Über die Feinheiten der Arbeit russischer Propaganda in Deutschland
Anm.d.Red: Wir möchten Ihnen heute einen Artikel von einem ukrainischen Journalisten, Anatoly Schara, vorstellen, der der Kremlpropaganda in Deutschland gewidmet ist.
Russland führt einen mächtigen Informationskrieg nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen Deutschland und andere europäische Länder. Wir sollten den Skandal, der wegen seines englischsprachigen Informationskonglomerats Russia Today in Großbritannien ausgebrochen ist, nicht vergessen. Die Finanzgruppe Royal Bank of Scotland plante die Konten von RT zu sperren, aber Kremls Versprechen dasselbe mit BBC zu machen, erlaubte ihm die Angelegenheit für einige Zeit zu schlichten.
In Deutschland fühlt sich die russische Propaganda mehr als sicher. Unter anderem berichtete letztens der deutsche Journalist Martin Schlack, der bei der Zeitschrift „Neon“ arbeitet, über seine Undercover-Arbeit bei Russia Today Deutsch. In seinem Blog betont er, dass „die politischen Ansichten von Online-Redaktoren im Berliner Büro „links“ sind“. Gleichzeitig ist aber die Berichterstattung über die Tätigkeit der rechtsradikalen Partei „Alternative für Deutschland“ unproportional groß. „Der gemeinsame Nenner in der Redaktionspolitik ist Antiamerikanismus und die volle Unterstützung für die Vorgehensweise des russischen Präsidenten Wladimir Putin“.
Ihre Arbeit begann die Webseite Ende 2014. In Deutschland positioniert sich RT Deutsch als eine Alternative zu den einheimischen Mainstreammedien und als eine Plattform zur Äußerung von Gedanken und Ansichten, die, wie diese Ressource glaubt, nicht wahrheitsgemäß wiedergegeben werden.
Der russische Propagandasender wurde von den deutschen Medien scharf kritisiert. So schrieb Andreas Macho, ein Analytiker der führenden Businessausgabe „Handelsblatt“, in seinem Artikel „Der Propagandasender des Kremls in Deutschland“, dass die „Hauptaufgabe von RT Deutsch die Verbreitung von möglichst großer Menge an Unwahrheiten, Halbaussagen und Verdrehungen“ ist. Michael Hanfeld, einer der Redaktoren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war noch kategorischer: Im Artikel „Mit dem kunterbunten Holzhammer“ schrieb er, dass RT Deutsch ausschließlich im Bereich der Propaganda, wo es sich am wohlsten fühlt, arbeiten kann. Die Fakten werden gezielt aus dem Kontext gerissen, um sie herum werden unterschiedliche Verschwörungstheorien aufgebaut.
Zu sagen, dass die Deutschen vom Inhalt der Kremlsender schockiert wären, bedeutet nichts zu sagen. Die Meldungen der russischen Medien über die somalischen Kämpfer oder Söldner aus Neuseeland, die im Donbass kämpfen, gehören für die Ukrainer seit langem zu Frühstückswitzen. Die „russische Welt“ brach aber unverschämt auch in das ausgeglichene Leben der Deutschen ein. Die Geschichte des Mädchens Lisa, das angeblich am 11. Januar 2016 auf dem Weg zur Schule in Berlin verschwunden war, hat im Land einen riesigen Skandal entfacht. Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion organisierten Demos, bei denen sie die Regierung der deutschen Hauptstadt beschuldigten, in dem Fall nicht ermitteln zu wollen. Der russische Sender „Erster Kanal“ sendete eine Reportage über die ungeheure Grausamkeit von „Personen arabischer Herkunft“ gegenüber Lisa. Dabei strahlten die russischen Medien ihre Berichte mit deutschen Untertiteln aus und verbreiteten sie umfangreich in den sozialen Netzwerken.
Die deutsche Polizei hat den Fall pedantisch untersucht – die Geschichte entpuppte sich als eine weitere Seifenblase. Zunächst sagte Lisa, dass sie freiwillig mit den „Personen arabischer Herkunft“ weggefahren sei – später dementierte sie ihre Aussagen. Die gerichtsmedizinische Untersuchung hat ebenfalls keine Spuren der Vergewaltigung festgestellt. Nichtsdestotrotz heizten die Kremlmedien die Situation weiter auf, indem sie über angebliche neue „Einzelheiten“ berichteten und dabei zweifelhafte Quellen nannten.
In Wirklichkeit war die Situation mit Lisa banal: Das Mädchen hatte Probleme in der Schule, schwänzte sehr oft den Unterricht und versteckte sich dabei bei einem bekannten Deutschen (keinem Immigranten). Selbstverständlich fing die Polizei an, ihre Beziehung auf Legalität zu prüfen. Aber das ist ein ganz anderes Thema, das nichts mit den Flüchtlingen zu tun hat. Doch die Massenhysterie und eine gekonnte Verhaltenstaktik in den sozialen Netzwerken haben ihr Werk getan, indem sie den Virus der Unzufriedenheit und Misstrauen gegenüber der Regierung und den deutschen Medien unter den Einwohnern von Berlin säte.
Die Kremlstrategen, durchaus darüber bewusst, dass RT Deutsch einen begrenzten medialen Einfluss auf die deutsche Gesellschaft hat (Ende des Jahres 2015 waren sie nur am Platz 882 in der Webseitenbewertung), versuchten ihre bis zu Unkenntlichkeit verdrehte Wahrheit, auf andere Art aufzutischen. Sie brachten ins Spiel einheimische Marginale, die sich selbst als unabhängige Regisseure, Fotokorrespondenten oder Kriegsreporter bezeichnen, in Wirklichkeit aber Quellen der russischen Propaganda sind.
Einer von ihnen ist Mirko Möbius, bekannt als Mark Bartalmai. Diese Person produzierte im Juli 2015 in Deutschland einen Film, „Ukrainian Agonie – der verschwiegene Krieg“, in dem mithilfe der russischen Propagandastempeln dem einfachen Deutschen über das Leben der „jungen Republiken“ und ihren „Unabhängigkeitskrieg“ gegen die „faschistische“ Ukraine erzählt wird.
Dieses Streifen wurde auf YouTube ca. 120 000 Mal angeschaut. Der Regisseur war ein gewisser Frank Höfer vom Filmstudio „NuoViso“. Dieses positioniert sich als „unabhängig“, wurde 2007 gegründet und produziert überwiegend Filmmaterial antiamerikanischen Charakters. Natürlich hat die NuoVisio die Katastrophe des malaysischem Flugzeugs nicht außer Acht gelassen. Im Film „MH17 Absch(l)ussbericht: Propagandashow statt Fakten“, der dieser Tragödie gewidmet ist, schieben die Autoren die Verantwortung fürs Entfachen des Kriegs in der Ukraine dem Weißen Haus zu und zweifeln die Beweise der internationalen Ermittlungskommission in Bezug auf den Flugzeugabsturz an.
Frank Höfer arbeitet eng mit Jürgen Elsässer, ebenfalls einem Deutschen und dem Chefredakteur des Magazins Compact, zusammen. Elsässer hat eine große Anzahl an Propagandaberichten veröffentlicht, u.a. «Krieg gegen Russland — wie die NATO nach Osten marschiert» und „Stoppt Putin die NATO? Ein Mann will Frieden“.
Laut Aussage von Mark Bartalmai, versucht er in diesem Film den Krieg aus der Sicht von einfachen Leuten – den einheimischen Einwohnern – zu zeigen. Auf den ersten Blick eine noble Geste. Doch die Journalisten, die auf dem von den Söldnern kontrollierten Territorium gearbeitet haben, werden mit hundertprozentiger Sicherheit bestätigen, dass die Einreise in die umkämpften Gebiete nur mit Erlaubnis des „Sicherheitsministeriums der DVR“ möglich ist, das auf ihr Territorium nur „Zuverlässige“ einreisen lässt.
Nach der Durchsicht des Films versteht man, dass Bartalmai vollen Zugang zu allem hatte: Zu den Stellungen der Söldner, zu den Gefängnissen, in denen die ukrainischen Kriegsgefangenen festgehalten werden, usw. Trotzdem wurde in diesem „Meisterwerk“ der Propaganda kein einziger russischer Soldat oder auch nur ein Stück Militärgerät gezeigt – stattdessen wurden ausschließlich einheimische Einwohner und „Freiwillige“ präsentiert, die mit den Waffen kämpfen, die „ukrainische Armee hinterlassen hat“.
Das wirkt sehr seltsam, denn Mark fehlt sowohl die journalistische oder militärische Fachausbildung als auch die Erfahrung mit der Arbeit bei anderen Konflikten. In einer Amateurdoku sollten in einzelnen Aufnahmen irgendwelche zufällige Elemente auftauchen, hier fehlen sie aber: der Film wurde komplett nach der Schablone seiner russischen Analoge gedreht.
Weiter wird’s noch interessanter: mit dem deutschen „unabhängigen“ Journalisten arbeitet Nelly Ojstrach aus Sankt-Petersburg zusammen, die eine solide Arbeitserfahrung mit Dokumentarfilmen besitzt und bereits bei den russischen Filmunternehmen „22“ und „STW“ arbeitete.
Mit ihr gemeinsam nahm Mark Bartalmai am Dokumentarfilmfestival „Euriasien.DOC“ 2016 in Smolensk teil, wo er die Auszeichnung „Für Tapferkeit und Ehrlichkeit“ erhalten hat. Es ist offensichtlich: Ojstrach, die Beziehungen zur russischen Filmszene pflegt, fördert Bartalmais Arbeit überall, wo es nur möglich ist, um allen zu zeigen, dass die deutschen Journalisten den Sinn des Krieges im Donbass verstehen und mit der russischen Sicht der Dinge einverstanden sind.
Dieses „süße Pärchen“ – ein deutscher „unabhängiger“ Journalist und die russische Propagandistin – taucht auf allen öffentlichen Events zusammen. Es nimmt ein Interview mit Eduard Basurin auf, es bespricht ein Buch des Schweizers Daniel Ganser, eines weiteren Verschwörungstheoretikers, in der Donezker Universität, es feiert am 9. Mai den Siegestag in Berlin.
Anmerkung: Die deutsche „unabhängige Medienperson“ lässt sich bei dieser Veranstaltung öffentlich mit einem „DVR“-Chevron fotografieren, und Ojstrach bindet sich die Flagge der „jungen Republik“ um die Schulter, weshalb sich die Frage ihrer Objektivität und Unvoreingenommenheit erübrigt.
Bartalmai trat auch noch vor wenigen Einwohnern vom Braunschweig auf und erzählte dort die bereits zu einem Mem gewordene Geschichte über den gekreuzigten fünfjährigen Jungen in Slowjansk.
Im Herbst 2016 annonciert dieses Duo die Ausstrahlung ihres neuen Films „Frontstadt Donezk. Die unerwünschte Republik“ in den deutschen Medien und versucht die Unterstützung dafür bei den öffentlichen Sendern mit bundesweiter Ausstrahlung zu finden.
Man kann noch so oft über die Absurdität und offensichtliche Schizophrenie der russischen Propaganda sinnieren, die Tatsache bleibt bestehen: sie wird den Europäern hartnäckig aufgezwungen. Und nach der Durchsicht einer weiteren Portion dieser Mischung aus Fantasie, Lüge und völligem Unsinn werden sich wohl nur wenige Deutschen Gedanken über die offene Sympathie des „unabhängigen Journalisten“ Mark Bartalmai zu den Terroristen machen.
Autor: Anatoly Schara für tyzhden.ua; übersetzt von Zoya Schoriwna; editiert von Irina Schlegel.
2 Responses to “Der deutsche Zuschauer im Visier der russischen Propaganda”
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