Augen. Die karikatureske Parodie der „Russischen Welt“ mit seinem sakralen Chersonesos ist ein wahnsinniger Versuch eines alternden Diktators, in einer Zeitmaschine 23 Jahre zurückdrehen, den Zerfall der UdSSR diesmal auf jugoslawische Art zu überspielen und die Agonie der verfaulten Kleptokratie zu verlängern, sie mit einem ideokratischen Projekt größeren Stils nach der Art des Hitler-Faschismus oder stalinistischem Kommunismus zu überpudern. Ein Versuch, der in erster Linie zur Niederlage verdammt war, weil sich die Mentalität der Russen in diesen Jahren nicht verändert hat. Die kurzzeitige Euphorie „KrimUnser!“ bedeutete für den „Vater der Nation“ keine Gutheißung des endlosen hybriden Krieges um den „Schutz der ethnischen Russen und Russischsprachigen“ im gesamten postsowjetischen Raum.
Dem Ruf der falschen imperialistischen Trompete leistete nur der von den Karpaten herabgestiegene arische Stamm Folge – mit dem zusätzlichen Chromosom der faschistischen Geistlichkeit: die Prochanows und Dugins, Holmogorows und Proswirnins, Schiriks und Sjuganows, Prilepins und Ochlobystins.
Aber niemand von ihnen ist an der vordersten Linie des Vierten Weltkrieges der „Russischen Welt“ gegen die angelsächsische gesichtet worden.
Aus dem Bodensatz der russischen Miliz hervorgekommen bevorzugt der Schriftsteller der „Russischen Erde“ Sachar Prilepin zum Beispiel, im Unterschied zum Amerikaner Hemingway, dem Briten Orwell oder dem Franzosen Malraux, seine Helden und seine Leser bis zum letzten ihm glaubenden provinziellen Sascha in den Ofen des ukrainischen Aufstand der Vendée zu werfen, wobei er sich selbst, den Schatz, für Moskauer Präsentationen und Sektempfänge schont.
Die Saschas fahren dann zusammen mit Schargunow hin und kommen in Kühlwagen wieder zurück. Obwohl die prophylaktische Verwertung der leidenschaftlichen Saschas – der zukünftigen potentiellen Anführer der sozialen Revolte – auch zum Bausatz der fundamentalistischen Ziele des nationalen Führers gehört, der nach seiner inneren Berufung viel mehr der Ansammlung von amerikanischen Dollars zugeneigt ist als zur Sammlung russischer Territorien.
So rührend haben sich Putin und Prilepin auf dem gemeinsamen Arbeitsfeld der Neutralisierung des unerwünschten sozialen Materials gefunden. Das durch die Volksmeinung nicht unterstützte Unternehmen „Neurussland“ ist schlagartig zur „Eiterbeule“ von Luhandon geschrumpft, nach dem gerechten Ausdruck unseres Ribbentrops. Eingestürzt ist auch die beispiellose nukleare Erpressung seitens Putins, die in erster Linie gegen die baltischen Staaten gerichtet war. Es hat sich herausgestellt, dass Putin doch gar nicht bereit ist, für Narwa zu sterben. Heute ist der Unterführer schon bereit, nie wieder die Worte „Russische Welt“, „Neurussland“ oder „einzigartiger genetischer Code“ auszusprechen, wenn ihm nur zur Vermeidung der totalen Blamage die geklaute Krim überlassen wird.
Aber Annuschka Merkel hat das Öl schon vergossen. (Anm.d.Übers.: es ist eine Anspielung auf den Anfang des Romans von M.Bulgakow „Meister und Margarita“: sobald Annuschka das Öl vergießt, fangen die Probleme an).
Und der von den Bergen herabgestiegene arische Stamm hat schon mit dem zerschmetternden Mund des Herren Proswirnin ein unparteiisches Urteil über ihn gefällt: „Er war ein nationaler Führer, er wurde zum nationalen Loser“. Die Träger der echten Geistigkeit fordern eine Fortsetzung des ukrainischen Banketts, indem sie anstatt der Gestalt des echten Führers die dreiköpfige Hydra „Girkin-Ragosin-Glasjew“ vorschlagen.
Quelle: Andrei Piontkowski in svoboda.org; übersetzt von Irina Schlegel; Titelbild: Sergej Jolkin.