Dieses Material hat Viktor Tregubow zum Jahrestag der Befreiung von Slowjansk vorbereitet, veröffentlicht wurde der Artikel auf der Webseite von unseren Partnern Pjotr&Mazepa.
Speznas in Slowjansk. Wie die Ukraine in die Stadt zurückkehrte.
Vor zwei Jahren, am 5. Juli 2014, ergriffen die Terroristen die Flucht und verließen Slowjansk. Ukrainische Truppen kamen in die Stadt. Die Abwehr, die von der russisch-terroristischen Propaganda so hochgepriesen wurde, endete genauso ruhmlos wie sie begann. Die Ortsbesatzung flüchtete mit Zivilautos, wobei sie nicht nur Munition, sondern auch einige Dokumente zurückließ.
Wir möchten uns heute an jenen Morgen erinnern und ihn für die Geschichte aufbewahren. Zum Abend jenes Tages war alles bereits festlich: über dem Stadtrat wurde die gelb-blaue Flagge gehisst und nach Slowjansk kam der damalige Verteidigungsminister Walery Geletey (wobei er fast zum Opfer des letzten Granatwerfer-Terroristen in Slowjansk wurde, der beschlossen hatte ein Schahid zu werden).
Morgens gab es aber noch die einfache militärische Arbeit: Erkundung, Säuberung, Minenräumung, Einnahme von Schlüsselstellungen. Diese Arbeit wurde von den Kämpfern der Kräfte zur besondern Verwendung – damals SPN, und heute – Speznas-Truppen der Streitkräfte der Ukraine geführt.
Als Erste waren die Kämpfer des 140. Zentrums, 8. und 3. selbständigen Speznas-Bataillone in der Stadt eingetroffen. 6 Gruppen mit 6 „Ural“-Fahrzeugen und 2 BTRs. Wir haben zwei Teilnehmer jener Operation gebeten, ein wenig darüber erzählen, wie das alles war.
Oberst Igor Weritschko (damals stellvertretender Kommandeur des 8. Speznas-Bataillons):
– Wir standen hinter der Stadt, in den Feldern, in Richtung Krasny Liman. Früh morgens rückten einige „Ural“, BTRs und Inkasso-Panzerfahrzeuge in die Stadt aus. Sie fuhren durch die verlassenen Checkpoints des Gegners und mussten an einer Barrikade hinter den Seen anhalten, da die Straße durch Betonblocks, die man abschleppen musste, gesperrt war.
Schwere Kämpfe gab es nicht, die Mehrheit der Terroristen war bereits in der Nacht abgezogen. Neben dem Gebäude der polizeilichen Bezirksabteilung hörte man Schießerei, im Gebäude selbst wurden mehrere Menschen festgenommen und in einen „Ural“ gesteckt. Bei dem „Weißen Haus“ (Stadtrat und Vollzugskomitee-Gebäuden) trafen wir die andere Gruppe. Haben uns verteilt und begannen die Stadt vom Zentrum aus zu säubern. Hier und da fanden noch Schießereien statt. Auf dem Weg entdeckte meine Gruppe einen Gegner im „200“-Zustand (eine Leiche). Zu dem Zeitpunkt, es war schon tagsüber, begannen sich die Hauptkräfte in der Stadt zusammenzuziehen und die Flagge wurde gehisst.
Aus den besetzten Gebäuden wurde viel, sehr viel Munition herausgebracht. Irgendeine Berufsschule war gar ganz voll damit. Später, als man das alles aus der Stadt brachte, gab es kein Platz mehr für Menschen in den „Ural“-Fahzeugen – alles war voll mit der Munition. Wir brauchten mehrere Tage, um alles hinauszubringen. Dann waren wir in irgendeiner Fabrik, den Hallen nach war es eine Nähfabrik, und dort im Keller – dort waren auch Minen…
Man sah, dass sie in Eile flüchteten, alles zurückließen. Zum Beispiel hatten sie die Funkgeräte mitgenommen, die Auflagegeräte dafür aber vergessen. Es gab auch Minen, aber sie waren auf die schnelle gemacht, darum hatten wir keine Probleme damit. Die Munition war zum grossen Teil russische Munition, russischer Zink der 1990er. Ungefähr 50 Stück russische MANPADS. Das haben wir gleich da auch fotografiert. Ich weiß gar nicht, wie sie all das dahin gebracht hatten, bei der gesperrten Eisenbahnlinie. Ich vermute, dass die Waffen aktiv über Semenowka und Sewerodonezk, oder aus Kramatorsk und über die Felder geschmuggelt wurden.
Etwas später ist im Stadtzentrum die 25. Luftlandebrigade eingetroffen, dann die 95. Wir saßen da schon ‚rum und warteten. Geletey kam höchstpersönlich, rief den Präsidenten an und teilte mit, dass wir die Flagge hissen. Und dann erst kamen Menschen auf die Straßen ‚raus – davor war alles leer. Es gab später ein paar Fakten der Leichenfledderei seitens der Lokalen, denn die Geschäfte standen ja geschlossen und wurden eine zeitlang nicht bewacht.
Die Menschen begrüssten uns verschieden. Es gab so ein paar Frauen, die schrien: „Faschisten! Banderas!“, aber im Großteil war die lokale Bevölkerung freundlich zu uns und interessierte sich dafür, wann die Konserven verteilt werden“.
Oberst Vitaly Pikulin (zu der Zeit Kommandeur des 3. Speznas-Bataillons):
– Ursprünglich nahmen wir an der Operation zur Blockierung von Slowjansk teil, zusammen mit den 25. und 95. Luftlandebrigaden. Standen direkt bei Slowjansk. Am 5. Juni frühmorgens erhielten wir den Befehl vom Generalstabsleiter mit einem zusammengesetzten Trupp unter dem Kommando von Oberst Jakimez in die Stadt einzugehen. Wir sind bis zum 3. Checkpoint vorgerückt, und erhielten dort den Befehl weiter in die Stadt selbst vorzurücken. Wir gingen von der Seite von Slawkurort ein, 6 Gruppen bestehend aus 15-20 Menschen. Auf dem Weg suchten wir die Straßen ab, erkundeten die Gegend – ob der Gegner noch immer dort war, und im Falle von Kampfbegegnung sollten wir den Kampf aufnehmen und die Stellung halten. Wir hatten zwei BTRs und 5 oder 6, weiß ich nicht mehr, „Ural“-Fahrzeuge.
Auf einem verlassenen Checkpoint des Gegners mussten wir anhalten und seine Bauten auseinandernehmen, sonst hätten die Panzerfahrzeuge dort nicht durchkommen können. Wir trafen am Platz ein, riegelten es rundherum ab, durchsuchten das Gebäude des Stadtrats.
Wir kamen ins Gebäude rein und haben gleich im Erdgeschoß verstanden, dass das Gebäude vermint ist, also warteten wir auf die Ingenieure und führten die Aufklärung der nächstliegenden Vierteln – es sollte nicht dazu kommen, dass wir einfach nur in eine Falle gelockt worden waren. War aber alles ok. Dann kam der Minister, dann die Fallschirmjäger, die Flagge wurde gehisst…
Ernste Zwischenfälle gab es nur einen, bereits nach der Ankunft des Ministers. Man begann die Flagge zu hissen, als hinter der Kirche ein Mann auf die Straße herauslief und den Granatwerfer scharfzumachen begann, ich glaube, einen Raketenwerfer RPG-26. Unser MG-Schütze, so ein Junge aus dem 140. Zentrum, hat ihn gleich abgeschossen. Alles andere war ok. Wir suchten die Vororte von Slowjansk ab und säuberten sie – wir mussten ja schauen, wo diese Monster sind. Sie waren aber fast alle schon geflüchtet. Wir nahmen viele Verdächtige fest, aber dass es grosse Kämpfe gab – an sowas erinnere ich mich nicht. Die Truppen nahmen ihre Stellungen schnell ein, begannen die temporäre Stadtverwaltung zu organisieren, Punkte für Wasser- und Essenverteilung direkt auf dem Platz aufzustellen, und 4-5 Tage später reisten unsere Gruppen bereits nach Kramatorsk ab…
Der Einzug in die Stadt Slowjansk war nicht die wichtigste Operation des Speznas in jener Zeit. Eher umgekehrt, wahrscheinlich war sie von all dem, was sie gemacht haben, eine der ruhigsten Operationen. Es gab auch heroische Momente, solche wie die Operation am Donezker Flughafen und die Verteidigung des Flughafens von Kramatorsk, der Stadt, die sich trotz der Einkesselung den Separatisten nicht ergeben hatte. Es gab auch abenteuerliche Momente, wie das Festhalten eines Depots in Bahmut (damals noch Artemiwsk) mit einer viel zu kleinen Gruppe von 20 Kämpfern, die dabei auch noch Nachtausflüge machten, um die Separatisten in der Stadt abzufangen. Es gab auch schwarze Seiten, wie den Tod von 10 Soldaten und Offizieren, die den Piloten vom südlich von Snischne abgeschossenen Kampfflugzeug retten sollten. Ermordet wurden sie infolge des Verrats eines lokalen Einwohners, der übrigens vor kurzem aufgespürt und an die ukrainische Justiz übergeben worden ist.
Wir versuchen, all diese Momente festzuhalten, um sie in unserem Gedächtnis zu behalten: die Kampfgeschichte der Ukrainischen Speznas-Truppen, die nun ein selbstständiger Truppenverband sind und damals aktiv mit absolut für die ukrainischen Streitkräfte ungewohnten Aufgaben beschäftigt waren, begann 2014. Wenn es etwas geben sollte, wofür man Putin und Schoigu danken könnte, dann war es das Vorgehen ihrer treuen Hunde und Söldner, das die Ukraine gezwungen hatte, die Herausforderungen des Hybridkrieges ernstzunehmen und sich an die Ausbildung von „Sonderjungs“ heranzumachen.
Quelle: Pjotr&Mazepa; übersetzt von Irina Schlegel
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