
Der russisch-ukrainische Krieg, der seit ungefähr einem Jahr im Donbass stattfindet, verläuft wie bekannt in zwei Dimensionen: der realen und der virtuellen. Nicht umsonst wird er auch Hybridkrieg genannt. Die informative Komponente spielt hier eine grössere Rolle, als in jedem anderen Krieg, den es jemals zuvor gab. Und das ist ganz und gar nicht zufällig, denn sie existiert auch nur dafür: um den wahren Besatzungscharakter dieses Konflikts zu verheimlichen, dessen Anerkennung ungünstig für den Aggressor ist.
Die Okkupation von Donbass durch die russischen Söldner und Militärangehörige der regulären Armee ist zweifellos ein Verbrechen. Darum, wie jeder anderer Verbrecher, versucht Russland die Weltgemeinschaft davon zu überzeugen, dass es unschuldig ist und sich an diesem Krieg nicht beteiligt. Dafür tut es alles, um als Konfliktseite die Pseudorepubliken „LVR“ und „DVR“ darzustellen, die mit Hilfe von russischen Staatsbürgern gebildet worden sind, welche die ukrainische Grenze mit Waffen durchgegangen waren und mehrere Städte der Donezker und Luhansker Gebiete besetzt hatten.
Diese Praxis ist nicht neu. Zu solchen Massnahmen griffen die Aggressoren auch früher. Es ist immer einfacher, über eine 5. Kolonne zu handeln, die den Eindruck einer gewissen Legitimität der Aggression entstehen lassen und die Verbrechen hinter einer Schottenwand verstecken kann. Aber die Möglichkeiten der modernen Medien erlauben es, nicht einfach nur die 5.Kolonne zu nutzen, sondern sie gar zu erfinden, wenn sich gerade keine zur Stelle findet. Eine parallele Welt jenseits des TV-Bildschirms zu erschaffen, welche die Zuschauer als eine durchaus reale wahrnehmen werden.
Einem Menschen, der die Realien von Donbass nicht kennt, nichts über das politische Leben von Donezk vor dem Krieg weiss, kann diese Realität durchaus glaubwürdig erscheinen. Er ist fähig zu glauben, dass im Donezker Gebiet über viele Jahre hinweg eine starke antiukrainische Bewegung existierte und beim Volk populäre separatistische Organisationen aktiv waren, die 2014 die „DVR“- Leitung ohne die zusätzliche Hilfe von Russland übernommen haben. In Wirklichkeit hat das alles aber wenig mit der Realität zu tun.
Die heutigen Speaker, Aktivisten und Anführer der „DVR“ und „LVR“ spielen nur für sie erfundene Rollen und erschaffen eine Legende für das Zielpublikum. Ihre tatsächliche Autorität auf den okkupierten Territorien ist gleich Null.
Vor dem Konfliktbeginn waren manche „Separatisten“-Anführer nur in sehr engen marginalen Kreisen bekannt, und manche davon kannte gar keiner. Es schien, als ob sie bis zum Ende ihres Lebens dazu verdammt sind, die üblichen Gestalten der Stadtirren zu verwirklichen, aber alles hat sich an einem Tag geändert, als Russland Schauspieler für die Rollen der neuen Volksanführer brauchte. Und die Anwesenheit der gestrigen Loser im Informationsfeld Russlands (und später auch der Ukraine) hat einen absurd grossen Ausmass erreicht.
Verkäufer der Baumaterialien auf den Märkten, chronische Arbeitslose, Festorganisatoren in den Kindergärten haben den Status von „Ministern“, „Abgeordneten“ und „Bürgermeistern“ bekommen und in diesem Status begannen sie in den Nachrichten des Primetime-TVs aufzutauchen. Zu Leadern von Quasi-Staaten wurden sie nicht von den Wählern, sondern von den TV-Kanälen und Zeitungen Russlands gemacht. Zu einem gewissen Grad hat sich die Handlung des Romans von Wiktor Pelewin „Generation P“ verwirklicht, wo der Held plötzlich erfährt, dass die russische Regierung und der Präsident in Wirklichkeit gar nicht existieren und das Fernsehen nur erfundene Gestalten zeigt. Der Unterschied zwischen dem Buch und der Donezker Realität besteht nur darin, dass die modernen Technologien noch nicht erlauben, die Anführer von „DVR“ und „LVR“ glaubhaft zu zeichnen, darum ist man gezwungen, mit Laiendarstellern zu arbeiten, die „Minister“ und „Generäle“ mimen.
Noch im Frühling, als die Separatisten in den besetzten Gebäuden der staatlichen Gebietsverwaltungen von Donezk und Luhansk tagten, besassen Sachartschenko und Plotnizky keinerlei Autorität, nicht mal in ihrer eigenen Umgebung. Aber bereits ein paar Monate später hat das russische Fernsehen sie zu „Stars“ gemacht und ihnen den Status der weltbekannten, einflussreichen Personen verliehen, die angeblich selbstständig Entscheidungen treffen. Die ganze Legitimität der „DVR“ und „LVR“ wird in den Fernsehstudios Moskaus erschaffen.
Zur selben Zeit verschwanden die vorigen Kuratoren der Separatisten ohne jegliche Erklärung von den TV-Bildschirmen. Bolotow und Baschirow aus Luhansk sind verschwunden. Heute können die lokalen Einwohner sich nicht mal an ihre Gesichter und Namen erinnern. Aus Donezk sind Borodai und Girkin verschwunden. Makowitsch taucht in den Reportagen der Fernsehschaffenden nicht mehr auf. Wenn man diese erstaunliche Abhängigkeit der Separatistenanführer von den russischen Medien beobachtet, kann man jemanden von den Aktivisten der „DVR“ und „LVR“ natürlich schwer ernstnehmen. Es ist gut möglich, dass morgen Sachartschenko und Plotnizky genauso einfach von den TV-Bildschirmen verschwinden und durch genau die gleichen TV-Generäle und TV-Minister abgelöst werden.
Höchstwahrscheinlich wird auf die gleiche Art und Weise das Bild vom Kriegsschauplatz gezeichnet. Zur Verschleierung der Beteiligung der russischen Streitkräfte am Krieg im Osten der Ukraine werden auf den russischen TV-Bildschirmen permanent die Fake-Feldkommandeure präsentiert, die angeblich die bewaffneten Separatisten-Formationen anführen. In der Rolle solcher Anführer treten gestrige Parkeinweser und Mitarbeiter der Autowaschanlagen auf, die „Volkskommandeure“ überzeugend darstellen.
In Wirklichkeit werden die Bandenformationen höchstwahrscheinlich von Militärexperten aus Russland geleitet.
Gäbe es kein TV, hätten wir womöglich über Motorola nie erfahren, der von den Propagandisten der LifeNews angepriesen wurde. Der drollige Asi-Halbwüchsiger passte sehr gut in die Rolle eines Soldaten Browkin, darum wurde er von den Medien-Technologen schnell auf das Niveau eines militärischen Genies gebracht. Die Ukrainer verbreiten permanent hoffnungsvoll die Gerüchte über den Tod von Motorola völlig umsonst. Er hat längst den Status einer sakralen Figur in diesem Krieg. So einen wird man natürlich nicht auf die vorderste Linie dieses Krieges schicken. Er wird dazu gebraucht, die Rolle eines unsterblichen, tollkühnen Kommandeurs im Fernsehen zu spielen.
Die Entwicklung des Geschehens im Donbass verfolgend, muss der ukrainische Zuschauer verstehen, dass er in den Medien nicht die Lageberichte von der Front sieht, sondern eine Realityshow mit einem Riesenbudget, die ihre eigenen Regisseure und Produzenten hat. Die russische Version der Ereignisse ernstzunehmen ist das Gleiche wie den Film „Krieg der Welten“ zu schauen und zu glauben, dass die Aliens Amerika überfallen hätten. Der Krieg im Donbass ist ein Krieg Russlands gegen die Ukraine und ist nichts anderes. Und „LVR“ und „DVR“ sind nur ein billiger Abklatsch der totgeborenen „Finnischen Demokratischen Republik“, welche die UdSSR-Leitung zur Verheimlichung ihres Eroberungsüberfalls auf Finnland 1939 erfunden hat.
Die Wahrnehmung der Marionetten und Kollaborateure als einer selbstständigen Seite des russisch-ukrainischen Konflikts ist genau das, was so sorgfältig die Russische Föderation zu erreichen versucht. Und wenn wir es so wahrnehmen, erklären wir uns mit den uns aufgezwungenen Spielregeln einverstanden und klammern die russische Aggression aus.
Autor: Denis Kasanski in tyzhden.ua ; übersetzt von Irina Schlegel