Walerij Saluschnyj, den ukrainische Botschafter im Vereinigten Königreich, spricht über den Konflikt in der Ukraine. Er ist auch der ehemalige Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte. Heute präsentiert er seine Sicht auf die Auswirkungen des Krieges. Dies geschieht am renommierten Royal Institute of International Affairs, auch bekannt als Chatham House.
Seine Rede ist nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Ukrainisch verfügbar. Hier wird sie auf der Medienplattform Ukrainska Prawda veröffentlicht.
Ehrlichkeit im Kampf um die Zukunft
Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, heute hier zu sprechen. Ihre Einladung zu diesem bedeutenden Treffen bedeutet mir viel. Es ist eine große Ehre, vor so vielen klugen und respektierten Menschen zu stehen.
Bevor ich fortfahre, möchte ich meine Dankbarkeit für Ihre Unterstützung ausdrücken. Ich bin dankbar, dass Sie an unserer Seite stehen. Zusammen kämpfen wir weiter für unsere Freiheit. Trotz der Schwächen einiger Politiker hoffe ich auf einen Sieg. Nicht nur für die Ukraine. Ein Sieg ist auch für die gesamte zivilisierte Welt wichtig, angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Ehrlichkeit ist entscheidend. Nur durch sie können wir die Prozesse verstehen, die gerade ablaufen.
Deshalb werde ich nun einige Fakten präsentieren. Diese können als empirische Bewertungen interpretiert werden. Ob sie wissenschaftlich sind, müssen Sie selbst entscheiden.
Die Rolle des Westens im Kampf um Demokratie
Lassen Sie mich mit einem Begriff beginnen: „kollektiver Westen“. Dieser Begriff beschreibt eine Gruppe von entwickelten Ländern. Diese Länder haben starke Wirtschaften, engagierte Demokratien und eigene Verteidigungssysteme wie die NATO.
Im Gegensatz dazu stehen autoritäre Staaten. Diese Länder sind durch zentralisierte Macht gekennzeichnet. Der Mangel an demokratischen Institutionen prägt oft deren Wirtschaft. Sie sind häufig von Naturressourcen oder geplanter Regulierung abhängig – und kommen somit der herrschenden Elite zugute. Einige Länder haben es geschafft, sich von autoritären Regierungen zu befreien. Einige von ihnen schlossen sich dem Westen an. Andere, oft aufgrund der Widerstände autoritärer Imperien, kämpfen weiterhin um ihre Unabhängigkeit. Beispiele hierfür sind Georgien und Belarus, die formal ihre Unabhängigkeit verloren haben.
Die Ukraine jedoch kämpft seit vielen Jahren gegen Russland. Sie befindet sich mitten in einem Krieg um ihre Freiheit
Der Ausgang des Krieges und die daraus resultierenden Konsequenzen
Es ist wichtig zu betonen, dass die Ukraine fast ein Jahrzehnt um ihre Freiheit kämpft. Im Gegensatz zu Georgien und Weißrussland, die ihre Unabhängigkeit fast ohne Blutvergießen verloren, erleidet die Ukraine großes Leid. Der umfassende Krieg dauert mittlerweile fast drei Jahre. Diese Eskalation hat zu über 30.000 Todesopfern und Hunderttausenden von Verletzten geführt. Doch trotz dieser Tragödie setzen wir unseren Widerstand fort.
Dies zeigt deutlich, dass wir, die Ukrainer, Teil der zivilisierten westlichen Sphäre werden wollen. Wir haben das Recht, unsere Zukunft zu gestalten. Unser Gegner ignoriert unser Verlangen. Er versucht, unsere Nation auszulöschen. Dies wird durch historische Ereignisse wie den Holodomor (Tötung durch Hunger) sowie die Tragödien in Butscha und Hostomel nur bestätigt. In Anbetracht dieser Tatsachen ist eine friedliche Koexistenz unmöglich.
Keine Friedensinitiativen können glaubwürdig sein, wenn sie nicht auf gegenseitigem Respekt basieren
Die Reaktion des Westens auf Aggression
Die aktuelle Situation in der Ukraine ist das Resultat der Unwilligkeit des Westens. Der Westen hat das globale Sicherheitssystem nicht ausreichend beeinflusst. Russland hat die Schwächen des Westens, besonders der USA, ausgenutzt. So konnte Russland bereits 2008 mit der Ausweitung seiner „Sicherheitszone“ beginnen.
Der stille Krieg gegen die Ukraine hat 2014 begonnen. Damals reagierte der Westen ohne Entschlossenheit. Dies führte zu dem blutigsten Krieg in Europa im 21. Jahrhundert.
Heute droht Putin mit Atomwaffen, um den Westen einzuschüchtern. Westliche Politiker hingegen scheuen eine Eskalation. Sie sind oft von den Wünschen ihrer Wähler abhängig. Wenn Putins Ambitionen nur die Ukraine beträfen, wäre das eine andere Situation. Jetzt ist jedoch klar, dass der Westen handeln muss, um die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren.
Der Westen hat die Ukraine unterschätzt. Ursprünglich schätzten westliche Medien, die vor Putin Angst hatten, dass die Ukraine in drei Stunden oder spätestens in drei Tagen fallen würde. Als die Realität ans Licht kam, zögerte der Westen in seiner Unterstützung. Dies geschah aus Angst vor einem Atomkrieg. Dadurch konnten wir im Jahr 2023 kaum wesentliche Fortschritte im Kampf gegen Russland erzielen.
Der Konflikt zieht sich also in die Länge. Das Ergebnis ist ungewiss und betrifft uns heute alle.
Ist es ein Geheimnis, dass China, Nordkorea und der Iran sich auf die Seite Russlands gegen die Ukraine gestellt haben? Viele kennen kaum die geografische Lage der Ukraine. Angesichts der wachsenden Organisationen wie BRICS bleibt die Frage: Wie wird der Westen darauf reagieren? Wird die Angst vor einer Eskalation bestehen bleiben?
Sicherheit und Zukunftsglauben für die Ukraine
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Veränderung in der Kriegsführung. Die traditionelle Kriegsführung, wie sie bis 1953 praktiziert wurde, existiert nicht mehr. Im Jahr 2023 hat eine neue Ära begonnen. Neue Waffentypen werden auf dem Schlachtfeld eingesetzt. Kritiker, darunter auch westliche Staats- und Regierungschefs, erkennen nun die Veränderungen durch künstliche Intelligenz. Niemand lacht mehr über diese Entwicklungen.
In Großbritannien wird zurzeit eine Überprüfung der nationalen Sicherheitsstrategie durchgeführt. Die NATO bleibt jedoch still. Was sagt dies über unsere globale Sicherheit aus? Sind wir weiterhin auf Kampfflugzeuge, Flugzeugträger und teure Raketen angewiesen? Leider hat der Konflikt nicht zu einem besseren Verständnis geführt.
Globale Allianzen und neue Bedrohungen
Wir, die Ukrainer, kämpfen unumstößlich für unsere Freiheit. Unser Ziel ist greifbar nah. Wir streben nach drei grundlegenden Aspekten.
Das Gefühl der eigenen Sicherheit
Wir benötigen Garantien, dass die Ukraine in den nächsten 100 Jahren nicht angegriffen wird. Unsere Sicherheit muss auch die Sicherheit unserer Kinder umfassen. Eine mögliche Lösung wäre der Beitritt zur NATO oder eine NATO-ähnliche Staatenformation. Heute gibt es keine Alternative.
Das Gefühl grenzenloser Entwicklungsmöglichkeiten
Jeder Bürger in der Ukraine sollte unbegrenzte Chancen besitzen. Dies setzt voraus, dass unser kriegsverwüstetes Land wieder aufgebaut wird. Im Westen wird dieses Thema lebhaft diskutiert. Doch wie kann der Wiederaufbau ohne Sicherheit geschehen? Gibt es eine Chance für Investoren, in ein Land zu investieren, das kriegsbedingten Gefahren ausgesetzt ist? Leider lautet die Antwort nein. Ohne Sicherheit gibt es keine langfristigen Perspektiven.
Das Gefühl der Heimatverbundenheit
Jeder Ukrainer sollte sich in seinem Heimatland, wo seine Eltern ruhen und wo er mit seinen Kindern in Sicherheit lebt, zu Hause fühlen.
Historische Lehren und zukünftige Wege
Ich bin hier, um nicht den Westen oder die NATO zu kritisieren. Niemand ist der Ukraine etwas schuldig – nicht einmal nach dem Budapester Memorandum. Die Ukraine kämpft täglich ums Überleben.
Ich hoffe, dass der Philosophieprofessor George Santayana Unrecht hatte, als er sagte, dass diejenigen, die ihre Geschichte vergessen, dazu gezwungen sind, sie zu wiederholen.
Walerij Saluschnyj, Botschafter der Ukraine im Vereinigten Königreich und Nordirland sowie ehemaliger Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte (2021-2024).
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