Es sieht aus, als ob Facebook überhaupt nicht mehr vor hat, uns aus der ewigen FB-Verbannung zu entlassen.
Erst vor wenigen Tagen wurde meine dreißigtägige Sperre aufgehoben – die „FB-Freiheit“ durfte ich aber gerade mal fünf Tage genießen, bis ich erneut für 30 Tage gesperrt wurde. Wieder mal für eines der „verbotenen“ Stoppwörter, wieder mal für einen Kommentar aus dem Jahr 2014…
Es sieht ganz danach aus, dass der Kreml Facebook okkupiert hat, wie er dies schon mit dem russischsprachigen Wikipedia getan hatte – dort werden Sie keinen einzigen russischsprachigen Artikel über Geschichte, Militär oder Politik mehr finden, dessen Inhalt der offiziellen Linie des Kreml zuwiderläuft.
Unsere Blockierungen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden – das Ziel ist klar. Und dieses besteht ganz und gar nicht in den Sperren. Das Ziel ist, unsere Konten komplett zu löschen und damit alle Informationen für den Zeitraum 2014-2018 von Facebook verschwinden zu lassen.
„Es gab keinen Krieg – Ihr lügt nur!“ – so wird es heißen, wenn wir diese Willkür nicht stoppen, die der Meinungsfreiheit komplett zuwiderläuft.
Niemand wird uns schützen, wenn wir uns selbst nicht schützen.
Darum habe ich den nachfolgenden Brief verfasst, um ihn an Facebook-Admins zu schicken.
***
„Sehr geehrte Facebook-Verwaltung, Leiter und Aktionäre der Gemeinschaft!
Wir, ukrainische und proukrainische Aktivisten, Journalisten und Freiwillige, wenden uns an Sie hinsichtlich der Sperren von russischsprachigen, proukrainischen Nutzern auf Facebook, die wir als einen Versuch des russsichen Staates betrachten, Facebook unter seine Kontrolle zu bringen.
Als der Kreml im Jahr 2014 seinen Krieg gegen die Ukraine nicht nur an der realen, sondern auch an der Informationsfront entfesselte, war Facebook faktisch unsere einzige Möglichkeit, das Spinnennetz der Erfindungen der Moskali zu durchbrechen und die Wahrheit über die Ukraine an die Welt zu bringen. Und natürlich sind wir für diese Möglichkeit eines absolut kostenlosen Zugangs zu unseren Informationen für Hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt Facebook unendlich dankbar.
Die Tatsache, dass die Verbrechen des Moskali-Staates über soziale Netzwerke erfasst und die Informationen über dieselben Netzwerke verbreitet werden können – ohne Hinzuziehung von Verlegern, Journalisten und anderen seit Jahrhunderten akzeptierten Informationsinstitutionen – wurde zu einem echten Durchbruch im Informationsfeld und zwang nicht nur die Journalisten ihre Art der Informationsbereitstellung umzustellen sondern selbst den Feind dazu, der nicht vorausgesehen hatte, dass Freiwillige und Volontäre nicht nur an der physischen Front sondern auch im Netz auftauchen können. An der mentalen Front traf der Kreml auf den gleichen verzweifelten Widerstand.
Die Kräfteverteilung war dabei 2014 sowohl an der realen als auch an der informativen Front ungefähr die gleiche: Faktisch standen wir als kunterbunter Haufen mit ein paar Pistolen gegen solch ausgezeichnet bewaffneten Schlachtschiffe wie RT, RIA Novosti und „Erster TV-Kanal Russlands“ mit ihrem millionenfachen Publikum und Budgets in Milliardenhöhe. Im Übrigen gehören auch 10% Aktien von Facebook dem Fonds DST Global, der im Besitz des russischen Milliardärs Alischer Usmanow ist, einem persönlichen Freund und Geschäftspartner von Putin. Zahlreiche Facebook-Admins in der FB-Vertretung in Irland sind Russen, die früher Mitarbeiter von Mail.ru waren – einem russischen Medienkonzern, der ebenfalls A.Usmanow gehört.
Offensichtlich berücksichtigt Facebook hier die Tatsache nicht, dass „Russischsprachige“ ganz und gar nicht „Russen“ bedeutet. Wegen der historischen Gewalt sprechen alle ehemaligen Sowjetbürger Russisch – wir sind Gegner des modernen Russlands, machen aber fast die Hälfte der russischsprachigen FB-Nutzer aus. Wir wissen, dass Sie zahlreiche Beschwerden von proukrainischen Nutzern wegen abstruser Sperrungen ihrer Konten erhalten haben und weiterhin bekommen, darunter sogar einen offiziellen Protest der ukrainischen Regierung im Jahr 2015. Und die Tatsache, dass Admins mit russischer Staatsbürgerschaft über unser „FB-Schicksal“ entscheiden, ist im Grunde total absurd. Wir wundern uns, warum Facebook keine Maßnahmen ergreift, um diese von vornherein voreingenommene Situation auszubessern, wobei Facebook sich schon lange sehr wohl über den Informationskrieg im Klaren ist, den der Kreml gegen die ganze zivilisierte Welt unter anderem auch auf Facebook führt.
Draußen ist 2018, hinter uns ist die Einmischung des Kreml in die US-Wahlen von 2016, der Hackerangriff auf den deutschen Bundestag 2017, Cyberangriffe des Kreml auf Regierungsbehörden anderer westlicher Länder, aber Dutzende ukrainische und proukrainische FB-Nutzer, die sich aktiv an diesem Informationskrieg gegen den Kreml beteiligen, kommen den dritten Monat in Folge nicht aus ihren Sperren raus, haben keinen Zugang zu ihren Konten und sind somit der Möglichkeit beraubt, der russischen Propaganda entgegenzuwirken. Mehr noch, uns droht die vollständige Löschung unserer FB-Konten und somit das Verschwinden aus der weltweiten Informationschronik 2014-2018… Dabei werden wir gerade für zwei-drei-vier Jahre alte Beiträge und Kommentare gesperrt – dazu wird die Unvollkommenheit des Sperrsystems von Facebook ausgenutzt.
Als Ursache für all diese Sperren gibt Facebook stets „Angriff auf Personen aufgrund ihrer nationalen Herkunft“, sprich Volksverhetzung, an. Als Begründung für eine derartige Beschuldigung dienen dabei ein und dieselben einzelnen Wörter, die ein jemand in die Liste der „verbotenen Wörter“ eingetragen hatte, und zwar die Wörter „Moskal“, „Kazap“ und „Rusnja“. Über die Herkunft und Bedeutung dieser Wörter können Sie im folgenden Artikel nachlesen: „„Moskali“, oder wie der FB-Algorithmus die User aufgrund Stoppwörter sperrt“. Es läuft alles darauf hinaus, dass diese Wörter nicht mal von Russen erfunden wurden, sondern von Völkern – den Nachbarn Russlands. Zwei dieser Wörtern sind schon ein paar hundert Jahre alt.
Facebook ist eine amerikanische Firma, Meinungsfreiheit ist eine der wichtigsten Grundlagen der amerikanischen Gesellschaft, was auch im 1. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika festgehalten wurde. Die Möglichkeit einer Verfolgung wegen verbaler Aussagen wird dabei nicht nur von der amerikanischen Verfassung eingeschränkt: Am 15. Februar 2017 stellte die Hamburger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung ein. Zur Begründung hieß es, beim Straftatbestand der Volksverhetzung müsse es sich „um eine Gruppe handeln, die als äußerlich erkennbare Einheit sich aus der Masse der inländischen Bevölkerung abhebt“ und das sei bei einer Aussage gegen „alle Deutschen“ nicht der Fall.
Diese Entscheidung der deutschen Gerichtsbarkeit wirkt sich wohl kaum vorteilhaft für Facebook aus, das unter anderem auch eine proukrainische deutsche Aktivistin zum wiederholten Male für 30 Tage gesperrt hat, weil sie im Jahr 2014 (!) eines der drei obengenannten Wörter in einem Kommentar verwendet hatte.
Außerdem ist es offensichtlich, dass ein Einzelwort nicht zur „Volksverhetzung“ beitragen kann, denn ein Wort ist immer nur Teil eines Kontextes. Es kann ein Zitat, eine Allegorie oder auch ein Wendehals sein – kein Wort als solches kann „verboten“ werden. Wenn wir natürlich von einer freien Gesellschaft sprechen, als dessen Teil sich auch die Gemeinschaft Facebook versteht.
Es kommt schon zu gänzlich kuriosen Fällen, bei denen Facebook die Erzählungen von ukrainischen Schriftstellern löscht, die auf FB veröffentlicht wurden – ebenfalls wegen Verwendung eines der genannten Wörter. Das riecht bereits nach Bücherverbrennung, und wir wissen alle, wer und wann literarische Werke verbrannte (und nicht mal sie verbrannten Bücher wegen EINES Wortes). Facebook wird wohl kaum in einer Reihe mit Verbrechern stehen wollen, die der ganzen Welt bekannt sind.
Des Weiteren lässt sich aus dem Schema der Sperrungen unserer Konten eine klare Absicht ableiten:
– all diese Sperrungen werden gegen populäre proukrainische Blogger mit tausendfacher Leserschaft durchgeführt;
– nach der „Entlassung“ werden wir innerhalb von ein paar Tagen erneut gesperrt;
– für Jahre alte Beiträge und Kommentare, die sich schwer finden lassen.
Das alles zeugt von penibler Arbeit des Kreml zur zielgerichteten Vernichtung einer alternativen russischsprachigen (!) Meinung auf einer solchen weltweiten Plattform wie Facebook.
Wir bitten Sie inständig, einige russisch- und ukrainischsprachige Admins zur Revision der Sperrungen von russisch- und ukrainischsprachigen proukrainischen Bloggern bereitzustellen, sowie den Algorithmus der Anwendung von Gemeinschaftsstandards zu revidieren, denn zurzeit läuft dieser Algorithmus einer der wichtigsten Grundlagen einer demokratischen Gemeinschaft zuwider, und zwar der Meinungsfreiheit. Die Politik von Facebook untergräbt derzeit unsere Verfassungsrechte und spielt dem autoritären Regime Russlands in die Hände.
Wir danken Ihnen für Ihre Zeit sowie für die Erschaffung Ihrer Plattform, die ein zweites Zuhause für uns geworden ist und uns in vielem geholfen hat, der russischen Aggression effektiv entgegenzuwirken. Wir hoffen sehr, dass Facebook auch weiterhin eine Plattform für intelligente freie Menschen bleibt, die sich jeglicher Diktatur widersetzen, die ihre Rechte und Freiheiten einschränken will.
Mit freundlichen Grüßen,
Irina Schlegel, Chefredakteurin von InformNapalmDeutsch
[https://www.facebook.com/Kaspijka]“.
P.S. Wir werden den Brief in drei Sprachen verschicken. Falls einem unserer Leser noch E-Mail-Adressen von Facebook-Mitarbeitern bekannt sein sollten, würden wir uns freuen, wenn Sie uns diese mitteilen. Schreiben Sie uns bitte auf Facebook: InformNapalmDeutsch.
Dieser Artikel wurde von Irina Schlegel exklusiv für InformNapalmDeutsch verfasst; korrigiert von Klaus H. Walter.
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Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
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One Response to “Zum Thema der ewigen FB-Verbannung von proukrainischen FB-Nutzern”
29/04/2018
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