Allen ist klar, dass der Krieg naht, aber man kann nichts dagegen tun, weil der FSB die Macht in Russland ergriffen hat. Das ist das einzige, was mich tatsächlich erschüttert: Die allgemeine Erkenntnis – in Russland und außerhalb – dass der Krieg unausweichlich ist, dass die russische Armee schon an der Grenze zur Ukraine konzentriert ist, dass die Offensive höchstwahrscheinlich vom Osten (aus Russland) und vom Süden (von der Krim) beginnen wird. Zu diesem Zweck wurde auch die Krim besetzt: für die Erschaffung einer Aufmarschbasis. Es ist offensichtlich, dass dieser Krieg im August oder September anfängt.
Auf dem Kalender ist es schon August. Zum Jahrestag des 1. Weltkrieges, durch all die Schrecken und die Lehren des 2., treten wir ruhig in den 3.. Und nichts wird ihn verhindern können, denn so wie bei dem 1., wie beim 2., rechnet die Angreiferseite damit, dass das Opfer sich ohne Widerstand ergibt – und es somit eigentlich gar keinen Krieg geben wird. Damit rechnete Österreich-Ungarn 1914, sich für den Mord am Erzherzog rächen wollend; damit rechnete auch Deutschland, belastet durch die Idee der Vereinigung aller Deutschen im Rahmen eines einheitlichen Staates… Damit rechnen auch die FSB-Generäle Sergej und Wiktor Iwanow, und alle anderen Menschen mit Schulterklappen, die in Russland am Steuer der Macht sind und nun die Absicht haben, im Rahmen eines neuen Imperiums die ganze “Russische Welt” zu vereinen, möge sie noch so schlecht Russisch sprechen, mit Akzent, oder auf Russisch nur schimpfen können – egal, wie immer es fällt.
“Die russische Welt” – das ist es, wofür der neue Weltkrieg angezettelt wird: Die ganze Welt soll sich der Herrlichkeit Russlands bewusst werden (Wie einst Europa sich der Herrlichkeit Deutschlands bewusst werden sollte, und Asien und Amerika der Herrlichkeit Japans). Jede Seite hat ihre eigene Wahrheit, denn jeder stützt sich auf Fakten, die sich von den Fakten der anderen Seite unterscheiden. In alten Zeiten sind zwei Armeen in einer Schlacht aufeinandergeprallt, und jede schrie: “Gott sei mit uns!”, wobei der gesunde Menschenverstand doch zuflüsterte, dass Gott auf keinen Fall gleichzeitig mit beiden sein kann, wenn er doch immer auf der Seite des Siegers ist… Aber den gesunden Menschenverstand gibt es normalerweise bei Kriegen nicht (sonst würden sie gar nicht anfangen).
Schon seit mehreren Monaten spricht man in Europa, USA und Russland über den Krieg wie über etwas absolut Alltägliches und Unausweichliches, dabei erwähnt man flüchtig den Atomwaffenbestand. Wegen der “Russischen Welt”, die es nie gegeben hat und auch nicht gibt, denn die meisten Russen wurden von Russen selbst vernichtet, sind die Russen wieder an den Rand des Abgrunds gekommen: Sie werden wieder von wahnsinnigen Regierenden in den Krieg geschickt. Nur ist es diesmal kein Lenin oder Stalin, noch nicht mal Breschnew, sondern eine Gruppe von Offizieren und Generälen des KGB-FSB, die Russland in einer mehrzügigen Operation in ihre Gewalt gebracht haben.
Selbstverständlich werden in diesem Krieg nicht nur Russen sterben (und das ist eine große “Erleichterung”). Aber es werden in diesem Krieg wie immer mehr Russen sterben, als alle anderen. Diesmal wird der Krieg nicht für die Weltherrschaft des Kommunismus ausgetragen, sondern für die “Russische Welt”, aber deswegen werden es nicht weniger Särge sein. Wie immer wird sie keiner zählen; wie immer wird das russische Staatsfernsehen sie nicht zeigen. Aber der Enthusiasmus, mit dem man heute in Russland über den Krieg gegen die Ukraine spricht, wird sogar bei den russischen Politikern verschwinden, auch wenn ihre Kinder in der Anfangsphase nicht sterben werden. Es werden andere Kinder sterben.
Soll ich jetzt zum Schluss naiv ausrufen, dass man die russische Aggression gegen die Ukraine um jeden Preis in der Anfangsphase unterbinden muss, solange noch kein großer Krieg ausgebrochen ist? Muss ich. Habe ich! Es wäre gut, wenn dieser hilflose Aufruf in Russland gehört worden wäre. Solange es nicht zu spät ist.
Quelle: Juri Felschtinski im Interview mit Radio Svoboda; übersetzt von Irina Schlegel
One Response to “Juri Felschtinski: Über den zukünftigen Krieg”
25/03/2015
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