Der Mudschahedin-Angriff in Grosny war eine Überraschung. Obwohl diese Dezembertage auch ohne diese Ereignisse ein Anlass wären, sich an den Kaukasus zu erinnern: ein runder „Geburtstag“ – der 20. Jahrestag des Beginns des Ersten Tschetschenischen Krieges…
In 1994 hat der Kreml seine Position als „Schutz der territorialen Integrität“ dargestellt. Lustig natürlich so etwas von einem Staat zu hören, der die territoriale Integrität der Nachbarländer Georgien und Ukraine buchstäblich zertrampelt hat. Aber selbst nach rein formalen Kriterien sollte man die Situation in Itschkerien (Tschetschenien) nicht mit jetzigen Sorgen im Donbas gleichsetzen. Kyjiw hat unter extremen Bedingungen Maßnahmen gegen die Söldner ergreifen müssen, die entsprechend ihrer Vorstellungen über die Russischsprachigkeit Anspruch auf das halbe Land erhoben haben. Der plötzliche Verlust der Krim hat lebendige Assoziationen mit dem Domino-Effekt hervorgerufen: für uns war dieses Szenario – „der russische Frühling“- entsetzlich – und für die Feinde erwünscht und folgerichtig. Die „Neurussen“ glaubten, dass die „höflichen grünen Männchen“ aus Russland rechtzeitig und im nötigen Umfang helfen würden, und dass Onkel Wowa (Putin) mit jemandem von den Ortsansässigen einen weiteren Vertrag über die Eingliederung zu Russland bereits im Mai unterschreiben würde. Angesichts einer solchen Bedrohung hat die Ukraine die ATO nicht als einen Krieg für ein Stück Land angefangen sondern als einen Kampf für nationale Unabhängigkeit.
Am Kaukasus war ursprünglich alles anders. Die faktische Unabhängigkeit hat die Tschetschenische Republik Itschkerien im Herbst 1991 erlangt. Nach den Maßstäben des großen Russlands war der territoriale Verlust unbedeutend; darüber hinaus hatte Tschetschenien nicht wirklich lange Gelegenheit, in der Zusammensetzung des neuen Russlands zu sein, denn davor war ja alles UdSSR. Wichtig ist auch, dass Itschkerien tatsächlich ein Staat eines separaten Volkes war, im Gegensatz zu „Neurussland“. Das Verwunderliche hier ist, dass Russland sich um ihre territoriale Integrität erst drei Jahre später Sorgen machte, vorher hatte es ihm wohl alles gepasst. Offensichtlich sind wahrhaft vernünftige Gründe für den Beginn des Gemetzels erst 1994 aufgetaucht.
Das Kräfteverhältnis zwischen dem Mutterland und Separatisten in Fällen von „Neurussland“ und Itschkerien zu vergleichen ist auch sehr lehrreich. Die kleine Republik Itschkerien verließ sich im Widerstand gegen die Armee einer Großmacht nur auf sich selbst und freiwillige Helfer (beziehungsweise Söldner), die einzeln und gruppenweise durch die geschlossenen Grenzen durchschlüpften. Die Ukraine dagegen, die Jahrzehnte lang in Frieden und Sorglosigkeit verbracht hat, traf nicht nur auf Separatisten, sondern auch auf reguläre russische Streitkräfte, die in Kämpfen gegen fremde wie eigene Bürger einsatzgehärtet waren. Desweiteren war auch die militärische Reform in Russland auf die Steigerung der Kampffähigkeit ausgerichtet, und nicht wie bei uns – auf die Privatisierung der Überschüsse vom Armeeeigentum.
Die Analogien zwischen Tschetschenien und dem sogenannten Neurussland sollte man auf einer anderen Ebene suchen. Die russischen Kommentatoren haben das unabhängige Itschkerien von 1996-1999 mit Vergnügen und in allen Details als ein failed state beschrieben. Ob es tatsächlich so war oder nur dank der Provokationen und Propaganda des Kremls so schien, aber alles, was wir über Tschetschenien zu jener Zeit gehört haben, war beispiellose Kriminalität, Sklavenhandel, Klan- und Religionszusammenstöße, Wildheiten der Schariagerichte. Daraus folgte die logische Schlussfolgerung über die Notwendigkeit der Wiederherstellung von der Verfassungsordnung und der Rückkehr von Zivilisations- und Wohlstandsgrundlagen.
Mit dieser Mission hat der Kreml seine Streit- und Ordnungskräfte beauftragt, ohne Rücksicht auf Verluste, Zerstörungen und unschuldige Opfer zu nehmen. Komisch, dass die Russen die Versuche der Ukrainer nicht anerkennen, einer ebensolchen Willkür auf dem eigenen Territorium ein Ende zu setzen, wobei die ATO-Kräfte weitaus humaner als die Föderalen in Tschetschenien agieren. Was sehen wir auf den Territorien, die unter Kontrolle der „DVR“ und „LVR“ unterstehen? Plünderungen, interne bewaffnete Konflikte, grausame Abrechnungen mit den Diskordanten, Verschleppungen, Folter mit Peitschen an Frauen…
Wie es sich herausgestellt hat, braucht man gar kein Islamist zu sein, um im 21. Jahrhundert in den mittelalterlichen Obskurantismus zu verfallen.
Scheinbar hat Russland, nachdem es die Berge ausgiebig mit Blut begossen hatte, den Willen der Tschetschenen nach Unabhängigkeit unterdrücken können. Putin ist es gelungen, treue Köter zu erziehen – Kadyrow-Anhänger, für deren Loyalität Moskau mit Nachsicht auf Ramsan Kadyrows Willkür in Tschetschenien und mit Duldung der Gesetzlosigkeit der Kaukasier im ganzen Land bezahlt. Tschetschenische Nationalisten wechselten teilweise auf Kadyrows Seite, teilweise waren sie gezwungen zu emigrieren, und ihre Stimmen sind in der Widerstandsbewegung nicht mehr zu hören. Den antirussischen Kampf führen nur noch die Mudschahedin vom Kaukasus-Emirat weiter: Internationalisten islamistischer Subströmung. Sie haben ihre Tätigkeit auf alle nordkaukasische Republiken Russlands ausgeweitet, aber insgesamt war ihre Aktivität in den letzten Jahren nicht sonderlich hoch. Mehr noch, Tschetschenien, mit dem alles angefangen hat, galt bis gestern als die ruhigste und stabilste Region am Nordkaukasus. Periodisch gab es Zusammenstöße in Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, aber nicht in Tschetschenien, das scheinbar unter eiserner Kontrolle von Kadyrow stand. Und nun haben die Mudschahedin einen dreisten Angriff auf Grosny unternommen. Kadyrow hätte wohl besser nicht so viele seine Söldner in den Donbas schicken sollen. Er hat sich da wohl überschätzt…
Tja, es ist nicht ausgeschlossen, dass nun die Zeit gekommen ist, unsere Schulden zurückzugeben. Vor zwanzig Jahren, während des Ersten Tschetschenischen Krieges, sind mehrere Dutzende Jungs aus der Ukraine Dudajew zur Hilfe geeilt. Später, als sie nach den Motiven für ihr Handeln gefragt wurden, antworteten sie, sie hätten, indem sie den Widerstand der Tschetschenen unterstützten, Russland daran gehindert, die Krim in einen Brennpunkt zu verwandeln.
Faktisch gab es Mitte der 90er alle Voraussetzungen für den Krim-Separatismus, und für sein Gelingen hätte man nur eine militärische Intervention Moskaus gebraucht. Ob dies so ist oder nicht, aber es gibt eine Meinung, dass dem Kreml, sobald Tschetschenien den Vorstoß der russischen Soldateska auf sich genommen hat, nicht mehr nach der Ukraine war.
Und dem Krim-Separatismus ging auf natürlichem Wege die Luft aus, mit gewisser Hilfe der ukrainischen Geheimdienste. Nun kann die Situation eine umgekehrte sein: in dem die Ukraine die Kadyrow-Brigaden und die russischen Sondereinsatzkommandos zermalmt, schenkt es dem tschetschenischen und den anderen Völker Russlands die Chance, die Bande der „russischen Welt“ zu zerreißen.
Dieses Material wurde für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein aktiver Link zu diesem Artikel beizufügen.
One Response to “Reflexionen zur Mudschahedin-Operation in Grosny am 4. Dezember 2014”
09/12/2014
Ataque mudzhahedov en Grozny fue una sorpresa - InformNapalm.org (Español)InformNapalm.org (Español)[…] Deutsch: “Reflexionen zu Mudschahedin-Operation in Grosny am 4. Dezember 2014″ […]