
Alles, was wir gerade auf dem Territorium der Ukraine beobachten, insbesondere im Osten des Landes, ist ein Versuch Russlands, die Fehlschritte seiner Geheimdienste zu nivellieren.
Es geht darum, warum Putins Russland keine Resultate in der Ukraine erzielen konnte, noch immer auf der Stelle tritt, wobei es immer weiter und immer neue blaue Flecken einkassiert, und im Grunde eine Niederlage in seinen strategischen Ansätzen erleidet.
Diese Fehlkalkulationen kann man in mehrere Gruppen aufteilen:
1. Die Einschätzung der Standhaftigkeit der Ukraine infolge des Hochschaukelns von separatistischen Stimmungen im Südosten des Landes.
2. Die Fähigkeit der Ukraine, sich einer militärischen Invasion der russischen Streitkräfte auf ihrem Territorium zu widersetzen.
3. Der Grad an internationaler Unterstützung der Ukraine.
Die Auswertung des Datenmaterials – sowohl vor dem Entfachen der Situation in der Ukraine als auch im Nachhinein – sollten die drei Hauptgeheimdienste Russlands abwickeln: Der Dienst der Außenaufklärung (SWR), der FSB und die Hauptverwaltung für militärische Aufklärung Russlands (GRU). Ich denke, es lohnt sich, eine weitere staatliche Struktur zu erwähnen, die verschiedene, unter anderem auch sehr spezifische Aufgaben löst: die Russische Präsidialverwaltung.
Ausgerechnet letztere ist Initiator vieler Aufregungen inner- und außerhalb Russlands, indem sie als Hauptauftraggeber für die Geheimdienste Russlands wie auch als Abnehmer ihrer Arbeit und als Koordinator ihrer Tätigkeit auftritt.
Ein Ergebnis der Anerkennung eines besonderen Status für Vertreter und Untergebene der Leitung der Russischen Präsidialverwaltung wurde die geheime Ernennung von Wladislaw Surkow (alias Aslanbek Andarbekowitsch Dudajew, ein gebürtiger Tschetschene) zum Kurator der „ukrainischen Frage“. Surkow bekleidet seit 2013 offiziell den Posten eines Beraters des Präsidenten Russlands.
W.Surkow musste mit einem ihm anvertrauten Verwaltungsapparat an Untergebenen, die einen unbegrenzten Zugang zu Informationsfeldern anderer staatlichen Strukturen (Innenministerium, Zentralbank, föderaler Dienst für staatliche Statistik und andere) besitzen, mit Unterstützung des SWR, FSB und GRU die Verwirklichung des Projektes „DonbasUnser“ organisieren. Man ging davon aus, dass dieses eine etwas andere Form der Fortsetzung des Projekts „KrimUnser“ sein wird und die Kontrolle über den Südosten der Ukraine zu errichten erlaubt.
Aber nicht alles verläuft so glatt. Durch die Annexion der Krim hat Putin zwar taktisch gewonnen – zugleich verlor er aber strategisch, indem er sich schwer lösbare Probleme für die Zukunft erschaffen hat.
Auf dem Festland der Ukraine erlitten Putin&Co eine Niederlage nach der anderen. Das Problem der Kontrollherstellung über den ganzen Südosten der Ukraine hat sich darauf begrenzt, dass sie ganz einfach im Donbas stecken blieben. Um vorübergehend lediglich 30% des Territoriums von zwei östlichen Gebieten der Ukraine zu annektieren, hat Putins Russland soviel gezahlt, wie es sich nie erträumt hätte. Die Frage der Herstellung der Kontrolle über den ganzen Donbas ist für Putin und sein Umfeld ins Nichtssein ausgeschieden. Über die anderen Regionen der angeblich prorussischen Ukraine (alles Küstengebiete) mussten die kremlischen Himmelsbewohner auch vergessen: Die Bevölkerung hat sie nicht unterstützt.
Mit bloßem Auge kann man erkennen, dass der Grund für eine derartige Niederlage darin liegt, dass sich die Geheimdienste Russlands schlicht und einfach blamiert haben. Das Erste, was sie nicht berücksichtigt hatten, war das gewaltige Potenzial an Patriotismus, der in der Tiefe der ukrainischen Gesellschaft geschlafen hatte. Dabei wurde der schlummernde Patriotismus durch die Maidan-Ereignisse erweckt und durch den Wunsch, die Krim zurückzuerobern, weiter angeheizt. Den Patriotismus musste man nur noch richtig kanalisieren.
Die Russen sind faktisch auf eine glühende Pfanne in dem Glauben aufgesprungen, dass sie kalt sei. Anstatt direkt wieder heraus zu springen (also zurückzutreten), führten sie ihren Tanz auf dieser Pfanne fort und erlitten schreckliche, ihre Körper entstellende Verbrennungen. Die Schuld lag an dem Datenmaterial derselben Geheimdienste Russlands, die beschlossen, Korrekturen vorzunehmen und die Ukraine weiterhin aus den Angeln zu heben. Das hat sich in der Organisation von bewaffneten Besatzungen der staatlichen Sicherheits- und Verwaltungsorgane im Osten der Ukraine unter der Anleitung russischer Emissäre ausgedrückt. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Szenarios im Donbas erlaubte anzunehmen, dass die ukrainische Gesellschaft zersplittert sei, dass sie sich in Maßstäben des ganzen Landes nicht mobilisieren könnte, dass sie keine Ressourcen für den Kampf besäße und vollkommen paralysiert sei. Die russischen Geheimdienste haben sich auf einen erfolgreichen Start gefreut, es kam ihnen so vor, als ob sich ihre Kalkulationen und Prognosen erfüllten und die demoralisierten ukrainischen Staatsbehörden sie an ihrer Erfüllung nicht verhindern könnten.
Zusätzlich gab es auch Tipps aus dem nach Russland geflüchteten Umfeld von Janukowytsch, dessen Vertreter in der allerschlimmsten Art und Weise über die Strukturen gesprochen haben, die sie selbst erst vor kurzem geleitet hatten. Die geflüchteten Beamten waren sogar stolz darauf, dass unsere Armee keinen Krieg zu führen gelernt hat, dass das Militärgerät alt und nicht mehr einsatzbereit ist. Sie behaupteten, dass die ukrainischen Staatsbehörden es nicht riskieren würden, nach dem Motto: sie sind ungeschult und gegen größere Gruppen lokaler Bevölkerung würden sie nichts unternehmen.
Die Russen dachten, dass nicht mehr viel zu tun sei. Aber weit gefehlt. Die Streitkräfte der Ukraine haben eine Art Kopie bekommen. Es wurden freiwillige Bataillons zusammengestellt, die zur Hauptüberraschung für Putins Umfeld wurden. Es war ein Schlag unter die Gürtellinie! Freiwillige aus allen Ecken des Landes begannen, in den Osten der Ukraine zu kommen. Alle, die nicht unter die Mobilisation fielen, kamen von allein, ohne Waffen und Uniform. Faktisch sind sie ins Nichts gefahren, jede Gefechtsaufgabe zu lösen bereit.
In einem engen Zeitfenster wurde eine ehrenamtliche Bewegung organisiert, was zur neuen Überraschung für die Kremlstrategen wurde.
Zur Verteidigung der Heimat hat sich ein ganzes Volk erhoben. Sogar Kinder blieben nicht beiseite und schickten eigene Zeichnungen, Spielzeuge und Videoansprachen an die Heimatverteidiger.
Als Resultat hat das ukrainische Volk dort, wo die Feinde nichts erwarteten, eine dermaßen niederschmetternde Faust geballt, dass diese dem Feind vernichtende Schläge zu versetzen anfing und die okkupierten Territorien von dem Feind fast reinigte.
Aber der Kreml und seine Untergebenen tobten weiter und, die Fähigkeit zum vernünftigen Denken verloren, sind sie einfach nur mit den Kräften der regulären Armee in die Ukraine eingedrungen. Das Verteidigungsministerium Russlands musste sogar seine Soldaten anlügen, indem es sie unter dem Vorwand von Übungen in die Ukraine lockte. Aber sogar die militärische Maschinerie des putinschen Russlands konnte die Situation nicht radikal beeinflussen und hat die rechnerisch unterlegenen ukrainischen Abteilungen nur zurückdrängen können. Und je mehr Soldaten Putin in das Feuer des Krieges warf, um so greller brannten sie in diesem ab, und der Feuerschein von mehreren tausenden Armeeangehörigen Russlands beleuchtete schließlich die informative Finsternis, in welcher die Bevölkerung Russlands eingekapselt war.
Die Geographie des Sabotage- und Aufklärungskrieges in der Ukraine zu erweitern ist den putinschen Helfershelfern nicht gelungen, da man die Komplizen der russischen Terroristen in diversen Ecken des Landes herauszufischen anfing, sie der Möglichkeit beraubend, sich zu entfalten. Die überaus zahlreichen Sabotageakte in Charkiw haben zu keinem Resultat geführt.
Weiter vorzudringen hat sich Putin nicht getraut. Er ist ausgerastet und hat eine geschlossene Versammlung in einer seiner Landresidenzen zusammengeführt. Ihn zu verstehen fiel den russischen Generälen nun noch schwerer, und das Oberhaupt der russischen Regierung Dmitry Medwedew distanzierte sich vom Geschehen generell. Sie alle haben mit ihren eigenen Augen gesehen, worin ihre Affäre gemündet hat. Dabei verstanden weder sie noch Putin, wie man sich aus dieser Situation herauswinden kann, ohne sich auf der Verliererseite zu bekennen. Man musste etwas tun, und so haben alle angefangen, aktive Arbeit vorzutäuschen.
Unter diesen Bedingungen fing der russische Auslandsnachrichtendienst (SWR) an, sich zwangsläufig mit der Neutralisation der Unterstützung zu beschäftigen, die die mächtigsten Staaten der Welt den ukrainischen Behörden erwiesen haben.
Eine derartig konsolidierte Reaktion der entwickelten Länder auf die Willkür, die von Russland in den Gang gesetzt wurde, hat seine eigene Aufklärung nicht erwartet. Das angetriebene Schwungrad des Kalten Krieges ohne eine vollkommene Kapitulation aufzuhalten war schon unmöglich: der „Südstrom“ wurde gestoppt, die „Mistrale“ wurden nicht übergeben, die Vertreter der OPEC schenkten Russland keinerlei Beachtung, die Sanktionen wurden verschärft, „Gasprom“ hat ihren Einfluss auf die Situation in Europa verloren.
Die versteckte Finanzierung von radikalen Parteien Westeuropas durch Geheimdienstkanäle, in erster Linie der nationalistischen Partei „Front National“ (mit ihrer Anführerin Marie Le Pen) haben den Schutz der russischen Interessen in keinster Weise beeinflusst. Als Folge konnte der Außennachrichtendienst nicht nur den Krieg zwischen Russland und Ukraine nicht verhindern sondern war auch nicht im Stande, Russland in diesem Krieg behilflich zu sein.
Der FSB begann im Schnelltempo, irgendwelche selbsternannte Machtbehörden auf den besetzten Territorien zu stempeln, sie zu legitimieren versuchend und gleichzeitig die lokale Bevölkerung weiter zombifizierend.
In den okkupierten Territorien wurde der Anschein eines friedlichen Lebens erweckt: irgendwelche abstruse Ausstellungen, wahnhafte Wettbewerbe (z.B. „soziales Bowling“) und so weiter und so fort.
Die „DVR“-Führer wurden sogar gezwungen, besetzte Territorien zu bereisen und die frierende lokale Bevölkerung mit Versprechungen zu füttern, damit sie die russischen Protegés nicht stürzt.
Die am meisten zurückgebliebenen und unkontrollierbaren Figuren (Antjufejew, Strelkow, Besler, Borodaj, Kosyzin) musste man sogar mitsamt ihrer Untergebenen außerhalb der okkupierten Territorien bringen und in ihre Schranken weisen. Die Personalauswahl für die Leitung der „DVR“ und „LVR“ wurde eh zu einer völligen Niederlage der russischen Geheimdienste.
Die regionale „Elite“ ist geflüchtet, die russischen Protegés haben sich in Raub verstrickt, sich untereinander und auch mit Helfern aus den ihnen zur Verfügung gestellten örtlichen Verrätern zerstritten. Die letzteren waren eh nicht von großem Verstand: Sachartschenko hat eine Ausbildung abgeschlossen, Puschilin ist ein Hochstapler aus der „MMM“ (einer Betrugsaktiengesellschaft, die in den 90ern in Russland existierte), Purgin ist eine einem Obdachlosen gleichzusetzende politische Randfigur. Am Ende konnte die „DVR“ nur dort existieren, wo die russische Armee sich befand.
Die GRU eilte dem FSB zur Hilfe und fing an, aus allen Ecken Russlands ihre Spezialeinsatzkräfte zu sammeln, um sich auf Sonderoperationen und auf eine weitere Umschulung der noch nicht durch die Ukrainer abgeschossenen lokalen Verräter zu konzentrieren. Dabei wurden die krampfhaften Versuche fortgesetzt, ein verlässliches Netz an Informanten zu spinnen, das ausschließlich Informationen militärischen Inhalts zu beschaffen fähig ist (über die Bewegung der Panzerfahrzeugkolonnen der ATO, ihre Ausrüstung, Standorte, Besonderheiten der Truppenverwaltung usw.) und Abschreckungsaktionen zu organisieren im Stande ist.
Der Kurator der „ukrainischen Frage“ Surkow geriet in eine sehr schwierige Lage. Er hat vom Putin am meisten abbekommen: Man musste sogar die am besten in die Modalitäten der von ihm angefangenen ukrainischen Kampagne Eingeweihten kündigen und kurzfristig nach Ausgangswegen aus dem erschaffenen Alptraum suchen.
Und hier, wie der Zufall wollte, hat sich die tschetschenische Frage verschärft, die in Putins Kopf scheinbar das Axiom verdeutlichte: Zähmen kann man Tschetschenien nicht – es rebelliert, sobald sich die Geldinjektionen in diese Republik reduzieren.
Die Ukraine ist größer, stärker und nicht weniger kämpferisch.
Aber weder Putin noch seine Geheimdienste haben es bis jetzt verstanden.
Dieses Material wurde von Alexey Dowbusch speziell für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck des Materials ist ein Link zu unserer Ressource beizufügen.
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