
Zuerst wurde ich in der Bezirksabteilung der Polizei geschlagen, auf Männerart geschlagen; sie drohten mir: zogen eine Flüssigkeit in eine Spritze auf und sagten, dass sie es mir injizieren werden, dass sie der Gesundheit schaden werden…
Vor einem Jahr und einem Monat fuhr ein Lemberger Student aus geschäftlichen Gründen nach Russland und verbrachte insgesamt ein Jahr in russischen Gefängnissen, weil er sich weigerte, im Fernsehen mit einem freimütigen Geständnis im Terrorismus aufzutreten. Vor kurzem konnte ich diesen Ukrainer ausfindig machen. Vor euch liegt eine grauenhaft detaillierte Erzählung von Yuri Jazenko über Folter und Anklagen in Spionage, Schmuggel und Drogenbesitz. Er gab nicht auf und seine Geschichte nahm ein glückliches Ende.
– Wann wurden Sie festgenommen?
– Am 5. Mai 2014 kamen ich und mein Freund nach Russland, in die Oblast Kursk. Wir kauften und verkauften Elektronik: mit einem Preisaufschlag verkauften wir das weiter, was wir in der Ukraine gekauft hatten und verkauften in der Ukraine russische Waren. An der Grenze erläuterten wir den Grund unserer Einreise nach Russland – „Privatreise“.
Dies ist der häufigste Grund und darunter können verschiedene Arten von Tätigkeiten verstanden werden. Am 5. Mai nahmen wir uns ein Hotelzimmer in der Stadt Obojan und am Morgen des 6. Mai klopfte ein Kriminalbeamter an unsere Hotelzimmertür.
Er sagte, dass eine Prüfung der Dokumente erforderlich ist und dass es eine übliche Formalität vor den Mai-Feiertagen sei. Man brachte uns zur Polizeistation, es wurden Fingerabdrücke genommen und sie überprüften uns in allen Datenbänken. Sie sahen sich die Schultern an, ob es keine Abdrücke vom Tragen einer Waffe und Einstiche gab.
– Dachten sie, dass ihr ukrainische Terroristen seid?
– Sie fragten, ob wir etwas mit dem Maidan zu tun hätten. Wir sagten, dass wir es nicht haben. Dann kam ein Mitarbeiter der örtlichen FSB-Bezirksabteilung. Er fing an, uns über den Maidan zu befragen, fragte, ob wir etwas mit den Ereignissen in Odessa zu tun hätten: wir sagten wieder, dass wir es nicht haben. Am Abend versprachen die Polizisten uns freizulassen. Aber es kam wieder ein Mitarbeiter der FSB-Bezirksabteilung und diesmal brachte er Fotos von mir auf dem „Euromaidan“ mit.
– Waren sie wirklich auf dem Maidan?
– Ja, ich war oft auf dem friedlichen Maidan, aber ich hatte nichts mit radikalen Organisationen gemein. Der FSB-Mitarbeiter fragte mich: „Wie kommt es? Zuerst sagtest du, dass du nicht auf dem Maidan gewesen seist, es gibt jedoch Fotos, die das Gegenteil beweisen“.
Ich sagte, ich wisse wie in Russland auf den Maidan reagiert wird und habe deshalb nichts gesagt, erst recht, da ich dort mit dem friedlichen Ziel zum Schutz der Gesellschaftsrechte war.
– Haben sie nach einem Anwalt verlangt?
– Ja, ich habe sofort nach einem Anwalt gefragt und bat um die Erlaubnis meine Verwandten anrufen zu dürfen. Doch sie reagierten überhaupt nicht auf meine Bitten und meinen Freund vernahmen sie in einem anderen Zimmer.
Am nächsten Tag kam eine ganze Abteilung der Spionageabwehr aus der Oblast Kursk: solch robuste, kräftige Kerle mit ernsten Gesichtern. Sie sagten, dass sie mit uns „arbeiten“ werden.
– Was meinten sie damit?
– Sie sagten: „Ihr müsst im russischen Fernsehen eine Stellungnahme machen, sagen, dass euch die Ukrainer mit dem Ziel geschickt haben, anti-russisische Aktivitäten zu betreiben. Wenn ihr euch darum sorgt, dass ihr Probleme in eurer Heimat bekommt, dann ist Russland bereit euch Asyl und die russische Staatsbürgerschaft zu gewähren, aber ihr werdet die ukrainische Staatsbürgerschaft ablehnen müssen. Und wenn ihr nicht wollt – nehmt einfach Stellung im Fernsehen und dann könnt ihr fahren wohin ihr wollt: durch Russland oder in die Ukraine“.
– Habt ihr zugestimmt?
– Nein, ich habe abgelehnt. Mir wurde auch der Paragraph im russischen Strafgesetzbuch gezeigt, in dem steht, dass wenn der Angeklagte nach dem „Spionage“-Artikel mit den Behörden kooperiere, „aktiv Buße tue“, dann befreie er sich von der strafrechtlichen Verantwortung. Ich habe diesen Bedingungen nicht zugestimmt.
In der ersten Runde
– Und was ist danach geschehen?
– Man fing an mich zu schlagen. Zuerst wurde ich in der Bezirksabteilung der Polizei geschlagen, auf Männerart geschlagen; sie drohten mir: zogen eine Flüssigkeit in eine Spritze auf und sagten, dass sie es mir injizieren werden, dass sie der Gesundheit schaden werden. Das waren die ersten drei Tage. Dann wurde in den Akten der Anklage dazu geschrieben, dass eine „Prüfung durchgeführt wurde“, bei der ein Mitarbeiter des operativen Dienstes der Spionageabwehr, ein Spezialist der nonverbalen Kommunikation und andere teilnahmen. Danach überführten sie mich in die Bezirksabteilung des FSB der Stadt Obojan, Oblast Kursk.
In der Regel führten fünf Personen die Gespräche. Anfangs waren es Mitarbeiter der FSB-Bezirksabteilung Kursk, später reisten schon Personen aus Moskau an.
Sie sagten: „Jetzt weiß keiner wo du dich befindest, wir übergeben dich Kadyrow, du wirst zu seinem Hund“. Sie drohten mir, ich verabschiedete mich von meiner Freiheit und von meinem Leben, weil sie wissen wie man droht. Drei Tage ließen sie mich nicht schlafen, gaben mir nichts zu essen. Sie verließen den Raum, kamen wieder und sagten: „Dein Freund Bohdan hat gegen dich ausgesagt“.
Dann kam ein Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdienstes und sagte, er hätte keinerlei Informationen darüber, dass wir die Grenze legal überquert hätten. Ich sagte, das alles sei auf Videokameras zu sehen: auf der ukrainischen Grenze und auch auf der russischen. Und er: „Ich habe nichts derartiges in meiner Datenbank. Ich werde gegen sie Klage einreichen, da sie die Verwaltungsgesetze von Russland verletzt haben“.
Wir wurden zum Gericht geführt und dort stellte sich heraus, dass der Föderale Migrationsdienst eine Anklage wegen falscher Angaben zum Grund unserer Reise nach Russland eingereicht hat: der Föderale Migrationsdienst meinte quasi, dass wir zu „touristischen“ und nicht „privaten“ Zwecken eingereist sind.
– Das ist doch Unsinn.
– Ja, denn das ist unmöglich zu trennen. Und was interessant ist: nach einem Gerichtsbeschluss sollte man mich und Bohdan innerhalb von zehn Tagen in die Ukraine abschieben und die Einreise nach Russland in Zukunft verbieten. Ehrlich gesagt, wollte ich überhaupt nicht mehr nach Russland zurückkehren. Also saßen wir zehn Tage in der Haftanstalt für ausländische Bürger. Die Zustände sind dort schlimmer als in der Untersuchungshaft: die Zellen sind überfüllt, Steckdosen gibt es nicht, duschen kann man nur kalt.
Es vergingen zehn Tage – aber wir wurden nicht in die Ukraine abgeschoben. Die Verwandten wussten nach wie vor nichts von uns. Wir sind einfach verschwunden. Und dann gelang es mir, mit einem Zellengenossen, den man in die Ukraine abschob, eine Notiz darüber zu übergeben, dass ich in Schwierigkeiten stecke und dringend einen Anwalt brauche.
Am nächsten Tag kam ein von meinem Freund durch das Internet engagierter Anwalt zu mir. Der Anwalt sagte, dass er sich um meinen Fall kümmern und eine Beschwerde einlegen wird, warum die Entscheidung des Gerichts nicht befolgt wird und ich nicht in die Ukraine abgeschoben werde. Die FSB-Mitarbeiter wunderten sich, wie ich einen Anwalt bekommen konnte. Und in ein oder zwei Tagen kam der Speznas des FSB mit Mitarbeitern des operativen Dienstes. Man holte mich aus der Zelle, mir wurden Handschellen angelegt, ein Sack über den Kopf gezogen. Die Kerle vom Speznas – maskiert: ich begriff, dass sie mich schlagen werden. Sie setzten mich auf den Rücksitz des UAZ und schlugen drauf los: in den Bauch, in den Kopf. Sie drohten, schrien. Dann kündigten sie an: „Gleich gibt es ein Treffen mit sehr wichtigen Leuten und man solle sich gut benehmen“. Wir erreichten die Bezirksabteilung des FSB der Oblast Kursk. Man nahm mir den Sack ab und führte mich in die Verwaltung, in eine Art Büro. Sofas, ein gedeckter Tisch und es saßen dort zwei seriöse Männer in Anzügen, gutmütig. Es beginnt ein Gespräch: wo ich geboren bin, warum ich auf dem Maidan war und so weiter und sofort.
– Haben sie sich vorgestellt? Haben sie ihre Papiere vorgezeigt?
– Keiner hat sich jemals vorgestellt. Ich habe selbstverständlich immer darum gebeten sich vorzustellen, doch vergeblich. Sie sagten mir erneut, wenn ich hier freikommen möchte, dann muss ich im Fernsehen auftreten und sich mit Journalisten treffen.
Ich wusste, dass ich geschlagen werde und habe das gegessen, was auf dem Tisch lag. Und solche Gespräche dauerten einige Tage: „Sag, dass du von Jarosch aus dem „Rechten Sektor“ bist, sag, dass du von Nalywajtschenko bist (Walentyn Nalywajtschenko – ehemaliger Leiter des SBU Ukraine). Doch ich reagierte auf derartige Sätze nicht und stellte auch keine konkretisierenden Fragen. Sie beteuerten mir, die Macht in der Ukraine sei von den Amerikanern eingenommen worden und wenn ich im russischen Fernsehen auftrete, dann werde ich nicht gegen, sondern für mein Volk kämpfen.
Ich erklärte, dass es mich nicht interessiere und ich es nicht brauche. Dann kamen wieder die maskierten Männer, schlugen mehrmals zu, fingen an mich zu würgen und sagten: „Denk drüber nach“. Und die seriösen Männer in den Anzügen sagten diesen maskierten Männern: „Nehmt ihn mit“. Und ich verstand, dass sie hart zuschlagen werden.
Ich fragte nach der Toilette. Dort schlug ich mich einige Male gegen eine Wandecke, zerschlug mir den Kopf, schlug mir die Stirn auf.
– Warum haben Sie das getan?
– Für gewöhnlich schlagen sie in den Bauch, würgen und hinterlassen keine Spuren. Ich wollte, wenn ich dann in die Haftanstalt zurückgebracht werde, dass der Arzt die Schläge festhalten kann. Ansonsten kannst du nicht beweisen, dass du geschlagen wurdest.
Sie setzten mich wieder in den Kleinbus und dort saßen wieder die maskierten Männer in den Speznas-Uniformen. Sie zogen mir wieder den Sack über den Kopf, legten mir hinten Handschellen an und nach zehn Minuten sind die Hände vollkommen taub geworden. Sie fuhren mich in eine unbekannte Richtung. Ich ahnte, dass sie mich foltern werden. Wir fuhren lange über eine Feldstraße. Ich wurde in den Wald gebracht – ich betete, verabschiedete mich vom Leben. Im UAZ saßen Mitarbeiter des operativen Dienstes des FSB und zwei Speznas-Kämpfer. Einen von ihnen könnte ich wiedererkennen – er hob die Maske an und ich erinnere mich, dass er einen charakteristischen Kiefer hatte.
Als ich aus dem UAZ geschmissen wurde, bekam ich einen mörderischen Schlag in die Leiste. Dann hob man mich am Arm hoch: diese Foltermethode wird als „Schwalbe“ bezeichnet – das ist, wenn die Arme hinten stark verdreht werden.
Wenn du einen Sack über den Kopf hast, weißt du nicht, wohin der nächste Schlag trifft und wenn du zum Beispiel in den Bauch geschlagen wirst, kannst du die Bauchmuskeln nicht anspannen und den Schlag abfedern.
Psychologisch wird es nach zwanzig Minuten beängstigend, man möchte ohnmächtig werden, verschwinden, alles unterschreiben, nur um dieser Folter zu entgehen.
Deshalb liegen diejenigen falsch, die zum Beispiel die Mitangeklagten von Oleh Senzow, die gegen ihn ausgesagt haben, verurteilen: sie haben das getan, weil man unter dieser Folter jede Aussage unterschreiben könnte.
– Was ist dann passiert?
– So verschlugen sie mich wahrscheinlich vierzig Minuten und ich dachte, dass es keine Hoffnung gäbe. Und dann sagte einer von ihnen: „Wenn du dich für solch einen Helden hältst, nehmen wir morgen dich und Bohdan mit und schauen wer von euch länger durchhält“.
Ich wurde in die Haftanstalt gebracht. Ich wusste, ein weiterer Tag unter dieser Folter war unmöglich zu ertragen.
Wie ich von den Zellengenossen erfuhr, war der Leiter der Haftanstalt Fedorinow Dmitrij Semenovitsch früher der Leiter des aktiven Kontrollbereichs in der Oblast Kursk. Ich sagte ihm: „Ich will die Verletzungen aufnehmen und meinen Anwalt anrufen“. Er ließ mich ausreden und sagte: „Täubchen, ich weiß, was dir passiert ist. Morgen werden die Jungs noch einmal mit dir arbeiten, du legst dein Geständnis ab und dann wirst du auch einen Anwalt bekommen“.
In Runde zwei
Nach zwei Wochen in der Haftanstalt lernte ich bereits ein wenig, wie man im Gefängnis sitzt, wusste wie ich mich mit Bohdan in Verbindung setzen kann: du trennst eine Socke bis auf die Fäden auf und schickst die „Straße“ in die andere Zelle. So übergab ich ihm eine Notiz darüber, dass die Folter nicht auszuhalten sei und man mit sich etwas machen müsste, um ins Krankenhaus zu kommen.
Am Morgen sollten wir abgeholt und rausgefahren werden und wir einigten uns mit Bohdan darauf, dass wir uns zeitgleich aufschneiden werden. Ich gab ihm ein Zeichen und wir gingen gleichzeitig auf die Toilette. Rasierklingen werden offiziell herausgegeben – sie sind stumpf, sich mit ihnen zu schneiden ist schwierig aber nicht unmöglich.
Ich zerschnitt mir die Venen am Arm – war ein relativ tiefer Schnitt. Den Bauch schnitt ich ebenfalls auf und wartete bis viel Blut floss. Und damit sie sich eine Vorstellung darüber machen können: es gab eine ganze Blutfontäne.
Ich wartete einige Minuten ab, bis ich mehr Blut verlor.
Mir war klar, dass ich meinen Körper zu einem Zustand bringen muss, bei dem man mich nicht foltern könnte. Ich wusste, dass das Risiko für das Leben gering war, aber mich zu foltern wäre nicht möglich gewesen, weil ich das Bewusstsein verlieren würde.
Ich verlor recht viel Blut: die gesamte Hose war durchnässt, das ganze Hemd und der gesamte Toilettenboden waren voller Blut. Ich verließ die Toilette und wir riefen mit unseren Zellengenossen die Wachen. Bohdan, der sich ebenfalls aufschlitzte, wurde bereits in die örtliche Sanitätsstelle eingeliefert.
Ich stellte mich vor die Videokamera und sagte, dass ich es nicht erlauben werde, meinen Bauch zuzunähen, bis man mir nicht erlaubt den Anwalt anzurufen. Die Mitarbeiter der Haftanstalt sorgten sich darum, dass ich nicht sterbe und nach genau einer Minute gaben sie mir ein Mobiltelefon. Ich habe mit der rechten Hand gewählt, rief den Anwalt und den Freund in der Ukraine an. Ich wusste, dass mein Freund mir sehr rasch helfen wird. Er hat praktisch in zwei Tagen alle zusammen getrommelt: es kam der ukrainische Generalkonsul in Russland Gennady Breskalenko und meine Verwandten.
Ich wurde ins örtliche Krankenhaus gebracht: man musste viele Gefäße vernähen. Dort in der Chirurgie sagte der Psychologe der Haftanstalt zum Chirurgen: „Nähe ihn ohne Narkose zu“. Ich fragte warum?
„Wenn du dich schneiden kannst – dann lerne zu ertragen!“ – sagten sie mir.
Die linke Hand war drei Monate lang taub.
Danach brachte man mich zurück in die Haftanstalt. Seitdem hatte ich immer eine Rasierklinge des Rasierers bei mir: in den Stiefeln, in den Nähten und sobald die Zellen aufgingen und jemand reinkam, hielt ich sofort die Rasierklinge an mein Hals und sagte, ich würde mir die Halsschlagader öffnen.
Ende Mai kam der Konsul. Freunde und Verwandte in der Ukraine regten viel Aufmerksamkeit auf, damit ich in die Ukraine abgeschoben werde. Doch dieses Gerichtsurteil wurde nicht eingehalten.
– Warum schob man Sie nicht ab?
– Eines Tages sind Gerichtsdiener erschienen und sagten, dass sie den Gerichtsbeschluss vollziehen und wir abgeschoben werden. Und unsere Eltern standen vor der Haftanstalt Wache, um dafür zu sorgen, dass man uns nicht irgendwo in ein Wald abtransportiert.
Außerdem gelang es uns ein Mobiltelefon in die Zelle zu bekommen – erhalten haben wir es aus der Nachbarzelle. Und ich war immer in Kontakt mit den Verwandten.
Wir wurden zur Grenze gebracht und nach einer Stunde kam der Hauptgerichtsdiener und sagte, dass wir wieder umkehren müssen, da angeblich irgendwelche Dokumente fehlten.
– War das eine weitere Täuschung?
– Wir wurden zurück gebracht und ich sagte den Jungs in der Zelle, wenn mich anstatt Gerichtsdienern FSB-Mitarbeiter abholen kommen, dann werde ich schreien und sie sollen meine Eltern und den Konsul anrufen. Dann kamen Mitarbeiter der Haftanstalt: „Jazenko, die Gerichtsdiener sind gekommen“. Ich kam raus und sah, wie Bohdan von Speznas-Kämpfern des FSB festgehalten wurde. Ich schrie: „Ich brauche einen Anwalt!“ und schlug meinen Kopf gegen das Gitter. Man fesselte mich, die Jungs in der Haftanstalt zerbrachen die Fenster und riefen meine Eltern an. Ich wurde in die Bezirksabteilung des FSB gebracht. (Im Gegensatz zu Yuri wurde Bohdan drei Monate nach seiner Festnahme in die Ukraine abgeschoben. – Offenes Russland)
In der dritten Runde
– Nach welchem Paragraphen wurde die Anklage erhoben?
– „Schmuggel von explosiven Materialien“, §222, Teil1 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation.
2014 war ich fünfmal in Russland und auch im November 2014. In meiner Anklage tauchte ein Taxifahrer auf. Dieser sagte aus, ich hätte ihm damals eine Tasche da gelassen. Er wusste nicht, was drin wäre, doch nun übergab er sie an das FSB und sie fanden 40 Gramm Schießpulver in ihr.
Als ich im Wald gefoltert wurde, hielt man mir eine Waffe an den Kopf und sie haben mehrere Male abgedrückt; ich dachte, dass sie mir diese Waffe später unterschieben werden. Doch sie schoben mir das Schießpulver unter.
Sie versprachen mir: „Entweder du kooperierst oder wir buchten dich ein“. Sie sagten mir ständig: „Wir sind ein allmächtiger Dienst; denkst du, dass die Staatsanwaltschaft nicht auf uns hört, dass das Gericht nicht auf uns hört? Ich weiß: sie hatten recht, ihr Wort haben sie gehalten. Es kam zur Gerichtsverhandlung, ich wurde verhaftet und in die Untersuchungshaft der Stadt Kursk gebracht.
Dort ist es schrecklich – offene Toiletten, seit den Sowjetzeiten gab es keine Renovierung. Über den Hof rennen Ratten, wie in einem indischen Tempel. Die Ratten verenden und keiner räumt sie weg – es steht ein übler Geruch.
– Wie viel Zeit haben Sie in dieser Untersuchungshaft verbracht?
– Ich saß dort drei Monate ein und dann brachte man mich in die Untersuchungshaft nach Belgorod. Dort war der Ermittler des FSB adäquat und zu mir kamen zwei Anwälte, zugewiesen von russischen Menschenrechtlern, mit denen sich meine Verwandten und Freunde in Verbindung gesetzt haben: die Anwälte Oleg Sabanzew aus Belgorod und Pjotr Saikin aus Nischni Nowgorod. Nach zwei Monaten versprach mir der Ermittler, dass die verfahrenssichernden Ermittlungsmaßnahmen für mich nicht verlängert und ich freigelassen werde.
Doch später, offenbar nach Rücksprache mit dem Moskauer FSB, wurde das Ermittlungsverfahren gegen mich weitergeführt. Ich merkte, sobald sich die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland verbesserten, sagte der Ermittler, dass ich jeden Augenblick freigelassen werde. Dann änderte sich die Lage und gegen mich lief weiter das Ermittlungsverfahren.
– Gab es auch Ratten in der Untersuchungshaft von Belgorod?
– Nein, dort lebten Mäuse in den Zellen. Mit mir saß ein verrückter Zellengenosse, der glaubte, dass man uns diese Mäuse absichtlich unterschiebt.
– Hat man von Ihnen ein Geständnis gefordert?
– Die Mitarbeiter des Untersuchungsgefängnisses und die Zellengenossen, die sie zu mir setzten, sagten immer: „Sag dem Anwalt, dass sie dich in der Ukraine anklagen sollen“.
– Wozu?
– Damit Russland mich an die Ukraine ausliefert.
– Soviel ich weiß, lief in der Ukraine zu dieser Zeit eine große Schutzkampagne – in der Presse erschienen Artikel über Ihren Fall.
– Ja und jedes Mal, wenn ein Artikel erschien, wurde ich zum Ermittler zitiert. In Belgorod zitierte mich der Ermittler einmal im Monat zu sich. Er übte keinen Druck mehr auf mich aus. Zur Unterredung wurde ich von dem Mitarbeiter des operativen Dienstes des Untersuchungsgefängnisses aufgefordert: zehn Mitarbeiter des operativen Dienstes schlossen mich in die „Box“ ein, drohten mir, schlugen mich jedoch nicht mehr.
– Warum wurden Sie dennoch freigelassen?
– Zuerst strichen sie den Tatbestand des „Schmuggels“ aus der Anklage. Das war im Januar. Der Ermittler sagte mir, dass der Fall auf „Besitz von explosiven Materialien“ umgewandelt wird, um mich „fürs bereits Abgesessene“ freizulassen. Die Sanktion – zwischen null und vier Jahren Freiheitsentzug. Der Besitz von 40 Gramm Schießpulver, der mir zugeschrieben wurde, ist keine strafbare Handlung; dafür wird man in der Regel nicht der Freiheit beraubt.
– Wie wurde ihre Freilassung juristisch abgefertigt?
– Ich weiß, dass mein Ermittler zu dem Abteilungschef ging, um mich „fürs Abgesessene“ freizulassen. Er wusste, dass es bereits großes Aufsehen gab und dass es noch mehr geben wird. Also begann im Februar 2015 die Gerichtsverhandlung, ich machte keinerlei Aussagen. Der Staatsanwalt forderte zweieinhalb Jahre Freiheitsentzug. Am 10 März sprach der Richter das Urteil: zwei Jahre.
Und dann kam es zur Berufung. Der Richter ließ den Anwalt nicht sprechen. Der Anwalt Pjotr Saikin protestierte, die Verhandlung wurde vertagt. Und zur nächsten Verhandlung lud der Anwalt einen ganzen Saal von Journalisten ein. Ich wurde nicht zum Gericht gebracht und verfolgte in der Untersuchungshaft die Verhandlung über Videokonferenz. Ich bemerkte, dass sehr viele Journalisten im Saal waren und ich sprach ein langes Schlusswort. Der Richter kam raus und sagte: „Neun Monate Freiheitsentzug“.
– Warum? Hat man ihn dazu angewiesen?
– Ich weiß es nicht. Die Entscheidung des Berufungsgerichts fiel am 28. April und ich kam am 7. Mai 2015 auf freien Fuß. Es vergingen ein Jahr und zwei Tage seit der Festnahme in Russland.
– Sie sind seit fast einem Monat in Freiheit, unterhielten sich in Kiew mit verschiedenen Politikern, Menschenrechtlern. Wissen Sie, weshalb Sie nun freigelassen wurden?
– Eine eindeutige Antwort wird mir keiner geben. Wie der FSB die Entscheidungen, die es trifft, begründet, weiß niemand. Ich wollte nicht mit dem Ermittler kooperieren, deshalb wurde ich völlig nutzlos für den Informationskrieg. Wenn man das in Geld und Arbeitsstunden rechnet- wie viel Geld in die Ausarbeitung dieses Falls gesteckt wurde, dann sind es fast zweihunderttausend US-Dollar. Denn in diesem Fall waren unterschiedliche Gruppen von Mitarbeitern involviert: Ermittler, Mitarbeiter des operativen Dienstes und Begleitung. Ich wurde ständig von einem Ort zum anderen gebracht.
– Was machen Sie jetzt?
– Ich schreibe mein Jura-Staatsexamen für Verfassungsrecht; schließe meine juristische Ausbildung ab; helfe der Organisation „Euromaidan SOS“ bei die Kampagne für die Freilassung von politischen ukrainischen Gefangenen. Ich lebe.
Quelle: szona.org; übersetzt von Kateryna Matey; redaktiert von Irina Schlegel.
One Response to “„Wir übergeben dich Kadyrow – du wirst zu seinem Hund“ – Lemberger Student über die Hölle in der russischen Gefangenschaft”
28/12/2017
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