Der nachfolgende Text ist die Abschrift eines Interviews bei Echo Moskaus, das am 29. Oktober 2014 erschienen ist. Zwei Tage später, am 31. Oktober, übermittelte der russische Föderale Aufsichtsdienst für den Bereich der Massenkommunikation eine Warnung an Radio „Echo Moskaus“ über die Unzulässigkeit des Extremismus, der in diesem Interview angeblich vorhanden sein soll. Das Interview wurde verboten. Alexander Pluschew, Redakteur bei Echo Moskaus und Interviewer hier, war bereits gekündigt. Der Mitschnitt des Interviews wurde aber schon auf diversen Internetseiten veröffentlicht. Das Gespräch ist auch deshalb interessant, weil Timur Olewski, einer der Gesprächspartner, Korrespondent des Fernsehsenders „TV RAIN“ (DOZHD) ist, der in Russland zu den wenigen Vertretern der freien Presse zählt. Olewski hatte u.a. von Anfang an vom Maidan, später aus der Krim und dann aus der Ostukraine berichtet. Sergej Loiko, der zweite Gesprächspartner, ist ein bekannter Militärjournalist und Photograph.
Wir bitten darauf zu achten, dass dies ein Mitschnitt des Gesprächs ist, kein redaktionell verfertigter Artikel.
A.Pluschew: Hier ist wieder Alexander Pluschew in der Sendung „Mit eigenen Augen“. Heute haben wir Sergej Loiko im Studio, einen Korrespondenten der „LosAngelesTimes“. Guten Abend! Und unseren Kollegen vom „Echo Moskaus“, vom TV-Kanal „Dozhd“ (TV Rain) Timur Olewski. Hallo!
T.Olewski: Guten Abend! Ich werde wie Sergej, nicken und nichts sagen.
A.Pluschew: Ja. Reden wir über die Kämpfe um den Donezker Flughafen. Soweit ich das verstehe, waren sie dort und sind gerade erst zurück, nicht wahr?
T.Olewskij: Hier muss man wahrscheinlich deutlich machen, wer wo war, Sergej. Du warst in dieser Hölle am tiefsten drin.
S.Loiko: Ja, ich bin per Anhalter von Kyjiw aus gefahren und zu Ende war meine Reise am Donezker Flughafen, wo ich vier Tage in dieser….
A.Pluschew: Also, sind Sie von der ukrainischen Seite mit dem Auto gekommen?
T.Olewski: Da kann man von der anderen Seite nicht lebend hinkommen. Da sind doch Kämpfe um den Flughafen, und aus Richtung Donezk kommen da die „DVR“-Söldner, sie versuchen ihn zu erstürmen, und sie schaffen es nicht. Obwohl es nicht ganz stimmt, da gibt es Nuancen, wie die Verteidigung des Donezker Flughafens tatsächlich organisiert ist. Ich, als ich das erfahren habe – Sergej hat es ja einfach mit eigenen Augen gesehen – ich war ganz in der Nähe vom Flughafen, aber nicht direkt darin, und als ich das erfahren habe, ehrlich gesagt, habe ich es gar nicht geglaubt, dass in ein und dem gleichen Gebäude die einen und die anderen Soldaten sind – sie können einander buchstäblich zuschreien… Granaten einander zuwerfen…
S.Loiko: Ja, da war so ein Moment, als der Kommandeur dieser Fallschirmspringer mit dem Codenamen „Rachman“ buchstäblich aus nächster Nähe da auf einen – wie sie sie da nennen – „Separ“ schießt, der auf dem Flugplatz steht. Und wie in einem Computerspiel schießt er aus nächster Nähe mit seinem Stetschkin APS, sieht sogar den Dampf vom Atem des Separs, und der schießt zurück, und läuft weg, versteckt sich in diesem durchsichtigen Ärmel, der ins dritte Stockwerk führt. Und dieser „Rachman“ steht da so geschockt: „Wie! Wie konnte ich ihn nicht erwischen!“, und schreit: „Separ! Separ! Komm‘ zurück!“ Und der ist aber schon über alle Berge.
T.Olewski: Das ist das Gebäude des zweiten Terminals. Der zweite Terminal. Das erste und das zweite Stockwerk sind von den ukrainischen Soldaten besetzt, und das dritte und den Keller besetzen die Separatisten.
S.Loiko: Da ist dreidimensionale…
T.Olewski: Das ist ein Gebäude, verstehst du…
S.Loiko: Dreidimensionale Einkreisung. In Wirklichkeit sind da zwei Gebäude: das alte und das neue Terminal. Was die Reise zum Flughafen angeht, so ist das Schwierigste an dieser Reise die Einfahrt und die Ausfahrt. Das betrifft nicht nur mich, sondern auch die ukrainischen Soldaten, die da regelmäßig hinfahren, um die Verteidiger zu versorgen, und sie sind da schon seit fünf Monaten…
T.Olewski: Das muss man natürlich verstehen…
S.Loiko: …mit Wasser, Waffen, Verwundete abholen, die Jungs ablösen, denn da sind unmenschliche Bedingungen, also die Bedingungen sind einfach… ich weiß nicht, zum Nordpol zu kommen war für Kapitän Scott einfacher, als sich dort am Flughafen aufzuhalten.
A.Pluschew: Ich möchte die Aufmerksamkeit unserer Internetzuschauer auf die Bildschirme lenken, da sind die Photos, die Sergej Loiko mitgebracht hat. Aber besser wären sie gar nicht da, denn die Qualität ist gerade schrecklich. Ich schäme mich, dass es so aussieht.
A.Pluschew: Verzeihen Sie uns…
S.Loiko: Ok.
A.Pluschew: Ne, ehrlich…
S.Loiko: Gut, vergessen wir das.
A.Pluschew: Wenn wir die Möglichkeit haben, während der Sendung…
T.Olewski: Sie sind nur ein wenig dunkel.
A. Pluschew: Ja, die Helligkeit einzurichten – das wäre nicht schlecht. Und mehr Licht da zu geben, wahrscheinlich. Das sind also die Photos, die Sie da gemacht haben. Der Weg, der wahrscheinlich dahin führt…
S.Loiko: Ja, ich hab‘ vom Ein- und Ausgang geredet… Erinnern Sie sich an diesen Spruch: „Eingang für einen Rubel, Ausgang – für drei!“? So ist es hier: Eingang – Leben, und Ausgang – Leben. Also du kommst dahin… kannst dahinkommen, kannst aber auch gar nicht erst ankommen. Und nur in einem Panzerwagen. Die Reise verläuft über eine absolut freie Fläche – man sieht dich von allen Seiten – ungefähr 10 Minuten dauert das. Da gibt es mehrere Stellen: Wenn du fährst, schlägt etwas permanent auf den Wagen ein, und daneben explodiert permanent was. Also, wenn du Glück hast – kommst du durch. Pech – ein 12,7 Kaliber einer Panzerpatrone aus einem NSW-Maschinengewehr durchschlägt den Panzerwagen komplett und tötet alle, die sich darin befinden. Und der eigentliche Flugplatz von dem Flughafen, also das ist… Da gibt es keine Flugzeuge, da gibt es ein Übungsflugzeug, das steht da ganz weit weg, dafür ist der Flugplatz komplett mit verbrannten Panzern und Panzerwagen zugemüllt, die da hin- und hergefahren waren und nicht geschafft hatten, rein- oder rauszufahren.
Und diese Panzerwagen, eine Kolonne: 1-2 oder 2, oder 4, abhängig davon, was gerade geliefert wird, kommen bei dem neuen Terminal an, oder bei dem an, was davon übrig geblieben ist – und hier ist die schwierigste Stelle, denn hier steigen alle aus, beginnen auszuladen, und es fängt Schießerei von allen Seiten an. Die Hälfte derjenigen, die sich am Flughafen befinden, schießt nach allen Seiten, um die Schießerei von der Separatisten-Seite zu dämpfen, und der andere Teil der Menschen entlädt die Panzerwagen. Entladen geht so: Man schmeisst einfach alles auf den Flugplatz. Dann, wenn sie alle auseinander gelaufen sind, fahren alle weg; wer noch am Leben ist, setzt sich in die Panzerwagen, zieht da Verwundete mit rein, dann fahren die Panzerwagen, wenn sie noch nicht brennen, weg. Und bei Einbruch der Dunkelheit kriechen da Menschen heraus und ziehen alles in den neuen Terminal hinein. Zum alten Terminal kann man gar nicht hinkommen, denn der neue wird zwar von zwei Seiten durchschossen, und der Alte aber von allen Seiten, und die Separatisten sind viel näher dran. Vor kurzem gab es da solch ein Gemetzel, als bei dem alten Terminal das obere Stockwerk brannte, und da sind viele Menschen gestorben, es gab viele Verwundete. Aber Separatisten gab es da nicht. In dem neuen Terminal aber – da gibt es eine dreidimensionale Einkreisung. Da sind die Separatisten nicht nur um den Flughafen rundherum – sie sind im Keller, der viele Abzweigungen und irgendwelche Ein- und Ausgänge hat, und hinter dem Flughafen gibt es einen Ausgang, und im dritten Stockwerk. Und das erste und zweite Stockwerke sind besetzt…
A.Pluschew: Und das dritte Stockwerk… wie sie…
S.Loiko: Irgendwie kommen sie in den Keller, wobei sowohl die einen wie die anderen permanent irgendwelche Ein- und Ausgänge verminen, aber sie verminen sie so, dass sich kein Mensch erinnern kann, wo überhaupt was steht. Und die Separatisten gehen hier herum, wie irgendwelche Geister, springen da und dort heraus. Vor kurzem ist ein Separatist – direkt vor mir – auf den Balkon im zweiten Stock hinuntergesprungen und hat aus einer RPG-18 Mucha eine Granate in den Eingang des Generalstabs dieser Fallschirmspringer geworfen, und das Geschoss ist direkt über dem Eingang explodiert. Alle sind umgefallen, alle wurden überschüttet. Wenn es drinnen explodiert wäre, wären alle da gestorben, und so haben alle, inklusive mir selbst, nur eine Quetschung bekommen. Und hier hat ein Fallschirmspringer, er hieß Batman – der sieht auch aus wie Batman – er hat da eine Granate hingeworfen, die Granate ist nicht bis dahin geflogen, sie ist da beim Balkon explodiert, und alle sind wieder umgefallen. Und überhaupt, alles, was da passiert, wie es aussieht, wie der ganze Flughafen aussieht – das ist so eine epische…
Man hat das Gefühl, das ist irgendsoein Filmset, denn so etwas kann es im realen Leben nicht geben! Gleich kommt Spielberg ‚raus und sagt: „Cut! Drehschluss!“ Denn die Ruinen da sind dermaßen ruiniert, dieser ganze Flugplatz ist so ruiniert, alle sind ruiniert…
Das ist wie ein Kongresspalast, nur ohne Kongresse und ohne Fenster, und mit verbogenen, geschweiften, verbrannten Rahmen. Da gibt es keinen einzigen Quadratmeter, der nicht mit Dutzenden Kugeln durchlöchert wäre. Da sind Einschusslöcher überall: Die Decke ist durchlöchert, die Wände sind es. Da ist immer dunkel: tagsüber halbdunkel, abends absolute Dunkelheit. Wenn die Menschen tagsüber noch irgendwelche Taschenlampen anmachen, irgendwelche Generatoren, laden irgendwas auf… Akkus, so ist da nachts ein Regime der Abschaltung von allem: keine Taschenlampen, keine Zigaretten – der Scharfschütze schießt beim dritten Zug. Und wenn sie die Magazine ihrer Waffen laden, lädt keiner die Leuchtspurmunition. Sie schießen nicht mit Leuchtspurmunition. Sie witzeln da so drüber: „Wir schießen nur mit Leuchtspurplatzpatronen!“
Und die Entbehrungen, die man an diesem Flughafen auf sich nehmen muss, sind natürlich schrecklich: unsägliche Kälte, keinerlei Öfen gibt es dort, überall Durchzug. Alle niesen, husten, man kann sich nirgendwo aufwärmen. Das Einzige, was sie sich erlauben können, ist ein heißer Tee aus einem Petroleumkocher. Und die Kocher sind so rabenschwarz. Alles ist in absoluter Finsternis, in einer absoluten Dunkelheit. Die Toilette – die ist überall, wo du gerade Glück hast, und wo du nicht getötet wirst. Aber groß geht da längst keiner aufs Klo, und Gestank gibt es da nicht, weil die Menschen nichts essen. Sie ernähren sich vom eigenen Adrenalin. Alle haben so Augen… Als ich die Photos gemacht hatte – ich bin ja schon älter, sehe nix – später habe ich mir die Photos am Computer angeschaut, da war ich erstaunt, was für Augen die Menschen haben. Man kann so ein Bild in irgendeiner gestellten Einrichtung nicht schießen, man kann sowas nicht inszenieren. Da ist immer Action, da sind immer echte Augen, da ist immer ein echter innerer Zustand der Helden. Und natürlich ist es so ein episches Werk, ein episches Ereignis, das ist irgendsoein auferstandener Tolkien, den ich nie mochte, irgendsoein „Lord of the Rings“, denn das Buch hat keinen Humor, das ist irgendsoeine idiotische Fabel: Irgendsoein absolutes Gutes kämpft mit dem absoluten Bösen, mit diesen Orks. Und hier ist für mich Tolkien endlich zum Leben erwacht. Ich habe gesehen, dass tatsächlich das ziemlich absolute Gute an diesem Flughafen, den man nicht verteidigen kann, mit dem absoluten Bösen kämpft, mit diesen Orks, die diesen Flughafen von allen Seiten eingekesselt haben, und diesen mit Grad, Mörsern usw. beschießen.
A.Pluschew: Reden wir doch noch mal über das Gute und das Böse. Ich wollte Timur Olewski fragen, du meintest, du warst da in der Nähe.
T.Olewski: In der Nähe, ja. Zum Glück ist es mir nicht wie Sergej gelungen, dahin zu kommen, direkt dahin.
S.Loiko: Du hättest dich vor den Panzerwagen stellen und winken sollen.
T.Olewski: Ich hab‘ mich sogar dumm angestellt, ich erzähle mal die Geschichte: Um zum Flughafen zu gelangen, muss man mehrere Runden Genehmigungen besorgen, zumindest für russische Journalisten, und dann ins Dorf Pisky fahren, wo die ukrainischen motorisierten Brigaden auf der vordersten Linie stehen: die Artilleristen und die Fallschirmspringer, und wo im Grunde die Panzerwagen zum Flughafen abfahren, die „Schwalben“, wie sie diese nennen. Da sind nach meinen Erinnerungen…
S.Loiko: Plappere doch nicht alle Geheimnisse aus…
T.Olewski: Also, die fahren da ständig hin- und her. Das ist kein Geheimnis, denn die Funkstelle ist da offen, das ist alles offen. Also, schau mal, die Geschichte. Da ist jede Fahrt – ein Kampf. Zumindest was Sergej erzählt, hat er unmittelbar dort gesehen. Und ich habe aber gesehen, wie die Vorbereitung von diesen Panzerwagen abläuft. Das ist ein Kampf. Jeder Transport – das ist eine Artillerievorbereitung, und zwar auf beiden Seiten. Und in Pisky war ich in der 79. Brigade – da sind Artilleristen, Mörserschützen, die…
S.Loiko: Die 79. Brigade sind Fallschirmspringer.
T. Olewski: Die Einheit der 79. Brigade, wo ich war, das waren Mörserschützen, das waren Artilleristen. Ich habe unmittelbar bei den Artilleristen gelebt. Da war auch der „Rechte Sektor“, der da irgendwelche eigene Sachen macht. Sie sind übrigens auch da am Flughafen, ein kleiner Teil vom „Rechten Sektor“. Aber ich habe auch die Kämpfer vom „Rechten Sektor“ gesehen, die in Pisky säubern, also, sie fangen da die Richtschützen ab. Und als ich davon gehört habe, dass die Richtschützen da abgefangen werden – ich war ja auf der einen wie auf der anderen Seite – habe ich gedacht, sie fangen einfach nur Leute ab, die sie nicht mögen. Aber hier habe ich zum ersten Mal gesehen, wie das aussieht, was ein Richtschütze ist. Das ist, wenn im zerstörten Haus gegenüber deiner Artilleriestellung, wo niemand wohnt, nachts das trübe Licht einer Taschenlampe zu sehen ist, so einer Blaulichttaschenlampe. Da läuft die Aufklärung hin und findet Stellungen, die ein paar Minuten vorher verlassen wurden. Wenn nur ein solcher erfolgreicher Richtschütze auftaucht, dann beginnen Geschosse auf die Stellung der Artilleriebatterie herunterzufallen. Sich davor verstecken kann man faktisch nur in den Panzerfahrzeugen. Obwohl sich die Menschen, die da dienen und immer bei ihren Mörsereinheiten sind, längst nicht mehr verstecken. Sie sitzen in Hallenanlagen, gehen auf ihre Stellungen hinaus, und betrachten die Beschüsse äußerst phlegmatisch, weil sie so denken: „Wenn ein GRAD ins Dach einschlägt – passiert nichts, wenn es aber eine Selbstfahrlafette ist, so werden wir eh alle getötet“. Sonst passiert nichts. Und das ist ein Ort, wo man den Streifen sieht, also den Tower, wo auch die ukrainischen Soldaten sind. Auf dem Tower gibt es zwei…
S.Loiko: Also, es gibt drei Stellen: der alte Terminal, der neue und der Tower werden von den ukrainischen Streitkräften kontrolliert.
T.Olewski: Ja, der Tower. Das ist glaube ich, die Stelle, wo am meisten durchgeschossen wird.
S.Loiko: Das ist die höllischste Hölle da.
T.Olewski: Ja, eine höllische Hölle. Da kann man sich überhaupt nicht aufhalten. Und die Menschen, ich weiß nicht, wie lange sie da schon sind, aber ich habe gesehen, habe selbst die Bitten eines Scharfschützen gehört, der da am Tower sass, ihn auszuwechseln, weil er zwei Tage später Hochzeit haben sollte – so ungefähr. Und sein Kommandeur hat ihn gebeten, noch eine Zeit lang zu bleiben, um dem Neuen alles zu erklären, ihm zu helfen sich zurechtzufinden. Es ist sehr schwer, dieses Gespräch wiederzugeben, aber es war das Gespräch eines Menschen, der darum bittet, ihn drei Stunden früher als gebraucht zu entlassen, weil er leben will, und der andere bittet ihn darum, noch drei Stunden an einem Ort zu bleiben, wo er in diesen drei Stunden getötet werden kann. Und sie reden, und der Kommandeur schafft es ihn zu überreden, an dem Ort zu bleiben, wo er in 10 Minuten tot sein kann. Und er war da schon sehr lange Zeit, und zählt jede Minute, die bis zur Ankunft seines Rettungspanzerwagens geblieben ist.
A. Pluschew: Unser Publikum, mehrere Menschen, stellen uns ein- und dieselbe Frage: „Was ist der Sinn, diesen Flughafen so lange zu halten? Wozu braucht ihn die eine wie die andere Seite?
S.Loiko: In diesem Zusammenhang erinnere ich mich immer an einen Film, den Film aller Zeiten und Völker, den epischsten Film, den epischsten Spaghetti-Western, den ich je in meinem Leben gesehen habe, den Film von Sergio Leone „The good, the bad and the ugly“. Da suchen ein paar Bösewichte nach einem Sack Gold auf dem Hintergrund des epischen amerikanischen Bürgerkrieges. Und da gibt es einen Moment, wo sich die zwei Bösewichte – Clint Eastwood und Eli Wallach – dem Fluss nähern, den sie nicht bezwingen können, und sie können es nicht, weil über dem Fluss eine echte Brücke ist und es ein schrecklicher Kampf um diese Brücke stattfindet: auf einer Seite die Nordstaatler und auf der anderen die Konföderierten. Und die Südstaatler wollen dieses strategische Objekt einnehmen, und die Nordstaatler wollen es halten. Und die beiden Bösewichte sitzen am Ufer unter Beschuss – sie wissen nicht, was sie tun sollen. Und nachts sprengen sie die Brücke und legen sich da schlafen. Sie wachen morgens auf – keine Brücke, weder die eine Armee noch die andere ist da.
T. Olewski: Ungefähr so, ja.
S.Loiko: Und hier ist das Gleiche. Wenn man einfach nur die Startbahn sprengt, alles in die Luft sprengt, was noch von diesem Flughafen geblieben ist… Ich wundere mich eh, wie das nicht zusammenstürzt, dieses ganze Gebäude, das zu 95% aus Löchern besteht. Da gibt es sehr viele Motive. Na, irgendein Oberst wird Ihnen sagen, dass es eine strategische Höhe ist, dass wenn wir aufgeben, sich der Weg nach Pisky öffnet, und sie werden hin- und herlaufen… Für die Mehrheit derjenigen, die dort sind, ist es eine symbolische Sache, das ist so ein ukrainisches Stalingrad. Und deswegen „kein Schritt zurück, keinen Fußbreit Land geben wir hier auf“.
T.Olewski: Das ist wirklich sehr erstaunlich. Es scheint doch so, dass da Menschen sein sollten, die es verlassen wollen sollten. Habe ich aber keinen einzigen gesehen.
S.Loiko: Ich erkläre das mal. Alle, die während meiner vier Tage da waren – sie alle waren Freiwillige. Nicht in dem Sinne, dass sie als Freiwillige zur Armee gekommen sind – da sind nur beim „Rechten Sektor“ Freiwillige, das ist eine Handvoll von der ganzen Besatzung. Und da waren ja alle: Aufklärer, SEK-Soldaten, Fallschirmspringer, Artilleristen – alle. Und jeder von ihnen, und da war auch jedes Alter, von 18 bis 45 – jeder war ein Freiwilliger, also da hatte man gefragt: „Wer will zum Flughafen?“ Sie waren alle nach vorne getreten und sind hingekommen. Mehr noch, in Pisky, wo ich viel Zeit verbracht habe, mehrmals, wo eine große Menge ukrainischer Streitkräfte stationiert ist – da träumt jeder Soldat davon, in den Flughafen zu kommen. Für einen echten ukrainischen Soldaten, für einen Patrioten der Ukraine ist es das wahre Geheimzimmer aus „Picknick am Wegesrand“ von Strugazki, aus „Stalker“ von Tarkowski, wo er in das Haus gelangt und erfährt, warum er, der ukrainische Mann, existiert. Und hier das Missverhältnis… Eigentlich ist dieser ganze Krieg keine hohle Nuss wert. Es gab keine Gründe, ihn anzufangen. Bei den Spitzseitigen und den Stumpfseitigen in „Gulliver“ von Swift – sogar bei denen gab es mehr Gründe sich zu töten als hier. Dieser ganze Krieg ist erfunden. Und hier, in dieser neuen Stalingradschlacht gibt es auch keinen Sinn, weder die eine noch die andere Seite braucht dieses Mägdebein, diese Überreste eines verbrannten, gesprengten Flughafens.
T.Olewski: Jetzt ist die Politik auch…
A.Pluschew: Warte eine Sekunde. Ich möchte Euch beide noch eins fragen: Ist er denn schon in so einem Zustand, dass ihn nicht mal die Luftwaffe benutzen können wird?
T.Olewski: Na, die Startbahn wurde nicht gesprengt.
S.Loiko: Russische Transportflugzeuge können da im Prinzip landen.
T.Olewski: Sie können auch auf irgendwelchen Erdwegen landen.
S.Loiko: Da war eine der besten Startbahnen Europas, die längste. Da können all diese „JumboJets“ landen, diese großen Transportflugzeuge. Im Prinzip ja, die Ukrainer haben sie noch nicht gesprengt.
T.Olewski: Hier muss man verstehen, dass der Flughafen ein Teil von Donezk ist, es ist ein Bezirk in Donezk. Solange der Flughafen ukrainisch ist, ist Donezk nicht vollständig unter der Kontrolle der „DVR“, und wenn die Frage über die Demarkationslinie aufkommen wird, wird diese Sache, dass Donezk keine Stadt ist, die ganz der „DVR“ gehört, bedeuten, dass man sie teilen müssen wird. Ich denke, vielleicht ist hier irgendeine politische Geschichte. Vielleicht hat der Gouverneur Sergej Taruta vor seinem Rücktritt die Wahrheit darüber gesagt, dass es einen Plan des Austausches des Donezker Flughafens gegen einen Teil des Territoriums gibt, das sich bei Mariupol befindet und von den Söldnern besetzt ist, oder gegen irgendeinen anderen Teil des Territoriums. Womöglich braucht man ihn deswegen, aber hier sprechen wir aus der Sicht der Soldaten wieder. Also, ich habe drei Tage lang mit diesen Soldaten gelebt, und sie denken über so einen Austausch nicht nach, auch wenn sie darüber diskutieren. Ich habe Männer gesehen, die 45 sind, die nach einer Einberufung in die Armee gekommen sind, das sind Menschen mit 1-2 Universitätsabschlüssen, im Leben absolut fest auf den Beinen, die Mehrheit davon hat ihren Verwandten nicht erzählt, wo sie sich befinden, und sie haben darum gebeten, sie nicht zu fotografieren. Also, sie sagen alle, dass sie bei Mykolajiw sind, damit die alte Mama sich keine Sorgen macht. Und alle sind als Freiwillige dahin gekommen, also sie haben extra drum gebeten: „Schicken Sie uns nach Pisky.“ Sie sprechen alle Russisch – das ist sehr wichtig. Manche von ihnen sagen, dass sie gar keine andere Sprache als Russisch sprechen und keinen einzigen Tag in ihrem Leben Ukrainisch gelernt haben. Dabei hat mir einer von diesen Menschen gesagt, dass er Russland hasst. Ich sage: Wie kann es sein?
A.Pluschew: Dabei ist ein Teil von ihnen ethnische Russen.
T.Olewski: Absolut. Sie sind nicht nur Russen, sie sind auch in die ukrainischsprachige Kultur gar nicht integriert. Sie verteidigen ihre Heimat – das ist für sie ein prinzipieller Moment. Überhaupt haben sich da Menschen versammelt, die glauben, dass sie bis zu der Grenze durchgehen und die Ukraine davon befreien sollten, was in der „DVR“ passiert. Und natürlich sagen Sie, dass sie gegen Rus… (Anm.d.Red: verschlingt das Ende des Wortes) einen Krieg führen – alle, die da sind. Und das Erstaunliche daran… Ich weiß nicht, ich möchte keine populistischen Vergleiche in diesem Sinne führen, aber mir schien es tatsächlich, dass ich gesehen habe, was sein kann, wenn man gute, gutmütige Menschen zur Weißglut bringt. Das betrifft speziell die reguläre Armee, die sich zum Beispiel in der Artilleriebatterie dort befindet. Sie sehen so aus, wie ich sie gesehen habe. Und dass sie Rosenbaum hören und die ganzen afghanischen Songs (Anm.d.Red.: Lieder in der Sowjetunion nach dem Afghanistan-Krieg) und sich den „Bruder-2“ (ein berühmter Film) anschauen und die Menschen bekriegen, die auf der anderen Seite sind, ich denke…
A.Pluschew: …machen genau das Gleiche.
T.Olewski: Ich denke schon. Oder wahrscheinlich ein Teil von ihnen macht das Gleiche. Das beeindruckt sehr. Ich habe Menschen gesehen, die im Krieg fast gar nicht schimpfen.
S.Loiko: Ich möchte noch ergänzen, dass die Operationssprache bei den Armeeangehörigen am Flughafen Russisch ist. Im Funk sprechen alle Russisch. Da gibt es keine ukrainische Mowa. Mich hat beeindruckt, dass ich tatsächlich weder in kritischen Situationen noch in Notfällen, noch unter Beschuss von jemandem Schimpfworte gehört habe. Und auch, dass es eine klare, zivilisierte, praktisch literarische russische Sprache war. Weil die Mehrheit dieser Menschen intelligente, gebildete Menschen sind. Es waren keine Asis, keine Soldaten, die irgendwo in den Dörfern aufgegabelt und wie Kanonenfutter hinbefördert wurden. Und außerdem beeindruckte mich, dass fast die Hälfte, wenn nicht die Mehrheit derjenigen, die mit mir am Flughafen waren, Offiziere waren.
Und ich habe keine sowjetische oder russische Offizierenfrevelhaftigkeit a la Kuprin gesehen. Es war Bruderschaft. Ein Soldat und ein Offizier haben aus einer Tasse getrunken, sich gegenseitig beschützt, Schulter an Schulter, sie haben sich per Du angesprochen. Aber wenn einer ein Älterer war und der andere ein Jüngerer, dann könnte man vielleicht auch „Sie“ hören. Ich habe beobachtet, wie ein Major, Walerij Rudj, er ist schon 40, er war sein ganzes Leben lang Berufssoldat, und da vermint er diesen einen Eingang. Und in diesem Moment fängt der Kampf an, der Beschuss, und der Junge aus dem „Rechten Sektor“ ist da in einer ganz schrecklichen Lage, und versucht da aus dem Maschinengewehr irgendwohin zu schießen. Und dieser Walerij rennt da über diese feuerbedeckte Fläche und schreit: „Junge, das ist mein Krieg. Rutsch‘ mal!“, und schiebt da den Jungen weg und in diesem Moment explodiert da irgendwas in der Nähe. Hätte er ihn nicht weggeschoben, wäre der Junge gestorben. Und dieser Walerij stellt das Maschinengewehr wie man es soll hin und beginnt den Kampf wie ein echter Soldat zu führen, und er führt ihn, bis er zu Ende ist, und dann geht er weiter seine Sachen machen. Er hat nur diesem unbekannten Freiwilligen das Leben gerettet. Und der erstaunlichste Moment war für mich, als man den einen Panzersoldat nach Hause schickte. Also, da war der Panzer. Der Panzer ist verbrannt…
S.Loiko: Ich habe darüber in meinem heutigen Artikel in der „LosAngelesTimes“ erzählt, der auf der ersten Seite mit dem Titelfoto abgedruckt wurde. Ich prahle gerade: das ist bei mir der dritte Artikel als Hauptartikel und Hauptfoto in Folge. Heute ist er erschienen, und da war diese Episode: die Rückkehr des Panzersoldaten nach Hause. Es war also ein Panzer, und der verbrannte. Es war eine Drei-Mann-Besatzung, sie sprangen brennend heraus. Der Scharfschütze ließ niemanden aus, er hat sie getötet. Zwei konnte man herausziehen. Aber dann gab es einen Mörserbeschuss, und der Dritte wurde von einer Explosion einfach zerfetzt, und man konnte ihn nicht finden. Und einige Tage später entdeckten die Jungs so ein großes Stück seines Oberschenkels. Und es begann so ein Gespräch: „Wir müssen den Panzersoldaten nach Hause schicken“.
Aber wie denn abschicken? Dazu muss man auf den Flugplatz hinausgehen und eine Kugel in jeden Körperteil abbekommen, um dieses Stück eines toten Menschen nach Hause zu schicken – ich würde es so sagen. Und als der Kommandeur fragte: „Jungs, das ist echt eine tödlich gefährliche Sache. Wer geht denn?“, haben sich alle gemeldet. Und dann standen zwei sofort auf. So ein Scharfschütze Slawik und ein Soldat Mischa. Und als die Panzerwagen kamen, da wurde das Feuer auf den Transport abgelenkt, sind sie auf den Flugplatz hinausgelaufen, legten ihre Gewehre und das Scharfschützengewehr ab, fanden eine Kiste, fanden dieses Bein – unter Beschuss. Das war vor meinen Augen, ich stand daneben und hab’s aufgenommen. Also stehen wir da zu dritt, sie legen dieses Bein in diese Kiste und da zerschießt eine Kugel die Kiste, die Holzsplitter fliegen nur so, alles klirrt um uns herum. Sie schließen diese Kiste und binden sie unter Beschuss mit Stacheldraht an den Panzerwagen dran, dann laufen sie los, schnappen ihre Waffen und führen den Kampf weiter. Diese Jungs haben 30 Sekunden lang ihr Leben riskiert, absolut ihr Leben für ihren toten Kampfgefährten riskiert.
T.Olewski: Mit einer fast 100%-igen Wahrscheinlichkeit.
S. Loiko: Und dieser Slawik sagte mir dann: „Also ich will nicht, dass ich auf so eine Art und Weise nicht nach Hause komme, und mich auf einem Flugplatz die Hunde auffressen.“ Sie sind absolute Helden. Und überhaupt hasse ich es, den Krieg zu romantisieren, aber ich erinnere mich im Zusammenhang mit diesem Mini-Stalingrad an die Gedichte meines Lieblingsdichters Semjon Gudsenko (Pawel Kogan), der mit mir im gleichen Haus wohnte, aber zu einer anderen Zeit. Und da war so ein kurzes Gedicht:
Wir legen uns, wo es sich hinlegt.
Und da steht man nicht auf, wo es sich hinlegt.
Und erstickt an der „Internationalen“
Fallen wir mit dem Gesicht ins trockene Gras.
Und nicht mehr aufstehen, und nicht mehr in die Annalen kommen,
Und nicht mal die Liebsten finden den Ruhm.
A.Pluschew: Ich denke, das ist einfach Ihre emotionale Spannung, die von Ihnen auf unsere Apparatur übergeht, Sergei, leider. Sergei Loiko hat unsere Apparatur richtig drangenommen, wie man so sagt. Wir sind in ein anderes Studio umgezogen.
S.Loiko: Ich habe den Kampf hierhin übertragen.
A.Pluschew: Sieht ganz so aus. Wir haben nicht mehr so viel Zeit, und hier gibt es ganz viele Fragen von unserem Publikum. Sie beziehen sich auf das Thema, das Sie, Sergei, ganz am Anfang angesprochen haben, über das absolute Böse und das absolute Gute. Wenn man es von hier aus beobachtet, vielleicht von anderen Orten aus… Jemand schickt uns hier einen Gruß aus Chicago, zum Beispiel. Unsere Rundfunkhörer schreiben: „In einer Armee, die ihr Volk vernichtet, können keine Helden sein“.
S.Loiko: Haben sie das im Fernsehen erfahren?
A.Pluschew: Ich weiß nicht, sagt mir ja keiner. Ich lese Ihnen nur die Reaktion vor.
S.Loiko: Alex, ich habe das letzte halbe Jahr im ukrainischen Krieg verbracht. Ich weiß nicht, welche Armee ihr Volk vernichtet, denn diese Armee, deren Volk da ist – sie vernichtet es nicht. Und die Armee, die es aber vernichtet – das ist nicht die ukrainische Armee.
T.Olewskij: Ich kann über Pisky erzählen, zum Beispiel, das ist unmittelbar neben dem Flughafen, wo ein paar Wohnhäuser geblieben sind, die meisten haben sie verlassen und sind weggefahren. Es gibt Menschen, die aus irgendwelchen Gründen – das gibt es auch – sogar dann nicht wegfahren, wenn die Häuser explodieren. Und die Armee versorgt sie, und sie versorgen die Armee. Sie haben, wie man so sagt, gute Beziehung zueinander. Und „massenhafte Säuberungen“ von Menschen, die dort leben, und theoretisch vielleicht sogar mal die „DVR“ unterstützt haben – so etwas gibt es dort nicht. Ich habe eine andere Geschichte gesehen, sie schien mir sehr wichtig zu sein. Diese Geschichte ist am Donezker Flughafen passiert, am Freitag, glaube ich, als ich da war – da hat die Artillerie, die GRADe der Separatisten, aus einem Donezker Bezirk die Stellungen der anderen Separatisten im anderen Donezker Bezirk unmittelbar am Flughafen zerschossen. Sie haben den ganzen Tag auf diese geschossen, wonach…
A.Pluschew: Die Separatisten haben auf andere Separatisten geschossen?
T.Olewski: Ja, und es waren wohl verschiedene Gruppierungen, das kann man nicht erklären: ukrainische Armee gab es da jedenfalls nicht.
A.Pluschew: War das ein zufälliges Freundschaftsfeuer?
- (Zu diesem Thema veröffentlichten wir im September zwei Artikel: Interner Gruppenkrieg in Donezk und Antrazit: Soziale Proteste und interne Zusammenstösse)
S.Loiko: Das ist ein Konflikt.
T.Olewski: Das dauerte mehrere Stunden. Sie beschossen einander fünf Stunden lang, wonach sie das Feuer auf Stellungen der ukrainischen Armee umlenkten, und die ukrainische Armee wurde an dem Abend ziemlich stark beschossen, die Stellungen am Flughafen und in Pisky, aber davor beschossen sich die Separatisten stundenlang gegenseitig. Was das war, weiß ich nicht. Aus irgendwelchen Gründen haben sie herumgezankt, und wer sich in dem einen komischen blauen Gebäude am Flughafen aufhielt, das sie aus einem Wohnviertel von Donezk beschossen – wobei ich nicht weiß, vielleicht ist es gar kein Wohnviertel mehr, aber an der Richtung hat man gesehen, woher sie schießen.
S.Loiko: Die Sache ist, dass die ukrainischen Armeeangehörigen, die Artillerie und GRADe haben – das sind professionelle Soldaten.
T.Olewski: Andere gibt es da gar nicht.
S.Loiko: Und diese „DVR“- und „LVR“-Leute – das sind Affen mit einer Granate, die auch das Flugzeug abgeschossen haben.
T.Olewski: Da gibt es auch relativ professionelle Leute.
S.Loiko: Es gibt ein paar Berufssoldaten, aber an sonsten ist das ein Haufen Söldner, denen Technik zugesteckt wurde, von der sie gar nicht verstehen, wie man sie benutzt. Sie schießen auf alles, was herumsteht.
T.Olewski: Ich glaube, es hat sich jetzt alles geändert, Sergei. Da bin ich mit dir nicht einverstanden. Das, was du jetzt sagst, das ist eine Situation, die ungefähr einen Monat zurückliegt. Sie hat sich prinzipiell verändert, nachdem da Menschen aufgetaucht waren, die ukrainische Armeeangehörige absolut eindeutig als russische Armee bezeichnen. Da hat sich prinzipiell die Qualität der kämpfenden Menschen verändert. Eine andere Frage ist, dass da eine starke Gruppierung die anderen abschießt, weniger loyale und hörige Gruppierungen. Zumindest sieht es so aus. Vielleicht ist es nicht so, es sieht aber schwer danach aus.
A.Pluschew: Und noch eine Frage, wegen den Separatisten und der ukrainischen Armee. Bei uns wurde im Fernsehen sehr viel gezeigt, wie die Wohnviertel von Donezk mit Artillerie aus der Richtung des Flughafens beschossen werden.
S.Loiko: Darf ich mal sofort darauf antworten. Jungs, ich enthülle hier ein Militärgeheimnis: Von der Seite des Flughafens kann man überhaupt keinen Artilleriebeschuss führen, denn da gibt es keine schrecklichere Waffe als ein Kalaschnikow-Maschinengewehr.
T.Olewski: Da gibt es Minen.
S.Loiko: Da gibt es keine Mörser. Ich habe mich an eine weitere Episode erinnert, ich wollte das dazu hinzufügen, worüber wir gesprochen haben: Ich habe da mit einem Jungen gesprochen, Serhii Galan – das ist ein Journalismus-Student aus Tscherkassy. Sein Vater ist ein russischer Oberst, bis jetzt ist er ein russischer Oberst. Und der Junge ist aber ein ukrainischer Soldat, ein Fallschirmspringer. Und bevor er zur Armee ging, und bevor er zum Flughafen kam, rief er seinen Vater an oder der Vater ihn. Und der Vater, der von dieser schamlosen, verbrecherischen Lüge des russischen Fernsehens zombiert wurde…
T.Olewski: Das ist absolut richtig.
S.Loiko: Der Vater sagte ihm: „Du wirst doch auf deine Brüder schießen!“ Und dann sagte sein Sohn: „Welche Brüder, Vater? Dieselben Brüder, die in mein Land mit Waffen gekommen sind, was für Brüder sind das?“
T.Olewski: Jetzt wegen den Beschüssen. Ich kann nur das sagen, was ich selbst gesehen habe. Ich habe eine bestimmte Menge an Mörsern gesehen, kann nicht sagen, wie viele – wahrscheinlich habe ich versprochen, es nicht zu sagen – die in unmittelbarer Nähe vom Flughafen stehen, diese 120 mm Mörser, aber jeder davon ist auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, das die ukrainischen Soldaten am Flughafen beschützen soll. Jeder ist auf ein konkretes Ziel gerichtet, und ausgerichtet sind sie sehr gut. Nur wird keiner einfach so herumschießen. Da hat jeder Schuss eine bestimmte Bedeutung. Warum? Weil alle die Waffenruhe verfluchen, die ausgerufen wurde. Die ukrainische Armee – das, was ich gesehen habe – befolgt diese äußerst penibel, sogar wenn die Flughafenstellungen aus Schützenwaffen, also aus Maschinenpistolen, Scharfschützengewehren und anderem beschossen werden, kommt im Funk der Befehl: „Nicht mit Artilleriefeuer antworten, denn das ist eine Provokation, wir antworten nicht auf eine Provokation“. Der erste Schuss, den ich am Freitag gehört habe, der von diesen Mörsern ausging und auf die Stellungen der Separatisten am Flughafen geflogen ist, war eine Antwort auf die angeflogenen Geschosse von den Stellungen im Pisky. Als der Artilleriebeschuss anfing, gab es eine Artilleriefeuererwiderung, aber das waren nur ein paar Mörser. Aber sie waren auf eine bestimmte Stellung am Flughafen gerichtet. Also anzunehmen, dass aus irgendeinem Grund dieses Geschoss bis in die Stadt geflogen ist… Also, in der Batterie, wo ich war, kann man sich das unmöglich vorstellen. Vielleicht gibt es irgendeine andere Artillerie. Eine andere Frage ist es, dass ich sie persönlich nie gesehen habe. Aber ich möchte sagen, dass die Ukraine auf die Artillerie jetzt antwortet, aber sehr, sehr kärglich. Denn es ist Waffenruhe, und sie verfluchen sie, fürchten sich aber davor, diese zu brechen.
S.Loiko: Vor meinen Augen schreit ein Kommandeur: „Jetzt kommen unsere GRADe. Sie werden hier sehr nah dran sein, wissen Sie, sie könnten danebenschießen, darum alle bitte in Deckung“. Als die Infanterie der Separatisten zum Sturm auf den Flughafen ansetzte, hat die Artillerie auf sie geschossen, aber die Artillerie war dabei so akribisch, dass sie fast den ganzen Flughafen da zerschossen hat, weil da alles explodierte, wackelte und auseinanderfiel. Jungs, wenn die ukrainische Armee, wie es in eurem Fernsehen erzählt wird, das ukrainische Volk vernichten wollen würde, hätte sie es längst getan. Das ist mein 25. Krieg. Meine 25. Kriegsdienstreise.
Ich war bei der Vernichtung von Grosny 1995, ich war 2000 bei der zweiten Vernichtung von Grosny. Da wollte man das Volk vernichten – und sie haben die Stadt vernichtet, haben es von der Erdfläche verschwinden lassen, zweimal. Hier, schauen Sie sich doch Slowjansk an. Wieviel die ganzen zombierten Jungs herumgeschrien haben, dass da GRADe auf die Stadt schießen. Kommt doch nach Slowjansk – und Ihr werdet nicht mal verstehen, wo Ihr seid. Ganz normale Stadt, da leben alle, der Strom ist an. Ja, ein paar zerstörte, halbzerstörte Häuser. Und in Donezk?
Ja, es gibt auch irgendwelche zerstörte Häuser, zerstörte Versorgungsleitungen. Aber das ist kein Vergleich zu Grosny. Und in Grosny hat man ja eine Antiterroroperation durchgeführt. Wo ist denn bei uns Stalingrad bitte, und wo die antiterroristische Operation? Und überhaupt, wenn man von Stalingrad spricht, erinnert mich dieser Krieg an einen Krieg, in dem ein Land heimtückisch das andere überfallen hat. Und da war eine eigene Brester Festung.
A.Pluschew: Hier eine persönliche Frage an Sie, Sergei: „Wie können Sie mit so einer lauten Pathetik Journalist sein? Ich fühle mit Ihrer Haltung durchaus mit, – schreibt Oleg aus Moskau, – aber mir würde nicht in den Sinn kommen, in solchen Fällen derartige Hosianna auf die eine oder die andere Seite zu singen“. Interessant, was meint er denn mit „in solchen Fällen“…
S.Loiko: Ich glaube nicht, dass ich irgendwelche Hosianna singe, ich erzähle nur das, was war. Und jetzt erzähle ich nicht wie ein Journalist, sondern wie ein Mensch, der da als Zeuge war. Ich erzähle das, was ich gesehen habe: Was ich singe, kenne ich. Lesen Sie doch meine Artikel, wenn sich jemand interessiert, bevor Sie mich verurteilen.
A.Pluschew: Man kann ja auch Photos bei Ihnen auf FB anschauen.
S.Loiko: Ja, es wurde eine ganze Reihe von Photos in der „LosAngelesTimes“ veröffentlicht, und ich habe noch eine ganze Galerie auf FB gepostet – sollen sie doch schauen. Und ich habe hier die Brester Festung gesehen – das war Sawur-Mohyla. Dann habe ich auch noch die Kessel gesehen, wie es sie in 1941 gab. Hier ist dieses Mini-Stalingrad. In Stalingrad wurde das Rückgrat des deutschen Faschismus gebrochen, nach dem sowjetischen Klischee. Und hier habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen, wie in diesem Mini-Stalingrad das Rückgrat was weiß ich wovon gebrochen wurde – vom Faschismus oder nicht – aber von diesem Mordor, diesem Orks-Reich, diesem sinnlosen blutrünstigen Terrorismus – das ganz bestimmt, das wurde gebrochen. Für mich gibt es keinerlei Zweifel daran, dass die „DVR“, die „LVR“ erdichtete, künstliche, halbfaschistische Organisationen sind, deren Aufgabe es nicht ist, etwas für das ukrainische Volk zu tun, es glücklich zu machen, sondern nur eine endlose Zone eines Alptraumes zu erschaffen, die Ukraine in diesen Flughafen zu verwandeln. Wer das braucht – das kann ich nicht beurteilen.
T.Olewski: Was man noch ergänzen möchte. Ich habe mit meinen eigenen Ohren gehört, wie ukrainische Armeeangehörige das Geschehen in Pisky einen Großen Vaterländischen Krieg (sowjetische Bezeichnung für den 2. Weltkrieg – Anm.d.Red.) nennen, mehrmals wurde das von verschiedenen Menschen an verschiedenen Lagerfeuern ausgesprochen, das ist einfach ein Gedanke. Ich habe dasselbe auch in Horliwka gehört, von den Menschen, die für Besler seine Panzerwagen reparieren.
A.Pluschew: Von der Seite der Separatisten. Du musst das erläutern, weil du schon so tief in dieser ukrainischen Geschichte drin bist…
T.Olewski: Ja, weil ich ja schon mehrmals in der Ukraine und in Donezk war… Und hier muss man verstehen, dass Horliwka eine andere Geschichte ist. Es wird von einem komischen Offizier regiert, der seine eigene Vorstellungen von Gut und Böse hat, eigene Vorstellungen davon, was er alles entscheiden darf…
S.Loiko: Welcher Offizier!
T.Olewski: Nein-nein, er ist Offizier der sowjetischen Armee.
S.Loiko: Genau das meine ich.
T.Olewski: Schauen Sie, er entscheidet, wer das Recht auf Leben hat und wer nicht. Er hat irgendwelche eigene Vorstellungen davon, wie es gut sein soll, und wie es schlecht sein soll. Jetzt verhandelt er mit der Ukraine über bestimmte Dinge, zum Beispiel über die Heizung in Horliwka. Und überhaupt werden Gespräche mit ihm geführt, also prinzipiell kann die Ukraine Verhandlungen mit ihm führen. Und dann gibt es Donezk und Luhansk, wo die Situation absolut genial ist, und wo ich Gruppierungen beobachtet habe, die erst die Menschen beklauten, dann sie unter Beschuss nahmen und trotzdem behaupteten, sie würden diese beschützen. Und dabei erzählten, dass das ein Krieg gegen den Faschismus ist. Hier kommt eben die Frage auf. Da sagt man, dass es ein Krieg gegen den Faschismus ist. Also, die „DVR“ in Donezk sagt, sie bekriegen den Faschismus, die Junta. Die ukrainische Armee sagt, dass es ein Großer Vaterländischer Krieg ist und zieht Analogien zum Zweiten Weltkrieg, in dem sie auch den Faschismus bekämpften. Aber es ist, wie es mir scheint, eine ziemlich wichtige Geschichte, denn jetzt nehmen sie Russland wie jenes Land wahr – wie das faschistische Deutschland zu einer anderen Zeit.
Sie nehmen Russland als einen Aggressor wahr, und was für uns ganz wichtig zu verstehen ist, dass es für immer ist. Daran werden sich die Kinder und die Kindeskinder erinnern. Das ist der Gedanke hier, dass am Ende die Ukraine im Großen und Ganzen glaubt, und es sehr begründet glaubt, dass sie keinen Krieg mit der „DVR“ führt, sondern dass sie einen Krieg gegen Russland führt. Das ist die Tragik dieser Situation natürlich.
A. Pluschew: Ein Paar Minuten haben wir noch. Wir haben ja gesagt, was innerhalb der Separatistenkreise passiert – irgendwelche Widersprüche gibt es dort, bis zu Schießereien und gegenseitiger Vernichtung. Du hast noch erwähnt, dass es innerhalb der ukrainischen Seite, zwischen der Armee und dem „Rechten Sektor“ schwierige Beziehungen gibt. Ein paar Minuten nur.
T.Olewski: Sehr kurz. Der „Rechte Sektor“ ist ja doch eine rechte Organisation, die ganz verschiedene Rechte aus der ganzen Ukraine aufgesaugt hat, und ich habe da zum Beispiel sogar einen FSB-Mitarbeiter aus Primorje getroffen, der im FSB gedient hatte, aber er war ganz rechts, er meinte, dass es absolut normal sei, für die rechte Idee in Russland mit terroristischen Methoden zu kämpfen, und dann ist der „Rechte Sektor“ gekommen, er ist bei „Asow“ nicht aufgenommen worden, ist am Polygraph getestet worden. Und dann habe ich ukrainische Rechte gesehen, die gar keine Rechte sind, die, Entschuldigung, aber eigentlich mehr links sind. Sie ähneln den Fussballfans, und wenn Sie da auf irgendwelche Geschichten warten, über verbrannte Kinder und Judenverfolgungen, so ist das ganz und gar nicht das, was auf der ukrainischen Seite passiert. In der Armee hat man sehr schlechte Beziehungen zu den Rechten, sehr negativ. Mehr noch: Sie erlauben sich gar keine unvorschriftsmäßigen Chevrone. Und überhaupt finde ich, dass das alles Unfug und unnötig ist. Also, sie nehmen diese natürlich als ihre Kampfgefährten wahr, aber sie sind natürlich Internationalisten.
A.Pluschew: Eine Minute haben wir noch. Sergei könnte noch was ergänzen.
S.Loiko: In dieser nationalistischen Organisation „Rechter Sektor“ habe ich ein Maschinengewehr „Maxim“ entdeckt, ein funktionierendes, das sehr laut schießt. Und der Richtschütze dieses Maschinengewehrs war ein Jude, Walerij Tschudnowskij, und dann hat mir ein Oberst der ukrainischen Armee, ein echter Oberst, Oleh Subowski, am Flughafen erzählt, dass „diese Jungs aus dem „Rechten Sektor“ nur eine extreme Sache gemacht haben: Sie sind zu diesem Flughafen gekommen. Aber sie sind mutig, tapfer, echt und wir wissen immer, dass wir uns auf sie verlassen können.“
T.Olewski: Ja, sie haben so eine Beziehung. Eine andere Frage ist, soweit ich das verstehe, dass die ukrainische Armee an der vordersten Linie aus Menschen besteht, die schon einen… ein Teil der Menschen dort sind solche, die durch Brennpunkte gegangen sind, und dann Menschen, die mehrere Universitätsabschlüsse haben und auf ihren eigenen Wunsch in den Krieg gezogen sind…
A.Pluschew: Unser Kollege Timur Olewski und Sergei Loiko, ein Korrespondent der „LosAngelesTimes“ haben uns heute in der Sendung „Mit eigenen Augen“ darüber erzählt, was gerade am Donezker Flughafen passiert, zumindest so, wie sie es selbst gesehen haben. Vielen Dank und bis bald!
Quelle: Alexander Pluschew, Timur Olewski und Sergei Loiko in der Sendung „Mit eigenen Augen“ bei „Echo Moskaus“, nvua.net; übersetzt von Irina Schlegel.
CC BY 4.0
2 Responses to “Das verbotene Interview: Reale Situation am Donezker Flughafen”
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19-21. Januar 2015: Im Gedenken an die Cyborgs - InformNapalm.org (Deutsch)[…] wurde, gleichzeitig aber auch zur grössten Hoffnung der Ukraine. 242 Tage lang haben die Cyborgs den Flughafen verteidigt, und nur durch Niederträchtigkeit und Gemeinheit hat der Feind das einnehmen können, was zum 19. […]
02/12/2019
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