
von Irina Schlegel
Gestern fand am Checkpoint Majorsk nahe des besetzten Horliwka im Gebiet Donezk der Ukraine ein Gefangenenaustausch statt. 74 Ukrainer, die in Gefangenschaft im besetzten Teil des Donbas waren, wurden gegen etwa 250 prorussische Söldner und Kollaborateure ausgetauscht und sind nun frei.
Darüber schrieb Irina Luzenko, Vertreterin des Präsidenten Poroschenko bei der Werchowna Rada, auf ihrer FB-Seite: „Gute Nachrichten, über die man bereits sprechen darf. Der Gefangenenaustausch ist beendet. Die Ukraine hat 74 ihrer Bürger zurückbekommen, die in Gefangenschaft im besetzten Teil des Donbas waren. Sie kommen zurück nach hause!“.
Das ist der erste Gefangenenaustausch eines solchen Ausmaßes in den letzten zwei Jahren. Von den 74 ukrainischen Geiseln waren 16 in Gefangenschaft in der sogenannten „LVR“, die restlichen 58 befanden sich im besetzten Teil des Gebiets Donezk.
In diesen dreieinhalb Jahren Krieg Russlands gegen die Ukraine gab es viele Meldungen über die Schrecken der russischen Gefangenschaft. Angefangen bei dem absurden Urteil gegen den ukrainischen Regisseur Oleh Senzow, der aus seiner eigenen Heimatstadt Simferopol auf der Krim von russischen Geheimdiensten entführt und in Russland zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, und der nun im fernsten Sibirien unter äußerst harten Bedingungen im Gefängnis gehalten wird.
Die Leiterin des Odessa Crisis Media Zentrums Olena Balaba schrieb noch im Jahr 2014:
„Und unsere Gefangene gibt es dort noch immer viele, und sie machen nur die Drecksarbeit. Und alle, die aus der Gefangenschaft zurückkommen, sagen, dass all die Filme über deutsche Faschisten sehr human sind, im Vergleich zu Separatisten oder Russen. Kämpfer, die von der Front zurückgekommen sind, sagen, dass nach Ilowajsk die Russen versuchen, keine Gefangenen mehr zu nehmen – Verwundete werden auf der Stelle erschossen. „Ich hab’s durchs Fernglas gesehen. Sie stellen sie auf die Knien und schießen ihnen nicht mal in den Hinterkopf – sie schießen frontal, die Drecksäcke“. Das wird von der OSZE ja nicht aufgenommen, nicht wahr? Richtig, weil ihre Vertreter in der Ostukraine überwiegend pro-putin sind, sie möchten so etwas nicht festhalten. Die Kämpfer der Freiwilligenbataillonen, besonders aus „Azow“, „Donbas“, „Rechter Sektor“, „OUN“ bemühen sich drum, gar nicht in Gefangenschaft zu geraten, um der Folter nicht ausgesetzt zu werden. Die Jungs sagen es auch so: Besser gleich sterben, als gefangen genommen zu werden“
(Siehe: „Fünf Fakten über den Donbaskrieg“).
Über den grausamen Umgang mit ukrainischen Soldaten, die in Gefangenschaft der russischen Marionetten-Republiken geraten, schrieben auch Dutzende deutsche Quellen.
Auch diejenigen Ukrainer, die aus der russischen Gefangenschaft früher zurückgekommen sind, berichteten über ihre schlimmen Erfahrungen, wie zum Beispiel ein Student aus Lwiw, der Mai 2015 in die Heimat zurückkehrte, namens Juri Jazenko – Näheres dazu hier: „Wir übergeben dich Kadyrow – du wirst zu seinem Hund“ – Lemberger Student über die Hölle in der russischen Gefangenschaft“.
Fotos der ukrainischen Gefangenen, die am 24. August 2014 (Anm.d.Red.: 24. August ist der Unabhängigkeitstag der Ukraine, was das Ganze noch perfider macht) entgegen allen menschlichen, moralischen Regeln und selbst entgegen dem Kriegsvölkerrecht bei einer „Gefangenen-Parade“ in Donezk vorgeführt wurden, gingen ebenfalls um die ganze Welt.

Armed pro-Russian separatists escort a column of Ukrainian prisoners of war (C) as they walk across central Donetsk August 24, 2014. Pro-Russian separatist rebels force-marched dozens of Ukrainian prisoners of war along the main street of the rebel-held Ukrainian town of Donetsk on Sunday. REUTERS/Maxim Shemetov (UKRAINE – Tags: POLITICS CIVIL UNREST TPX IMAGES OF THE DAY)
Polnische Abgeordnete Małgorzata Maria Gosiewska veröffentlichte Ende Dezember 2015 ihren Bericht „Russische Kriegsverbrechen 2014 in der Ostukraine“ über das verbrecherische Vorgehen der russischen Armee und prorussischer Söldner im besetzten Teil des Donbas.
Der Bericht, der 153 Seiten umfasst, wurde auf der Basis von über 60 Interviews erstellt, die polnische Experten mit den ehemaligen ukrainischen Gefangenen geführt haben. „Es handelt sich um solche Verbrechen wie Freiheitsberaubung, physische und psychische Folter, Raub und Mord. Ein Teil der Unterlagen schockiert wegen seiner außerordentlichen Grausamkeit,“ steht auf ihrer FB-Seite.
Diese Tatsache ist wohl auch der Grund dafür, dass bei dem gestrigen Gefangenenaustausch Dutzende Menschen nicht auf die andere Seite ausgetauscht werden wollten und sich dafür aussprachen, in ukrainischer Haft sitzen zu bleiben.
Die ukrainische Seite musste nämlich 306 Festgenommene an die anderen Seite übergeben, 46 davon haben aber ihre Strafe in der ukrainischen Haft bereits abgesessen und wurden freigelassen – niemand von ihnen wollte zum Austausch kommen und wieder auf die andere Seite gelangen. Weitere 10-15 Menschen sind zwar zum Austausch gekommen, haben sich aber geweigert, ausgetauscht zu werden.
Ein Journalist des ukrainischen Fernsehsenders TSN sprach mit drei von diesen Männern. Einer von ihnen wurde der Beteiligung an tragischen Ereignissen am 2. Mai 2014 in Odessa beschuldigt. Er steht unter Hausarrest. Er sagte, er möchte lieber weiterhin unter Hausarrest stehen, auf keinen Fall aber ausgetauscht werden. Ein anderer Mann wurde festgenommen, da er sich an illegalen bewaffneten Formationen im besetzten Teil des Donbas beteiligte, und zu acht Jahren Haft verurteilt. Er sitzt seine Strafe bereits ab und sagt, dass es ihm lieber sei, die ganze Strafe abzusitzen und „vor dem Gesetz sauber zu sein“, als ausgetauscht zu werden. „Lieber Knast, als Austausch“, sagte er. Weitere 10 bis 15 Menschen möchten ebenfalls in der freien Ukraine bleiben, selbst wenn ihnen eine Haftstrafe droht. Sie wurden trotzdem zum Austausch gebracht, um den Söldnern zu zeigen, dass man sich an die Bedingungen des Austauschs gehalten habe – dann haben sie gewisse Dokumente unterzeichnet, dass sie nicht ausgetauscht werden wollen, und sind in der Ukraine geblieben.
Angekommen in Borispol, Kyjiw
Es war gestern ein wirklich freudiges Ereignis, denn 74 gerettete ukrainische Verteidiger sind nun endlich zu hause und frei. Es gibt aber noch weitere 103 Gefangene im besetzten Teil des Donbas, Dutzende Ukrainer werden in Gefängnissen in Russland gehalten, weitere 402 gelten als Vermisst. Wir müssen jeden einzelnen von ihnen finden und zurück nach hause bringen.
Dieser Artikel wurde von Irina Schlegel exklusiv für InformNapalmDeutsch vorbereitet; Titelbild: Reuters.
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