
von Irina Schlegel
Am Beispiel eines Facebook-Kontos zeigen wir im nachfolgenden Text, wie russische Trolle den Facebook-Sperralgorithmus dazu ausnutzen, kritische Stimmen über Russland gänzlich von der Plattform zu löschen.
Da Facebook es jetzt fertiggebracht hat, mich zum sechsten (!) Mal in drei (!) Monaten zu blockieren, habe ich beschlossen, diesen ganzen Vorgang in chronologischer Reihenfolge in einem Text zusammenzufassen. Allein schon deswegen, weil die Entscheidung, welche Texte ich öffentlich poste, und welche nur für Freunde oder für mich, ich allein treffen werde und ganz bestimmt nicht irgendwelche eingeschleuste Putinisten als FB-Admins.
Ich möchte die Aufmerksamkeit der Leser darauf lenken, dass mein Fall bei weitem kein Einzelfall ist. Viele wissen schon Bescheid über permanente Sperren von proukrainischen Nutzern auf FB in den letzten Monaten. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Team InformNapalm, in dem fünf der aktivsten Autoren und Redakteure seit März 2018 faktisch nicht mehr aus Sperren herauskommen. Man kann es Facebook nur schwer glauben, das uns stets höfliche Benachrichtigungen über die „Verletzung seiner Gemeinschaftsstandards“ zuschickt, wenn unsere Sperren stets nach ein und demselben Schema ablaufen:
- wir kommen aus der Sperre raus, posten etwas öffentlich
- innerhalb von zwei-drei Tagen werden wir erneut blockiert
- für Beiträge und Kommentare aus den Jahren 2014-2015.
Ich schildere hiermit anschaulich die letzten drei Lebensmonate meines Kontos Irina Schlegel (Konto vom Jahr 2009) auf Facebook:
Also, zum ersten Mal wurde ich noch im Juli 2017 wegen eines alten Fotos aus dem Jahr 2014 mit dem Wort „rusnja“ (über die Bedeutung dieser Wörter kann man hier nachlesen) für einen Tag geblockt. Damals hatte ich gar nicht verstanden, was denn nun eigentlich passiert war und schenkte dem Vorfall keinerlei Aufmerksamkeit.
Zum zweiten Mal wurde ich am 3. Januar 2018 für einen Beitrag auf Deutsch vom 1. Januar 2018 für drei Tage gesperrt. Nach einem Artikel von Julian Röpcke in der „Bild“ über diesen Fall, wurde der Beitrag wiederhergestellt und Facebook entschuldigte sich bei mir. Es ging wohl um den Ausdruck „feige Nation„, die Einzelheiten dieser Geschichte sind hier nachzulesen.
Und aber beim dritten Mal begann eine äußerst interessante Geschichte der permanenten „Ausradierung“ unserer Stimmen von Facebook mittels durchgehender, ununterbrochener Sperren.
Am 9. März 2018 bin ich bereits für sieben Tage gesperrt worden, wobei der „Zähler“ eigentlich hätte zurückgedreht werden müssen, da die vorige Sperre aufgehoben wurde und ich im Prinzip nun wieder für drei Tage hätte gesperrt werden sollen. Der Beitrag war ebenfalls neu, wurde ein paar Tage vor der Sperre veröffentlicht, in russischer Sprache. Der Grund lag offensichtlich im Wort „moskali“ am Ende des Textes. Über die Unzulässigkeit eines Sperralgorithmus, der die Nutzer aufgrund einzelner Wörter sperrt, habe ich daraufhin in meinem Artikel „Moskali, oder wie der FB-Algorithmus die User aufgrund Stoppwörter sperrt“ geschrieben. Ausschnitte aus diesem Artikel schickte ich Facebook im Laufe eines Monats jeden Tag über das Fenster „wenn Sie mit mit der Sperre nicht einverstanden sind, teilen Sie uns mit“.
Ergebnis? Facebook hat mir die Möglichkeit Beschwerden einzureichen, gänzlich entzogen. Das Fenster gibt es nicht mehr)
Übersetzung: „Krass. Wie es aussieht, hatten russische Hacker das deutsche Regierungsnetzwerk gehackt (also Bundestag mit Kanzleramt und anderen Ämtern) und allem Anschein nach, wirtschafteten sie dort über ein Jahr lang herum… Die Deutschen haben noch im Dezember davon erfahren und das Loch zugemacht, schwiegen aber bis zuletzt – untersuchten das Ausmaß des Eindringens. Bis zum Verteidigungsministerium ist Rusnja zwar nicht vorgedrungen, aber… Gerade wurde nach letzten Ergebnissen mitgeteilt, dass wenn schon der Hackerangriff auf den Bundestag 2015 vom deutschen Außenministerium als „militärischer Akt“ eingestuft werden konnte, so stellt dieser Angriff eine regelrechte „Atombombe“ dar, und wenn bewiesen wird, dass dahinter die Regierung eines anderen Landes steht (im Artikel wird mehrmals direkt gesagt: Russland), so wird es schwerwiegende Konsequenzen für die diplomatischen Beziehungen beider Länder haben. Die kriechen ja aus allen Löchern, die Moskalis. Mit dem Kopf gegen die Wand… was wollen die denn…“ (Ich beziehe mich bei dem Post auf einen Artikel in der „Zeit“).
Während dieser Sperre hatte ich jedoch alle drei Stoppwörter („Moskali“, „Kazap“ und „Rusnja“ sowie all ihre Abkömmlinge) über die Suche gefunden und diese in meinen Texten umformuliert. Nichtsdestotrotz bin ich am 16. März aus der siebentägigen Sperrung herausgekommen, um just zwei Tage später, am 18. März 2018, wieder in eine Sperre zu fliegen, aber diesmal für ganze 30 Tage. Gesperrt wurde ich wieder wegen des Stoppwortes „rusnja„, aber in einem Kommentar (Kommentare in der Suche zu finden, erlaubt Facebook im Unterschied zu euren Beiträgen nicht). Dem Gefühl nach stammt der Kommentar aus den Jahren 2015-2016, verfasst war er ebenfalls in russischer Sprache.
Übersetzung: „Ups, nach diesem Beitrag haben sich drei schleunigst entfreundet) Was war das? Rusnja oder was))) Tja, dann muss ich wohl noch ein paar solche Beiträge schreiben“.
Am 18. April lief die festgelegte 30-Tage-Sperre gegen mich aus und ich kam endlich „frei“, nur um genau vier Tage später, am 22. April 2018, erneut gesperrt zu werden. Wieder für 30 Tage, wieder wegen eines alten Kommentars, wieder das Wort „rusnja„.
Übersetzung: „Das brauchen wir nicht. Es gibt eine Grenze. Wir brauchen uns nicht auf das Niveau von rusnja zu begeben“
Am 22. Mai wurde ich entsperrt und genau zwei Tage später, am 24. Mai, wurde versucht, mich für einen Beitrag vom 28. April 2014 mit den Worten „fuck russians“ zu sperren. Nachdem ich eine Überprüfung beantragt hatte, wurde ich nach ein paar Stunden wieder entsperrt.
Übersetzung: „Fuck Russians who are going to shoot a movie „about first love“ in Crimea! Das wird sich noch für euch alle im Leben auswirken! Nicht nur für diejenigen, die sowas drehen, sondern auch für jene, die das unterstützen!“
Falls Sie dachten, damit sei Schluss und man hätte mich in Ruhe gelassen, haben Sie sich geirrt: Bereits fünf Tage später, am 29. Mai 2018, wurde ich erneut für 30 Tage gesperrt. Wieder für einen alten Kommentar, einen Einspruch einzulegen war unmöglich. Stoppwörter gab es im Kommentar nicht, Flüche, Todeswünsche oder einen Angriff ebenfalls nicht – nichts davon enthält der Kommentar.
Übersetzung: „Sucht doch Mitleid da im Westen – da mag man es, mit den armen unglücklichen Russen Mitleid zu haben, sie sind doch alle unter einem Diktator! Die sind aber schon seit 300 Jahren unter einem Diktator. Diese „unglückliche Russen“ sind Chauvinisten und Imperialisten, die ihre Nachbarn terrorisieren und allen längst auf die Nerven gehen.“
Und hinterher, noch am selben Tag, wurde mir wieder derselbe Beitrag über Russen auf der Krim aus dem Jahr 2014 zugeschickt, den Facebook bereits entsperrt hatte. Diese Sperre konnte ich anfechten – der Beitrag wurde wiederhergestellt und am 6. Juni, nach acht Tagen in Sperre, wurde ich unerwartet entblockt.
Dachten Sie, das wäre das Ende der Geschichte? Na klar.
Am 8. Juni, genau zwei Tage später, wurde ich für einen Beitrag vom 30. Juli 2015 gesperrt. Wieder mal für „hatespeech“. Nachdem ich eine Überprüfung beantragt hatte, wurde die Entscheidung über die 30-Tage-Sperre bestätigt. Mehr noch, Facebook erdreistete sich, die reale historische Vergangenheit Russlands als „SPAM“ zu bezeichnen.
Übersetzung: „Der Westen muss aufhören, mit den Russen Mitleid zu haben. Aufhören, ihnen zu helfen. Im Laufe der letzten 150 Jahre hat der Westen schon gefühlte hundert Mal geholfen. Macht Russland zu, verdammt. Sollen sie sich doch gegenseitig fressen. Oder sie sollen eine zwangsläufige kollektive Behandlung einwilligen, in Form der Entblößung von historischen Mythen, Antipropaganda, Verurteilung von Verbrechern, Revision der Geschichte, Zwangskinobesuchen, Aufräumung von Friedhöfen. Beerdigt meine Vorfahren, ihr Schweine, unter eurer verdammter transsibirischen Magistrale! Grabt sie aus und beerdigt sie auf menschliche Art und Weise!!! Alle Getöteten und Repressierten! Ohne die Einwilligung in die Behandlung – keine Hilfe. Es reicht! Sterbt doch aus, wenn ihr nicht wollt. Denn Hilfe bringt euch nichts – gerade mal 20 Jahre sind vergangen – und schon seid ihr wieder dreist geworden.“
Na, bei dem Beitrag bin ich wenigstens einverstanden, dass es „hatespeech“ ist, habe aber auch hier Einwände: Der Beitrag ist aus dem Jahr 2015 – soweit ich sehe, hat der Aufruf zur Isolation von Russland bislang zu nichts geführt. Gerade befindet sich die halbe Welt auf der Weltmeisterschaft in Russland, die ich persönlich komplett boykottiere. Der Westen hat es immernoch nicht geschafft, Putins Russland als das wahrzunehmen was es ist: Ein Feind des Westens, der unsere Welt zu zerstören beabsichtigt. Daher weiß ich auch nicht, warum ich für diesen drei Jahre alten Beitrag gesperrt werden sollte.
Also, fassen wir zusammen: Innerhalb von drei Monaten (!) hat die Facebook-Administration mich jeweils nach zwei-drei Tagen (!)“FB-Freiheit“ stets erneut gesperrt, für Beiträge aus den Jahren 2014-2015 (!).
Wie kann Facebook stets von einer einfachen „Verletzung der Gemeinschaftsregeln“ sprechen, wenn ich (und das war nur ein Beispiel, dasselbe passiert auch mit den anderen Teammitgliedern von InformNapalm – wir werden mittlerweile sogar zeitgleich entsperrt und wieder gesperrt) im Laufe von drei Monaten ununterbrochen für zwei-drei Jahre alte Beiträge und Kommentare gesperrt werde? Wer und wie findet diese Beiträge (denn die Beiträge mit den Stoppwörtern habe ich längst gefunden und umformuliert)? Nach welchem Prinzip finden russische Trolle diese alten Beiträge und woher wissen sie, was genau zu melden ist, damit ein Nutzer definitiv gesperrt wird? Fragen über Fragen – und keine einzige vernünftige Antwort, außer der Tatsache, dass unsere Konten regelrecht ausspioniert werden. Ich denke auch, dass das Ziel dieser ganzen Sperren darin besteht, unsere Konten vollständig zu löschen, die unzählige Informationen über den russischen Krieg gegen die Ukraine, Syrien und Georgien enthalten, über die russische Aggression gegen den Westen und seine Rolle in der heutigen Destabilisierung der Welt. Und das seit 2014. Vier Jahre Informationen. Ist dies das Ziel, Facebook? Jegliche kritische Stimmen über Russland zu löschen, die Informationen über den russisch-ukrainischen Krieg 2014-2018 auszuradieren, damit niemand mehr weiß, was diese vier Jahre lang tatsächlich geschah? Dann stellt sich aber die Frage, wie es sein kann, dass eine amerikanische Firma Russland, dem selbsterklärten Feind der USA, dermaßen in die Hände spielt und jegliche negativen Äußerungen über diesen Aggressorstaat verbannt.
Und den Sperralgorithmus von Facebook finde ich immernoch absurd: Man kann Menschen nicht für einzelne Wörter sperren, zumal wenn sie eine hundert Jahre alte Geschichte haben. Dieser Sperralgorithmus wird von russischen und prorussischen Trollen gerade dazu ausgenutzt, jegliche kritische Stimmen auf Facebook mundtot zu machen.
„Hatespeech“ ist immernoch „speech“ – es gibt keine „hatewords“, das ist Nonsens.
P.S. Ich würde mich über jegliche Hilfe unserer Leser bei der Aufhebung unserer Sperren freuen. Faktisch sind wir seit März, also den vierten Monat in Folge, ausgesperrt, wegen Beiträgen und Kommentaren aus der heißesten Zeit des russisch-ukrainischen Krieges.
Dieser Artikel wurde von Irina Schlegel exklusiv für InformNapalmDeutsch verfasst; korrigiert von Klaus H.Walter. Titelbild: Alex Alexidze.
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