
„Ein Land, das seine eigenen politischen Analytiker nicht ernähren will, wird früher oder später die fremden ernähren müssen.“ A. Kurtow – Chefredakteur der Zeitschrift „Probleme der nationalen Strategie“, führender Experte von RISS
ein Artikel von A.Sytin
Die Tatsache, dass die Ereignisse in der Ukraine für Russland eine Überraschung waren, ist nichts Besonderes. Revolutionen, insbesondere in den Nachbarländern, passieren immer plötzlich. Wichtig ist, dass diese Ereignisse für das putinsche Russland zum Auslöser einer tiefen Krise, wenn nicht gar einer Katastrophe, wurden. Ich wage es nicht, ihre wahren Formen, Ausmaße und vor allem Dauer vorherzusagen, aber wenn ich im Frühjahr und Sommer letzten Jahres noch von der Krise des „Regimes“ sprach, so kann man heute vom Übergang dieser Krise in die globale Talfahrt, die in eine Katastrophe führen kann, reden.
Zur Grundlage dieses Prozesses wurde die Kette aus fehlerhaften, tödlichen, verhängnisvollen Entscheidungen des „Regimes“, vor allem im Bereich der Außenpolitik. Angefangen bei den Vorbereitungen zum Gipfeltreffen der „Östlichen Partnerschaft“ in Vilnius im Herbst 2013 hat sich die Situation nach der Logik des Zugzwanges entwickelt. Diese Ereignisse sind wohlbekannt, und teilweise werden wir im Laufe des Gesprächs darauf zurückkommen. Aber zuerst möchte ich etwas anderes ansprechen.
Berechtigt ist die Frage, wie es möglich war, solche Entwicklungen zuzulassen, ohne ihren Verlauf und insbesondere ihre Folgen vorherzusehen. Man kann das natürlich auf den Massenwahn schieben, auf den Einfluss der Medien, die Verdummung und die Gehirnwäsche. Wir möchten aber im Rahmen der rationalen Logik bleiben, denn solche Postulate werden uns nicht zufriedenstellen.
In jedem Land existiert das sogenannte politische Expertenumfeld. Man kann die eine oder andere Meinung über dieses Umfeld und seine einzelnen Vertreter haben, aber man muss zugeben, dass sie in der modernen Gesellschaft und Politik eine gewichtige Rolle spielen. Ihre Berufung ist nicht nur die aktuellen Ereignisse zu verfolgen, sie zu analysieren und die vielfältigen, machmal widersprüchlichen Informationen zu verarbeiten, sondern sie auch den Machthabern und Entscheidungsträgern zu präsentieren. Die Experten müssen begründete Empfehlungen aussprechen, mögliche Entwicklungsszenarien berechnen, und letztendlich ununterbrochen mit ihren ausländischen Kollegen kommunizieren, denn im Rahmen der Expertenkommunikation, Konferenzen, Meinungsaustauschs in den Fachkreisen äußert man solche Meinungen, die sich weder Diplomaten noch Geheimdienstler erlauben können. Durch das Expertenmilieu können politische Kräfte verschiedener Seiten der internationalen Beziehungen dem jeweiligen Kontrahenten leichter ihre inoffizielle Sicht der Dinge kommunizieren, die noch nicht die Form der diplomatischen Noten und misslungen-katastrophalen Reden der Präsidenten und Außenminister angenommen hat.
So müsste es sein. Aber in der Praxis ist es immer ein bisschen anders. Unter den russischen Bedingungen mischt sich immer der berüchtigte menschliche Faktor ein. Idealerweiser muss ein Experte das sagen und schreiben, was er denkt. Wenn er beginnt, das zu sagen und zu schreiben, was man von ihm hören will, und seine analytischen Fähigkeiten dafür einsetzt, dem Standpunkt der Führungsspitzen zu entsprechen und in den Trend zu passen, so ist er kein Experte mehr. Seine Hauptfunktion erfüllt er nicht. Außerdem beginnt die Spirale der Lügen und Täuschung sich zu drehen – die Führung liest das, was ihr gefällt, und glaubt (ich weiß nicht, wie aufrichtig), dass ihre Sicht der Dinge durch die Meinung der Experten unterstützt wird.
Eine der wichtigsten Expertenplattformen ist das der Öffentlichkeit wenig bekannte Russische Institut der Strategischen Studien (RISS), in dem der Autor dieser Zeilen über 10 Jahre gearbeitet hat. Versteckt in den Tiefen des Schlafbezirks im Dreieck aus Flotskaja, Festivalnaja und Onezhskaja Straßen in Moskau, gehörte dieses Institut bis 2009 zum russischen Auslandsnachrichtendienst (SWR). Seine Aufgabe war Erforschung und Analyse der öffentlich verfügbaren Informationen über die russische Außenpolitik und internationale Beziehungen. Jegliche Anflüge von geopolitischen Fantasien, Ideologie, freien Interpretationen und Deutungen waren in dieser Situation ausgeschlossen. Nur Fakten, Zusammenfassungen, Schlussfolgerungen, in seltenen, speziell besprochenen Fällen Empfehlungen, die ganz allgemein gehalten wurden.
Alles ändert sich, als im Frühjahr 2009 RISS aus dem SWR ausgegliedert und zu einer Struktur umformatiert wurde, deren Gründer und Hauptkunde die russische Präsidialverwaltung war. In den Dokumenten, die die Ziele der Institution bestimmen, tauchte eine Ergänzung auf – zu der informativ-analytischen Unterstützung der Arbeit der entsprechenden Regierungsbehörden kam die ideologisch-propagandistische dazu. Diese so scheinbar unbedeutende Tatsache hatte schwerwiegende Folgen. Die Institutsführung wurde ausgetauscht. Als Institutsdirektor wurde ein pensionierter Generalleutnant des SWR eingesetzt, der früher die Informationsanalytische Abteilung geleitet, und noch früher den Balkan-Zweig des Auslandsnachrichtendienstes unter sich gehabt hat (Bulgarien, das ehemalige Jugoslawien, Griechenland) – Leonid Reschetnikow.
Die Ernennung schien logisch und begründet. Aber L. Reschetnikow brachte nicht die typische, militärisch genaue Organisation der informationsanalytischen Arbeit, sondern ganz andere Prinzipien. Schon während seiner Arbeit auf dem Balkan wurde er „gläubig“. Diese Veränderung, die bei einem alternden und sehr kränklichen Menschen im allgemeinen verständlich ist, verlief bei ihm fast klinisch. Bei dem ehemaligen General des Ersten Direktorats des KGB und Kommunisten L. Reschetnikow hat sie die extreme Form der Begeisterung für Weiße Bewegung, Weiße orthodoxe Idee, geistliche und territoriale Auferstehung des Imperiums angenommen. Seine Hauptaufgabe im Leben wurde die Errichtung eines Pantheons für die Weißgardisten, die von der Krim geflohen sind und ihr Lager auf der griechischen Insel Lemnos aufgeschlagen haben, wo sie infolge des Hungers und schlechter Lebensbedingungen fast vollständig ausgestorben sind. Die unschuldige Leidenschaft eines ältlichen Rentners für die Geschichte der Weißen Garde wurde zu einer Ursache für das große analytische Fiasko.
Allmählich tauchten im Institut neue Leute auf, die sich die Bärte wachsen ließen und sorgfältig versuchten, Manieren der Offizieren-Weißgardisten zu kopieren, die sie den alten Sowjetischen Filmen, wie „Der Adjutant seiner Exzellenz“, abgeguckt haben; die ihre orthodoxe Gläubigkeit dadurch öffentlich demonstrierten, dass sie Ikonen über ihrem Arbeits-PC aufhängten und sich in der Institutskantine über ihrem Teller Suppe eifrig bekreuzigten. Diejenigen, die schon länger dort arbeiteten, übernahmen diese Attitüden, und auf meinen Spott anworteten sie, dass sie „beim alten Regime“ ihre orthodox-imperialistisch-weißgardistischen Ansichten sorgfältig verborgen gehalten haben. Für die „Erforschung“ der Fragen der Weißen Bewegung und das Überwinden der „Fälschung der russischen Geschichte“ gründete man (auf Kosten der Präsidialverwaltung, also aus der Staatskasse) das Zentrum der geisteswissenschaftlichen Forschungen. Geleitet wurde es von einem Kenner der Werke von Lew Tichomirow, Michail Smolin und Petr Multatuli – einem Nachkommen des Kochs der Zarenfamilie, der mit ihr zusammen im Hause des Ingenieurs Ipatjew im Sommer 1918 erschossen wurde. Nachdem er in den Zeiten des „Gangster-Petersburg“ Anfang der 90-er als Fahnder bei der Sankt-Petersburger Polizei gearbeitet hat, wurde er zu einem Experten für die Geschichte der Regierungszeit von Nikolai II, als er seine Bestimmung darin gefunden hat, das heilige Andenken an den Märtyrer-Zaren unter den breiten Massen wiederzubeleben. Parallel dazu startete das Institut rege Aktivitäten im Bereich Verlagswesen, Fernsehen und Internet mit einer orthodox-monarchistischen Ausrichtung. P. Multatuli wurde zum offiziellen Favoriten und Redenschreiber des Institutsdirektors. Zusammen mit L. Reschetnikow, M. Smolin, A. Bochanow und K. Malofejew unterzeichnete er ein Schreiben an den Präsidenten mit dem Appel, die besondere Rolle der Orthodoxie in der Verfassung zu verankern. Bei einem Institutsbankett erklärte L. Reschetnikow: „Multatuli ist ein Heiliger! Ich sehe seinen Heiligenschein. Ihr könnt den nicht sehen, weil ihr Sünder und nicht genug gläubig seid, aber ich kann ihn sehen.“ Der an einer schweren Nierenerkrankung leidende L. Reschetnikow hat niemals mehr als 1-2 Gläser getrunken, also kann man die traditionellen russischen Erklärungen dazu in diesem Fall nicht anwenden.
Bei den Konferenzen, auch bei den internationalen, tauchten immer öfter Menschen in Kirchengewändern auf, und bei der Firmenfeier anlässlich des Jahrestages der Institutsgründung traten ein Mönch- oder Kasakenchor und ein Balalaika-Duo auf. Zum Ziel aller Karrieristen des Instituts wurde die Aufnahme in den Kreis, der sich mit der Neubelebung der Nekropole auf der Insel Lemnos beschäftigt hat, und die Teilnahme an den Russischen Tagen auf Lemnos. Das war ein Beweis der Gunst des Direktors und wurde als eine starke Motivation zur Loyalität verstanden. Die auf der Insel gestorbenen Weißgardisten wurden zu den Kultfiguren des Instituts.
An die Spitze des Forschungszentrums für Probleme der Staaten des nahen Auslands, in dem der Autor dieser Zeilen an den Problemen der baltischen Staaten (Lettland, Litauen, Estland) arbeitete, wurde die „Russlands führende Fachfrau für Ukrainistik“- Tamara Gusenkowa – eingesetzt. Im Gegensatz zu M. Smolin und P. Multatuli, die es nur zum Titel „Kandidat der historischen Wissenschaften“ gebracht haben, empfing T. Gusenkowa die neuen Tendenzen mit einem Doktordiplom in der Tasche. Die unglaubliche Dreistigkeit, Agressivität, Energie und Egoismus gepaart mit dem Pathos einer alternden Primadonna eines drittklassigen provinziellen Theaters bildeten die Grundlage der Erfolgsstrategie ihres Lebens. Die Tochter eines pensionierten alkoholkranken Offiziers der sowjetischen Streitkräfte, die ihre Kindheit und Jugend in einer Militärsiedlung irgendwo in der Nähe von Winnitza oder Poltawa verbracht hat, versuchte T. Gusenkowa ihr Glück in der Ehe mit dem bekannten sowjetischen Ethnologen, Spezialisten für finno-ugrischen Völker A. Pimenow. Im Institut für Ethnologie der Russischen Akademie der Wissenschaften arbeitete sie unter seinem Protektorat über 10 Jahre lang, schrieb ihre Kandidatenarbeit und mehrere Werke über die Ethnologie der Tschuwaschen. Im Jahre 1998 (nach anderen Angaben 1999) kam sie nach RISS. Der damalige Direktor E. Kozhokin, den sie von der Moskauer Universität kannte, hatte Mitleid mit ihr und nahm sie im Institut auf, um an der ukrainischen Problematik zu arbeiten. Zu dem Zeitpunkt besaß T. Gusenkowa auf dem Gebiet keine Kenntnisse, außer der ukrainischen Sprache. Sie hat die Tschuwaschen aufgegeben und ein paar Dutzend stereotypische politologisch-propagandistische Phrasen schnell gelernt, deren künstlerische Komposition zusammen mit Dreistigkeit und Frechheit ihr eine gewisse Anerkennung eingebracht haben. Wegen dieser Dreistigkeit und der etwas später zum Vorschein gekommenen Bosheit und Rachsucht wurde sie von Anderen verachtet und manchmal gefürchtet und gemieden. In ihren Augen war das ein Ausdruck der rückgratlosen Intelligenz, die sie vom ganzen Herzen verachtete.
Ihre Doktorarbeit zum Thema „Werchowna Rada in den Jahren 1991 – 2001. Die historische Entwicklung des modernen Parlamentarismus in der Ukraine“ konnte sie nur mit Mühe verteidigen. Nur durch Bemühungen und Beziehungen von E. Kozhokin erreichte sie die Approbation nach der erneuten Verteidigung vor der Höchsten Akkreditierungskommission – ein beispiellos seltener Vorfall, vor allem im Bereich der Geisteswissenschaften. T. Gusenkowa trat in einen ähnlichen Krieg mit J. Timoschenko ein, indem sie ein Buch über diese schrieb, das man nur als ein politisches Pamphlet bezeichnen kann. Die Kombination aus historischer Unwissenheit, sowjetisch-imperialistischer Arroganz und Ansprüchen auf die Rolle von Meinungsherrschern und „Machern von politischen Bedeutungen“ für die Machthaber haben der RISS-Führung einen bösen Scherz gespielt. Der ukrainische Leser würde die Bedeutung des Satzes verstehen: L. Reschetnikow und T. Gusenkowa wurden in der russischen Expertengemeinschaft zur Verkörperung der schlimmsten Merkmale des Regimes von Janukowitsch.
Der orthodoxe Spion, Absolvent der Universität von Charkiw, und die unwissende, zickige, hysterische, aber unwahrscheinlich energische Dame jenseits der mittleren Jahren wurden zu einem untrennbaren Tandem, in dessen Bewusstsein für die Idee von Existenz der ukrainischen Staatlichkeit überhaupt kein Platz war. Dieses Pärchen, mit Unterstützung der von ihnen abhängigen und ihnen unterstellten Forschungsmitarbeiter, konnte nichts anderes bringen, als Behauptungen „Es gibt keine Ukraine – nur Kleinrussland“, „ukrainische Staatlichkeit ist ein Bluff und „failed state“, „das Ergebnis krimineller Zerstörung des Russischen Imperiums durch Bolschewiken“, „ukrainische Sprache wurde künstlich von Österreichern und Polen erschaffen, mit dem Ziel, die russische Einheit zu zerstören“, „Konsolidierung auf dem postsowjetischen Raum auf der Grundlage der territorialen und geistlichen Erneuerung“ usw. Im Grunde verkörperten sie den extremen Antiukrainismus, dessen Kernpunkt nicht darin bestand, dass in der Ukraine das russische kulturelle Umfeld existieren durfte und der Gebrauch der russischen Sprache erlaubt wäre, sonder darin, alles ukrainische auszutilgen, außer vielleicht in den Gebieten von Lwiw und Ternopol.
Diese Position wurde mit einer extremen und sehr emotionalen antiwestlichen Einstellung kombiniert. Die Grundlage dazu wurde die These über die gegensätzlichen historischen Missionen von der europäischen und der russischen Zivilisationen: die europäische stellt in die Mitte ihres Wertesystems den Menschen, und die Russische – den Gott. Eine zusätzliche emotionale Färbung gaben dieser These der extreme Antisemitismus und Homophobie. Manchmal hatte man den Eindruck, dass die antiwestlichen Tendenzen in erster Linie durch die Erwägungen der männlichen sexuellen Selbsterhaltung und der weiblichen Eifersucht diktiert wurden. Laut einer Erklärung von L. Reschetnikow bei einer Konferenz, würde das Volk von Irak, in jüngster Vergangenheit das von Serbien, und nun das von DVR/LVR dafür kämpfen und sterben, dass sie nicht nach homosexuellen (mild ausgedrückt) westlichen Standarts und Maßen leben.
Zum Beginn der dritten Amtszeit von W. Putin formte sich im Institut endgültig der orthodox-imperialistische herrschende Block von L. Reschetnikow, T. Gusenkowa und M. Smolin. Eine informations-propagandistische Unterstützung des Projekts für eurasische Integration wurde gestartet. Die Institutsführung hat es als Eigenmarke verwendet. Das Eurasische Forum von RISS wurde gegründet, inklusive regelmäßige teure internationale Konferenzen. Die Ereignisse in der Ukraine rückten heran.
Die Wurzeln des heutigen russisch-ukrainischen Konflikts liegen in der inkonsequenten und feigen Politik von W. Janukowitsch. Russische Regierung, die eine Menge Geld „in den Wahlkampf investiert“ hat, sah den ukrainischen Präsidenten als ihren Vasallen oder Statthalter, der alles machen musste, was der Kreml ihm befahl. Die „Regierungszeit“ von W. Janukowitsch wurde zum goldenen Zeitalter von P. Reschetnikow, T. Gusenkowa, M. Smolin und ihren Handlanger. Einmal in der Teerunde unter Kollegen habe ich abschätzig über Janukowitsch gesprochen, der als junger Mann Pelzmützen gestohlen haben soll. Ein Chor von jungen Menschen widersprach mir gleich mit der damals geläufigen Phrase von T. Gusenkowa: „Janukowitsch ist natürlich ein Hurensohn, aber er ist UNSER Hurensohn“. Zum persönlichen Triumph von T. Gusenkowa wurde der Arrest von Julia Timoschenko. Jetzt konnte sie die auf Ukraine-Reisen gekauften Kleider stolz tragen, in der Gewissheit, dass Timoschenko jetzt nichts weiter braucht als Anstaltskleidung und ein Krankenhaushemd…
In 2013 bildet sich endgültig ein Netzwerk der prorussischen ukrainischen Experten heraus. Da möchte ich einen Namen nennen: den „am meisten geförderten“ R. Ischenko. Diese Experten bekamen für ihre „analytische Arbeiten“ Honorare, die nach den damaligen ukrainischen, und selbst russischen, Maßstäben, recht hoch waren. Um „die ukrainischen Kameraden nicht in Verlegenheit zu bringen“ und keine unnötigen Steuern auf die Gehälter der Ausländer zahlen zu müssen, wurden die Verträge auf Strohmänner abgeschlossen. Die Mittel für die Bezahlung der prorussischen Experten hat T. Gusenkowa praktisch alleine verwaltet. Wenn man ihren extremen Autoritarismus und die unglaubliche Gier bedenkt, wird einem klar, dass nur das geschrieben wurde, was sie verlangte.
Die Qualität dieser Werke, selbst unabhängig von ihrer analytischen Bedeutung, ließ zu wünschen übrig. Ich und vor allem mein Freund, der sich mit der ukrainischen Problematik befasste, mussten öfters die Arbeiten korrigieren, und zwar nicht nur aus der stilistisch-grammatischen Sicht, sondern auch teilweise inhaltlich, um wenigstens die auffälligsten Absurditäten zu streichen.
Dieses Wespennest wurde aufgescheucht, als im Herbst 2013 Janukowitsch, unter dem Druck des pro-europäischen Teils der ukrainischen Gesellschaft, zwischen den europäischen und eurasischen Integrationsprojekten zu manövrieren anfing. Alle Experten und Geldmittel wurden eingesetzt, um die These zu beweisen, dass der europäische Weg für die Ukarine tödlich ist, sowohl wirtschaftlich, wie auch im kulturellen, spirituellen und religiösen Sinne (wie könnte man ohne den auskommen!). Da ausgerechnet Litauen in der zweiten Hälfte des Jahres 2013 den Vorsitz im EU-Rat hatte und das Gipfeltreffen der „Östlichen Partnerschaft“ in Vilnius organisierte, musste ich unter Zeitnot Artikel über postsowjetische Aspekte ihrer Außenpolitik schreiben. Die recht vorsichtigen Empfehlungen über die Zweckmäßigkeit einer gewissen Handlungsfreiheit, die man der Janukowitsch-Regime zugestehen könnte, wurden von der Führung sofort gestrichen.
In der Zeit des „Handelskriegs“ zwischen Russland und Ukraine vor dem Gipfeltreffen in Vilnius bekam die Präsidialverwaltung Notizen und Abrisse, in denen behauptet wurde, dass das ukrainische Volk seit den Zeiten des Vertrags von Perejaslaw stets russlandtreu war, dass die „unbedeutenden westlichen Trends“ marginale Erscheinungen sind und provoziert werden von einem Grüppchen Pro-Faschisten aus der Westukraine – den Gebieten, die früher zu Österreich-Ungarn gehört haben; Menschen mit dem für die Mehrheit untypischen soziokulturellen Code. Die absolute Mehrheit der Ukrainer aber bewahrt die Erinnerung an eine gemeinsame Geschichte und den Großen Vaterländischen Krieg, träumt von der Auferstehung des Imperiums als einen gemeinsamen Staates/Sowjetunion. Alles, was auf die eine oder andere Art das Gegenteil bewies, wurde den Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen zugeschrieben, die vom US-Außenministerium, Brüssel, Warschau und Vilnius finanziert werden. In den Notizen, die von T. Gusenkowa geschrieben oder editiert wurden, ertönten die Aufrufe, den Druck auf Janukowitsch durch Erpressung in den Bereichen Brennstoffe, Energie und Handel maximal zu erhöhen, um ihn von der Unterzeichnung der Verträge in Vilnius abzuhalten und die eurasische Integration der Ukraine zu gewährleisten.
Es ist schwierig mit Sicherheit zu sagen, ob diese Notizen das Konzept des Kremls in Sachen Ukraine geformt oder es nur gestärkt haben, passend zum System der bereits gefällten Entscheidungen. Offensichtlich ist nur die fast vollständige Übereinstimmung der Inhalte der Materialien von RISS mit den realen Schritten der russischen Staatsführung im Bereich der Außenpolitik. Natürlich hat keiner von der Führung des Instituts die Entstehung des Maidans vorhergesehen, vielmehr haben sie sich Mühe gegeben, sich selbst und ihre Auftraggeber/Zielgruppe davon zu überzeugen, dass ein solches Szenario prinzipiell unmöglich sei. Es heißt, dass die Kunst eines Analytikers, wie auch eines Diplomaten, darin besteht, den Lauf der Dinge vorherzusagen, und dann zu erklären, warum alles genau umgekehrt gelaufen ist. Die russischen Analytiker haben zwei universelle, immer funktionierende Erklärungen, die nicht ganz zueinander passen – die Machenschaften der Faschisten und die Intrigen des US-Außenministeriums/CIA/westliche Strippenzieher. Da es die „unbekannten Strippenzieher“ sind, kann man sie nicht zur Rechenschaft ziehen, denn man weiß nichts sicher über sie, nicht mal die Tatsache ihrer Existenz. Genau diese Erklärungen wurden zur Grundlage der Einschätzung des Rechten Sektor (Faschismus) und des beispiellosen nationalen Aufschwungs, zu dem Maidan (die westlichen Strippenzieher) nur den Auftakt gegeben hat.
Parallel bekam die Präsidialverwaltung Notizen darüber, wie gerne das Volk von Krim der Russischen Föderation beitreten möchte, wie sehr es sich vor der Ukrainisation, dem Verbot der russischen Sprache und der Verdrängung der russischen Orthodoxie durch Uniaten fürchtet. Es ist offensichtlich, dass die Ergebnisse des Referendums auf der Krim durch den hohen Anteil der Rentner bestimmt wurden, deren Rente sich im Falle eines Russland-Beitritts plötzlich verdoppeln und verdreifachen sollte, und durch das Beispiel der selbst für russische Verhältnisse exorbitanten Gehälter von Militärs der Schwarzmeerflotte. Es ist klar, dass jede alternative Bewegung (Krimtataren) oder der Widerstand der ukrainischen Polizei und Armee leicht durch die Truppen blockiert werden kann, die in Sewastopol auf dem Stützpunkt der Schwarzmeerflotte stationiert sind. Diese Behauptungen sind nicht meine Analysen post factum, sondern eine Darstellung des allgemeinen Tenors der wahrhaftig riesigen Anzahl von Notizen, die von RISS an alle staatlichen Behörden Russland vor der Annexion der Krim verschickt wurden. T. Gusenkowa hat erklärt, dass das Institut in das Kriegsmodus wechselt und die „Produktion“ deutlich erhöht werden sollte. Das einzige, was sie und ihre Mitarbeiter vor dem Burnout bewahrt hat, war die gleichbleibende Auswahl an Ideen. Man musste nur die Namen der Adressaten auf den Anschreiben ergänzen. Da jede Arbeit in Russland nicht nach Effektivität, sondern nach der Intensität des „Schwitzens“ und den Arbeitsstunden bewertet wird, sind die Aktien von T. Gusenkowa bei dem Institutsdirektor, wie auch bei der oberen Führung, enorm gestiegen. Solange die „Experten-Bimbos“ die Notizen vorbereiteten, trat sie im Fernsehen und vor dem Föderationsrat, der Präsidialverwaltung, der Gesellschaftlichen Kammer, dem Auslandsnachrichtendienst, dem Generalstab und dem Gortschakow-Fond auf – praktisch überall ist sie im ersten und zum Anfang des zweiten Quartals 2014 gewesen. Zusammen mit den Produktionsmengen stieg auch das Ansehen des RISS.
Die Annexion der Krim, die demonstrative „Einstimmigkeit“ des Referendums, die Selbstprokamation von DVR/LVR, der Beginn der ATO, die Ereignisse vom Mai in Odessa – alles schien die Verlässlichkeit des Instituts als Experten zu untermauern. Man hat eine Spendenaktion für den kämpfenden Donbass organisiert, bei RISS hat der aus der Ukraine geflohene Wladimir Rogow Zuflucht gefunden. Der Mitarbeiter des Instituts E. Popow, der vom Institutsdirektor trotz seiner völligen Inkompetenz wegen seiner orthodox-nationalistischen Ansichten behalten wurde, hat in Rostow am Don eine breite Palette von Aktivitäten gestartet, als Hilfe für die „Donezker Aufständischen und Kämpfer gegen Faschismus, die für die russische Welt kämpfen und sterben“. Der Institut selbst hat, wenn auch im Verborgenen, an den Projelkten „Slawische Garde“, „Der Russische Sektor“ und „Der Russische Vektor“ teilgenommen.
Im Frühling wird der Ton der ausgehenden Korrespondenz zunehmend angrifflustiger und verwegen-propagandistisch. Der analytische Bestandteil wurde durch die Bemühungen von T. Gusenkowa und L. Reschetnikow, der sie unterstützte, praktisch auf Null gefahren. Dafür kamen Dutzende Notizen über die Notwendigkeit, im ukrainischen Hinterland eine militante pro-russische Untergrundbewegung aufzubauen, Kommandotrupps dorthin zu schicken, einen Vorstoß in südliche Richtung Mariupol – Mykolayiw – Odessa vorzubereiten und das Große Neurussland zu gründen, das zusammen mit Transnistrien und Krim mit Russland wiedervereint werden sollte. Dafür wurde kann Wort über einen möglichen Widerstand der Ukraine, Mobilisierung der Armee und freiwilligen Trupps geschrieben, und mögliche Sanktionen, ihre Folgen, Reaktion der USA und der europäischen NATO-Mitgliedstaaten wurden nicht einmal diskutiert. Ende Oktober wurde Girkin (Strelkow) ein häufiger Gast bei den Veranstaltungen des Instituts, von L. Reschetnikow wurde er mehrmals öffentlich als sein Freund bezeichnet. Als das Projekt „Neurussland“ sich zunehmend als lebensunfähig und unkontrollierbar gezeigt hat, und Kreml zu signalisieren begann, dass er nicht bereit sei, in einen offenen Krieg mit der Ukraine zu treten und einen Vorstoß über Mariupol nach Transnistrien zu starten, das für die RISS-Führung eine unergrüdliche heilige Bedeutung hat, wurde die Experten-Mitschuld des Instituts offensichtlich, das an den Entscheidungen beteiligt war (bzw. sie unterstützt hat), die Russland in eine gravierende wirtschaftliche und außenpolitische Krise gebracht haben.
Unter anderem auf Initiative des RISS wurde der Präsidialverwaltung, also auch dem Präsidenten, der Gedanke eingeflößt, dass:
– die Staaten im postowjetischen Raum sind keine vollwertigen Subjekte der internationalen Beziehungen. Die Tatsache, dass sie auf der politischen Weltkarte aufgetaucht sind und immer noch existieren, ist nur eine Folge der russischen Katastrophen von 1917 und 1991, die von Russlands Feinden, allen voran die USA, eingefädelt wurden. Ihre Souveränität ist ein vorübergehendes Phänomen, das nicht ernst genommen werden darf, eine Art historisches Missverständnis, das durch die Auferstehung des Imperiums korrigiert werden soll, was schon oft erwähnt wurde;
– der Westen ist schwach, feige, gierig und bereit, für Gas und Erdöl die Annexion der Krim und den Krieg im Donbass zu akzeptieren, wie er bereits im Jahre 2008 die Kriegshandlungen in Abchasien und Südossetien akzeptiert hat;
– die allgemeine Stimmung im Osten, einschließlich Charkiw und Mariupol, ist auf die Wiedervereinigung mit Russland ausgerichtet. Solch eine Fehleinschätzung vonseiten der Experten zeigt zumindest eine mangelnde Professionalität, und auf jeden Fall den Wunsch, das Handeln der russischen Staatsführung in eine Richtung zu beeinflussen, die von bestimmten sowjetisch-imperialistischen Gruppen angestrebt wird, in der Hoffnung, die staatliche Souveränität von Ukraine, Weißrussland, Kasachstan und möglicherweise Moldawien zu schwächen oder gar annihilieren (s. Punkt 1)
– durch die Bildung einer alternativen Lehrmeinung und Unterstützung vonseiten des ukrainischen Geheimdienstes (und jetzt auch des weißrussischen, denn Weißrussland ist für die russischen Integratoren auf jeden Fall als nächstes dran) kann man eine starke pro-russische Bewegung schaffen, die nicht nur die öffentliche Meinung beeinflussen kann, sondern auch die Politik und die Führung dieser Staaten in die von Russland gewünschte Richtung steuern kann.
– die Ukraine ist ein „Unterstaat“ und die Ukrainer ein „Untervolk“, die unfähig sind, eine historisch-politische Rolle zu spielen. Nur die Russen sind das einzige staatsbildende Volk im postsowjetischen Raum, also ist die einzige Form der politischen Existenz dieses Raumes das Russische Imperium. Jeder Gedanke, dass der innerukrainische wie auch der russisch-ukrainische Koflikt im Grunde eine Art Bürgerkrieg zwischen den Anhängern und Gegnern der Wiederbelebung der russischen imperialistischen Staatlichkeit (Sowjetunion) sind, wurde von vornherein abgelehnt.
– die Krim kann wunderbar und wirtschaftlich schmerzlos in die Russische Föderation aufgenommen werden. Was außer Acht gelassen wurde, waren die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung, die Struktur des Finanzhaushaltes der Region, seine Abhängigkeit von der ukrainischen Infrastruktur in den Bereichen Verkehr, Finanzen, Strom- und Wasserversorgung. Kurz gesagt: auf dem Papier sah alles glatt aus, im Leben kam man nicht aus dem Stolpern raus.
– der Gas-Öl-Hahn, zusammen mit dem Atomknopf und der besonderen orthodoxen Spiritualität, wird Russland ewig (oder zumindest sehr lange) einen Platz in der Welt garantieren, der es erlaubt, die Position des globalen Machtzentrums erfolgreich zu erkämpfen und den USA in diesem Kampf zu widerstehen. Unter anderem, von der Insuffizienz des Schiefergas-Projekts als Alternative zum russischen Brennstoff-Monopol schrieb viel J. Gluschenko.
Die Folgen solcher fachpolitischen Fehleinschätzungen sind wohl bekannt und von mir in meinen früheren Internetpublikationen analysiert worden, insbesondere was Weißrussland betrifft. Ich möchte nur hinzufügen, dass im Laufe meiner Entlassung mir wiederholt klargemacht wurde, dass außer der Tatsache, dass ich für T. Gusenkowa Konkurrenz durch meine alternative Meinungen darstelle, mussten einfach einige Köpfe rollen, um das offensichtliche Scheitern vor der Präsidialverwaltung zu rechtfertigen. Da im September und Oktober viele entlassen wurden, die gesamte Führung von RISS aber in ihren Positionen bleibt, kann man daraus schließen, dass die Präsidialverwaltung sich mit den dargebrachten Opfern zufriedengegeben hat. Die Frage ist nur, welche Heldentaten in Sachen Expertenanalyse und Propaganda wir vom Russischen Institut für Strategische Studien im Jahre 2015 erwarten dürfen.
Alexander Nikolaewitsch Sytin, Doktor der Geschichtswissenschaften, Mitglied der russisch-lettischen Historikerkommission, ehemaliger Forschungsleiter am Russischen Institut für Strategische Studien (Moskau)
Quelle: bramaby.com ; übersetzt von Olena Köpnick
One Response to “Anatomie einer Niederlage: über den Mechanismus der aussenpolitischen Beschlussfassung des Kremls”
15/12/2015
Sturmläuten des weltweiten Hybridkrieges - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Expertin“ T.Gusenkowa, die eine skandalöse Berühmtheit nach der Publikation des Artikels „Anatomie einer Niederlage“ vom Autor dieser Zeilen erlangt hatte, folgende These: „Sie können sie gar nicht […]