
Die Frage über die Gewährung der Staatsbürgerschaft für den 25-jährigen russischen Regisseur befindet sich unter Entscheidung in der Verwaltung des Präsidenten, und der ehemalige FSB-Offizier Ilya Bogdanow, der seit Juli auf der Seite der Ukraine kämpft, bekommt den ukrainischen Pass bereits in den nächsten Tagen.
Am Geburtstag des Moskauer Regisseurs Cristian Jereghi erschien auf seiner FB-Seite folgender Post:
Ich bin 25. Gesundheit- für den Arsch. Kein Haus, keine Familie. Der Tod- weht überall und erntet. Dämonen schlagen die Tür ein. Feind des Landes, in dem ich geboren wurde. Adoptierter Sohn eines Landes, in dem ich früher nicht lebte. Der Schwur wurde diesem Land gegeben, der Ukraine. Ihrem Volk. Was will ich mit meinen 25? Den Sieg der Ukraine. Meinen letzten Geburtstag habe ich bis zu den Knien im Feuer stehend an der Stele der Freiheit verbracht. Ich wollte nur eins- den Sieg des Maidans. Ein Licht in der Dunkelheit. Welches Geschenk möchte ich nun? Ich möchte nur eins. Sehr geehrter Präsident! Ich bitte um ukrainische Staatsbürgerschaft! Ich möchte nicht sterben, diese Erde mit einem russischen Pass in meiner Hosentasche verteidigend…
Cristian und ich haben uns an einer U-Bahn Station getroffen. Schlanker Junge mit müden Augen, der sich von seiner Profiphotokamera nicht trennen kann. Er bot an, ins Cafe zu gehen. Zu reden und ein wenig zu essen, denn Zeit zum Essen hat er nie.
– Ich war erschüttert, als am nächsten Tag nach meiner FB-Ansprache an den Präsidenten Petro Poroschenko ich aus der Verwaltung des Präsidenten angerufen wurde. – sagt Cristian Jereghi.- Ehrlich gesagt, habe ich es nicht erwartet. Sieht aus, als ob auch dort gelesen wird… Hauptsache, meine Bitte wurde gehört. Es gibt Hoffnung, dass die notwendigen Formalitäten in einer verkürzten Prozedur ablaufen werden.
– Cristian, Sie sind vor vier Jahren in die Ukraine gezogen. Warum haben Sie erst jetzt angefangen, über die Staatsbürgerschaft zu sprechen?
– Sagen wir so: ich habe mir ein neues Haus gewählt, aber nun ist in dieses Haus der Feind gekommen. Und ich möchte die Ukraine als ihr leibeigener Sohn verteidigen und nicht als ein zugereister Ausländer. Ich bin vor langer Zeit und absolut bewusst aus Russland weggefahren, da ich die russische putinsche Propaganda des Terrors und der methodischen Verwandlung der Menschen in Tiere ablehnte. Und das zu verstehen habe ich vor langer Zeit angefangen. Eine der dunkelsten Erinnerungen meiner Kindheit ist die Explosion des Wohnhauses in Petschatniki in Moskau 1999. Ich war damals 9 Jahre alt. In unserem Haus, das in der Nähe stand, hat man auch Säcke mit Hexogen gefunden… Die Evakuierung fing an. Wir, die Einwohner, sind nachts halbnackt auf die Strasse hinausgelaufen und standen dort mehrere Stunden barfuss, mit unseren Plastiktüten mit Wertsachen und Dokumenten, die es uns gelang, mitzunehmen. Es war sehr kalt. Die Menschen waren sehr erschrocken, sogar die Polizisten hatten Angst, ins Haus zu gehen. Ich erinnere mich an diese Wellen der Panik und Argwohn. Damals dachte ich auch schon: wer und wozu braucht das?
Jahre später bin ich zum Zeugen der Explosion in der Moskauer U-Bahn geworden. Aus dem Fenster des Zuges, der in entgegengesetzte Richtung fuhr, habe ich die Hölle gesehen, die an der Station geschah. Zerfetztes Metall, Feuer, rennende Menschen, Blut… Seitdem fahre ich selten mit der U-Bahn. Damals dachte ich viel nach, hörte den Meinungen von Journalisten zu, die zu dem Zeitpunkt noch nicht mundtot gemacht wurden. Jetzt, im reiferen Alter, habe ich verstanden: für den Aggressorstaat, um die Aufmerksamkeit von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken, ist es effektiver, Terroranschläge innerhalb des Staates zu initiieren. Wo Russland ist, ist der Tod. Das Imperium des Terrors…
– Nach dem Studium an der VGIK (Anm.d.Red.: die älteste Filmuniversität der Welt, die sich in Moskau befindet) haben Sie noch eine Zeit lang beim russischen Fernsehen gearbeitet…
– Ich habe bei verschiedenen TV-Kanälen gearbeitet, und überall bekam ich keine Luft wegen der Dummheit und der Lüge. Den Journalismus brauchte man nur für die Veränderung des Massenbewusstseins. Sobald irgendwelche unerwünschte Ereignisse in Moskau passierten, irgendwelche politische Kollapse, geschah gleich darauf in irgendeiner Region ein Terroranschlag, eine Überflutung – irgendwas, was das Informationsfeld sofort auf dieses Problem umschaltete. 2007 bin ich zum ersten Mal in die Ukraine gekommen – ein für mich völlig unbekanntes und neues Land. Es hat sich herausgestellt, dass alles, was ich darüber wusste, keinerlei Bezug zur Realität hatte. Seit den Schullehrbüchern, wo es eine halbe Seite über die Kiewskaja Rus geschrieben gab- und das war’s – als ob es keine nachfolgende Geschichte der Ukraine gab… Alles andere war nur Russland, seine glorreichen Siege, der heldenhafte Widerstand allen umgebenden Feinden. Ich konnte nicht verstehen, warum zur Priorität der Informationspolitik einer „Übermacht“ die Einpflanzung des „Ukrohasses“ wurde. Es hat sich herausgestellt, dass es ganz einfach ist: die Ukraine, ausgebrochen aus der UdSSR, wurde frei. Und das musste Russland ärgern. Ich führe Worte an, die der Kommandeur des 25. Bataillons „Kiewskaja Rus“ Andrei Jantschenko sagte, sehr richtige Worte: „Die Ukraine ist aus der UdSSR als eine der ersten ausgetreten, und die Freiheit bekam sie um einen sehr niedrigen Preis. Nun zahlen die Ukrainer den Preis, den sie für ihre Freiheit vor vielen Jahren zahlen sollten“. So, wie Georgien, wie Moldau mit Transnistrien mit Verlusten herauskamen. Übrigens ist es für Russland ziemlich gut mit Transnistrien gelaufen: es wurde eine Marionettenrepublik erschaffen, die im Falle aller Fälle die Militärtechnik zu verlegen erlaubt, um das Land im Visier zu halten, das sich in der Nachbarschaft befindet.
– Sie haben am Projekt „Babylon 13“ teilgenommen, haben 22 Dokus über die Revolution der Würde gedreht, sind verwundet worden…
– Zuerst bin ich als Teilnehmer zum Maidan gekommen, dann begann ich, Filme zu drehen, Journalismus zu machen – habe für das rumänische Publikum gearbeitet, für Rumänien und Moldau, habe reguläre Live-Einschaltungen vom Maidan gemacht. Parallel war ich ein Kämpfer in der ersten Hundert der Selbstwehr. Habe eine Verletzung in der Nacht auf den 19. Februar erlitten, als der Versuch eines gewaltmässigen Auseinanderjagens unternommen wurde. Maidan war von allen Seiten eingekesselt, auf dem Platz wurden Zelte vernichtet, die Barrikadenlinien wurden durchbrochen, es gab harte Konfrontation unter Waffen- und Molotow-Cocktail-Anwendung, es wurden spezielle Mittel eingesetzt: Blendgranaten, die mit Tesafilm umgewickelt wurden, und darunter hat man Steine, Schraubenmütter und alles andere, was man nur finden konnte, platziert. So eine Blendgranate traf mich auch. Und davor bin ich mit einem Wasserwerfer von einem LKW niedergerissen worden, wo ich mit meiner Kamera stand, dann habe ich mich noch mit Tränengas vergiftet, habe eine Lungenverbrennung bekommen. Darum habe ich auch bei FB geschrieben, dass mit meinen 25 meine Gesundheit bereits futsch ist.
Cristian erzählte eine Episode des Maidans, die seiner Meinung nach das Wesen des Charakters eines Ukrainers offenbart:
– Am nächsten Tag nach den Massenerschiessungen auf der Institutskaja-Strasse haben die Menschen sich versammelt, um den Toten zu gedenken. Es sind ganze Familien gekommen, mit Kindern- hunderte Tausende Menschen befanden sich auf dem Maidan. Und plötzlich erklangen von der Gegenseite der Institutskaja zwei laute Knalle, die sich wie Schüsse anhörten. Von der Maidan-Bühne sagte man, dass man dringend Ärzte braucht. Und stellen Sie sich vor: anstatt zurückzutreten, in Panik zu verfallen, die Kinder zu schützen – anstatt dessen sind die Menschen alle in die Richtung gegangen, woher die Schüsse kamen. Das war für mich die prägendste Erfahrung. Und so war es während des ganzen Maidans: die Menschen gingen dorthin, wo es die grösste Gefahr gab.
– Direkt nach dem Maidan sind Sie auf die Krim gefahren…
– Ich bin dort bereits am 24. Februar mit ein paar ausländischen Journalisten gewesen – direkt nachdem die ersten Meldungen über die Ereignisse auf der Halbinsel auftauchten. Auf die Bitte des TV-Kanals BBC arbeitete ich eine Zeit lang als deren Korrespondent auf der Krim. Buchstäblich in der ersten Nacht bin ich zum Zeugen der Einführung der russischen Streitkräfte geworden – Autos mit Nummernschildern aus der kaukasusischen Region überquerten dreist die Grenze. Die allererste Einnahme – des Stützpunktes in Balaklawa- habe ich mit meiner Kamera festgehalten, ein paar Stunden später war das Video schon im Internet. Ich nutzte meinen russischen Pass, um ins Vertrauen zu kommen und offen mit den russischen Soldaten zu reden…
– Sie waren ein Freiwilliger des Bataillons „Kiewskaja Rus“ und haben sogar einen Treueschwur an die Ukraine gegeben, obwohl Sie keinen ukrainischen Pass besitzen. Wie ist es Ihnen gelungen?
– Darüber möchte ich nicht reden. Das Wichtigste ist, dass ich ehrlich war und diesem Schwur treu bleibe.
– Und trotzdem: kann man Sie nun ein Teilnehmer der Kampfhandlungen nennen? Sind Sie ein gemeiner Soldat oder nur ein Beobachter, Journalist, Filmemacher?
– Ich habe in der ATO-Zone über sieben Monate lang verbracht. Ursprünglich bin ich dem Bataillon als ein Freiwilliger beigetreten, habe Ausbildung gemacht, habe mit diesem Bataillon als ein Kriegsberichterstatter gearbeitet, indem ich an der vordersten Linie war. Bin die ganze Frontlinie als ein militärischer Kameramann/Dokufilmemacher entlanggefahren. Manchmal bin ich in ziemlich harte Konfrontationen geraten. Aber sagen, dass ich kämpfte, kann ich nicht.
– Also waren Sie mit einer Kamera, nicht mit einem Gewehr?
– Ich habe versucht zu trennen, damit es nicht so kommt, wie mit dem russischen Schauspieler, der in die ATO-Zone gekommen ist und aus einem Maschinengewehr, während er sich auf dem Territorium eines anderen Staates befand, auf die Militärangehörigen dieses Staates geschossen hat. Hier ist die Situation anders. Manchmal habe ich auch eine Waffe in den Händen gehalten, wenn es nötig war. Aber nicht oft.
– Sind Sie in Situationen der direkten Konfrontation mit der russischen regulären Armee gewesen?
– Einmal. Im Luhansker Gebiet, im Raum der Stadt Stschastje. Es gab eine Konfrontation unter Anwendung der Schützenwaffen zwischen der ukrainischen Seite und einer Unterabteilung, die faktisch ausschliesslich aus russischen Militärs bestand – sie alle hatten russische Papiere. Habe auch Gefangene gesehen, hatte aber keine Zeit, mit ihnen zu sprechen, aber es war auch so klar, wer woher kommt- Fragen blieben da nicht übrig.
– Ihr Autorenprojekt sind Filme über die ukrainischen Soldaten, die für den Erhalt der territorialen Integrität ihrer Heimat kämpfen.
– Ich mache keine Berichte über die lokale Bevölkerung, Flüchtlinge-Probleme und sonstiges, obwohl man auch hier auf interessante Geschichten trifft. Ich versuche, mich nicht ablenken zu lassen. Mein Thema sind die ukrainischen Krieger und ihre Geschichten: darüber, warum sie dort sind, was sie bewegt und was sie dort hält, was sie erreichen möchten, wer sie im früheren Leben waren. Meine Helden sind Menschen sehr verschiedener Berufe: Musiker, Tischler, Juristen, Eisenbahner. Das ist ein Zyklus über Menschen, die nicht im Krieg sein sollten. Meine Aufgabe ist, in den Kämpfern den Glauben zu stärken, ihr Geist zu bekräftigen. Ich hoffe, dass die ukrainischen TV-Kanäle in Luhansker und Donezker Gebieten wieder auf Sendung gehen. Und dass meine Filme jemandem helfen.
– Stehen Sie noch im Kontakt zu Ihren Helden?
– Ich habe sogar Angst, sie anzurufen… Manche von denen, die ich gefilmt habe, sind nicht mehr am Leben. Einer wurde faktisch vor meinen Augen getötet. Ich habe mal ein Interview mit einem jungen Kaplan gemacht. Am nächsten Tag habe ich erfahren, dass er schwer verwundet wurde. Wenn er auch überlebt, bleibt er ein Invalid… Zu den Helden entsteht eine seelische Verbindung, bis zu einem gewissen Grad fängst du an, die Welt mit ihren Augen zu sehen. Es tut sehr weh, wenn ihnen etwas zustösst.
– Wie gelingt es Ihnen, einen Film unter Kriegsbedingungen zu drehen und fertig zu machen?
– Die modernen Technologien erlauben auf mobile Systeme zu drehen, Actionkameras – alles ohne Probleme. Ich habe keinen Fahrer, keinen Kameramann. Ich mache alles selbst. Aber für mich ist es sehr wertvoll, dass es keinerlei Zensur über mir gibt, niemand zwingt mich, irgendeinen Satz zu ändern oder was auch immer. Meinungsfreiheit, kurz gesagt. Interessant ist, dass die ruhigsten, seelenerfülltesten Gespräche an der vordersten Linie stattfinden. Und dann, nach einer absoluten Stille, kommt plötzlich ein Artilleriebeschuss. Immer unerwartet. Gerade noch war es ruhig- und schon gibt es das Haus gegenüber nicht mehr. Aber auch daran gewöhnt man sich. Und es wird sogar gleichgültig, denn du verstehst- in diesem Fall hängt nichts von dir ab. Man kann nicht ständig Angst vor dem Tod haben.
Nun ist Cristian mit einem neuen Freiwilligenprojekt beschäftigt.
– Leider erlaubt mir meine Gesundheit nicht, permanent an der vordersten Linie zu sein… Meine Freunde und ich haben einen internationalen Wohltätigkeitsfonds gegründet und nannten es „Sauberer Himmel“, so ein romantischer Name. Unser erstes Projekt ist eine Volks-Drohne. Wir sind müde davon, dass die ukrainischen Soldaten einfach so unter Feuer sterben, das die russischen „Vögelchen“ richten, die dabei hoch in den Wolken unverletzbar bleiben. Unter den Freiwilligen, die aus verschiedenen Projekten zu uns gekommen sind, gibt es Designer, Ingenieure, Militärs. Wir arbeiten an einfachen, verlässlichen und maximal billigen Lösungen. Wir brauchen noch Menschen, zum jetzigen Zeitpunkt in erster Linie Programmierer und Entwickler. Und sobald der Krieg zu Ende ist- und ich hoffe, dass es in der nächsten Zeit passiert und wir alle noch am Leben sind- gehen wir zurück zum Kino, werden die Kunst wiederbeleben, etwas Neues erschaffen.
– Vermissen Sie Russland nicht? Ihre Freunde, Verwandte, Kollegen-Filmemacher? Möchten Sie nicht zurückgehen?
– Ich liebe die russische Natur, manchmal nostalgiere ich nach dem kulturellen, geistigen Milieu, das durch den Putinismus noch nicht ganz vernichtet wurde. Aber in den Staat Russische Föderation werde ich vielleicht erst in ein paar Jahren zu kommen bereit sein, und das auch nur als Bürger eines anderen Landes – als Gast, nichts weiter. Gerade möchte ich aber nicht dorthin reisen, möchte mit niemandem reden. Die Kluft, die zwischen uns entstand – sie wird man sehr schwer überwinden können….
P.S. Als dieses Material zur Veröffentlichung fertig gemacht wurde, ist uns bekannt geworden, dass der Präsident der Ukraine Petro Poroschenko eine Anordnung über die Gewährung der Staatsbürgerschaft für den 26-jährigen ehemaligen FSB-Offizier aus Wladiwostok Ilya Bogdanow unterzeichnete, über welchen die Ausgabe „Fakty“ nicht nur einmal geschrieben hat. Seit dem Juli 2014 kämpft er an der Front auf der Seite der Ukraine.
Ich bin ein Bürger der Ukraine! Bin stolz darauf!- schrieb Ilya Bogdanow bei Facebook: – Ich danke allen, die mir geholfen haben, ich danke Ihnen vom ganzen Herzen! Wir haben zusammen die Bürokratiemaschine besiegt und Putin noch einmal gezeigt, dass die Ukraine ein unabhängiges Land ist und seine Hände viel zu kurz sind! Ich kann allerdings meinen Pass gerade nicht abholen, wegen der derzeitigen Lage an der Front.“
Wir konnten Ilya telefonisch auch nicht erreichen. Wir hoffen aber auf ein baldiges Treffen mit ihm.
Quelle: Cristian Jereghi im Interview mit Marija Wasil, fakty.ua; übersetzt von Irina Schlegel
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