Die Schlacht um den Kessel bei Debalzewe ist womöglich die schärfste und weitreichendste Schlacht des Russland-Ukraine-Kriegs bis heute.
Die Schlacht umfasst den vollen Umfang moderner mechanisierter Kräfte, das Zusammenspiel von Geheimdienst, Infanterie, Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen, Artillerie und intelligenten elektronischen Mitteln. Die ukrainische Armee hält zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Abwehreinsatz an breiter Front und zeigt sich damit volltauglich im Kampf. Nachdem 8 Tage gekämpft wurde, schlugen die ukrainischen Truppen erfolgreich den russischen Angriff zurück. Die russische Söldner-Armee hatte versucht, die ukrainische Verteidigung im Donbass zu zerschlagen und damit radikal den Verlauf des Kriegs zu ändern. Dem Feind ist es nicht gelungen, sein Ziel zu erreichen und er erlitt schwere, möglicherweise lähmende Verluste.
Debalzewe ist ein Straßen- und Schienenknotenpunkt mitten im besetzten Gebiet der Ost-Ukraine. Die ukrainischen Truppen hatten diese Stadt kurz nach dem tragischen Abschuss von Flug MH17 durch eine russische Boden-Luft-Rakete eingenommen. Tatsächlich war diese Buk-M1-Raketen-Batterie auf einem Tieflader durch Debalzewe gefahren, als sie auf dem Weg nach Donezk und danach an einen Ort in der Nähe von Snischne gebracht wurde, von wo der verheerende Raketenschuss abgegeben wurde. Kurz danach nahmen die ukrainischen Truppen Debalzewe ein. Als sie am 28. Juli die Anhöhe von Sawur Mohyla nahe der russischen Grenze einnahmen, hatten sie damit das besetzte Gebiet geteilt und die Stadt Donezk isoliert. Es benötigte eine Invasion von regulären russischen Truppen im Ausmaß einer vollen Division am ukrainischen Unabhängigkeitstag (24. August) um den Fortgang der von Putin geplanten Aggression zu sichern. Der Kessel bei Debalzewe ist der Rest dieses Korridors, der von der russischen Invasion zerstört wurde.
Debalzewe ist ebenfalls von strategischer Wichtigkeit als mögliche Schussstellung für die Einnahme von Horliwka und möglicherweise Donezk selbst. In der Zwischenzeit diente es als Stützpunkt für das Team der Beobachter der OSZE, welches ironischerweise unter anderem auch aus dem russischen General Alexandr Wjaznikow bestand, dem Offizier, der die russische „Friedenstruppe“ zusammenstellte, die diesen Teil der Ukraine besetzt hat und an den Kämpfen teilnahm.
Was passierte in der Schlacht um den Kessel von Debalzewe?
Das russische Kommando konzentrierte zwei Kampfgruppen an den Flanken der „Tasche“ und versuchte, den Debalzewe-Kessel an seinem Hals abzuschneiden. Der Kern der sogenannten Horliwka-Gruppe im Westen war die sogenannte 3. Brigade, die Oplot-Brigade und die „Kalmius-Brigade“. Der Kern der sogenannten Brjankowska-Gruppe im Osten war die 4. Brigade bekannt als „Batman“. Ebenfalls an den Kämpfen beteiligt waren die Hauptkräfte der „Prizrak“ (Geister) Brigade, die besten Kampfeinheiten der „LVR“ und „DVR“.
In schweren Kämpfen am 23.-24. Januar gelang es dem Feind, die Dörfer Troizke und Switlodarsk einzunehmen, wodurch er eine Bedrohung für die Bundesstrasse M-103 darstellte. Offensichtlich war das Ziel, die Debalzewe Gruppe komplett zu umzingeln und die Straße einzunehmen. Das ukrainische Kommando war aber auf diese Pläne des Feindes vorbereitet. Ein rechtzeitiger Gegenangriff ukrainischer Panzer erlaubte den Ukrainern, den Feind aus Troizke zu vertreiben und dort einen verlässlichen Stützpunkt zu errichten. Gleichzeitig wurde der Feind aus Switlodarsk geworfen. Tatsächlich wurde der Feind an der gesamten Verteidigungslinie – bestehend aus Tschornuchine, Redkodub und Nikishine- zurückgeschlagen. Die Schlacht wurde von Anfang an mit beispielloser Härte geführt. Dem Angriff der russischen Söldner wurde mit schwerem Artilleriefeuer begegnet, einschließlich der Anwendung schwerer Haubitzen.
Es sollte festgehalten werden, dass die Bemühungen des russischen Spezialkommandos, Söldner mit Kampferfahrung zu rekrutieren, zum Entstehen der Formationen in den besetzten Gebieten führte, die man tatsächlich als Privatarmeen bezeichnen kann. Aber die dramatisch gestiegene Effektivität im Kampf und der Zusammenhalt dieser Söldnereinheiten, sowie ihre Umwandlung in reguläre Armeeeinheiten ist das Resultat einer Verlegung von großen Teilen der regulären russischen Armee in die Ost-Ukraine (die sogenannten „Urlauber“). Deswegen bestanden die Stoßtruppen der russischen Führung hauptsächlich aus Söldnern mit Kampferfahrung und das Verhältnis von Russen in solchen professionellen Einheiten, erreichte besonders bei schwerem Gerät und Artillerie bis zu 80-90% der Gesamtstärke.
Der Schlüssel zum erfolgreichen Zurückschlagen dieser Angriffe war der effektive Einsatz der ukrainischen Artillerie. Deren effektives Feuer auf die feindlichen Truppenkonzentrationen sicherte die Stabilität der ukrainischen Verteidigungslinie. Artilleriemunition wurde rund um die Uhr geliefert. Artilleriebeschuss in diesem Ausmaß wurde von der ukrainischen Armee zum ersten Mal seit Beginn dieses Krieges durchgeführt. Das war offensichtlich eine Überraschung für den Feind.
Das Scheitern ihres ersten Angriffes brachte das russische Kommando nicht dazu, ihren Plan, die Kontrolle über die Straße zu übernehmen, zu verwerfen. Der Feind war flexibel und versuchte, die Kampfkraft seiner Kampfformationen zu erhalten. Organisiertem Widerstand ausgesetzt, zog sich der Feind zurück und beschoss die ukrainischen Stellungen selbst mit Artillerie, während er sich aus Troizke und Switlodarsk zurückzog.
Die russische Söldner-Brigade gruppierte sich neu und startete einen neuen Angriff. Nach einer Neueinschätzung des Widerstandes am Hals des Debalzewe-Kessels, griff der Feind südlich von Troizke und Switlodarsk an.
Ihre Hauptstreitkräfte waren an der östlichen Linie des Schlachtfelds konzentriert. Der Feind versuchte, die Firsthöhe, die die M103 zwischen Troizke und Debalzewe kontrolliert, einzunehmen. Der Feind besetzte das Dorf Sanschariwka und heftige Kämpfe fanden an der Hügelkette „307.9“ statt, sowie in der Siedlung Krasniy Pachar.
Zusätzliche russische Artillerie wurde aufgefahren. Die russische Artillerieaufklärung begann, die Stellungen der ukrainischen selbstständigen Artillerie zu berechnen. Dies führte zu einem klassischen Artillerie-Duell.
Zeitgleich mit der geänderten Angriffsrichtung am östlichen Rand des Kessels, führte der Feind ein ähnliches Manöver am westlichen Ende des Kessel-Schlachtfelds durch. Ohne den Besitz ausreichender Reserven schweren Geräts konnte das ukrainische Kommando nicht die Gesamtheit ihrer Verteidigung kontrollieren.
Am 29. Januar wurden sie von einer großen Einheit bei Wuhlehirsk angegriffen und dieser Angriff erwies sich für den Feind als erfolgreich. Als Ergebnis der Aufteilung der ukrainischen Truppen, deren Ziel es war, die Angriffe der russischen Truppen in anderen Gebieten zurückzuschlagen, wurde diese Stadt von einer kleinen Einheit ukrainischer Soldaten aus dem 13. Battalion Tschernihiw (früher ein Battalion der Selbstverteidigung) und der Spezialeinheit „Swityaz“ aus Iwano-Frankiwsk, verteidigt. Bei der Verteidigung des Stützpunktes am Eingang von Wuhlehirsk erwiesen sich die Jungs aus Tschernihiw als sehr kompetent. Drei russische Panzer wurden von Minen in die Luft gejagt, aber der Vierte krachte über die ukrainischen Stellungen und zerstörte ihre Gräben. Trotzdem wurde er sofort mitsamt seiner Besatzung von raketengetriebenen Granaten zerstört. Dies wurde später tatsächlich von einem russischen Videobericht bestätigt.
Die übermächtigen feindlichen Kräfte waren in der Lage, den ersten Stützpunkt und einen Großteil der Stadt einzunehmen. Trotzdem hielt der Stützpunkt am Stadtrand stand. Die kleine Festung in der Stadt begann als Aussichtspunkt zu funktionieren, um die Artillerie auf den heranrückenden Feind auszurichten. Als Ergebnis war die Horliwka Gruppe nicht in der Lage, ihren anfänglichen Erfolg weiter auszubauen.
Übrigens wurde die ukrainische „Swityaz“-Kompanie, entgegen vieler früherer Berichte nicht in Wuhlehirsk umzingelt. Sie blieben zwei Tage am nördlichen Stadtrand unentdeckt und nach dem Überprüfen eines sicheren Fluchtwegs zogen sich die Soldaten in guter militärischer Ordnung zurück.
Ein ukrainischer Gegenangriff wurde sofort organisiert, welcher Reserve-Einheiten der Nationalgarde einschloss, die, unterstützt von Armee-Panzer-Einheiten, den Feind erfolgreich an den östlichen Stadträndern von Wuhlehirsk angriff. Ukrainische Kommandeure mussten schnell reagieren. Als die Kontrolle über die Stadt verloren war, war es von Nöten mit Gegenangriffen den Feind einzudämmen, da ansonsten die Horliwka-Gruppe eine unberechenbare Gefahr dargestellt hätte. Soldaten des Kulchytsky-Nationalgarde-Bataillons und die Panzer griffen sofort an. Es war eine sehr wichtige und rechtzeitige Entscheidung. Zusätzlich stellte der Kommandeur des 26. mechanisierten Infanterie-Bataillons „Kiewer Rus“ seine eigene Kampftruppe für einen Gegenangriff zusammen, als er vom Durchbruch bei Wuhlehirsk hörte.
Diese Angriffe erlaubten dem ukrainischen Kommando, sich neuaufzustellen und jeden möglichen Angriff durch Wuhlehirsk nach Debalzewe einzudämmen, das nur 14 Kilometer entfernt liegt. Die östlichen Stadtränder wurden zum Hauptschlachtfeld. Aber ukrainische Aufklärungstruppen griffen den Feind sogar im Stadtzentrum an. Ukrainische Panzer lieferten sich erbitterte Gefechte mit feindlichen Panzern, die versuchten aus Wuhlehirsk nach Debalzewe vorzurücken. Die Geschwindigkeit und Entschlossenheit der ukrainischen Gegenangriffe hielten das russische Vorrücken auf.
Am 29. Januar, nach massivem Artillerie-Sperrfeuer griff der Feind erneut die ukrainischen Verteidigungslinien an. Es gab Angriffe an allen Positionen entlang des östlichen Rands des Debalzewe-Kessels. Nachdem sie durch schweren Artillerie-Beschuss großen Schaden an den feindlichen Befestigungen verursacht hatten, zogen sich die ukrainischen Truppen aus Nikischine zurück. Die Kämpfe in diesem Dorf hatten 4 Monate gedauert und waren teilweise sehr erbittert. Die Entscheidung, sich zurückzuziehen war gerechtfertigt, denn die ukrainischen Truppen haben somit vorher vorbereitete Stellungen weiter hinten eingenommen.
Am 2. Februar hatte die Intensität der Kämpfe abrupt nachgelassen. Die feindliche Offensive auf den Kessel bei Debalzewe war gescheitert. Zum ersten Mal bemerkte das russische Kommando seine Verluste und stellte seine Offensive ein.
Autor: Myroslav Petriw unter Verwendung der Informationen von Yuri Butusow als Quelle; übersetzt von Oleg Morosow; redaktiert von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf den Autor und unsere Ressource erforderlich.
One Response to “Die Schlacht um den Debalzewe-Kessel”
02/02/2017
Awdijiwka und die deutsche Berichterstattung: Über den Umgang mit der Ukraine in den deutschen Medien - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Ich persönlich bin der Meinung, dass das Telefonat von Putin mit dem US-Präsidenten durchaus in Verbindung steht, nur ziehe ich daraus vollkommen andere Schlüsse als die deutschen Hysteriemedien: Der russische FSB-Oberst hat wohl keine Vereinbarung erreichen können und die Folge davon war eben die Eskalation im Donbass. Das kennen wir schon, das ist Kremls Praxis seit fast drei Jahren, das beste Beispiel dafür ist der Winter 2015, als die Russen, um die Minsker Verhandlungen im Februar 2015 in ihrem Sinne zu beeinflussen, Dutzende Angriffe ausführten und Zivilistenleben kaltblütig (wie üblich eigentlich) in Kauf nahmen: Donezk, Mariupol, Makijiwka, Kramatorsk, Wolnowacha, Debalzewe. […]