
Vorgeschichte
Am 29. August erreichte unsere Redaktion eine E-mail, die uns vom Tod des Oberleutnants der russischen Armee Sahar Wladimirowitsch Timin in der Ostukraine berichtete.
„Heute habe ich von Bekannten eine schreckliche Nachricht erfahren. Gestern, am 16. August, ist ein wunderbarer Mensch gestorben – Sahar Timin. Gefallen ist er bei der Ausführung seines Dienstes, als er in der Ukraine war (soweit ich weiß). Sahar war ein wunderbarer Mensch, ein guter und treuer Freund, ein liebender Vater und Ehemann. Ich finde die Tatsache ungerecht, dass er wegen dieses dummen unnötigen Krieges gestorben ist! Das ist schrecklich! Tut mir sehr leid… Mein aufrichtiges Beileid an alle Verwandten und Nahestehenden,“ stand im Brief.
„Novaya Gazeta“ hat über soziale Netzwerke die Ehefrau von Sahar gefunden – Irina Timina. Irina war damit einverstanden, unsere Fragen über das Internet zu beantworten.
„Er sagte, er sei bei Rostow“
– Irina, hallo, tut mir leid, dass ich Sie in so einer schwierigen Zeit anschreibe. Ich bin ein Korrespondent von „Novaya Gazeta“. Ich habe die Information über den Tod Ihres Mannes gesehen. Tut mir Leid, dass ich Sie daran erinnere. Irina, ist das wahr?
– Ja, ist es.
– Sagen sie mir, war Ihr Mann ein Berufssoldat oder ist er als Freiwilliger in den Donbas gefahren?
– Ja, ein Berufssoldat. Offizier. Er war kein Freiwilliger. Er ist nur seinem Befehl nachgekommen. Eine andere Wahl hatte er nicht, das verstehen Sie doch selbst.
– Das verstehe ich sehr gut. Ich möchte gern über die Geschichte Ihres Mannes schreiben. Wenn Sie einverstanden sind, möchte ich mich gern mit Ihnen persönlich treffen und reden.
– Schweigen werde ich definitiv nicht. Welche Geschichte wollen Sie über ihn schreiben? Am wenigsten möchte ich, dass man jetzt meinen Mann begrabscht. Und ich bin nicht bereit, jemanden zu treffen und zu reden, ich muss gerade sehr viele Papiere und Bescheinigungen anfertigen und reise deswegen sogar in andere Städte. Das Einzige, was ich jetzt kann, ist es, Ihre Fragen zu beantworten, und ich bin nicht dagegen, dass man es auch veröffentlicht. Wissen Sie, womöglich wird meine Schwiegermutter Ihnen auch weiterhelfen können. Sie ist jetzt in ihrer Heimatstadt (Bugulma, Tatarstan) und könnte Ihnen ein Interview geben. Sie weiß zwar weniger als ich, aber das Wesentliche kann sie vermitteln. Jetzt muss ich nur von unserer Regierung das einfordern, was meinem Kind zusteht – die Ausgleichszahlungen. Wenn es dringend ist, könnten die Eltern von meinem Mann Ihnen weiterhelfen. Sie haben nichts mehr zu verlieren, und mein Kind muss noch in diesem Land leben…
– Wie kann ich mit Sahars Mutter besser in Verbindung treten? Könnten Sie ihr vorher die Situation erklären, Sie sind für sie ja kein fremder Mensch…
– (schickt uns einen Link zum Profil der Schwiegermutter). Hier ist sie. Aber ihrem letzten Post nach zu urteilen wird sie wohl kaum etwas sagen (der letzte Post auf dem Schwiegermutterprofil ist ein Link zu einem kritischen Artikel über den „Rechter Sektor“).
– Verstehe. Dann sagen Sie uns doch bitte, in welcher Armeeabteilung er diente, welche Dienststellung und Dienstrang Ihr Mann innehatte? Wie lange diente er in der Armee?
– Sahar diente in der Militäreinheit Nr.27777 in Tschetschenien, wurde vor kurzem zum Oberleutnant befördert. Seine Dienststellung war Zugkommandant.
– Wann wurde bekannt, dass er in den Donbas geschickt wird? Wie hat er Ihnen davon erzählt?
– Er hat nie vom Donbas gesprochen. Mein Mann ist ein Offizier, kein Zeitsoldat und auch kein Wehrpflichtiger. Die Offiziere, selbst wenn sie etwas wissen, reden nicht darüber. Er hat mir nicht mal zuhause etwas erzählt.
– Wie haben Sie denn erfahren, dass er dahin gefahren ist?
– Alles fing damit an, dass ich in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli plötzlich eine SMS von ihm bekommen habe, dass sie nach Rostow fahren. Dann hat er am Telefon noch hinzugefügt, dass er die ganze Nacht nicht geschlafen habe, weil sie sich bis zum Morgengrauen für den Weg fertig gemacht hatten. Alles war so unerwartet, dass er selber noch nicht verstand, was passiert ist und wohin sie fahren. Obwohl ich nicht ausschließe, dass er womöglich etwas wusste, aber mir gegenüber hat er es verschwiegen, da man wohl nicht darüber reden durfte. Zuerst war ich sehr beunruhigt, aber dann hat er mich beruhigt: er rief an, als sie angekommen sind, und meinte, dass alles in Ordnung wäre. Er hat mir Photos vom Übungsgelände geschickt. Also, alles war ruhig und nichts deutete auf ein Unglück hin. Dann hat mich sein Angebot, ihn im Nowotscherkassk zu besuchen, überzeugt, dass man sich keine Sorgen zu machen braucht. Ich habe schon den Fahrkartenkauf geplant, als er plötzlich anrief und sagte, dass ich nicht mehr zu kommen brauche. Warum, sagte er mir nicht. Dann ist er für drei Tage verschwunden. Und als er wieder auftauchte, sagte er, dass es keine Möglichkeit gab, das Handy aufzuladen, denn im Lager gab es keinen Strom. Ich war über seine Antwort verwundert, habe dem aber keine große Bedeutung beigemessen. Am 11. August hat er mich zum letzten Mal angerufen. Wir haben geredet wie immer, über alles. Und dann sagte er, dass er wieder keine Möglichkeit haben wird, das Handy aufzuladen, und dass er gar nicht weiß, wann er wieder telefonieren kann. Und am 16. August erfahre ich, dass mein Mann gefallen ist. Und dass es schon am 13. geschehen ist. Ich habe sofort verstanden, wo das passiert ist. Er wurde also erst am achten Tag nach seinem Tod beigesetzt.
– Wie wurden Sie über seinen Tod benachrichtigt?
– Am 16. kam ein Major vom Militärkommissariat und sagte, dass er eine traurige Nachricht zu übermitteln hätte, dass mein Mann im Truppendienst gefallen sei. Weiter habe ich ihm nicht mehr zugehört.
– Durften Sie sich von Ihrem Mann verabschieden?
– Ja, durfte ich. Er wurde im Zinksarg gebracht. Da war ein Fenster. Aber wir haben beschlossen, den Sarg aufzumachen. Im Leichenhaus hat man ihn ein wenig in Ordnung gebracht, denn seine Augen und Mund waren geöffnet, in den Augen blankes Entsetzen… Ich weiß gar nicht, warum sie ihm nicht schon in der Rostower Leichenhalle das Gesicht gerichtet hatten… Also haben wir es bei uns in Bugulma gemacht. Wissen Sie, Sahar wollte schon immer ein Armeeangehöriger werden. Er hat seit seinen jungen Jahren davon geträumt. Es hat ihm gefallen, an der Technik herumzufummeln. Er hatte zuerst auch diese Richtung – er war ein Panzersoldat. Und dann wurde er nach Majkop verlegt, zu den motorisierten Schützen. Er war nicht sehr glücklich darüber. Aber er hat sich damit abgefunden. Er wollte sowieso später etwas Ruhigeres machen, besonders die letzte Zeit, da war er oft sehr müde, ausgelaugt. Er sagte, dass er so nicht sein ganzes Leben lang arbeiten möchte. Er wollte früh in Rente gehen und etwas anderes machen.

„Sie verwechseln mich mit jemandem“
Nach Sahars Tod hat eine NTV-Nachrichtenproduzentin (ein staatlicher russischer Fernsehkanal), Kristina Gerschwild, seine Ehefrau Irina Timina angerufen: „Wir machen eine Sendung über die Lügen der ukrainischen Medien. Gerade stoßen wir auf ganz schreckliche Fälle, bei denen die Menschen zum Beispiel für Gefangene erklärt werden, und dabei sind sie zuhause und absolut gesund… Sie sind doch die Ehefrau von Sahar Timin? Sie hatten doch einen ähnlichen Fall? Entschuldigen Sie mich bitte im Voraus, wenn etwas nicht stimmt. Wir bereiten eine Sendung vor und setzen uns in Verbindung mit Menschen, die auf diese Weise belogen wurden.“ schrieb Gerschwild der Ehefrau von Timin.
„Ich würde Ihnen ja helfen, aber bei einer Sendung über die Lügen der russischen Medien,“ antwortete Irina: „Was für einen ähnlichen Fall soll ich denn gehabt haben? Sie verwechseln mich mit jemandem. Mein Mann ist gestorben, und gestorben ist er durch das Verschulden unserer Regierung.“
Quelle: Novaya Gazeta; übersetzt von Irina Schlegel
2 Responses to “„Mein Mann war kein Freiwilliger! Er ist seinem Befehl nachgekommen!“”
05/10/2014
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04/02/2016
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