Aufgrund der eigenen Untersuchungen und Beobachtung von russischen Besatzungstruppen auf der Krim berichtete InformNapalm bereits mehrmals über die ansteigende Militarisierung der Halbinsel. Aber technische Aufklärungsdaten über die Konzentration der Militärtechnik, Umdislozierung von Bewaffnung und Personalbestand sind nicht für jeden verständlich. In diesem Material vom Journalisten Viktor Tregubow wird sehr einfach erklärt, wie sich das Leben der Krimer verändert, die nun wie Geisel (ob freiwillig oder nicht) im „Laderaum eines Flugzeugträgers“ leben, in den die russischen Besatzungstruppen gerade die Krim verwandeln.
Abgesperrte Strassen. Verstärkung der Kontrolle über die Bewegung der Zivilisten. Wie Pilze aus der Erde wachsende militärische Objekte, Militärgerät auf den Strassen, Schreckensgeschichten über die Vorbereitung auf „irgendwas“. Massenhafte Abschaltung vom Internet, die mit dem Feigenblatt der „Wartungsarbeiten“ bei allen Providern gleichzeitig bedeckt wird. Das ist die neue Realität auf der Krim. Bislang nur auf der nördlichen Krim, von Dschankoi und weiter nach oben.
Das alles ist nicht normal. Für eine normale Region. Normal ist es aber für einen Krieg-„Frontier“, für eine wilde Pufferzone. Der Unterschied besteht darin, dass in einer normalen Region die Bevölkerung ihre Füllung darstellt, im Grunde die Bevölkerung die Region auch ist: Wenn wir von einer Region sprechen, meinen wir ihre Einwohner.
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Ein Frontier ist etwas anderes. Dort ist die Bevölkerung eine Ressource. Dort existiert nicht der Staat für Menschen, sondern die Menschen – für den Staat: Um die Grenze zu halten, die Nachbarn zu bedrohen, das Militärgerät und die Militärangehörigen zu bedienen. Frontier ist ein Aufmarschgebiet, im Grunde eine grosse Militärbasis mit dazugehörigen Territorien. Dort gibt es keine Begriffe wie „Beschwerden über fehlenden Komfort“, dort ist der Komfort gar nicht eingeplant, dafür ist der Frontier nicht geschaffen.
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Jahr für Jahr fallen die Krimer immer tiefer in diese Wolfsgrube. Der Unterschied zwischen der ukrainischen und der russischen Herangehensweise an das Schicksal der Krim besteht in der Vorstellung über ihre Zukunft. Für Kiew war die Krim immer ein Urlaubsort. Ein weitgehender Traum war es, die Krim in eine Art Antalya zu verwandeln, als Maximum – in eine Art Kalifornien. Eine blühende warme Gegend, wohin Menschen aus aller Welt kommen, ihren Urlaub genießen und Geld da lassen. Ein Hindernis dabei war die Tatsache, dass ein in den 90ern bettelarmes und in den 00ern bescheidenes Land kein Geld für so etwas hatte. Vieler Krimer, in ihrem Glauben an die gute Zukunft, hatten die ukrainische Herangehensweise auf Russland übertragen: Es wird genauso, aber nun wird es endlich Geld für diese Entwicklung geben!
Das Problem ist, dass Russland ganze andere Absichten mit der Halbinsel hat. Und zwar soll sie zu einem Symbol der Kriegssiege und zu einer Militärbasis in einer Schlüsselregion werden. Im besten Fall ein Analog des englischen Gibraltar, im schlimmsten – des amerikanischen Guantanamo. Es geht hier nicht um die Frage „Wird das Geld reichen?“. Wenn es nicht genug Geld geben wird, wird es wenig Waffen auf der Krim geben, wenn es viel Geld geben wird – wird es auch viele Waffen geben. Es werden aber keine Disneylands mit Hollywoods dort geplant. Wozu, wenn es dem ganzen Konzept widerspricht? Wer baut denn bitte einen Aquapark mit einem Ausgang auf eine U-Boot-Basis?
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Nun gibt es zwei Szenarien für die Krim
Das erste Szenario ist zu einem riesigen Truppenübungsplatz zu werden. Der „Unsinkbare Flugzeugträger“. Das kleine Problem besteht hier darin, dass es keine überflüssigen Menschen auf einem Flugzeugträger gibt. Nur die Besatzung und womöglich ein wenig Bedienungspersonal. Flugzeugträger ist eine Waffe, und Waffen sind funktional. Passagierkabinen sind dort meist nicht vorgesehen, und wenn sich dort unerwartet ein paar Zivilisten wiederfinden, müssen sie sich im besten Fall in unbesetzten Kabinen der Besatzung aufhalten. Im schlimmsten – in den Lagerräumen.
Das zweite Szenario ist zu einem Schlachtfeld zu werden. Also, ebenfalls zu einem Flugzeugträger aber unter Beschuss. Von der Krim aus droht der Kreml heute der Ukraine. In Perspektive, wenn aus Kremls Sicht alles gut läuft, beabsichtigt man von dort aus der NATO zu drohen. Wenn heute aus irgendeinem Punkt Raketen auf einen Nachbarn gerichtet sind, gibt es dort welche, die auf die Gegenseite gerichtet sind. Der neue Krimer Krieg gegen die „westliche Koalition“, falls so einer je stattfinden wird, wird keine lange Belagerung von Sevastopol miteinschließen. Der Krieg wird diese Stadt wie auch andere unter Beschuss von Langstreckenraketen direkt aus dem Mittelmeer nehmen. Und dann wird es darauf zu antworten versucht. Es wird keine heroische Verteidigung von Malachow-Grabhügel geben, denn die Erstürmung der Städte wird nun nicht ohne die Unterdrückung des Gegners mit Luftwaffe und Artillerie geführt.
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Man kann all das bestreiten. Das Obengesagte muss vielleicht sogar bestritten werden, so arbeiten die Mechanismen der Psyche, die es erlauben sich bei guter Laune zu halten, wie es Medwedew allen rät. Aber wer Augen hat, sollte sehen: Genau auf diese Endpunkte läuft das ganze jetzige Geschehen auf der Halbinsel hinaus.
Die Krim wird auf den Krieg vorbereitet. Auf das Leben in seiner Erwartung.
Die gute Nachricht ist die, dass der Krieg nicht stattfinden könnte.
Die schlechte Nachricht ist, dass das Leben auf einem Truppenübungsplatz niemals normal wird.
Dieser Artikel wurde von Viktor Tregubow exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
CC BY 4.0
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