
Wir möchten Ihnen heute ein FB-Posting von einem bekannten russischen Journalisten, Arkadij Babtschenko, präsentieren, zum Thema des „üblichen“ Faschismus in Putins Russland…
Wollt ihr wissen wie in Putins Russland Hetze gegen Andersdenkende aussieht? Gleich erzähle ich es euch. Am Beispiel meiner Person. Gegen mich wurde schon früher gehetzt, aber dieses Mal ist der Angriff besonders heftig.
Vor drei Tagen stürtzte ein russisches militärisches Transportflugzeug mitsamt einem Militärorchester ab, welches unterwegs zu einem Auftritt vor russischen Fliegern in Syrien war, die Aleppo bombardiert haben. Dazu habe ich etwas in Facebook gepostet. Neutral. Dabei gab es keine Aufrufe oder Beledigungen. Ich habe nur daran erinnert, dass die russischen Streitkräfte Aleppo bombardiert haben, ohne zwischen Zivilisten und Kämpfern zu unterscheiden, wobei zu Dutzenden Kinder starben. Dass Bilder ihres Todes um die ganze Welt gegangen sind und dass Russland ein Agressorstaat ist, der die Krim annektiert und einen Teil der Ukraine besetzt hat, indem es dort einen Eroberungskrieg gestartet hat, der mindestens zehn Tausend Menschen das Leben gekostet hat. Dass Russland vorher einen Teil von Georgien besetzt und auch dort Städte bombardiert hat. Und dass ich nach all diesen Kriegen und Tod gegenüber Vertretern dieser Invasionstruppen nur ein Gefühl empfinde: Gleichgültigkeit. Irgendjemandem kam dieses Posting – kein Zeitungsartikel, kein TV-Beitrag, sondern ein simples Facebook-Posting nicht ausreichend patriotisch vor. Und so fing es an.
Als erster trat der Duma-Abgeordnete Witalij Milonow auf, ein bekannter Homophober, Ewiggestriger und Initiator von Gesetzen, die Rechte von sexuellen Minderheiten einschränken. Einer, der persönlich bei Angriffen auf Vertreter der LGBT-Szene mitgewirkt hat. Er rief dazu auf, mir und Boschena Rynska die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Sie ist eine weitere Jounalistin, die seiner Meinung nach ein Posting ohne das erforderliche patriotische Niveau verfasst hatte und dafür sollte sie die Staatsbürgerschaft verlieren sowie des Landes verwiesen werden, wobei ihr Hab und Gut konfisziert werden sollte. Anschließend meldete sich der Senator Franz Klinzewitsch zu Wort und rief dazu auf, mit uns „dem Gesetz nach“ zu verfahren und versicherte dabei, „eine Reaktion sei gewiss“.
Von hier an rollte die Hetze wie ein Schneeball.
Es wurden alle Kräfte der Propaganda-Maschine hinzugezogen. Der „Erste Kanal“, der einflußreichste staatliche Sender Russlands, rief zu einer Petition mit dem Ziel auf, uns die Staatsbürgerschaft zu entziehen und des Landes zu verweisen. Innerhalb eines Tages hatte diese Petition 130 000 Unterschriften. Eine andere Propaganda-Agentur, „LifeNews“, entschied sich, ihre Befugnisse zu überschreiten und mir ein erfundendes nicht bezahltes Bußgeld für eine Ordnungswidrigkeit anzuhängen. Angeblich wegen einer Busfahrt ohne gültiges Ticket. Dabei fahre ich als Kriegsveteran ohnehin kostenlos. Das ist ein ganz normales Vorgehen in Russland, um zu sicherzustellen, dass jemand – auf Grund von Verschuldung – keine Ausreiseerlaubnis aus Russland erhält. Kurz und gut, damit ich nicht fliehe.
Es wurde ein Computerspiel entwickelt, das dem Genre „Prügelspiele“ angehört und dazu einlädt, „Feinde des Vaterlands mit Fäusten und Stiefeln fertigzumachen“. Diese Feinde „müsse man prügeln bis sie sich krümmen“. Mich soll man prügeln bis ich mich krümme. Ich bin der Antagonist dieses Spiels.
Das Posting von Boschena Rynska wird zurzeit von der Generalstaatsanwaltschaft geprüft. Erfahrungsgemäß wird so eine Prüfung ins Strafrecht münden – damit sind bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug möglich. Merke, die Generalstaatsanwaltschaft untersucht nicht etwa die Flugzeugkatastrophe, sondern ein Posting auf Facebook. Vor ihrem Haus warten regierungstreue Schläger, die von Zeit zu Zeit versuchen, in ihre Wohnung einzudringen. Andersdenkende mit grüner Wundtinktur oder Fäkalien zu übergießen, ist in in Russland auch ganz üblich. So wurde vor kurzem Julia Latynina wegen eines Artikels mit Fäkalien überschüttet. Mit grüner Tinktur wurden mehrmals befreundete Aktivisten übergossen, z. B. Mark Galperin. Weil er mit Anti-Kriegsplakaten demonstriert hat. Patrioten haben einen Menschen angegriffen, weil er gegen Krieg demonstriert hat – wenn das nicht zu 100 Prozent mit Romanen von Remarque übereinstimmt, was dann?
Im Internet wird meine private Adresse verbreitet, damit man „vorbeikommen kann“.
Morddrohungen gegen mich und meine Familie bekomme ich jetzt zu Tausenden: Auf dem Briefweg, über Facebook und telefonisch. Tätliche Angriffe auf Andersdenkende werden in Russland schon lange praktiziert und es gab mehrere Hundert solcher Fälle. Bei diesen Angriffen kommen Baseballschläger, Metallstangen und Glasflaschen zum Einsatz. Der letzte Fall ist gar nicht lange her: Unbekannte haben meinen Freund, den Journalisten Grigorij Pasko angegriffen und verprügelt. Daraufhin erhob eine Untersuchungskommission Anklage wegen Terrorismus gegen ihn und versucht ihn jetzt hinter Gitter zu bringen. Dabei hat er ohnehin schon vier Jahre gesessen, angeblich wegen „Spionage“.
Der regierungstreue, irrsinnig patriotische TV-Sender „Zargrad“ führt eine Liste der „TOP 100“ der übelsten Russophoben, in der man mich auf Rang 10 sieht. Mich. Mich als jemanden, der bei zwei Kriegen für dieses Land dabei war.
Es geht weiter. Eine der beliebtesten russischen Zeitungen veröffentlicht einen Artikel mit dem Titel „Unmenschen, die sich an der Katastrophe erfreuen, gehört die Staatsbürgerschaft aberkannt“. Dabei, ich wiederhole mich, gab es weder Freude noch Schadenfreude über die Katastrophe.
Der folgende Artikel ist in einem solchen Stil verfasst, dass man ihn direkt anführen muss:
„Wie lange müssen wir die dulden, die sich in sozialen Netzwerken über Tragödien in Russland freuen? Man freut sich offen und beleidigt dabei. Heute wünscht man sich ganz besonders stark, dass solch menschlicher Abschaum für seine unflätigen Worte geradesteht und dafür bestraft wird. Dass man endlich Prozeduren initiiert, um diesen Russen wegen ihrer Schadenfreude die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Krieg herrscht heute nicht nur in Syrien, wohin dieser militärische Flug mit Zivilisten an Bord unterwegs war. Es herrscht Krieg in Russland, ein Informationskrieg, aber dennoch ein Krieg. Und wir müssen uns verteidigen wie im Krieg. Und wäre das nicht ein passender Zeitpunkt für einen Gesetzesentwurf „Verbot von Freudebekundungen bezüglich tragischen Ereignissen für Russland?“
Ja-ja, Sie haben richtig gehört. Es wird vorschlagen, solche Freudebekundungen gesetzlich zu verbieten. Mehr noch, diese Initiative wurde bereits von manchen Gesetzgebern bestätigt. Ich denke, so ein Gesetz wird kommen. Dann werden wir Leute, die nicht genug trauern, per Gesetz ins Gefängnis bringen können.“
Im Großen und Ganzen unterscheidet sich dieser Artikel stilistisch überhaupt nicht von Artikeln zur Zeit Stalins in den 1930ern – der Zeit des Großen Terrors, als man dazu aufrief, „Volksfeinde wie tolle Hunde zu erschießen“. Das „Erschießen“ behandelt der aktuelle Artikel übrigens auch: Die Todesstrafe soll wieder angewendet werden. Die Kollegen aus der Zeit der Repression, als in Stalins Lagern Millionen Bürger vernichtet wurden, sind nicht weit gekommen. Vielleicht ist es auch umgekehrt und wir bewegen uns gerade mit Riesenschritten auf jene Zeiten zu.
Außerdem hat die Zeitung eine Umfrage gemacht zum Thema „Was halten sie von Russen, die sich über die Katastrophe freuen?“ Die erste Auswahlmöglichkeit lautet „Das sind Unmenschen, denen man die Staatsbürgerschaft entziehen muss“. Vierzig Prozent der Befragten meinen, wir Andersdenkende sind „Unmenschen“.
Die zweitpopulärste Zeitung, ebenfalls regierungstreu, schreibt im gleichen Stil: „Miststück“, „Schwachsinnige“, „fünf Jahre im Frauengefängnis“.
Die offizielle Vertreterin des Außenministeriums (!), Maria Sacharowa, verwendet die Begriffe „Sauhaufen, Quälerei, Dreck“. Das Sahnehäubchen lieferte der Pressesprecher des Präsidenten (!), Dmitrij Peskow – er denkt, das sind „abnormale Symptome des Wahnsinns“.
Ich mache keine Witze. Die Pressesprecher des Außenministeriums und des Präsidenten Russlands halten mich und meinesgleichen für einen Sauhaufen, Dreck und abnormale Wahnsinnige.
Ich erzähle euch gerade nur von den ganz offensichtlichen Fällen. Insgesamt haben sich meines Erachtens wohl alle Staatsmedien an der Hetze beteiligt. Das sind mehrere Dutzende. Das ist ein unwahrscheinlich starker Strom der Entmenschlichung und Verrohung, dem man nicht widerstehen kann. Propaganda und der „Kampf gegen Feinde“ nehmen eine sehr wichtige Rolle in Putins Russland ein und werden mittels eines gewaltigen Budgets verwirklicht.
Hetze ist ein sehr effektives Werkzeug. Sie zermürbt einen Menschen. Innerhalb weniger Tage ist man nervlich erschöpft. Der KGB kann das gut. Die haben früher viel Know-How aufgebaut.
Habt ihr schon einmal auf eine Festnahme gewartet? Gott bewahre, dass ihr das erlebt. Das Warten auf eine Festnahme oder eine Durchsuchung, auf untergeschobene Drogen, auf Vorwürfe der Pädophilie (auch sehr verbreitet, so wurde unlängst der Leiter der Organisation „Memorial“ in Karelien, Jurij Dmitrijew verhaftet; in analoger Weise wurde eine solche Provokation gegen den zum zweiten Mal aus Russland verwiesenen Dissidenten Wladimir Bukowski versucht), das Warten darauf, im Hauseingang zusammengeschlagen zu werden, auf einen Angriff auf der Straße, Schüsse in den Rücken.
Das ist schwer. Das ist wirklich schwer. Und es ist schrecklich. Schrecklich ist, was mit dem Land passiert. Auf welchen Abgrund es zurollt. Und wo es schließlich landen kann.
In der Schule im Geschichtsunterricht konnte ich lange nicht verstehen wie Deutschland als ganzes Land dem Wahnsinn verfallen konnte. Wie ein ganzes Land damit beginnen konnte, gegen Juden zu hetzen, Pogrome durchzuführen, [Menschen] zu verjagen und in den Hinterhöfen zu töten, um schlussendlich dazu überzugehen, Menschen in Vernichtungslagern zu verbrennen. Ich konnte nicht verstehen wie ein ganzes Land, die UdSSR, wahnsinnig geworden war. Wie dort Millionen Denunzierungsberichte verfasst haben, wie man gemäß Klassenmerkmalen Menschen vernichtet hat, wie man ganze Völker zu Feinden erklärt und diese deportiert hat. Ich war sicher, diese Zeit kommt nicht wieder. Niemals.
Jetzt kann ich diesen Prozess der Entwicklung des Wahnsinns mit eigenen Augen beobachten. Auf meiner eigen Haut spüren. Bis zu den Lagern ist es nocht nicht gekommen, aber alles andere gibt es in Russland bereits.
Autor: Arkadij Babtschenko; übersetzt von Viktor Duke.
One Response to “Der Rote Terror ist zurück: Putins Russland und sein Umgang mit Andersdenkenden”
31/05/2018
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