Am 8. Juli 2016 wurde über einen abgeschossenen Hubschrauber im Raum von Palmyra in Syrien berichtet. Die Information wurde gleich von arabischen Medien aufgegriffen – mit der Präzisierung, dass es sich um einen Hubschrauber der Streitkräfte Russlands handelt. Am Abend des gleichen Tages dementierte ein Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums von der Basis Hmeimim diese Mittteilung: „Alle russischen Kampfhubschrauber, die sich gerade in Syrien befinden, sind nach Ausführung ihrer Kampfaufgaben unversehrt zu ihren Flugplätzen zurückgekehrt. Es gibt keine Verluste unter den russischen Luftfahrzeugen“.
Am nächsten Tag veröffentlichten die IS-Söldner ein Video auf YouTube, in dem zu sehen ist, wie der Kampfhubschrauber Bodenziele mit ungelenken Raketengeschossen angreift. Nach der zweiten Salve sieht man, dass das Heckteil durch einen Direkttreffer zerstört wurde und der Hubschrauber in einer Sprirale abstürzt.
Am Abend desselben Tages erklärte der Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums: „Am 8. Juli flogen die russischen Militärangehörigen, Piloten und Instrukteure Rjafagat Habibulin und Ewgenij Dolgin, den syrischen Hubschrauber Mi-25 (eine Exportvariante des Mi-24) mit Kampfsatz in der Provinz Homs ein. Die Besatzung erhielt eine Anfrage vom syrischen Kommando zum Feuerangriff auf die angreifenden Söldner. Der Besatzungskommandeur R. Habibulin traf die Entscheidung, die Terroristen anzugreifen. Nachdem sein Kampfsatz verbraucht war, wurde der Hubschrauber von den Terroristen angegriffen, während der Kehrtwendung durch Feuer vom Boden getroffen und stürzte im Raum ab, der von den syrischen Regierungstruppen kontrolliert wird. Die Besatzung starb“.
Wie wir sehen, leugnet die russische Propaganda die Zugehörigkeit des abgeschossenen Hubschraubers zu Russlands Luftstreitkräften. Parallel wird der Begriff „Ausführung einer Kampfaufgabe zur Feuerunterstützung aus der Luft“ durch den Ausdruck „flogen einen Hubschrauber mit Kampfsatz ein“ ersetzt. Auch wird die Beteiligung des russischen Kommandos an der Planung und Durchführung dieser Operation geleugnet, wobei behauptet wird, dass die Besatzung „eine Anfrage vom syrischen Kommando zum Feuerangriff“ erhalten hätte. Mit anderen Worten „testete“ die Besatzung des Hubschraubers, nach Meinung des russischen Verteidigungsministeriums, den Hubschrauber der syrischen Luftstreitkräfte im Raum der Kampfhandlungen. Als die Besatzung per Funk ein Hilfsgesuch hörte, hat der Kommandeur auf Eigeninitiative die Entscheidung getroffen, einen Feuerangriff mittels des zufällig vorhandenen Kampfsatzes auszuführen.
Übrigens sieht man auf den Bildern des abstürzenden Hubschraubers das ausgefahrene Fahrwerk und kurze Flügel mit zwei Aufhängevorrichtungen für Munition, was auf die moderne Modifikation des Mi-35M Hubschraubers hinweist, der ausschließlich im Dienst der russischen Luftstreitkräfte steht. Also haben wir hier mit einem weiteren Lügenversuch der russischen Propaganda zu tun, die uns einen russischen Hubschrauber für einen syrischen verkaufen möchte.
Anfang 2016 haben syrische Medien auf der Militärbasis Hmeimim die Hubschrauber Mi-35M der russischen Luftwaffe mit den Registrierungsnummern RF-13029 und RF-13021 entdeckt (Link1, Link2). Die getöteten Piloten R. Habibulin und E. Dolgin dienten im 55. selbstständigen Geschwader (Luftwaffenbasis Korenowsk), in dessen Bewaffnung 2012 neue Hubschrauber vom Mi-35M in Dienst gestellt worden waren.
Die russische Propagandamaschine versteht wohl die Absurdität ihrer Lüge über den abgeschossenen Hubschrauber sehr gut, denn sie schickte eine in gewissen Kreisen durchaus bekannte Persönlichkeit, Marat Musin, nach Palmyra. M. Musin ist der Geschäftsführer von ANNA-NEWS, der sogenannten russischen „Informationsagentur“, die in Wirklichkeit eine russische Propagandaquelle darstellt, die durch den FSB Russlands finanziert und betreut wird. Die Resultate von Musins „Arbeit“ wurden uns im Video vom Absturzort unter dem Titel „Palmyra. Reportage vom Todesort des Oberst Habibulin und Leutnant Dolgin“ präsentiert. Basierend auf der Analyse dieses Videos haben wir die genaue Absturzstelle des Hubschraubers ermittelt, wie auch Orientierungspunkte: Getreidespeicher und ein einstöckiges Gebäude.
Beim Sichten überraschte uns die Explosion des bereits abgebrannten Mi-35M. Was für eine Explosion, wofür? Man sieht keine Beschüsse, der Kameramann steht total ruhig unweit der Explosionsstelle. Folglich ist es eine beabsichtigte Sprengung, die Musin und die mit ihm angereisten Militärangehörigen organisiert haben.
Und wieder kommt die Frage auf: Wofür und was ist das Ziel? Das wird deutlich, sobald man sich das Video etwas genauer anschaut. Beim Schnitt haben die berüchtigten FSB-Propagandisten die zeitliche Reihenfolge des gedrehten Materials verändert. Wir sehen zunächst die Explosion, dann Musin mit einem verschmolzenen Stück Metall in den Händen. Es war aber alles genau umgekehrt… Genau dieses Faktum hat uns die Möglichkeit gegeben, das Geschehen zu verstehen. Auf dem Screenshot unten sehen wir das unversehrte Heckteil des Hubschraubers (Minute 2:09)
Schauen wir uns den Screenshot an (Minute 2:03): das Heckteil wurde durch die Explosion faktisch vernichtet
Schlussfolgern kann man hier nur Folgendes: Die Sprengung wurde zwecks Vernichtung der Aufschriften und anderen Erkennungszeichen ausgeführt, anhand derer es möglich gewesen wäre, eine konkrete Maschine zu identifizieren. Es könnte aber auch ein Versuch sein, den wahren Grund vom Hubschrauber-Absturz zu verheimlichen – und zwar den Waffen- und Munitionstyp, mittels derer er vernichtet wurde. Übrigens erklärte das russische Verteidigungsministerium offiziell, dass der Hubschrauber mit einer Panzerabwehrlenkwaffe BGM-71 TOW amerikanischer Herstellung abgeschossen wurde, obwohl diese Panzerabwehrlenkwaffe über Kabelleitungen gesteuert wird und keine beweglichen Ziele mit einer Geschwindigkeit von über 60 km/h treffen kann. Die Geschwindigkeit des Hubschraubers betrug zum Zeitpunkt des Angriffs aber über 150 km/h. Ferner ist unverständlich, wozu eine Sprengung des Heckteils veranstaltet werden musste, wenn anhand des Heckteils eine Expertise durchgeführt werden könnte, mit welcher Art Munition der Hubschrauber abgeschossen worden ist.
InformNapalm bedankt sich bei Musin und ANNA-NEWS für einen weiteren Fehltritt, der die russische Propagandamaschine ein weiteres Mal auffliegen ließ und die Strippenzieher aus dem FSB bloßstellt. Bei der Minute 0:52 sieht man im Bild den Mi-35M, der über die Flugbasis Tadmur fliegt, die in Palmyra liegt.
Einen ähnlichen Fehler hatte Musin schon einmal im September 2014 begangen, als auf den Bildern in einer ANNA-NEWS-Reportage der Panzer T-72BA der 21. selbstständigen motorisierten Schützenbrigade der russischen Streitkräfte festgehalten wurde, der von den ukrainischen Streitkräften bei Starobeschewe im Donezker Gebiet vernichtet worden war. Näheres dazu unter folgendem Link.
Dieses Material wurde von Michail Kusnezow und Kusma Tutow exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
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