
Anmerkung der Redaktion von InformNapalm: Wir veröffentlichen hier einen Blogeintrag von Kirill Mefodijew, der bei uns seit Juni 2018 unveröffentlicht blieb. Darin analysiert der Autor die seit 2013 geltenden Vorgaben russischer Propagandisten zur Berichterstattung zum Thema chemischer Laboratorien. 2018 brachten die Mitarbeiter des russischen Nachrichtendienstes „Boschirow“ und „Petrow“ dieses Thema wieder an die Oberfläche, und russische Propagandisten mussten neue Verschwörungstheorien mit der Kathedrale von Salisbury in Verbindung bringen. Aber Methoden, die zunächst neu erscheinen, entpuppen sich beim näheren Betrachten als altbekannt.
Nach dem Vergiftungsversuch an dem ehemaligen russischen Agenten Skripal in Großbritannien setzten die russischen Medien eine ganze Reihe von Reportagen über einen möglichen Ursprung der chemischen Waffe in dieser Geschichte in die Welt. Wie es bei den Russen zum Brauch geworden ist, wurden alle möglichen Länder der Herstellung von „Nowitschok“ beschuldigt, außer Russland selbst. Tschechien, die Ukraine, Usbekistan und die USA waren unter den Hauptverdächtigten. Man hat auch die „Gemeinheit britischer Geheimdienste“, die Russland wie immer hereinlegen wollten, natürlich nicht vergessen. Es ist ziemlich interessant, die Berichterstattung russischer Medien zu beobachten, vor allem wenn man weiß, wie diese Reportagen gemacht werden.
Die Hacktivisten der UCA übergaben den Freiwilligen von InformNapalm Daten aus der Mailbox des russischen Journalisten Alexander Rogatkin, der für den Kanal „Rossija 24“ arbeitet und Reportagen für Dmitrij Kisseljows „Wochenschau“ dreht. Außerdem hat er eine eigene Sendung mit dem Namen „Sonderkorrespondent“. 2014 sprach er in gleich mehreren pathetischen Filmen über den Krieg gegen die Ukraine in Donbas die Einleitung. Rogatkin ist einer der Kollektivverantwortlichen für die Erfindung der Geschichte des „gekreuzigten Jungen“ von Slowjansk. 2014 verbrachte er mit seinem Filmstab einige Monate im Donbas und drehte den Film „Donbas im Feuer“. Dafür wurde er im Dezember kurzerhand zum gefeierten Laureaten der Auszeichnung „Mensch des Jahres“ – Kisseljow würdigte die Auszeichnung mit einem fast 10-minütigen Bericht in seiner Sendung „Westi„.
Rogatkin berichtete über den Maidan seit den ersten Tagen der Revolution, drehte auf der Krim, sendete anschließend Live-Reportagen aus Luhansk und Donezk. Die Ukraine war jedoch noch früher zu einem seiner Lieblingsthemen geworden.
Im Sommer-Herbst 2013 drehte Rogatkin mit seiner Filmcrew Reportagen für Kisseljows „Wochenschau“ über chemische Laboratorien in der Ukraine und Georgien.
Genau zu diesem Zeitpunkt konnte man im russischen Fernsehen eine Welle von Reportagen über die Vernichtung von chemischen Waffen aus Syrien in russischen Werken beobachten.
Das Erscheinen chemischer Giftstoffe in Syrien erklärte man mit der traditionellen „amerikanischen Spur“. Deswegen wurde die Reportage über den Bau von biologischen Laboratorien entlang der russischen Grenzen in Auftrag gegeben.
Zum Leitmotiv einer ganzen Reihe von Berichten sollte das Programm der gemeinsamen Reduzierung der Bedrohung werden, das auch als Nunn-Lugar Gesetz bekannt ist. Das Programm wurde 1991 beschlossen und setzte sich mit der Vernichtung von chemischen, biologischen und Nuklearwaffen in Russland und Ländern der GUS auseinander. Die Finanzierung des bis 2012 geltenden Programms betrug knapp 9 Milliarden Dollar.
Mit ziemlicher Sicherheit hätten im Rahmen dieses Programms auch die Reste des Giftes „Nowitschok“ vernichtet werden müssen, dennoch wurden einige Jahre später britische Staatsbürger und ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Russlands damit vergiftet. Ein unglaublicher Zufall…
Im Rahmen des Programms wurden unter anderem Forschungslaboratorien für Viren in Georgien und der Ukraine gebaut. Russische Journalisten wurden damit beauftragt, eine Reportage über „gemeine Amerikaner“ zu drehen, die im Hinterhof Russlands biologische Waffen entwickeln.
Am 2. August 2013 schickte die Nutzerin „Jekaterina Nikiforova <evnikiforova@mail.ru>“ ihre Ideen für die Sendung „Wochenschau“ an Alexander Rogatkin und Igor Schestakow (Manager der Allrussischen Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK, „Rossija-1“ und „Rossija-2“):
Ideologische Einführung: „Lugars nächster Schritt sollte die angebliche Hilfe an diese Länder sein. Er nahm persönlich an Besprechungen teil, schlug vor, Laboratorien zu modernisieren, neue zu bauen und zu finanzieren. Die armen Länder der GUS nahmen die Vorschläge mit Freude an. Sie alle nahmen teil an dieser Gesetzesinitiative, die biologische Waffen verbot. Diese sah vor, dass die von sowjetischen Wissenschaftlern gesammelten Bakterien- und Virenstämme von Pest, Anthrax, Cholera, etc. an die USA übergeben werden sollten. Die GUS-Länder stimmten dem mit Freude zu, ohne zu verstehen, dass sie damit auf Patente für wissenschaftliche Innovationen und geistiges Eigentum verzichteten. Von diesem Zeitpunkt an begann die finanzielle Aufstockung der Laboratorien. Im Endeffekt wurden sie von Amerikanern ausgerüstet und geleitet. Daher auch die Umorientierung auf amerikanische Standards“.
Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Ukraine gehören eindeutig zu den Ländern, die die wertvollen Virenstämme mit einem breiten Lächeln abgegeben haben.
Oft wird nebst Lugar auch die Forschungseinrichtung der US-Armee für Infektionskrankheiten erwähnt („USAMRIID in Fort Detrick. Es wurde berichtet, dass diese Einrichtung den Einsatz von Mikroorganismen zu Kriegszwecken erforscht“).
Die Dreharbeiten von Rogatkins Gruppe wurden auch in der georgischen Presse erwähnt. Aber das gedrehte Material musste man noch richtig vertonen.
Die Auswahl von passenden Experten ist das Skelett der Reportage:
Zu den Experten:
Jewstignejew Walentin. Er schrieb einen Artikel darüber, dass Amerika Russland mit Laboratorien „umzingelt“ habe.
Lew Fjodorow, Vorsitzende des Virologischen Instituts der Russischen Akademie für Medizinwissenschaften.
Alexander Baranow, Ehrenpräsident der russischen Gesellschaft für Gensicherheit, Mitarbeiter des Kolzow Instituts.
Michail Supotizkij, Mikrobiologe, Experte in Fragen der biologischen Sicherheit. Ich will, dass er genau darüber spricht, dass Amerika sich Ressourcen und anschließend die Rechte fürs geistige Eigentum und Patente für wissenschaftliche Innovationen für Lau angeeignet hat. Darüber, wie Amerika mit einem … auf zwei Stühlen sitzt.
Jedoch gibt es gelegentlich Probleme mit den Experten, deswegen bedarf ihre Wahl der Hilfe des FSB:
Igor, du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Experten ein Interview ablehnten. GMO sind, ihrer Meinung nach, eine Biowaffe und eine Zeitbombe zugleich. Unter denen, die abgelehnt haben, sind die Akademiemitglieder Palzew, Jablokow, Lew Fjodorow. Auch Maxim Primakow und andere. Deswegen will man seitens des FSB uns bei der Wahl der Experten behilflich sein (alle Kontaktdaten bekommen wir bei Rogatkin).
Am 8. August 2013 verschickte Rogatkin eine Mail mit allgemeinen Fragen zu „amerikanischen“ Laboratorien von seiner Arbeitsadresse «Rogatkin Alexander <aRogatkin@vgtrk.com>» an seine Privatmail «rogatkin@mail.ru». Wenige Tage später leitet er die Fragen an die Adresse «vestireporter@gmail.com» weiter.
Allgemeine Fragen für die Reportage:
Richard Lugar
- Im März läuft die Frist des Abkommens mit Russland bezüglich des Nunn-Lugar Gesetzes ab. Das Fazit.
- Zur Unterzeichnung eines neuen Abkommens. Was wurde geändert und welche Pläne für die künftige Reduzierung von Massenvernichtungswaffen gibt es?
- Das russische Außenministerium äußert Besorgnis bezüglich des Baus von biologischen Laboratorien in der Nähe unserer Staatsgrenzen. Der Bau wurde aus der Staatskasse der USA finanziert. Was will Amerika damit erreichen?
- Amerika finanziert den Bau von Laboratorien in Usbekistan, der Ukraine, Aserbaidschan, Armenien und Georgien. Warum?
- Es gibt Informationen, dass die Bauprojekte für Biolaboratorien vom Pentagon finanziert werden. Stimmt das?
Internationales Veterinär-Epidemiologisches Büro:
- Es gibt Angaben, dass Sie Beweise für die Herstellung von biologischen Waffen auf dem Territorium von Georgien haben. Können Sie das kommentieren?
- Wozu finanziert Amerika Laboratorien in den GUS-Ländern?
- Warum beschäftigen Sie sich mit diesem Problem? Mit welchen Problemen kann Russland konfrontiert werden? Welche Risiken für die Weltgemeinschaft gibt es?
USAMRIID
Das russische Außenministerium ist besorgt über den Bau von Biolaboratorien in seiner Grenznähe. Ihre Einrichtung wird beschuldigt, dass dort Biowaffen auf georgischem Territorium hergestellt werden. Stimmt das?
Arbeiten Ihre Mitarbeiter in einem Labor in Georgien?
Zunächst scheint es, als ginge es in der Reportage um Georgien und chemische Waffen, in Wirklichkeit ging es aber um Amerika.
Die Journalistin Jekatirina Nikiforowa berichtet Rogatkin am 10. August 2013 von ihrem Interview mit Jeffrey Silverman, der ihr über das Labor in Georgien erzählt hat. Es stellt sich aber heraus, dass Amerikaner nichts Außergewöhnliches vorhaben.
Meiner Meinung nach, haben wir keine Beweise für die Herstellung von biologischen Waffen! Die Amerikaner unternehmen keine Versuche, Waffen in diesen Laboratorien herzustellen – das können sie auch zu Hause machen. Jeffrey erzählte, dass das georgische Labor dafür per se ungeeignet ist – alles wurde veruntreut, gebaut wurde mit massiven Verstößen, wie auch in anderen Ländern, wurden hier kolossale Baumängel gemeldet. Die AMERIKANER TESTEN UNSERE, SOWJETISCHE KRANKHEITSERREGER auf verschiedenen Genotypen, wie auf SCHWEINEN, und verdienen dabei MILLIARDEN mit Impfstoffen (Indonesien verzichtet beispielsweise auf amerikanische Impfstoffe und hat die höchste von Vogelgrippe verursachte Todesrate).
Aber die russischen Journalisten lassen nicht den Kopf hängen und entscheiden sich, die Dreharbeiten nach Odessa zu verlegen. Die Zielsetzung ist unmissverständlich und direkt:
– Menschen finden – Wissenschaftler, Professoren, Beteiligte, die aktiv gegen die Übernahme der Kollektion auftraten. Sie sollen erzählen, wozu es hätte führen können und warum es ihnen wichtig war
– Wissenschaftler, die von Anfang an gegen die Unterzeichnung des Abkommens waren. Professor A.Chajtanowitsch
– Kommentar des sanitären Staatsoberarztes oder von Menschen aus der Regierung
– Kommentar eines der Laborleiter – jemand soll erzählen, welche Mängel beim Bau des Labors gemeldet wurden
– Kommentar der Botschaft der USA in der Ukraine
Vielleicht gab es eine Demo gegen den Bau des neuen Labors… Wir brauchen Aktivisten, die es als Problem bezeichnen. Wir brauchen unbedingt Oppositionskräfte, Wissenschaftler, Prominente, die dagegen sind. Vielleicht äußerte sich damals jemand von der Regierung.
Möglicherweise gab es Epidemie-Ausbrüche (man hat uns in Georgien beispielsweise von solchen Fällen berichtet).
— vielleicht gibt es in einem der Laboratorien gemeinsame Übungen von Amerikanern und Ukrainern und sie würden unsere Teilnahme daran genehmigen.
Ich füge einige Links zu den Artikeln hinzu, in denen alles sehr detailliert beschrieben wird – was Amerika davon hat, welche Risiken es birgt, und wozu die Ukraine sich in die Sache einmischt, ohne jemals ein Land gewesen zu sein, in dem Herstellungsversuche für Biowaffen unternommen wurden.
Am 2. Oktober 2013 veröffentlicht Interfax eine Verlautbarung des sanitären Staatsoberarztes Russlands Onischenko:
„Wir bringen weiterhin die Zulassungsregelung für georgische Waren auf dem russischen Markt mit der Tätigkeit von Militärstrukturen der USA auf georgischem Territorium in Verbindung. Die georgische Seite verfügt über keine Kontrollbefugnisse über sie, während sie Tätigkeiten auf dem Feld der Biologie betreiben, die durch internationale Abkommen verboten wurden… Wir sind sehr besorgt von dem im Grunde kolonialen Zustand Georgiens und den unkontrollierten Tätigkeiten von US-Militärstrukturen in diesem Land. Das ist das Haupthindernis auf dem Weg der Zulassung georgischer Waren.“
Nikiforowa führt ihre Arbeit bezüglich der Reportage fort und schickt Rogatkin schon am 16. Oktober Materialen über Georgien zu, darunter auch Baupläne des Labors. Ist Nikiforowa wirklich eine Journalistin, oder hat ihr Reisepass dieselbe Seriennummer, wie auch bei den Touristen, die nach Salisbury gefahren sind, nur um dort den 123-Meter hohen Turm der Kathedrale zu betrachten?
Jedoch hatte Rogatkin mit seiner Mannschaft kein Glück. Genau im Oktober 2013 fanden in Georgien Präsidentschaftswahlen statt, nach denen Saakaschwili Georgien verließ. Die russischen Medien berichteten unermüdlich von dem Regierungsneustart und einer neu definierten Freundschaft zwischen Russland und Georgien. Onischenko fand immer weniger Spuren vom amerikanischen Imperialismus in georgischen Produkten. Deswegen passte die Enthüllungsreportage über georgische Biolaboratorien nicht ins politische Fernsehbild. Und schon kurz danach begann die Maidan-Revolution in Kyjiw, und Rogatkin fuhr in die Ukraine, um dort die „gekreuzigten Jungs“ ans Licht zu bringen.
Das Thema von Biolaboratorien in Georgien blieb von den russischen Medien bis 2016 unangetastet, bis sie sich wieder an Senator Lugar und amerikanische Laboratorien erinnert haben. Eine ganze Reihe von Reportagen über chemische und biologische Waffen in Georgien ([1], [2], [3], [4]) wurde gesendet, aber zu diesem Zeitpunkt haben Ukraine und Syrien das Thema mit den Labors in den Hintergrund gedrängt. Die amerikanische Spur kehrte jedoch zurück, als man zu erklären versuchte, woher das „Nowitschok“ nach Großbritannien kam.
Dieses Material wurde von Kirill Mefodijew exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Volodymyr Cernenko; editiert von Klaus H. Walter.
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