Am 1. Juni erschien auf der offiziellen Webseite des TV-Senders der russischen Streitkräfte „Swesda“ ein ziemlich provokatives Material unter der Schlagzeile „Die Bombe ist geplatzt: Wie Russlands Luftwaffe auf der Krim die Raketenabwehr der USA vernichten wird“ (Archiv). In diesem Material werden sehr konkrete aggressive Messages verbreitet, die sowohl gegen die NATO als auch gegen die USA gerichtet sind. Dabei wurde dieses Material nicht im Blog von irgendeinem russischen Terroristen-Revanchisten wie Igor Girkin veröffentlicht, und kam nicht mal aus dem Munde eines anrüchigen Abgeordneten des russischen Parlaments wie Wladimir Schirinowski – es erschien auf der offiziellen Webseite des TV-Senders der russischen Streitkräfte…
Wir zitieren ein paar Ausschnitte aus dieser Publikation:
„Heute erschliessen die Piloten mit Vergnügen die Flugplätze auf der Krim.
Im Krimer Himmel wurden strategische Überschallbomber Tu-22M3 und Tu-95, Frontbomber Su-24, Erdkampfflugzeuge Su-25 und die Kampfflugzeuge MiG-29 gesichtet.
Natürlich wird die Krim nicht zufällig ein „landgebundener Flugzeugträger“ genannt, von deren Territorium aus faktisch der ganze Luftraum über dem Schwarzen Meer kontrolliert wird, und von der die Türkei, ein NATO-Land wohlgemerkt, zum Greifen nahe ist. Die Krimer Halbinsel, die als Übungszentrum für Piloten der russischen Luftwaffe benutzt wird, wurde auch zum Startplatz fürs Abfliegen der NATO-Länder im Schwarzmeerraum. Rumänien und Bulgarien, wo geplant ist, amerikanische Raketenabwehr-Systeme zu platzieren, sind auf der Karte nicht bloß mit ihren Stränden an der Küste markiert. Und selbst das Territorium der Türkei ist höchstwahrscheinlich mit solchen Objekten markiert, die potentielle Gefahr für unser Land darstellen können. Also hat jeder Übungsausflug der russischen militärischen Flugzeuge auch ein praktisches Ziel. Bislang nur ein präventives. Und wenn wir uns aber an die Vorfälle mit der Annäherung von NATO-Schiffen an Russlands Grenzen im Schwarzen Meer erinnern, so wird ihnen wohl das Auftauchen von russischer Luftwaffe im Himmel ganz und gar nicht gefallen, die ihre Übungsmanöver abhalten werden, beispielsweise auch mit Bomben-Abwurf,“- steht in der Meldung auf der offiziellen Webseite des TV-Kanals „Swesda“.
Also, zunächst hat Russland mehrere internationale Abkommen gebrochen, den souveränen Staat Ukraine überfallen und ihre Halbinsel annektiert, und droht nun von ebendieser Insel den NATO-Ländern. Klingt nach einem wahnsinnigen Terroristen, nur dass hier in der Rolle eines Terroristen ein Staat auftritt, der Atomwaffen besitzt, ein UN-Mitglied mit Veto-Recht ist und dabei völlig verloren in seiner Nostalgie nach längst verstorbener Sowjetunion ist. Dem dazu auch noch jegliches Verantwortungsgefühl für eigene Taten abhanden gekommen ist. Dem die vier entfesselten Kriege auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion – in Moldau, Aserbaidschan, Georgien und Ukraine – nicht genug waren, und der nun nach mehr strebt. Zur Stärkung der eigenen Position bei den Verhandlungen über die Abschaffung der Sanktionen und zum Erhalt von besetzten Territorien verlegte Russland seine militärischen Flugzeuge nach Syrien, wo es seit mehreren Monaten auf regulärer Basis syrische Wohngebiete, Schulen und Krankenhäuser zerbombt. Die Logik des Aggressors ist einfach: niemand legt sich mit einem wahnsinnigen Attentäter an, der im Fall aller Fälle mit Atomwaffen oder dem Mord an seinen Geiseln drohen kann.
Jeder, der einen Krieg entfesselte und Unschuldige tötet, sollte aber dazu bereit sein, dass er eines Tages seine Verbrechen vor dem Gesetz und der Gesellschaft verantworten müssen wird. Das ist seine Bürde, die er sich selbst auferlegt hat.
Russland hat der ganzen Welt bereits mehrmals gezeigt, dass es sehr wohl versteht, was es tut und vor der Last, ein Mörder zu sein, nicht zurückschreckt. Man braucht sich nur an die bravourösen Reden von Putin, Lawrow, Schoigu und zahlreichen Abgeordneten der russischen Gosduma zu erinnern, die zweifelhafte Errungenschaften der russischen Streitkräfte zur Einnahme von weiteren fremden Territorien und Gewalt gegen lokale Bevölkerung hochpreisen. Dmitry Kisseljow und seine Fernsehkollegen sind 24 Stunden am Tag stolz auf ihre Armee und lassen es jeden Zuschauer wissen. Russische Streitkräfte sind aber auch stolz auf ihre „Heldentaten“. Zahlreiche Selfies aus der Ukraine und Syrien tauchten in den OSINT-Publikationen von InformNapalm und anderen Teams und Bloggern auf, die soziale Netzwerke analysieren.
Erstaunlich ist bei dieser Hingabe an die eigene Arbeit und bei der Massenunterstützung seitens der russischen Bevölkerung die Abneigung der russischen Armee gegen die Veröffentlichung von Namen und Gesichtern ihrer „Helden“ in den Reportagen von ausländischen Journalisten und Bloggern.
Auch die Vertreter der russischen Medien sind nicht sonderlich erfreut darüber. Neulich zum Beispiel verfielen russische Medien, darunter auch einige TV-Sender, in eine regelrechte Hysterie wegen der InformNapalm-Veröffentlichung von systematisierten Angaben zu 58 Besatzungsmitgliedern der russischen Luftwaffe, die Raketen- und Bombenangriffe auf Syrien ausführen.
Hier geht es zur Reportage des St.Petersburger Fernsehkanals „5 Kanal“, in der eine flammende Rede über unser Projekt gehalten wurde (Wir haben die Reportage auf Englisch übersetzt):
Auf der Basis der Analyse von Angaben aus offenen Quellen haben die OSINT-Aufklärer von InformNapalm herausgefunden, dass sich zumindest 41 Flugzeuge aus 8 Truppenverbänden der russischen Luftwaffe an der syrischen Kampagne beteiligen. Es ist uns gelungen, 58 Offiziere aus dem Bestand der Besatzungen von strategischen Überschallbombern Tu-95, Tu-160 und Tu-22M, Frontbombern Su-24, Erdkampfflugzeugen Su-25 und vom Aufklärungsflugzeug IL-20 zu identifizieren. Die erfassten Angaben haben unsere Freiwilligen in einer umfassenden Infografik wiedergegeben, in der sie die Namen und Nachnamen, Geburtsdaten und andere Daten der russischen Piloten angegeben haben, ferner auch die Registrierung- und Bordnummern der Flugzeuge, Militäreinheiten, Abteilungen und ihre Stationierungsorte. Diese Information wurde von den russischen Medien als „geheim und bedrohlich“ bezeichnet. Unklar nur, aus welchem Grund, denn in den russischen Medien werden russische Piloten permanent als Helden dargestellt. Wenn sie nicht als Kriegsverbrecher, sondern als Helden wahrgenommen werden – wofür schämen sie sich dann? Soll sie doch jeder kennen.
Wir möchten anmerken, dass in der Infografik von Informnapalm auch detaillierte Angaben zu zerstörten Infrastruktur-Objekten und den Opfern unter ziviler Bevölkerung von Syrien infolge der russischen Luftangriffe bereitgestellt wurden. Über 80% der russischen Luftangriffe werden nicht auf die IS-Stellungen ausgeführt, sondern auf syrische Zivilisten oder die Kräfte der Freien Syrischen Armee, die gegen das Regime von Baschar al-Assad kämpft. Nach den Publikationen vom TV-Sender der russischen Streitkräfte mit offenen Drohungen über den Einsatz von Luftwaffe nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen die NATO-Länder erhält die Information zu Besatzungen der russischen Luftwaffe einen besonderen Wert auch für die Rechtsschutzorganisationen.
Ausserdem besitzt diese Information auch einen strategischen Charakter. Denn jeder Pilot, der weiss, dass die benötigte Information zu seiner Identifizierung bereits öffentlich zugänglich ist, wird einen verbrecherischen Befehl zweimal überdenken und bewusst die Entscheidung entweder über seine Ausführung oder aber über den Verzicht darauf treffen. Dank der Angaben, die unsere Aufklärer erfasst und systematisiert haben, kennen wir faktisch jeden, der sein Können bei den Luftangriffen auf syrische Zivilisten perfektionierte und nun zu Bombardierungen auf die Bürger der Ukraine entsandt werden könnte, oder aber zur Verwirklichung von Provokationen gegen die Türkei oder andere NATO-Länder.
Die Piloten der russischen Luftwaffe haben in Wirklichkeit tatsächlich Grund zur Sorge, denn sie verletzen das Internationale humanitäre Völkerrecht und das müssen sie sehr wohl wissen. Befehle, dichtbesiedelte Wohngebiete zu bombardieren, sind verbrecherisch, sie gehen diesen Befehlen aber bewusst nach, im Interesse ihrer Karriere. Werden sie aber genug Mut besitzen, in die Augen von Nahestehenden ihrer Opfer zu schauen, wenn sie als Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen werden und auf der Anklagebank landen?
Dieses Material wurde von Roman Burko, Christina Dobrovolska und Irina Schlegel exklusiv für InformNapalm vorbereitet. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
CC BY 4.0
3 Responses to “Russische Drohungen gegen die NATO: Die Krim als Flugzeugträger”
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