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    Juri Felschtinski: der russisch-ukrainische Krieg könnte sich bis zum Jahr 2020 hinausziehen

    on 25/03/2015 | 0 Comment | Aktuell | Expertenmeinungen Print This Post Print This Post

    – Sie sagen, dass hinter dem Mord an Boris Nemzow Putins Regime steht. Warum wurde er umgebracht? Inwieweit war Nemzow ein gefährlicher Gegner für den russischen Präsidenten?

    фель– Ich habe nicht gesagt, Putins Regime stehe hinter dem Mord an Boris Nemzow – ich sagte, dass hinter dem Mord Putin höchstpersönlich steht. Ich bin überzeugt davon, dass ohne seinen Befehl oder sein Einverständnis es niemand gewagt hätte, Boris Nemzow in Moskau auch nur anzurühren. Nemzow wurde zuallererst einmal dafür getötet, dass er der einzige weltbekannte Gegner Putins in Russland blieb, der ihn unter anderem auch für die Okkupation der Krim und die Invasion in die Ostukraine verurteilte. Der zweite Kritiker Putins nach der Popularität – Alexei Nawalny, wohnhaft ebenfalls in Russland, unterstützte immerhin im Gegensatz zu Nemzow mit einigen Vorbehalten die Annexion der Krim und hat in diesem Sinne aufgehört, für Putin gefährlich zu sein.

    Falls Putin aus dem einen oder anderen Grund den Präsidentensessel hätte verlassen müssen, wäre Nemzow in Putins Augen der einzige und führende Anwärter für den Posten des Landespräsidenten geworden. Deshalb war die Beseitigung von Nemzow, hinsichtlich Putins Interessen und der Interessen seines engen Vertrautenkreises, eine absolute Notwendigkeit.

    Mit dem Beginn der Aggression gegen die Ukraine im März 2014 zerstörte Putin eigenhändig die Stabilität des von ihm erbauten Regimes. Im Heute kann sich aufgrund der Kampfhandlungen in der Ukraine niemand mehr seiner Zukunft sicher sein, unter anderem auch Putin nicht. Die Beseitigung des wichtigsten politischen Gegners in Zeiten einer Krise – ein natürlicher Reflex jedes Tyrannen. Putin ist nicht zur Ausnahme geworden.

    – Nemzow plante einen Bericht über die Beteiligung Russlands am Krieg in der Ukraine zu veröffentlichen. Halten Sie speziell das für das Mordmotiv?

    – Für die Meinung der internationalen Weltgemeinschaft wäre die Publikation dieses Materials nichts Sensationelles. Wir verstehen, dass hinter dem Militäreinsatz in der Ostukraine Russland steht; wir wissen, dass sich dort russische gepanzerte Fahrzeuge und sonstige moderne russische Ausrüstung befindet; wir sehen, wie im Donbass und in Luhansk russische Truppen kämpfen. Etwas anderes ist, dass die Veröffentlichung der Dokumente durch ein ehemaliges Mitglied des Ministerkabinetts der russischen Regierung, die die Beteiligung von russischen Truppen in der Ukraine untermauern, Nemzow in Putins Augen zu einem „Verräter“ machte und ihm die Entscheidung, das Todesurteil für seinen politischen Gegner und Konkurrenten zu erlassen, erleichterte. In diesem Sinne konnte Nemzows Ankündigung der Absicht, die Dokumente veröffentlichen zu wollen, der letzte Tropfen gewesen sein, das letzte Zünglein an der Waage für das Todesurteil. Aus Putins Sicht ist Russland in einen Krieg involviert und in Zeiten des Krieges gilt das Kriegsrecht. Und genau dieses wandte Putin bei Nemzow an.

    – Mehr als 50 000 Bürger sind in Moskau zur Demonstration gegangen. Sie verurteilten den Mord an Nemzow und den Krieg in der Ukraine. Denken Sie, dass ihre Stimme den politischen Kurs des Kreml ändern kann?

    – Bedauerlicherweise werden diese ehrlichen und mutigen Menschen, die im Gedenken an Nemzow zur Demonstration kamen, in der heutigen russischen Realität nichts ändern können. Vor allen Dingen bildete sich in Russland bereits seit langem das System der „vertikalen Macht“ heraus, bei dem das Volk keinerlei Bezug zur Staatsführung auf zentraler, wie auch der lokalen Ebene, und keinen Einfluss auf die Verwaltungsorgane hat. Sogar wenn sich morgen die gesamte Bevölkerung Russland für den Frieden in der Ukraine ausspricht, wird Putin den Krieg nicht beenden. Er braucht den russischen Wähler nicht mehr, da nicht der Wähler entscheidet, wer genau bei den nächsten Präsidentschaftswahlen gewinnt und welche Politik der Kreml betreibt. In Russland entscheidet dies seit dem Jahr 2000 der im Kreml sitzende Präsident, und nur der. Andererseits ist der Mord an Nemzow ein gewaltiger Schlag gegen die russische Opposition und nach dem Tod von Nemzow wird die Opposition kleiner, und schwächer, und leiser. In diesem Sinne natürlich hat Putin durch den Mord an Nemzow einen dreifachen Nutzen: er beseitigte einen Konkurrenten und schwächte die Opposition, und verstärkte die Front seiner Anhänger, da sie mit dem Mord an Nemzow natürlich wiederbelebt wurde. Sie sind nämlich überzeugt davon, dass Nemzow auf Putins Befehl liquidiert wurde. Die erlogenen Versionen wirft der Kreml der Presse nicht für sie ein, sondern für uns.

    – Die Liste der getöteten Putin-Gegner ist recht lang. Sie haben die Bücher von Beresowski und über Beresowski herausgegeben, Sie kannten Alexander Litwinenko gut. Ähneln sich ihre Todesfälle? Was müssen die Regimegegner verbrochen haben, um auf der „Erschießungsliste“ zu landen?

    – Putin und sein Regime haben im Heute viele Gegner. Deren Großteil befindet sich im Ausland, da der Widerstand gegen die Diktatur aus dem Inneren an Selbstmord grenzt. Das sehen wir am Beispiel einer ganzen Reihe von getöteten Menschen: an der Journalistin Anna Politkowskaja, an den russischen Parlamentsmitgliedern Juri Schekotschihin und Sergei Juschtschenkow. Und nun auch am Beispiel von Boris Nemzow. Putin aus dem Ausland zu kritisieren ist ungefährlicher und gerade deshalb verließen Russland beispielsweise der zehn Jahre eingesessene Michail Chodorkowski und der ehemalige Schach-Weltmeister, eine bekannte Persönlichkeit der russischen Opposition, Gegner Putins und des heutigen Regimes Garri Kasparow. Doch auch der Aufenthalt im Ausland rettet nicht immer und nicht jeden. Die Liste der getöteten oder merkwürdig umgekommenen Gegner im Ausland beschränkt sich nicht nur auf Alexander Litwinenko und Boris Beresowski, jedoch sind diese zwei Beispiele selbstverständlich besonders markant. Das Gemeinsame an diesen Todesfällen ist, dass der im Jahre 2006 vergiftete Litwinenko Berosowskis Mitstreiter in der Konfrontation mit Putin war. Und als Beresowski 2013 in der Schlinge gefunden wurde, überzeugte die Selbstmord-Version viele nicht. Mir scheint diese Version auch nicht ersichtlich und überzeugend. Erst recht, da es in London 2008 bereits einen rätselhaften Tod eines Menschen gab, der Litwinenko und auch Berosowski gut kannte: Beresowskis Partner und Freund Badri Patarkazischwili, auf dessen Namen Beresowskis Vermögenswerte liefen, verstarb überraschend an einem Herzinfarkt. Im Grunde genommen verlor Beresowski eben in diesem Moment all sein Geld. Die gescheiterte Gerichtsklage gegen Roman Abramowitsch versetzte Beresowski in finanzieller Hinsicht den endgültigen Todesstoß. Und die politischen Schlachten gegen seinen Schützling – Wladimir Putin – verlor Beresowski schon früher. Nach dieser doppelten Pleite konnte man Beresowski mit „bloßen Händen“ erringen. Ohne Geld und Schutz war er natürlich sehr verwundbar. Die Frage zu beantworten, warum einige Putin-Gegner bereits tot sind und andere noch leben, ist schwierig. Es ist schwer festzustellen, wie genau und durch wen die Listen der potenzieller Opfer erstellt werden. Putin proklamierte offen, dass in Russland eine „fünfte Kolonne“ existiert, die gegen die Staatsinteressen arbeite; Nationalverräter, die das Land ausliefern. Ob er nun eine vollständige Liste von Gegner für sich erstellt habe oder nicht, lässt sich nur vermuten. Doch im Falle einer Verstärkung der russischen Aggression in der Ukraine, wird die Zahl der zu eliminierenden Gegner Putins in Russland und im Ausland natürlich wachsen. Putin ist – wie auch Stalin es war – ein nachtragender Mensch und bringt gerne das Begonnene zu Ende. Solange der Feind lebt, ist Putin unruhig.

    – Nach UN-Angaben starben schätzungsweise 6000 Menschen im Ukraine-Konflikt. Die UN meldet, dass die Ukraine an der Schwelle zur nächsten Etappe dieses tödlichen Konflikts stehe. Was denken Sie, was in den nächsten paar Monaten in der Ukraine geschieht? Wo gedenken die „prorussischen Separatisten“ zu stoppen?

    – Leider ist die Zahl von 6000 Toten stark untertrieben. Es ist nicht die Schuld der UNO. So ist die Sachlage. Die Territorien der Donezker und Luhansker Gebiete sind durch die russische Armee und Militärtechnik völlig zerstört. Dort gibt es kein einziges unbeschädigtes Haus, keine einzige intakte Familie ist dort geblieben. Jemand starb, jemand ging nach Russland, jemand ist in die Ukraine geflüchtet. Ich denke nicht, dass die prorussischen und russischen Kräfte, die diese Territorien halten, an einer genauen Zählung der infolge des Konfliktes getöteten Menschen interessiert sind oder in der Lage wären, diese Zählung durchzuführen. Ihre eigenen Verluste geben sie zumindest nicht bekannt. Die Zahl der Getöteten unter der Zivilbevölkerung – ebenfalls nicht. Irgendwann einmal werden wir erfahren, wie viele Menschen infolge dieses Krieges getötet wurden. Doch im Moment sind unsere Vorstellungen über die Opferzahlen – wie auch im Fall von zwei Tschetschenien-Kriegen – sehr grob.

    Die Ukraine sollte sich auf einen umfassenden Krieg mit Russland vorbereiten. Sie hätte sie bereits vor Langem darauf vorbereiten müssen. Doch die im Jahr 1991 in ihrer Entwicklung stehengebliebene Ukraine ist ein wirtschaftlich unterentwickeltes Land und es fällt schwer, vernünftige und zügige Handlungen von ihr zu erwarten.

    Putin hat uns in die Zeit von 1938-1945 zurück katapultiert. Wir müssen erkennen, dass wir in einer neuen Welt leben. Diese Welt ist fürchterlich und gefährlich. Je eher diese Gefahr auch die Ukraine und Europa erkennen, umso schneller können wir die Aufmerksamkeit und die Kräfte konzentrieren, um diese Gefahr zu stoppen. Sie auf dem Gebiet der Ukraine aufzuhalten ist einfacher und kostengünstiger. Doch dabei müssen Europa und Amerika der Ukraine helfen: mit Bewaffnung, mit Militär- und Wirtschaftsberatern, mit Geld. Ich betone: das ist der günstigste und einfachste Weg für Europa Russland aufzuhalten – finanziell und mit Bewaffnung (sprich mit dem selben Geld). Die „prorussischen Separatisten“ werden nicht von sich aus aufhören. Die große Frage zunächst, ob diese überhaupt existieren, und wenn sie existieren, dann in welcher Zahl. Ich denke, sie ist unbedeutend. Deshalb hängt von den „Separatisten“ nichts ab. Sie sind nur eine Fassade der russischen Aggression in Europa. Aufhalten muss man nicht die „Separatisten“, sondern Putin, der im Übrigen auch nicht von sich aus aufhören wird. Er wird soviel besetzen, wie man ihm erlauben wird zu besetzen, sowie es stets jeder Aggressor getan hat. Wenn ihm erlaubt wird, den Osten und den Südosten der Ukraine zu besetzen, rückt er in die zentralen und westlichen Regionen des Landes und ins moldauische Transnistrien ein. Nach der anschließenden Eroberung von Weißrussland, schiebt er sich an die Grenzen des Baltikums und Polens vor und wird kaum der Versuchung widerstehen können, im Baltikum einzufallen und das Kaliningrader Gebiet mit dem russischen Festland zu vereinen. Wenn dies auch gelingt, rückt er weiter nach Polen und Finnland, da auch diese Territorien einmal zum Russischen Imperium gehörten. Eine Rechtfertigung für die Aggression wird die russische Propaganda immer finden. Und wenn ihnen dieses Szenario zu pessimistisch und daher unrealistisch erscheint, stellen Sie sich die Frage, ob Sie vor 13 Monaten sich hätten vorstellen können, Zeuge eines russisch-ukrainischen Krieges zu werden. Selbstverständlich haben sie es nicht erwartet. Die Welt hat sich nur innerhalb eines Jahres verändert. Das kommende Jahr wird neue Überraschungen mit sich bringen. Ich denke nicht, dass sie angenehm sein werden.

    – Glauben sie, dass der Konflikt in der Ukraine Polens Sicherheit bedroht?

    – Man muss sehr unbekümmert sein, um zu glauben, dass Polen in der heutigen Situation nichts drohe. Als am Ende des Zweiten Weltkrieges Stalin die Alliierten um das Einverständnis für die Annexion der bis 1939 zu Polen gehörenden Westukraine forderte, entgegnete Churchill, dass Lemberg nie zum Russischen Reich gehörte. „Warschau hingegen schon,“ – antwortete Stalin.

    Putin erinnert sich gut, dass dem Russischen Imperium einmal auch Polen, und Finnland, und sogar Alaska gehörten. Wenn Putin erlaubt wird, Polen einzunehmen, wird er es sicherlich versuchen. Haben sie schon eine „fünfte Kolonne“? Wenn nicht, wird Putin ihre Schaffung finanzieren. Doch zuallererst wird er Weißrussland und das Baltikum einnehmen müssen. In diesem Sinne kann von einem überraschenden Angriff Russlands auf Polen keine Rede sein.

    Die andere Sache ist die, dass man realistisch sein sollte. Im Alleingang kann sich Polen gegen Russland nicht behaupten. Polen unternahm sehr viele selbstmörderische Schritte in seiner Geschichte. Heroische, doch selbstmörderische, und deshalb selbstzerstörerische. Im September 1939 rettete Polen nicht einmal das zuvor unterzeichnete Abkommen über gegenseitige Hilfeleistung mit Großbritannien und Frankreich vor dem deutsch-sowjetischen Überfall. Deshalb ist die elementare außenpolitische Aufgabe der polnischen Regierung im Heute – die Bildung eines mächtigen antirussischen Bündnissystems der Länder der Freien Welt, das fähig ist, sich gegen die russische Aggression in der Ukraine zu behaupten. Die berühmte Parole „Für unsere und eure Freiheit“ steht momentan mehr für die Ukraine, als für sonst etwas anderes. Jetzt ist nicht die Zeit, an das Massaker von Wolhynien und an die Geschichte von jahrhundertealten Konflikten zweier benachbarter Völker zu erinnern (die Listen von gegenseitigen Vorwürfen beliebiger benachbarter Völker sind endlos), weil diese Bedrohung aufgehalten werden muss, die sich für Polen ernster als die durch Hitler oder Stalin erweisen könnte, da Putins Russland auch Atomwaffen zur Verfügung stehen.

    Die Unabhängigkeit und Integrität Polens ist durch ersichtliche Faktoren garantiert: die NATO-Mitgliedschaft, wenn man die militärische Seite des Problems betrachtet; die EU-Mitgliedschaft, wenn man die wirtschaftspolitische Sachlage im Auge hat; das Fehlen einer gemeinsamen Grenze mit Russland, wenn man sein Augenmerk auf den geopolitischen Aspekt richtet, weshalb Polen zutiefst an der Unabhängigkeit von der Ukraine, und von Weißrussland, und Litauen interessiert ist. Der Verlust der Unabhängigkeit eines dieser Territorien führt zwangsläufig zur Schaffung einer gemeinsamen Grenze mit der Russischen Föderation, mit all ihren Konsequenzen.

    – Der Titel ihres neuen Buches: „Der Dritte Weltkrieg: die Schlacht um die Ukraine“ impliziert, dass wir uns auf das Schlimmste vorbereiten müssen. Für wie wahrscheinlich halten Sie im Heute einen globalen Konflikt?

    – Ich denke, dass dieser Konflikt bereits begonnen hat. In den Jahren 1938-39 nahm Hitler stückchenweise die Tschechoslowakei ein. Dennoch ist diese Okkupation in die formale Geschichtserzählung des Zweiten Weltkrieges nicht eingegangen, da es vor dem September 1939 durchgeführt wurde. Die Tatsache, dass heute nur die Ukraine Russlands Aggression ausgesetzt ist, bedeutet nicht, dass der Krieg in einem Jahr nicht über ihre Grenzen hinausgeht und sich aus einem russisch-ukrainischen in einen multinationalen wandelt. Dass Russland nach einem Jahr militärischer Handlungen in der Umsetzung seiner Eroberungspläne wenig Erfolg verbuchen kann, ist eine andere Sache. Der ursprüngliche Plan sah vor, die Schaffung „Neurusslands“ bis September 2014 zu vollenden. Nicht auszuschließen, dass Putin damit rechnete, bereits bis September 2014 die gesamte Ukraine einzunehmen oder sie zumindest als Staat zu zerschlagen. Zumindest wurde die russische Nachrichtenagentur ausgerechnet im September 2014 in TASS umbenannt („Telegrafnoje agenstwo Sowjetskogo Sojusa“ – „Telegrafenagentur der Sowjetunion“).

    Offensichtlich verlangsamte sich das Tempo der russischen Eroberungen. Nach einem Jahr Kriegshandlungen konnte Russland lediglich die Krim und die Donezker und Luhansker Gebiete besetzen, sprich: die am stärksten russifizierten Brocken der Ukraine. Mit anderen Worten ist der globale Konflikt mit Russland unausweichlich, doch Zeit, um sich auf ihn vorzubereiten, gibt es nun dank der Ukraine mehr. Und wenn der Ukraine Hilfe geleistet wird, kann dieser Konflikt mit großer Wahrscheinlichkeit formal auf einen russisch-ukrainischen Krieg reduziert werden. Dann wird Polen und das restliche Europa keinen Schaden nehmen.

    – Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um Putins imperialistische Ambitionen aufzuhalten?

    – Gemacht werden muss das, was der gesunde Menschenverstand einem diktiert. Der gesunde Menschenverstand sagt, dass man den Konflikt besser nicht zu einer offenen Konfrontation zwischen Russland und der NATO kommen lässt, weil wir dann von einem Dritten Weltkrieg, möglicherweise sogar von einem Atomkrieg, sprechen werden. Das bedeutet, dass die Ausbreitung dieses Konflikts über die Grenzen der Länder, die kein NATO-Mitglied sind, nicht zugelassen werden darf, sprich über die Grenzen der Ukraine und Weißrusslands. Da im Falle einer Eroberung Weißrusslands durch Russland die russische Armee den Zugang zu den Grenzen der baltischen Republiken, Polens und der Westukraine erhält, sollte ein Höchstmaß an Kraft aufgewendet werden, damit Weißrussland ein unabhängiger Staat bleibt, ein Puffer zwischen Russland und den europäischen Ländern. Und dafür ist es unter den aktuellen Bedingungen in erster Linie nötig, der Ukraine zu helfen, sich zu verteidigen, da Putin kaum den Wagemut für den Anschluss Weißrusslands vor der Beendigung der Kriegshandlungen gegen die Ukraine aufbringen wird. Das ist der militärische und wirtschaftliche Teil der Hilfe für die Ukraine.

    Nicht einmal deshalb glaube ich nicht an die diplomatischen Erfolge der Europäischen Union, weil die EU etwas offensichtlich Falsches macht, sondern weil die EU keinen Gesprächspartner in diesen Verhandlungen hat.

    Einerseits nimmt Putin an Verhandlungen teil, und anderseits bekräftigt er, dass Russland keinen Krieg in der Ukraine führe. Bei derartigen Schwierigkeiten politische Verhandlungen mit Russland bezüglich der Ukraine zu führen ist sinnlos.

    Einerseits nimmt Putin an Verhandlungen teil, und anderseits bekräftigt er, dass Russland keinen Krieg in der Ukraine führe. Bei derartigen Schwierigkeiten ist es sinnlos, politische Verhandlungen mit Russland bezüglich der Ukraine zu führen. Sie können zu nichts führen, da jedes Mal bei den Verhandlungen alle teilnehmenden Seiten Verpflichtungen eingehen, außer Russland. Für Russland sind politische Verhandlungen bezüglich der Ukraine ein militärischer Trick, die diplomatische Deckung der militärischen Vorbereitungen.

    Und das Instrument, das die freie Welt hat und etwas, was noch nicht eingesetzt wurde, sind Wirtschaftssanktionen und wirtschaftlicher Druck. Die derzeitige Meinung, dass diese antirussischen Sanktionen gezielt sein müssen und einzelne Personen und Unternehmen betreffen, ist völlig falsch. Die Sanktionen sollten maximal ausgeweitet werden und Russland und das russische Volk im Ganzen betreffen. Erst, wenn die Sanktionen von der gesamten russischen Bevölkerung gespürt werden, werden wir Resultate sehen: das Sinken der Popularität, Proteste (stille oder rege) gegen Kriegshandlungen in der Ukraine, Forderungen, die Konfrontation mit der gesamten Welt für die Ausweitung des Imperiums zu beenden. Andernfalls sind wir zu zwei Szenarien verdammt. Das Erste – die Aktivierung der russischen Armee in der Ukraine und in Weißrussland ab Frühling bis Herbst 2015, mit dem Versuch der endgültigen Einnahme dieser Territorien bis September 2015. Eine schleichende und schrittweise Besetzung durch die russische Armee – Gegend für Gegend, Region für Region – in der Ukraine. Im letzteren Fall zieht sich der russisch-ukrainischer Krieg bis 2020, wo Russland im Großen und Ganzen die Umrüstung seiner Armee zu beenden plant. Und 2020 werden wir erneut mit der Gefahr aus dem Jahr 2014 konfrontiert, nur wird uns keine überholte Armee mit der Ausrüstung aus den Zeiten des Kalten Krieges gegenüberstehen, sondern eine moderne, mit Präzisionswaffen (der amerikanischen nicht viel nachstehenden).

    Die Liste der Sanktionen ist endlos. Bis die Schuldigen am Abschuss des malaysischen Flugzeugs nicht bestraft werden, ist die freie Welt dazu verpflichtet, den russischen Luftraum für Passagier- und Verkehrsflugzeuge zu schließen. Letzten Endes sollte russischen Flugzeugen das Recht verwehrt werden, an Flughäfen der freien Welt zu landen, und die westlichen Fluggesellschaften müssen ihre Flüge nach Russland einstellen. Die Bahnverbindung zwischen Europa und Russland sollte ebenfalls eingestellt werden. Russland muss vom SWIFT-System abgeschaltet werden; die Vermögenswerte der russischen Staatsbürger und Unternehmen, oder Unternehmen, in welchen russisches Kapital oder das Kapital eines russischen Staatsbürgers vorhanden ist, sollten bis zur Beendigung des russisch-ukrainischen Konflikts und der Rückgabe der Krim eingefroren werden. Das System der doppelten Staatsbürgerschaft, ausgeweitet auf russische Staatsbürger, sollte überprüft werden. Inhaber der doppelten Staatsbürgerschaft sollten sich für eine entscheiden müssen. Bis zur Einstellung der Aggression in der Ukraine, sollten alle ausländischen, den russischen Staatsbürgern von der freien Welt ausgestellten Visen annulliert werden. Die Übertragung aller russischer Fernsehkanäle muss in der freien Welt eingestellt werden, inklusive des Senders Russia Today (RT). Es sollte ein maximal ausgeweitetes Embargo auf Import- und Export-Waren, die nach Russland und aus Russland stammen, verhängt werden. Sport- und Kulturkontakte mit Russland sollten gestoppt werden. Die Fußballweltmeisterschaft 2018 kann selbstverständlich nicht von der gegen die Ukraine kriegführenden Russischen Föderation ausgerichtet werden…

    Ich setze hier Auslassungspunkte, da die Liste sehr lang wird. Ich bin kein Wirtschaftler und auch kein Finanzmann. Ich weiß nicht, wie Sanktionen wirtschaftlichen und finanziellen Charakters, die gegen Russland angewendet werden können, genau und fachkundig bezeichnet werden. Aber ich weiß, dass diese Liste bis ins Unendliche fortgeführt werden kann. Das Schlagwort in den Gesprächen über Sanktionen heißt „muss sein“: sie müssen gegen Russland angewendet werden, weil es das kostengünstigste Mittel für die freie Welt und Russland ist, einen Dritten Weltkrieg zu verhindern. Andernfalls wird Russland an einem Krieg beteiligt sein, dessen Folge seine Niederlage und Zerfall sein werden. Und das ist die Kehrseite der russischen Aggression gegen die Ukraine. Bei der Wahl zwischen einem großen Krieg und antirussischen Sanktionen, müssen Sanktionen beschlossen werden. Das Rezept für die unblutige Genesung Russlands, und auch der Friedenserhaltung in Europa sind die harten Sanktionen.

    Quelle: Juri Felschtinski in glavcom.ua; übersetzt von Kateryna Matey; redaktiert von Irina Schlegel. 

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    Tags: AtomwaffenBaltikumBelarusFelschtinskiKriegMoldauPolenRusslandUkraine

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