
Am 5. November veröffentlichte die Zeitung „Nowoje Wremja“ ein Interview mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des krimtatarischen Medschlis Ilmi Ulmerow, in dem er sagte, dass 100% der ukrainischen SBU- und Polizeimitarbeiter auf der Krim sich als Verräter erwiesen hätten, bei den anderen Rechtsschutzbehörden sei der Anteil von Verrätern etwas niedriger gewesen.
„Die Mitarbeiter des SBU und der Polizei auf der Krim haben sich zu 100% als Verräter erwiesen, bei Militärangehörigen zu 80%, bei der Staatsanwaltschaft zu 70%. Was sagt uns das? Dass die ideologische Arbeit in der Ukraine falsch geführt war oder dass es sie gar nicht erst gab“, sagte Ulmerow.
Derartige Spiele mit den Zahlen sind jedoch gefährlich, denn die offizielle Statistik läuft dieser Erklärung zuwider. Und somit werden auch Menschen, die die Ukraine nicht verraten hatten, ein weiteres Mal zu einem Objekt für psychologischen und informativen Druck.
Der Koordinator der Gruppe „Informationswiderstand“ und Parlamentsabgeordnete der Ukraine, Dmitry Tymtschuk veröffentlichte daraufhin die offiziellen Statistikangaben:
„… Ich bin mit Ilmi Ulmerow darin einverstanden, dass der globale Verrat unter den ukrainischen Rechtsschutzmitarbeitern auf der Krim zu einem der wichtigsten Faktoren wurde, die Putin erlaubt hatten die Halbinsel einzunehmen.
Aber lasst uns die Zahlen präzisieren. Es geht darum, dass wenn unter einer ganzen Tausend Verrätern ein einziger ehrlicher Mensch gewesen ist nicht alle unter einen Kamm geschert und den Kollaborateuren zugeordnet werden dürfen. Das wäre nicht richtig.
Vor ein paar Monaten verschickte ich Abgeordnetenanfragen an die Leiter der Rechtsschutzbehörden mit der Bitte, mir die Angaben zur Anzahl der Militärangehörigen auf der Krim zu Beginn der Annexion 2014 zuzuschicken, sowie zu jenen, die aufs Festland der Ukraine abgezogen waren, also dem ukrainischen Eid treu geblieben und keine Verräter geworden waren (man kann natürlich darüber sinnieren, ob alle, die auf der Halbinsel geblieben sind und aber den Dienst bei den Besatzern nicht angetreten haben, Verräter sind, aber nehmen wir einfach mal das radikale Szenario an: Wenn jemand aufs Festland gegangen ist, ist er ein Patriot, und wenn er auf der Krim geblieben ist, ist er ein Verräter).
Die Zahlen sehen wie folgt aus (Dies sind nur die Angaben zu Militärangehörigen, die einen Eid abgelegt hatten, zu Zivilpersonen habe ich keine Angaben):
SBU
Mit Stand vom 1. März 2014 dienten in allen Abteilungen, Verwaltungen und Behörden 1.619 Militärangehörige, davon 1.235 Offiziere und 384 Zeitsoldaten.
Aufs Festland sind 217 Militärangehörige, darunter 210 Offiziere und 7 Zeitsoldaten abgezogen.
Somit haben wir 86,4% Verräter (83% bei den Offizieren).
Ukrainische Streitkräfte
Zum 1. März 2014 gab es 13.468 Militärangehörige (4.637 Offiziere, 8.831 Soldaten und Feldwebel) auf der Krim.
Aufs Festland sind 3.991 Militärangehörige (1.649 Offiziere, 2.342 Soldaten und Feldwebel) abgezogen.
Somit haben wir es hier mit 70,4% Verrätern zu tun (64% unter den Offizieren – also über ein Drittel, 36% sind der Ukraine treu geblieben).
Zum Innenministerium: Ich habe keine Angaben zur Polizei, nur zu Militärangehörigen, also zu den Innentruppen des Innenministeriums, aus denen die heutige Nationalgarde aufgestellt wurde:
Innentruppen des Innenministeriums
Mit Stand vom 1. März 2014 gab es 2.849 Militärangehörige, davon sind 1.398 Militärangehörige aufs Festland abgezogen.
Das ergibt einen Anteil von 44% Verrätern (Präzisierung: Davon befanden sich auf der Krim 1.265 Wehrdienstleistende – sie sind in vollem Bestand zu 100% aus der Krim abgezogen, der Anteil an Verrätern unter den Offizieren belief sich dabei auf 86%).
Grenzdienst des Innenministeriums
Mit Stand vom 1. März 2014 gab es 1.869 Militärangehörige (448 Offiziere, 1421 Soldaten und Feldwebel).
Aufs Festland zogen sich 479 Militärangehörige zurück (226 Offiziere und 253 Soldaten und Feldwebel).
Anteil der Verräter: 74% (unter den Offizieren 50%).
Was bedeutet all das?
Zum Beispiel sehen wir bei SBU-Offizieren die Zahl von 83% Verrätern. Das ist ein schrecklich hoher Wert, aber doch keine 100%. Zugleich bedeutet es auch, dass selbst nach der jahrelangen Vergewaltigung dieses Sicherheitsdienstes unter Präsident Janukowytsch, nach der russischen Führung und der Übermacht der russischen Agentur darin, dort trotz allem 17% der Offiziere dem Eid auf die Ukraine treu geblieben waren.
„Wenn wir über die zahlreichen Verräter in verschiedenen Rechtsschutzbehörden der Ukraine auf der Krim und in Sewastopol sprechen, sollten wir uns auch an die Patrioten erinnern und ihnen gegenüber gerecht bleiben. Ich erwähne dabei gar nicht, dass diese Menschen alles, was sie besaßen, auf der Krim zurückließen, ohne ein Dach über dem Kopf geblieben sind und die Ukraine in den letzten dreieinhalb Jahren nicht mal ihre ersten, lebenswichtigsten sozialen Probleme gelöst hat,“ betonte Dmitry Tymtschuk.
Persönliche Erfahrungen von InformNapalm und die Statistik zur Krim
Die Gemeinschaft InformNapalm entstand ebenfalls auf der Krim. Zu ihrem Kern in der ersten Etappe der Entstehung wurden Freiwillige aus der Krim. Und natürlich war die Idee, eine freiwillige aufklärerische Tätigkeit zu führen unter anderem auch die Folge des Misstrauens gegenüber den staatlichen und rechtlichen Behörden nicht nur der Krim, sondern auch der Ukraine im Ganzen. Die Freiwilligen von InformNapalm beobachteten ebenfalls den totalen Verrat in den Reihen der Sicherheitsdienste und unter den Rechtsschutzmitarbeitern. Der Gerechtigkeit halber sollte man aber erwähnen, dass nicht nur Vertreter des krimtatarischen Volkes gegen die Einnahme der Krim durch Russland gekämpft haben. Und Prozentanteil jener ukrainischen Militärangehörigen, die die Ukraine nicht verraten haben, ist nicht so gering, wie die werten Vertreter des Medschlis es darzustellen versuchen. Viele ukrainische Zivilisten und Militärangehörige hatten ebenfalls ihre Häuser verlassen und sind Geiseln der Situation geworden, viele Auswanderer aus der Krim setzten ihren Dienst und den Kampf gegen den Aggressor bereits auf dem Festland der Ukraine während des Krieges im Donbas fort. Ihre Schicksale gingen in der Statistik verloren – es wird versucht, diese Zahl auf Null zu setzen und ganze 100% zu Verrätern zu machen, in Wirklichkeit kann aber auch ein einziger Mensch den Lauf der Geschichte verändern.
Weiter unten sehen Sie ein Video aus den persönlichen Archiven von InformNapalm vom 2. März 2014: Offiziere der Marine der Ukraine verhinderten die Einnahme der Waffen und ihre Ausfuhr durch den russischen Speznas. Das Video wurde in der ganzen Welt angesehen, zahlreiche ukrainische TV-Sender zeigten es ebenfalls. Auf YouTube erreichte das Video in den ersten 24 Stunden ein Anzahl von über zwei Millionen Ansichten:
Dieses Material wurde von Roman Burko exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt Irina Schlegel; editiert von Klaus H. Walter.
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