
von Anton Pawluschko
Ich erzähle mal eine Geschichte über „Neurussland“. Üblicherweise denkt man über die „DVR / LVR“, dass es dort schlimmer nicht mehr werden kann, aber dann erfährt man etwas Neues und versteht, dass alles noch viel schlimmer ist.
Also, zur Erschaffung einer neuen Gesellschaft wurden in „Neurussland“ dringend Helden benötigt. Je heldenhafter die Helden sind, desto besser. Je größer das Leid und je mehr Tränen, desto besser. Ideal für solche Zwecke sind natürlich Kinder.
In 2014-2015 nutzte die Brigade „Prisrak“ (zu dt. „Geist“) mit Alexej Mosgowoj an der Spitze ein 9-jähriges Mädchen namens Bogdana Nescheret aus Altschewsk für Propagandazwecke aus. Bogdanas Vater Roman Nescheret war selbst einer der Kämpfer des Bataillons, er ist ein ehemaliger Sicherheitsbeamter.
Angeblich schrieb das Mädchen eines Tages einen Brief an Mozgowoj: „Hallo, Onkel Alex! Hier schreibt Ihnen Bogdanka! Ich gratuliere Ihnen zum kommenden Neujahr! Ich schenke Ihnen meinen geliebten Freund Ljowtschik. Er ist ein Glücksbringer! Ljowtschik war ein Maskottchen bei den Olympischen Spielen in Sotschi und Russland hatte gewonnen, ich nahm ihn mit in die Schule und brachte nur Einser nach Hause, und nun schenke ich ihn Ihnen – er soll uns einen Sieg bringen. Ich weiß, Neurussland wird siegen! Ich liebe Sie und wir Mädchen sagen: „Onkel Alex Mosgowoj ist der stärkste und der coolste!“ Bitte, holen sie einen Sieg für uns! Bogdanka.“
In der Regel folgen darauf Kinderzeichnungen, Geschenke von der „Volkswehr“ und gemeinsame Fotos. Aber in Neurussland ging man weiter. Zunächst wurden Bilder von Bogdanka mit Mosgowoj gemacht und viele Plakate gedruckt.
Später fiel Mosgowoj zum Opfer einer „ukrainischen“ Diversions- und Spionagegruppe, deren Mitglieder mit einem russischen Akzent sprachen (Anm.d.Übers.: In den sog. „DVR/LVR“ wird behauptet, Mosgowoj sei von den ukrainischen Diversanten getötet worden, dabei ist es ziemlich naheliegend, dass er vom Kreml für sein Ungehorsam und Widerspenstigkeit eliminiert worden war) und die Hysterie erreichte ihre neue Stufe. Bogdana auf den Plakaten „erinnerte sich, liebte und trauerte“:
Im Sommer 2015 entschied sie sich, der „Volkswehr“ beizutreten, ein Mitglied der legendären Brigade „Prisrak“ zu werden. Sie wurde mit Pomp und medienwirksam aufgenommen. Die 9-jährige Bogdana erhielt das Rufzeichen „Dotscha“ (zu dt. „Tochter“) und einen Ausweis mit der Nummer 1793:
Bei der Beerdigung von Mosgowoj erwachte ihr Talent und sie begann Gedichte zu schreiben:
Da trug sie vor:
„Donbass brennt, Donbass ist voller Tränen
Unsere Steppen Brennen.
Mutter-Frau weint in Tränen aufgelöst
Und unsere Kinder sterben.
Nazis kommen, die Horde kriecht
Und fegt alles Leben weg.
Vergib uns, Mutter Erde,
Wofür tun sie das alles?
Die Feinde werden Donbass nicht erobern,
Das Volk wird nicht knien!
Es wird Frieden und Mütter geben,
Und Kinder werden herumlaufen!“
Das Symbol wurde von den russischen TV-Machern übernommen, vielleicht aber auch von ihnen selbst kreiert. Hier zum Beispiel eine Reportage von Rossija-24, einem der grössten russischen TV-Sender:
Zum „Andenken an Onkel Alex“. Hier scheint es dem Mädchen bereits besser zu gehen:
Dann folgte die Ansprache des 9-jährigen Mädchens an ukrainische Frauen, die „niemanden haben werden, von dem sie schwanger werden können“ (Hier im Video). Sie habe es selbst gedichtet, aber mit viel Mühe vorgelesen – gut, nicht so wichtig, dafür geht es im Gedicht um Demographie. Hier können Sie Bogdanas neueste Kreationen finden.
Man begann das Mädchen auf allen Veranstaltungen der „LVR/DVR“ vorzuführen: Hunderte von Fotoshootings mit der „Volkswehr“, mit Waffen, auf einem Panzer, neben einer Selbstfahrlafette, mit Journalisten-Propagandisten wie Rulew, Graham Phillips, an der Front, im Krankenhaus, am Grab von Mosgowoj…
Für Bogdana wurde ein Profil im sozialen Netzwerk VKontakte (Archiv) eingerichtet, wo Hunderte von pathetischen Bildern gepostet wurden:
Nun, abgesehen von der Rolle eines Hochzeitsgenerals lastete auf ihren Schultern auch der Alltag eines „Volkswehr“-Kämpfers:
„Ich habe hier meine Pflichten: Ich helfe unseren Kämpfern, wie ich nur kann und damit unterstütze ich den Kampfgeist der Mannschaft. Darüber hinaus helfe ich gelegentlich Frauen in der Küche beim Kartoffelschälen, Kochen, Waschen, Geschirrspülen. Das einzige, was ich nicht mag, ist Böden und Geländer im Stabsquartier zu waschen“.
Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) soll angeblich versucht haben, das Mädchen zu entführen, deshalb habe sie Bodyguards zugeteilt bekommen. Die Heldentaten des Mädchens wurden von den gerührten Erwachsenen mit Auszeichnungen gefeiert. Das Mädchen wurde mit Orden und Medaillen überschüttet: „Für Mut und Tapferkeit“ von den Afghanistan-Veteranen aus Russland, „Für Bürgerengagement und Patriotismus“ von den FSB-Veteranen. Doch im „Schaffen“ der 9-jährigen Bogdana war Alexej Mosgowoj zu stark präsent – die offizielle „LVR-Regierung“ „ehrt und erinnert sich“ zwar an ihn, aber nicht mehr als das. Ausserdem begann man mit ihrem Image zu übertreiben:
Schliesslich haben sich Freiwillige aus Russland mit dem Fall auseinandergesetzt, ihnen ist diese Fake-Figur (Archiv) aufgefallen.
Auf Antrag eines Mitglieds des FSB-Koordinierungsrates Generalmajor W.N.Welitschko wurden Auszeichnungen zurückgefordert und Ende April offiziell annulliert. Alle Auszeichnungen seien angeblich irrtümlich verliehen worden:
Es stellte sich heraus, dass das Mädchen keine Gedichte geschrieben hatte. Psychologen haben mit dem Mädchen Tests durchgeführt und eine Unterentwicklung des Kindes festgestellt. Bogdana kann weder Verben konjugieren noch richtige Sätze bilden, noch Texte wiedergeben. Was haben Sie denn von einem 9-jährigen Kind erwartet? Der Autor der Gedichte muss über 20 sein, stellten übrigens die Psychologen fest.
Da die Führung der sog. „LVR“ dem widerspenstigen Mosgowoj durchaus gedenkt, kümmerte sie sich um amtliche Betreuung des Mädchens. Die Geschichte der Heldengestalt „Bogdana“ ist aber in Neurussland nun offiziell beendet.
Der Freiwilligengemeinschaft InformNapalm bleibt Bogdana nur zu wünschen, trotz allem zu einem normalen Menschen aufzuwachsen, denn die Erwachsenen um sie herum in der „LVR“ haben es offensichtlich nicht geschafft.
Anton Pawluschko für InformNapalm; übersetzt von Andrij Topchan; editiert von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
CC BY 4.0
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