von Andrei Schipilow
Ihr habt bestimmt schon öfters Antworten auf diese Frage bekommen, in verschiedenen Varianten, darunter auch völlig inkompatiblen. Etwas erahnt Ihr selber, manchen Quellen glaubt Ihr, anderen nicht, aber im Grossen und Ganzen – volles Vertrauen hat man zu niemandem mehr.
Was sollen wir tun?
Im modernen Internet neigt die Information zu „verschwinden“. Heute gab es eine Website und voila- die gibt es nicht mehr. Oder die Website ist noch da, aber die Texte dort haben sich vollständig verändert. Manchmal passiert es, dass die Eigentümer der Website eine für sie „unbequeme“ Information verstecken möchten.
Naives Volk! Sie wissen wohl nicht, dass es im modernen Internet nichts spurlos verschwinden kann. Wenn man aber versucht, eine bestimmte Information zu verstecken, erweckt gerade diese Tatsache die Aufmerksamkeit, denn wenn etwas versteckt werden soll, muss daran wohl was faul sein.
Und dann kann ein kundiger Menschen anhand scheinbar nicht mehr existierender Links alles, was man nur zu verstecken versucht hat, ans Tageslicht holen. Und da können sich einem manchmal die interessantesten Sachen erschliessen.
Gerade so eine Reise möchte ich Euch nun vorschlagen, gemeinsam mit mir zu unternehmen. Nehmt mich an der Hand, und los! Neuformulierter Archimedes: „Gebt mir einen Eingangspunkt, und ich entblösse all Eure Geheimnisse!“
Zum Eingangspunkt wird bei uns heute die Website der Firma „Stroitransgas“ (russ. „Стройтрансгаз“), die einem ausgesprochen erfolgreichen russischen Geschäftsmann Gennady Timtschenko gehört. Jaja, genau dem, über den seine Feinde lästern, er sei der Aufbewahrer von Aktiva des Präsidenten höchstpersönlich.
Ist aber gar nicht so wichtig, lasst uns lieber schauen, was denn die Firma Stroitransgas in Syrien treibt. Um so mehr, da es auf ihrer Website den entsprechenden Abschnitt gibt.
Wählen aus: Syrien, alle Projekte. Schauen wir mal.
Ein Projekt gibt es, ist orange markiert. Aber warum nur eins? Ich hab‘ ziemlich gutes Gedächtnis und verfolge die Bewegungen auf dem Markt – ich erinnere mich an vergangene siegreiche Relationen zum Thema „Stroitransgas hat eine weitere Ausschreibung in Syrien gewonnen!“.
Google steht uns immer bei. Hier ein Projekt: http://neftegaz.ru/news/view/101965, und hier noch eins: http://www.vedomosti.ru/realty/articles/2014/07/01/strojtransgaz-gennadiya-timchenko-postroit.
Wenn die Information von der offiziellen Seite verschwindet, heisst es, wie Winnie-the-Pooh immer zu sagen pflegte: „Das ist nicht von ungefähr“.
Es gibt eine gute Methode, Informationen zu der einen oder anderen Firma zu bekommen, wenn sie selber diese versteckt: Man kann die Webseiten ihrer Partner, Auftraggeber und Auftragnehmer durchsuchen. Den Hauptauftragnehmer von Stroitransgas in Syrien braucht man nicht zu suchen, diese Firma ist gerade in allen Nachrichten. Genau ihren Besitzer George Hashravi (oder Huseani) erwähnte Erdogan in seiner öffentlichen Erklärung, und der Name der Firma ist HESCO.
Gehen wir auf die Webseite von HESCO: www.hescoco.com.
Upps! Sie funktioniert nicht! Zur Rekonstruktion geschlossen. Hat aber doch gerade noch gearbeitet, Google zeigte uns doch so viele indexierte Seiten davon.
Der liebe Google hat aber Cache, und wenn man auf das Dreieck neben dem Link klickt, können wir uns die „gesicherte Kopie“ auswählen und sehen, was auf den gelöschten Seiten war.
Eigentlich braucht man nicht mal Google-Cache. Kaum jemand weiss, dass die modernen CMS die Kopien der Websiten direkt dort im Cache abspeichern, auf dem Server. Und des Öfteren, wenn man versteht, was man gerade tut, kann man den Inhalt der Website direkt einsehen, ohne Google nachzufragen. Hier zum Beispiel, auf dem Server hescoco.com, sind noch immer „temporäre“ Dateien zum Ausdruck zugänglich. Die könnt Ihr Euch ansehen:
- http://www.hescoco.com/projectpr.php?id=23
- http://www.hescoco.com/projectpr.php?id=19
- http://www.hescoco.com/projectpr.php?id=20
- http://www.hescoco.com/pagegpr.php?id=17
Da ich aber denke, dass sie dort nicht für immer bleiben und nach der Publikation dieses Artikels eh verschwinden werden, habe ich mir mal Screenshots gemacht. (Zum Vergrössern auf die Screenshots klicken)
Interessantes Bild haben wir hier: Die syrische Firma HESCO baut seit 15 Jahren Objekte für Erdöl und Erdgas-Infrastruktur in Syrien, Algerien, Sudan, Vereinigten Arabischen Emiraten und überall ist sie der Auftragnehmer… Achtung! Richtig, von Stroitransgas. Faktisch bedeutet das, dass wenn wir sagen, dass HESCO einfach nur eine ausländische „Erscheinungsform“ von Stroitransgas ist, wir im Grunde richtig liegen werden.
Die einzige Ausnahme ist gerade Syrien, wo HESCO ausser Stroitransgas noch einen anderen russischen „Auftraggeber“ besitzt: Tjaschpromexport (russ. „Тяжпромэкспорт“). Mit ihm hat HESCO zwei Projekte in Syrien gemacht. Gehen wir mal zur Webseite von Tjaschpromexport, um nachzuschauen, welche Projekte diese Firma denn noch in Syrien hat: http://tyazh.ru/main/history/ … Upps! Die Information wurde gelöscht!
Es sind 21 Länder aufgelistet, wo Tjaschpromexport arbeitet, aber Syrien gibt es darunter nicht. Obwohl wir genau wissen, dass es dort sein sollte.
Der Kreis hat sich geschlossen. Wenn drei miteinander gekoppelte Firmen ein- und die gleiche Information von ihren Webseiten löschen, kann es nicht anderes bedeuten, als dass sie was zu verstecken haben, und dieses etwas ist anscheinend was ernsthaftes.
Also sind wir auf dem richtigen Weg!
Was für Objekte haben denn Stroitransgas und Tjaschpromexport in Syrien? Damit unser Experiment sauber bleibt, nehmen wir nur jene, die Information zu welchen im Cache der Webseite HESCO abgespeichert wurde. In Wirklichkeit sind es natürlich mehr, aber nutzen wir nur das, wozu wir verfügbare Links geben können.
1. Erstes Erdgasverarbeitungswerk in Homs. Wurde 2009 in Betrieb genommen und ist noch immer im Betrieb.
2. Eine Gasverteilerstation in Palmira, seit 2004 und bis heute im Betrieb.
3. „Das Nordprojekt“: Das zweite Erdgasverarbeitungswerk, das zur Förderung und Verarbeitung von fünf Gasfeldern südöstlich von Rakka bestimmt ist. Dieses Gasverarbeitungswerk ist auch das erste Produkt dieses Projekts und wurde gerade in Betrieb genommen. Detaillierte Information zu diesem Projekt findet man hier: http://www.remneftegaz.ru/news/5454
4. Eine Gaspipeline zwischen Homs und Aleppo über Idlib. Der Bau ist beendet.
Also, vier Objekte.
Das erste befindet sich unter Assads Kontrolle, in Homs. Die zwei anderen befinden sich gerade auf dem Territorium, das vom IS kontrolliert wird, und das letzte (die Gaspipeline) verläuft über die Territorien, die von moderater syrischer Opposition kontrolliert werden, der Endpunkt der Pipeline befindet sich aber unter Assads Kontrolle, das ist genau jenes Werk in Homs, das Objekt Nummer 1.
Was ist das Schicksal dieser Projekte? Genau hier erwartet uns die erste Entdeckung. Es stellt sich heraus, dass mit den Objekten, die sich auf dem IS-Territorium befinden, alles wunderbar ist. Das „Nordprojekt“ wird weiter ausgebaut, und seine erste Produktionspartie – ein Erdgasverarbeitungswerk – ist weiterhin im Betrieb. Mehr noch, weiter ausgebaut und betrieben wird das Projekt noch immer von der Firma HESCO – Sprich, Stroitransgas. Um weiterhin arbeiten zu können, ist man natürlich gezwungen, mit dem IS zu „verhandeln“. Was bedeutet, dass man ihnen natürlich Geld zahlen muss, damit sie es nicht zerstören, sondern umgekehrt – bewachen.
Woher wissen wir das?
Na, von hier: Nachdem gegen die Firma HESCO Sanktionen für ihre Zusammenarbeit mit dem IS eingeführt wurden, legte ihr Besitzer George Hashravi ein Erläuterungsschreiben bei Counter Terrorism Projekt vor, darüber, dass er nicht mit dem IS zusammenarbeitet, im Gegenteil – genauso ein Opfer wie alle anderen ist. Nur kann man Immobilien wohl schlecht mit sich nehmen, darum müssen wir uns auskaufen.
Das ist ein offizielles Dokument. Darin sind alle Umstände der Interaktion von HESCO mit dem IS angeführt, und nebenbei wird eine ausserordentlich wichtige Information bekanntgegeben. Und zwar, dass das auf dem IS-Territorium geförderte Erdgas noch immer an Assads Regierung geliefert wird, ausgenommen den Teil, der an den IS als Bezahlung für seine Nachgiebigkeit geht.
Das für Assad bestimmte Gas wird nach Aleppo geliefert, und von dort aus muss es über die Gaspipeline (Die Nummer 4 in unserer Liste) in die Gaslager in Idlib und Homs weiterbefördert werden. Und hier ist der Punkt: Die Gaspipeline verläuft über das Territorium, das von den moderaten Aufständischen kontrolliert wird. Mit denen, im Unterschied zu dem IS, kein Erfolg bei Verhandlungen erzielt werden konnte, weil sie prinzipientreu sind. Und sie haben mit Assad persönliche Rechnungen offen.
Mehr noch, Aleppo, Homs und Idlib befinden sich in der Zone der Kampfhandlungen gegen die moderate Opposition und können von dieser Opposition jederzeit komplett eingenommen werden.
Interessante Konstellation kommt hier zustande:
Mit dem IS haben wir uns geeinigt! Mit Assad haben wir uns nicht einfach nur geeinigt – er ist hier ohnehin die wertvollste Ressource. Gäbe es kein Assad, hätten die Aufständischen sich das ganze geförderte Gas genommen und HESCO (Stroitransgas) wäre völlig leer ausgegangen!
Darum, wenn Sie der Besitzer von Stroitransgas sind, ist Ihre Hauptaufgabe um jeden Preis Assad an der Macht zu halten. Den IS braucht man dabei gar nicht zu beachten – der ist kein Problem, nur Unkosten. Und überhaupt, besser den IS gar nicht anfahren, sonst geht er noch aus der Kategorie „Unkosten“ in die Kategorie „Probleme“ über. Aber moderate Aufständische – das ja, das ist ein Problem, und dieses Problem muss aus der Welt geschafft werden.
Habt Ihr noch Fragen, warum Russland sich in Syrien eingemischt hat, warum es für Assad bis aufs Letzte kämpfen wird und warum es statt des IS die moderate Opposition bombardiert?
Quelle: Andrei Schipilow; übersetzt von Irina Schlegel
One Response to “Ein paar Antworten auf die Frage: Warum bombardiert Russland Syrien?”
26/12/2015
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