
Am 28. November veröffentlichte InformNapalm ein Datenmassiv mit Tabellen und Analyse der vertraulichen Information aus der Abteilung des russischen Verteidigungsministeriums zur Sicherstellung des staatlichen Verteidigungsauftrags 2015-2016 (Leiter dieser Abteilung ist A. P. Wernigora). Eine Woche zuvor wurden diese Angaben den Computern der Mitarbeiter und des Leiters der Abteilung durch die Hacktivisten der ukrainischen Cyberallianz entnommen und an die Freiwilligen unserer Gemeinschaft übergeben. Die Tatsache, dass ukrainische Hacktivisten sich erlauben können, sowohl in der Kanzlei des russischen Präsidentenberaters Surkow (#SurkovLeaks) als auch in den Computersystemen des russischen Verteidigungsministeriums herumzuwirtschaften, ist an sich schon beispielhaft.
Außer einem weiteren taktischen Sieg im Lauf des globalen Cyberwiderstands interessiert uns aber auch der praktische Wert der ergatterten Information. Die bereitgestellten Informationen werden zweifellos Interesse in erster Linie bei den Nachrichtendiensten ausländischer Staaten hervorrufen, inklusive USA, NATO-Länder, China und Japan, da sie den strategischen Kurs Russlands im militärischen Bereich bloßlegen.
Zum Beispiel, hat die Mitteilung über die Platzierung von Küstenraketenkomplexen „Bal“ und „Bastion“ auf zwei strittigen Kurilen-Inseln – Kunaschir und Iturup – ernsthaftes Besorgnis des offiziellen Tokio hervorgerufen. Dabei hat die russische Seite diese Raketen demonstrativ am Vorabend des Besuchs des russischen Präsidenten in Japan zu Verhandlungen über einen Friedensvertrag platziert. Bis zum Jahresende plant Russland auch Militärmanöver im Gewässer des Japanischen Meeres abzuhalten. Ferner baut Russland seit 2015 ein Einheitssystem des Küstenschutzes im Fernen Osten aus, von der südlichen Küste des Primorje bis zur Arktis. Also ist gerade die Seekomponente die wichtigste in den Prioritäten des russischen Verteidigungsministeriums. In diesem Fall lässt sich der Versuch zurückverfolgen, Kontrolle über die Meerengen der Kurilen-Inseln und die Beringstraße zu errichten.
In den gehackten Unterlagen des russischen Verteidigungsministeriums sehen wir, dass die Modernisierung und Reparatur der Schiffe zur Top-10 der wichtigsten Milliardenaufträge gehört. In den Verträgen des staatlichen Verteidigungsauftrags 2015-2016 sehen wir solch‘ interessante Punkte wie:
- Entwicklung eines neuen seegestützten FlaRak-Komplexes, der für Schiffe der Zerstörer-, Fregatte- und Korvette-Klasse bestimmt ist.
- Herstellung und Lieferung des hydroakustischen Komplexes „Irtysch-Amfora-B-055“ für die U-Boote des Projekts „955 Borej“, der den russischen Steuerzahlern 1 608 881.407 Rubel kosten wird.
- Teilzahlung der Arbeiten zum Bau von zwei Korvetten der Klasse 20385;
- Herstellung und Lieferung von Leitungsinformationssystemen „Sigma-20385“ für die Schiffe des Projekts 20380;
- Der Bau vom Minenräumschiff „Georgy Kurbatow“ des Projekts „12700 Alexandrit“. Interessanterweise brach am 7. Juni 2016 auf dem sich im Bau befindenden Schiff ein Brand aus, der die Innenbekleidung des Schiffs beschädigt hat. Womöglich wurde die Brandlegung zwecks Verheimlichung massiver Falsifikationen und nicht-zweckgebundener Vergeudung von Budgetmitteln initiiert.
Man kann die Seeverträge des russischen Verteidigungsministeriums, die von den Hackern aufgedeckt wurden, lange aufzählen, der witzigste Punkt in dieser Kategorie wird für die Leser aber wohl der Vertrag zum Umbau der Kajüte des Oberbefehlshabers der Seestreitkräfte Russlands sein. Die Renovierung der Kajüte Nr.19 auf dem Kreuzer des 1.Ranges der Baltischen Flotte „Aurora“ wird den russischen Steuerzahlern 10 128 991.14 Rubel kosten. Das ist eine gute Ergänzung zur berühmten Aussage des russischen Premierministers Dmitry Medwedew: „Geld gibt es nicht, aber haltet durch hier!“. Den militärischen Verträgen nach, ist die Frage der Versorgung der Marine Russlands von allergrößter Bedeutung für militärische Bedürfnisse Russlands. In den Unterlagen werden folgende Punkte angeführt:
- Lieferung von modernen Objektiven für die Suchköpfe der Marschflugkörper des Typs „Boden-Luft X29“;
- Verträge zu Servicearbeiten an den Flugzeugen Su-24 und Su-34;
- Verträge zur Lieferung von Raketen „Luft-Luft“ und „Boden-Luft“;
- Herstellung des Flugkomplexes funkelektronischer Gegenwirkung, der von der Luftwaffe Russlands auf den Flugzeugen Su-34 und Su-30SM in Syrien weitgehend verwendet wird (Die Einzelheiten dieses Vertrages sind unter dem Vermerk „streng geheim“)
- und vieles andere.
Unter Berücksichtigung dessen, wie zielgerichtet und grausam die russische Luftwaffe die syrischen Zivilisten unter dem Vorwand des Kampfes gegen den IS vernichtet, stellen diese Angaben ein grosses Interesse zur Ausarbeitung von Gegenmaßnahmen für den Fall dar, wenn der Kreml sich entschließen sollte, die Ukraine zu bombardieren oder wenn seine Luftprovokationen an den Grenzen souveräner Staaten aggressiver werden sollten. Wir möchten anmerken, dass InformNapalm auch einige OSINT-Untersuchungen zur Identifizierung von 116 Offizieren der russischen Luftwaffe durchgeführt hat, die sich an der russischen Militärkampagne in Syrien beteiligten.
Diese Angaben sind auch wertvoll als Gegenmaßnahmen zwecks Eindämmung der russischen Aggression. Denn solange ein Kriegsverbrecher sich sicher ist, dass nie und nimmer jemand die Wahrheit über ihn erfährt, solange er sich hinter den gesichtslosen Bezeichnungen wie „grüne Männchen“, „Luftwaffe Russlands“, „russischer Offizier“ verstecken kann, glaubt er, dass seine Verbrechen keine Strafe nach sich ziehen werden und er ruhig weiter morden kann. Sobald persönliche Angaben aber in die offenen Quellen gelangen, können sie die Militärangehörigen dazu bringen, über die Folgen ihrer Taten nachzudenken und auf die Ausführung verbrecherischer Kreml-Befehle zu verzichten.
Was die EU, USA und Großbritannien angeht, so könnte sie an den bereitgestellten Angaben der Vertrag zum Einkauf von integrierten Schaltungen für X-Verstärker VRFA0026-BD interessieren, den Russlands Verteidigungsministerium mit der außenwirtschaftlichen Vereinigung „MaschPriborIntorg“ abgeschlossen hat. Es ist bekannt, dass die integrierten Schaltungen VRFA0026-BD von der britischen Firma VIPER RF produziert werden. Somit haben wir in diesem Fall mit einem Schattenkonzept zu tun, bei dem das russische Verteidigungsministerium über eine Zwischenhändler-Firma unter Umgehung der Sanktionen Waren doppelter Bestimmung einkauft, die später von Russland zu militärischen Zwecken eingesetzt werden. Womöglich wird dieser Aspekt bei den Überlegungen über die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland berücksichtigt.
Nächste Frage, die höchstwahrscheinlich interessant für die Weltgemeinschaft ist, ist der Punkt über das Projekt zur Ausrüstung der Eisenbahnwagen, die zum Transport von Atom- und Strahlungsstoffen benutzt werden, mit der SBE60M-Einrichtung. In den Raketentruppen strategischer Bestimmung werden die Eisenbahnwagen W-60M zum Transport von Raketensprengköpfen und Mehrfachsprengköpfen ballistischer Raketen verwendet. Dabei ist es bereits vor einer Woche bekannt geworden, dass Russlands Streitkräfte beabsichtigen, das Volumen ihrer Eisenbahntransporte nach Belarus bedeutend zu vergrößern. Insgesamt sollen im Jahr 2017 4162 Wagen mit Fracht militärischer Bestimmung in Belarus eintreffen, was 83 Mal mehr ist als noch 2016. Derartige aggressive Militarisierung des Territoriums von Belarus seitens Russlands kann eine Gefahr nicht nur für die nördlichen Grenzen der Ukraine, sondern auch für Baltische Staaten darstellen.
In der von den Hackern bereitgestellten Information gibt es auch Verträge zu Entwicklungs- und Forschungsarbeiten mit dem Vermerk „streng geheim“, die 2016 abgeschlossen wurden. In den Tabellen werden die verantwortlichen Ausführer und ihre persönliche Angaben aufgeführt, sowie viele andere interessante Informationen.
Wir denken, man braucht nicht zu präzisieren, dass die Weltgemeinschaft sowie ausländische Geheimdienste diese Angaben benutzen können, um das System der Staatsverträge und Aufträge des Verteidigungsministeriums Russlands scheitern zu lassen. Dieses Land hat gegen internationale Verträge und Abkommen über den Nichtangriff verstossen, die Grenzen und die Souveränität seiner Nachbarstaaten verletzt. Darum sind diese Methoden absolut angemessen und entsprechen der Realität der Abwehr und Verteidigung nationaler Interessen nicht nur der Ukraine, sondern der Verteidigung des ganzen Systems internationaler Sicherheit auf der Welt – von Japan bis zu Baltischen Staaten.
Dieses Material wurde von Roman Burko für focus.ua vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
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