
Mich würde interessieren, ob ich gerade ein Staatsgeheimnis ausplappere. Ich kann mich doch gut an das Lehrbuch mit dem verschmierten blauen Stempel der Spezialabteilung und an die Notizhefte mit den gebundenen und durchnummerierten Seiten erinnern, die zur Sicherheit noch mit gewachsten Fäden zusammengenäht waren.
Streng geheim.
Ich habe an der Fakultät für Journalistik der Moskauer Staatsuniversität studiert. Wir hatten einen Lehrstuhl für Militärwissenschaften. In äußerster Geheimhaltung hat man uns in spezieller Kampfpropaganda unterrichtet – die Kunst, in den Reihen des Feindes Zwist zu stiften. Mithilfe von Desinformation und Manipulation des Bewusstseins.
Schreckliche Sache, muss ich Euch sagen. Ohne Witz.
Kampfpropaganda oder auch „Schwarzpropaganda“ erlaubt jegliche Verdrehung realer Tatsachen, mit dem Ziel propagandistische Aufgaben zu erfüllen. Das ist eine effektive Waffe, die zu einem einzigen Ziel eingesetzt wird – nämlich den Verstand des Feindes herauszujagen.
Die Methode des „verrotteten Herings“. Die Methode der „umgekippten Pyramide“. Die Methode der „großen Lüge“. Das Prinzip „40 zu 60“. Die Methode der „absoluten Offensichtlichkeit“.
All diese Methoden kennt ihr auch. Ihr nehmt sie einfach nicht wahr. So wie es von Euch auch erwartet wird.
Man hat uns gelehrt, die Methoden der speziellen Kampfpropaganda gegen die Soldaten der Armee des Gegners anzuwenden. Heute werden sie gegen die friedliche Bevölkerung unseres eigenen Staates angewendet. Bereits seit zwei Jahren, wenn ich russische Zeitungen lese oder mir die Fernsehshows anschaue, stelle ich mit Interesse fest, dass jene Leute, die den Einwurf und die Interpretation der Nachrichten koordinieren, offensichtlich dasselbe Lehrbuch für ihre Ausbildung benutzt haben und bei demselben fröhlichen Oberst oder seinen Kollegen im Unterricht waren.
Zum Beispiel die Methode des „verrotteten Herings“. Sie funktioniert so: Man findet eine unwahre Beschuldigung. Wichtig ist, dass sie maximal schmutzig und skandalös ist. Gut funktionieren tun hier, zum Beispiel, ein geringfügiger Diebstahl oder, sagen wir mal, Kindesmissbrauch, oder ein Mord – am besten aus Habgier. Das Ziel des „verrotteten Herings“ besteht gar nicht darin, die Beschuldigung zu beweisen. Sondern darin, eine breite öffentliche Diskussion über ihre UNgerechtigkeit und UNvertretbarkeit auszulösen.
Die menschliche Psyche ist so konzipiert, dass sobald eine Beschuldigung zum Gegenstand einer breiten Diskussion wird, unweigerlich ihre „Unterstützer“ und ihre „Gegner“, ihre „Kenner“ und ihre „Experten“, wie auch überdrehte „Ankläger“ und eifrige „Beschützer“ des Beschuldigten auftauchen.
Aber ungeachtet der eigenen Ansichten wiederholen alle Diskutanten immer und immer wieder den Namen des Beschuldigten im Zusammenhang mit der dreckigen und skandalösen Beschuldigung, womit immer mehr des „verrotteten Herings“ in die „Kleidung“ des Beschuldigten eingerieben wird, bis der „Geruch“ ihn schließlich überall verfolgt. Und die Frage „getötet-gestohlen-missbraucht oder doch nicht“ wird zur Hauptfrage bei jeder Erwähnung dieser Person.
Oder zum Beispiel die Methode „40 zu 60“, die noch von Joseph Goebbels entwickelt worden war. Sie besteht in der Gründung eines Informationsmediums, das 60 Prozent der eigenen Informationen im Interesse des Gegners wiedergibt. Sobald das Vertrauen des Publikums gewonnen ist, nutzt man dann die restlichen 40 Prozent für äußerst effektive Desinformation – dank ebendiesem Vertrauen. Während des Zweiten Weltkriegs existierte ein Radiosender, den man in der antifaschistischen Welt hörte. Man hatte angenommen, es sei ein britischer Sender. Und erst nach dem Krieg ist bekannt geworden, dass es in Wirklichkeit ein Radiosender von Goebbels war, der nach dem von ihm ausgearbeiteten Prinzip „40 zu 60“ funktionierte.
Sehr effektiv ist auch die Methode der „großen Lüge“, die zwar der Methode des „verrotteten Herings“ ähnelt, tatsächlich aber etwas anders funktioniert. Sie besteht darin, dem Publikum mit maximalem Überzeugungsgrad eine dermaßen globale und scheußliche Lüge zu präsentieren, dass es faktisch unmöglich wird zu glauben, dass man über so etwas überhaupt lügen kann.
Der Trick besteht darin, dass eine richtig „komponierte“ und gut ausgedachte „große Lüge“ beim Zuhörer oder Zuschauer ein tiefes emotionales Trauma auslöst, das dann für lange Zeit entgegen aller Argumente der Logik und Vernunft die Ansichten des Individuums bestimmt.
Besonders gut funktionieren in diesem Sinne unwahre Beschreibungen grausamer Quälereien von Kindern oder Frauen.
Zum Beispiel wird die Nachricht über ein gekreuzigtes Kind aufgrund des tiefen emotionalen Traumas, das sie hervorruft, auf lange Zeit die Ansichten des Menschen bestimmen, der diese Information bekommen hat, wie sehr man auch versuchen sollte, ihn später mit logischen Argumenten vom Gegenteil zu überzeugen.
Unser fröhlicher Oberst hat aber insbesondere die Methode der „absoluten Offensichtlichkeit“ gemocht, die zwar kein schnelles, dafür aber ein zuverlässiges Resultat liefert.
Anstatt etwas zu beweisen, präsentieren Sie etwas, wovon Sie das Publikum überzeugen möchten, als eine Selbstverständlichkeit, die eben wegen ihrer Selbstverständlichkeit vorbehaltlos von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung gleich akzeptiert wird.
Trotz ihrer scheinbaren Einfachheit ist diese Methode unglaublich effektiv, denn die menschliche Psyche reagiert automatisch auf die Meinung der Mehrheit – im Bestreben, sich dieser Mehrheit anzuschließen.
Man muss nur daran denken, dass die Mehrheit unbedingt überwiegend und ihre Unterstützung absolut und bedingungslos sein muss, anderenfalls wird der Effekt des „Selbstanschlusses“ nicht entstehen.
Wenn jedoch diese Bedingungen erfüllt sind, beginnt die Zahl der Anhänger der „Position der Mehrheit“ langsam, aber sicher anzusteigen. Und im Laufe der Zeit wächst sie bereits in geometrischer Progression, hauptsächlich auf Kosten der Vertreter von niedrigeren sozialen Bevölkerungsschichten, die für den „Effekt des Mitlaufens“ am anfälligsten sind. Eines der klassischen Unterstützungsmittel der Methode der „absoluten Offensichtlichkeit“ ist zum Beispiel die Veröffentlichung von Resultaten von allerlei soziologischen Umfragen, welche die absolute gesellschaftliche Einigkeit in der einen oder anderen Frage demonstrieren. Die Methoden der „schwarzen“ Propaganda erfordern selbstverständlich nicht, dass diese Ergebnisse auch nur irgendeinen Bezug zur Realität haben.
Ich kann fortfahren. Man hat uns eigentlich ein ganzes Jahr lang unterrichtet, und die Liste der Methoden ist ziemlich lang. Jedoch ist hier etwas anderes wichtig: Die Methoden der „schwarzen“ Propaganda wirken auf das Publikum auf der Ebene der tiefenpsychologischen Mechanismen auf solche Weise hinein, dass die Folgen dieser Einwirkung mithilfe normaler logischer Begründungen aufzuheben unmöglich ist. „Die große Lüge“ erreicht diesen Effekt mithilfe des emotionalen Traumas, „die Methode der Offensichtlichkeit“ durch den Effekt des Mitlaufens, „der verrottete Hering“ durch die Einführung einer direkten Assoziation zwischen dem Objekt der Beschuldigung und der schmutzigen skandalösen Beschuldigung ins Bewusstsein des Publikums selbst.
Einfach ausgedrückt verwandelt die Kampfpropaganda den Menschen in einen Zombie, der nicht nur die in seinen Verstand implementierten Setups aktiv unterstützt, sondern auch mit hoher Aggressivität denjenigen widerspricht, die andere Ansichten vertreten oder ihn mit logischen Argumenten vom Gegenteil zu überzeugen versuchen. Im Grunde kann es auch gar nicht anders sein. Alle Methoden der Kampfpropaganda sind auf ein einziges Ziel gerichtet: die Armee des Gegners zu schwächen, indem man in ihren Reihen inneren Zwist, gegenseitigen Hass und Misstrauen sät.
Und heute werden diese Methoden gegen uns selbst angewendet. Und das Resultat, zu dem sie führen, ist genau jenes, zu dessen Erreichung sie auch erschaffen worden sind. Nur entsteht der gegenseitige Hass und der innere Zwist nicht in der Armee des Gegners, sondern in unserem Zuhause und unseren Familien.
Geht einfach raus auf die Straße, und Ihr werdet schon sehen, wie sich das Land in den letzten drei Jahren verändert hat. Ich habe das Gefühl, gegen die eigene Bevölkerung funktioniert die Kampfpropaganda sogar effektiver, als gegen die Soldaten des Gegners.
Vielleicht weil die friedliche Bevölkerung im Gegensatz zu Soldaten des Gegners nicht in der Lage ist, sich selbst zu beschützen.
Quelle: Wladimir Jakowlew in sgushenka.squarespaces.com; übersetzt von Alexander Kaufman/Irina Schlegel
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