
Wir möchten Sie heute mit einem Text von Olena Stepowa bekanntmachen, einer ukrainischen Bloggerin und Schriftstellerin, die seit 2014 über den russisch-ukrainischen Krieg schreibt. Olena ist eine gebürtige Ostukrainerin, sie stammt aus Dowschansk (ehem. Swerdlowsk) im Gebiet Luhansk des ukrainischen Donbas. Ihre Stadt war eine der ersten, die die russische Invasion in die Ukraine erleben musste. Wegen Drohungen seitens der Terroristen im Donbas zog sie später in die Westukraine, in die Nähe von Kyjiw. Ihre Texte geben einen Einblick in das Leben auf den besetzten Territorien am Anfang des Krieges – einen subjektiven, emotionalen und sehr weiblichen Einblick, der das Geschehen im Donbas tief nachempfinden lässt…
Olena Stepowa. „Das beste Selfie eines WirSindDaNichtlers“
Die Rusnja wird sich wohl auf diesen Text stürzen und ihn zynisch nennen. Ja, er ist zynisch. So wie dieser ganze Krieg es ist, in dem Russen russischsprachige Einwohner der Ostukraine töten. Und doch habe ich ihn „Das beste Selfie eines WirSindDaNichtlers im Donbas“ genannt, denn das ist die Wahrheit. Das ist meins – meine innere Empfindung dieses Krieges. Das ist für mich der beste WirSindDaNichtler, den ich je gesehen habe.
Ich habe keine Empathie. Nichts. Sie wurde durch Selenopillja, IL-76, MH-17, Debalzewe, Ilowajsk, Iswarine, Swerdlowsk, Lutuhine, Nowoswetliwka, Luhansk ausgebrannt. Durch Tausende Kerzen, Tausende Tode, mein zerstörtes Land, mein geplündertes Haus.
2014 hatte ich andere Gefühle. Ein Entsetzen, ein Grauen, aber Empathie gab es noch. Ich stand ja auf dem Gehweg und ließ Kolonnen mit militärischen „Ural“-LKWs durch, die durch den Grenzposten „Gukowski“ fuhren und in denen Milchbuben ohne Abzeichen sich gegeneinander drückten. Ich wohnte in Swerdlowsk im Gebiet Luhansk. Eine Grenzgegend. Ich habe als erste den Krieg gesehen. Ich habe als erste die WirSindDaNichtler gesehen.
Wenn die russischen Don-Kosaken unverhohlen einfuhren, indem sie effektvoll auf den Panzern und BTRs saßen, mit Spott in die Luft schossen und mit roten Hammer-und-Sichel-Fahnen und den Nikolai II.- und Muttergottes-Ikonen herumfuchtelten, wobei sie einen nachhaltigen Eindruck eines Irrenhauses und des Surrealismus des Geschehens hervorriefen, so wurden die Milchbuben in aller Stille hereingebracht. Das waren russische Wehrdienstleistende, die zu „Übungen“ gebracht wurden. Sie sahen aber ukrainische Schilder, von denen das Grenzgebiet flimmert, und verstanden, wohin sie gebracht wurden. Ich habe diese Angst gesehen. Ich habe auch gesehen, wie sie zurückgebracht wurden – damals gab es Kämpfe bei Lutuhine. Von den „Ural“s tropfte Blut, Ichor, Urin, man hörte Stöhnen. Ich träume noch immer von diesem Geruch, dem Geruch des Todes.
Ich habe viel darüber geschrieben. Ich habe darüber als Frau und als Mutter geschrieben – habe versucht, russische Mütter zu erreichen, aber der weibliche Teil Russlands schrie mir zynisch zurück, dass sie „dort nicht sind“. Und ich habe stundenlang Kolonnen mit lebendigen Kräften, Panzern, SPWs, „Graden“ beobachtet, die durch meine Stadt fuhren. Die Russen fauchten über meine Beiträge und nannten mich ein Fake. Sie logen zynisch: Wir-Sind-Da-Nicht. Sie beerdigten die Ihren zynisch unter nummerierten Schildern, auf dem freien Feld.
Ich habe damals vieles nicht verstanden. Weibliches und Mütterliches. Ich suchte danach bei den russischen Weibern und fand es nicht. Der Schnaps und die Gier ätzte alles Weibliche aus ihnen heraus. Russlands Frauen versprachen mir, mich zu vergewaltigen, zu zerstückeln, mich an ihre braven russischen Jungs zum Foltern zu übergeben und rechneten den Gewinn von Leichenfledderei unserer Häuser durch ihre Männer nach, den Gewinn vom Tod ihrer Männer und ihrer Kinder. Russland zahlte den russischen Säufern großzügig für den Tod ihrer Nahestehenden.
Sie schreien immer noch „WirSindDaNicht“ – zynisch, dreist, indem sie Denkmäler und Gedenkstätten für die „Donbas-Befreier“ eröffnen. In Russland wachsen ganze Hektare von Friedhöfen mit namenlosen Grabstätten unter nummerierten Schildern. Sie waren nirgendwo.
Wenn aber das Vorgehen der russischen Besatzer in Bezug auf die Donbas-Einwohner (die Hochols und die russischsprachigen Ukrainer) und selbst das Vorgehen ihrer Nahestehenden, die auf die Beute ihrer in den Krieg geschickten Horde-Männer warteten, mit Begriffen wie „Horde“, „Besatzer“ und „Russe“ erklärt werden können, wie wird man dann den Zynismus der Russen in Bezug auf ihre eigenen Landsmänner, die Russen, erklären können?
Dieses Weibliche „Geh‘ töten, wir haben Kredite abzuzahlen!“. Die Rechtfertigung von Verbrechen des eigenen Landes, die Freude über die in der Ukraine erbeutete gebrauchte Kloschüssel, das genüssliche Auskosten der Trauer und des Todes, das Lachen über den Witz „Die Boeing ist runtergefallen, weil sie schwerer war als Luft“. Ihr abscheulicher Wunsch, den Tod ihrer Männer möglichst teuer zu verkaufen. Sie sind ja bereit zu schweigen – man soll ihnen nur zahlen, für den nicht-zurückgekehrten oder im-Sarg-zurückgekehrten WirSindDaNichtler. Gibt es Frauen in Russland? Ein abscheuliches, zynisches, versoffenes Etwas, das für Schnaps und Gratiswaren zu töten bereit ist… Eine tote Welt!
Natürlich ist Krieg zynisch. Aber, aber, aber – Tausende „aber“, persönlich von mir gesehen und erlebt.
Kämpfe bei Swerdlowsk, Tscherwonopartisanske, Iswarine, Lutuhine. Lager mit WirSindDaNichtlern und der „Volkswehr“ in meinem Dorf Alexandriwka, Prowalje… Viel habe ich gesehen, wovon mir die Haare auf dem Kopf taub wurden.
Das Oxymoron des Krieges:
Ukrainische Grenzschützer sammeln in der Prowalske-Steppe die Leichen von WirSindDaNichtlern und beerdigen diese, tauschen ihre Verwundete gegen eigene Verwundete. Die „Volkswehr“ und die WirSindDaNichtler lassen ihre Toten und ihre Verwundeten auf dem Schlachtfeld zurück.
Bei Alexandriwka findet ein Kampf statt. Die Geschosse fliegen über mein Haus. Wir sitzen seit 24 Stunden im Keller, es gibt eine halbe Flasche Wasser für vier Leute. Der Hof ist mit Blei bedeckt. Wir verstehen nicht, warum denn jetzt ein Kampf? Unsere, ukrainische Truppen, gibt es hier längst nicht mehr. In einer Woche, als das Pulver sich abgesenkt hatte und sowohl die Leichen als auch die Stöhnenden in ein Massengrab gesteckt wurden, haben uns die lokalen „Volkswehr“-Vertreter aus dem terroristischen kommunistisch-orthodox-kosakischen Bataillon „ROME“ erklärt: sie töteten Russen, um an ihre Waffen zu kommen und ihre Armee zu bewaffnen, die Armee von „Swerdlowsk-Rome“.
Die Russen werfen ihre Verwundeten in alte Gruben ab. Die Russen beerdigen Verwundete und Tote in Massengräbern. Das „befreite Donbas-Volk“ beobachtet das Ganze mit Entsetzen. Es versucht, jemanden zu retten. Nach ein paar erfolgreichen Rettungsversuchen beginnen die Russen, die Massengräber und die Kohlenschürfgruben mit Toten zu verminen.
In den Waldanlagen liegen Leichen, die niemand aufsammelt.
Nachdem proukrainische Bürger im September 2014 die Informationen über eine eventuelle Epidemie-Lageverschlechterung bekanntgemacht hatten, hat die Volkswehr in Swerdlowsk, die die Stadt kontrollierte, aus ihren Stabsquartieren in Alexandriwka und Birjukowe „Lichterketten“ hochgehoben: Die „Lichterketten“ waren tote russische Soldaten, die an Munitionskisten festgekettet waren.
Die „Volkswehr“ tötete Russen, um an die Lebensmittel und Waffen zu kommen, die ihnen zugeteilt worden waren – sie waren eine Art „tote Seelen“, die das Einkommen der Donbas-Kommandeure von terroristischen Bandenformationen sicherten.
Die Russen behandelten die lokalen Donbas-Einwohner genauso. Sie ließen die Verwundeten auf dem Schlachtfeld zurück. Sie töteten sie im Lauf der Aufteilung von Beute oder der Plünderung. Das Spiel der „Volkswehr“ und der WirSindDaNichtler: „Sollen wir die Karten der Minenfelder verkaufen oder doch nicht abgeben und für die Medien unsere eigenen Stellungen beschießen?“
Die WirSindDanichtler vergewaltigen und rauben die russischsprachigen Donbas-Einwohner aus, die „Putin, führ‘ die Truppen ein!“ schrien, sie vergiften den Donbas, sie zerstören den Donbas. Das „Donbas-Volk“ beraubt im Gegenzug Russland, indem es Renten und humanitäre Hilfe bekommt, das Geld aus dem Staatsbudget nach bestimmten Schemata entwendet und ganze Armeen „toter Seelen“ erschafft. Darüber darf und muss geschrieben werden, und darüber wurden auch schon Hunderte Artikel geschrieben. Russische Welt! Russische Beziehungen!
Am öftesten töten die Russen in diesem russisch-ukrainischen Krieg Russen. Irgendwie so. Und wie immer: Das Russische tötet – der Donbas hat es bewiesen.
Darum ja – das ist das beste Selfie eines WirSindDaNichtlers im Donbas. Und solche Funde gibt es in den Waldanlagen des besetzten Donbas Hunderte!
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Quelle: Olena Stepowa für Informationswiderstand; übersetzt von Irina Schlegel; korrigiert von Klaus H. Walter.
CC BY 4.0
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