
In der letzten Woche ist der ukrainische Informationsraum förmlich explodiert. Dank der Arbeit von Hacker sind Hintergründe von gleich mehreren für die Ukraine äußerst winchtigen Ereignissen bekannt geworden.
Aber alles der Reihe nach.
Am 16. Oktober 2016 wurde in einem Wohnhaus in Donezk ein Aufzug in die Luft gesprengt. Wie sich kurz darauf herausstellte, war es ein Anschlag auf einen der russischen Warlords, den einige westliche Medien aus völlig unverständlichen Gründen noch immer als einen „prorussischen Separatisten“ bezeichnen: Arsenij Pawlow, besser bekannt als „Motorola“, gebürtiger Russe aus Sibirien, russischer Staatsbürger, Mörder und Terrorist, der ukrainische Gefangene erschoss und lapidar sagte, er könne sich nicht daran erinnern, wieviele genau er getötet habe.
Viele Blogger und Experten schlussfolgerten gleich, dass seine Ermordung von den russischen Geheimdiensten ausgeführt wurde – sie stützten sich dabei aber eher auf die eigene Logik, als auf konkrete Fakten. Die Hacktivisten aus der Cyberallianz FalconsFlame, Ruh8, Trinity und CyberJunta haben InformNapalm aber Archive mit Daten aus seinem Handy und dem Handy seiner Ehefrau Elena Pawlowa übergeben, die indirekt oder auch direkt auf die russische Spur hinweisen. Im Datenarchiv wurden viele Dokumente gefunden, darunter auch falsche ukrainische Papiere (Pässe, Eheurkunden), die auf in 2014 aus Slowjansk gestohlenen Vorlagen gedruckt worden waren (unter dem Link finden Sie auch Videos aus Motorolas Handy). Die oberflächliche Analyse dieser Daten hat gezeigt, dass Motorola in den letzten Wochen vor seinem Tod überaus besorgt wegen seines Konflikts mit den russischen Schirmherren war: Er schlief tagelang in seinem Büro und kam nicht nach Hause. Seine Frau schrieb ihm in einer der letzten Nachrichten, dass in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober in ihrem Haus die Wache abgezogen wurde. Pawlow warnte sie davor, „den großen Brüdern“ zu vertrauen – als „große Brüder“ werden bei den russischen Terroristen in der Ostukraine die FSB-Mitarbeiter bezeichnet. Interessanterweise nahm Motorola am Vorabend seines Todes an der Unterdrückung des sogenannten „Aufstands in der LVR“ teil. Womöglich ist ihm diese Dienstreise zum Verhängnis geworden.
Eine andere russische Mediengestalt, Michail Tolstych, besser bekannt als terroristischer Feldkommandeur „Giwi“, trat gleich am Morgen nach dem Tod von Motorola vor die Kameras und sprach von „Rache“, einer „Offensive auf Kiew“, „Wir-verzeihen-nichts“ und rief andere altbekannte russische Slogans aus. Sein Konflikt mit dem „DVR“-Anführer Alexander Sachartschenko nahm aber neue Wendung an, als auf der Facebook-Seite des „stellvertretenden Korps-Kommandeurs des „DVR“-Verteidigungsministeriums“ Eduard Basurin ein Post veröffentlicht wurde, in dem behauptet wurde, dass Giwi seine Flucht aus der „DVR“ vorbereite: Er verkaufe seine 4 Wohnungen in Donezk und Makijiwka und fliehe vor den „ukrainischen Diversionsgruppen“. Giwi stritt zwar alles ab, die Medienresonanz wegen dieses Posts war aber enorm und er wird wohl von seinen Dienstkollegen nun genau bespitzelt. Womöglich haben wir hier aber auch mit einer psychologischen Informationsoperation zu tun, wie wir es neulich im Artikel „Ein paar Hintergründe des Todes des „LVR“-Feldkommandeurs Alexey Mosgowoj“ vermuteten: In den terroristischen Bandenformationen im Osten der Ukraine wächst ohnehin Unmut über die FSB-Betreuer und andere Russen – Misstrauen zu einander dort zu säen, ist keine schwere Aufgabe.
Und nun zum größten Erfolg der Hacker im Informationsraum in der letzten Woche: Am Montag, den 24. Oktober 2016, wurde bekannt, dass die Hackergruppe CyberJunta die persönliche Korrespondenz des Beraters des russischen Präsidenten Wladislaw Surkow gehackt hat, der verdächtig wird, Auftraggeber für die Morde an Maidan-Aktivisten am 18-20. Februar 2014 gewesen zu sein. Die Nachricht glich einer Explosion im Medienraum und wurde von vielen internationalen Medien aufgegriffen. Die Leser haben aber die Scan-Kopien der Daten aus der Korrespondenz von Surkow zunächst für nicht sonderlich überzeugend gehalten.
Am 25. Oktober reagierte aber schon der offizielle Kreml darauf: Der Pressesekretär von Putin, Dmitry Peskow, beantwortete die Fragen der Journalisten zu diesem Thema äusserst ausweichend (was im Grunde nichts neues für den Kreml ist). Er zweifelte aber das Faktum des Aufbrechens von Surkows Korrespondenz nicht direkt an und beantwortete die Frage mit einem Kompliment für Surkow, den er „einen talentierten Menschen, dem vieles zugeschrieben wird“ nannte.
Nach zahlreichen Anfragen von unseren Lesern wandte sich InformNapalm direkt an die Hacker und bat um zusätzliche Informationen und Beweise.
So wurden uns neue Einzelheiten bekannt und eine Datei mit Microsoft Outlook (.pst) aus dem E-Mail-Postfach prm_surkova@gov.ru zur Verfügung gestellt: DUMP RUH8, Dump auf GOOGLE.DRIVE (Dateigröße 1 GB).
Die Hacktivisten haben infolge ihrer Operation Zugang zum E-Mail-Postfach des Empfangsraums von Wladislaw Surkow prm_surkova@gov.ru erlangt, sowie zum Computer, der unmittelbar im Empfangsraum des Beraters des russischen Präsidenten stand. Ferner besitzen die Hacker nun auch Informationen über Peskow, die sie im Lauf des Angriffs auf die E-Mail-Accounts von Assistenten und Beamten der Verwaltung des russischen Präsidenten erhalten haben – das geht aber über den Rahmen dieser Publikation hinaus und wird später erläutert.
Veröffentlicht wurden dabei bislang nur Daten aus der Zeit zwischen September 2013 und November 2014. Gerade zu der Zeit fand die aktivste Phase des Aufbaus des kremlischen Projekts „Neurussland“ statt. Materialien aus 2015-2016 sind zurzeit an die Geheimdienste zwecks Analyse übergeben worden und können wegen ihres operativen Werts nicht publik gemacht werden.
In dieser Korrespondenz sind detaillierte Informationen über die Geschäfts- (1, 2) und Medieninteressen der Russischen Föderation in der Ukraine enthalten, darunter auch in den besetzten Territorien von Donbass. Ferner gibt es dort Informationen über die Risiken der „wirtschaftlichen Blockade“ von „DVR/LVR“, vollständige Listen und Kontakte der Mitarbeiter aus der Verwaltung des russischen Präsidenten, Angaben zur sogenannten „Führung“ der selbsternannten „Republik Abchasien“, Anweisungen zur Agenturarbeit mit den „Schlüsselfiguren von Abchasien“ und vieles mehr.
Auch die Scan-Kopien der Pässe von Wladislaw Surkow und seiner Familienmitglieder sind in der Korrespondenz enthalten, sowie Kopien ihrer Schengen-Visa (Wladislaw Surkow, Roman Surkow (Sohn), Natalia Dubowizkaja (Ehefrau), Maria Surkowa (Tochter).
Wie bekannt, steht Surkow seit 2014 auf der Sanktionsliste der EU, was ihn aber nicht daran gehindert hat, am 19. Oktober 2016 am Treffen im Normandie-Format in Berlin teilzunehmen. Aus der Korrespondenz erfahren wir außerdem, dass er und seine Ehefrau ein Schengen-Visum besitzen, das ihnen zwar noch 2011 von Italien erteilt worden war, nie aber aberkannt worden ist, was gleich die Frage aufwirft, ob und wie oft die Familie Surkow denn nun Europa trotz Sanktionen besucht. Und wenn diese Europa-Reisen sich bestätigen sollten, fragen wir uns, wie verbindlich die europäischen Sanktionen eigentlich sind, wenn gerade diejenigen, die jahrelang den Plan zur Eroberung der Ukraine und Errichtung der „Russischen Welt“ in Europa ausarbeiteten und seit zweieinhalb Jahren an der Spitze des russischen Krieges gegen die Ukraine und des virtuellen Krieges gegen den Westen stehen, weiterhin trotz Verbote in die EU einreisen dürfen.
- Zum Thema der russischen Präsenz in der Ukraine lesen Sie bitte unseren PDF-Bericht „Russische Waffen im Krieg gegen die Ukraine“ und andere Artikel unter Datenbank&Infografik
Die Angaben wurden von den Hackern der ukrainischen Cyberallianz exklusiv an InformNapalm zwecks Analyse und weiteren Veröffentlichung übergeben. Die Redaktion von InformNapalm trägt keine Verantwortung für die Erstquelle und die Herkunft der Angaben.
Dieses Material wurde von Irina Schlegel auf der Basis von InformNapalm-Publikationen (1, 2, 3) exklusiv für InformNapalmDeutsch vorbereitet. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
CC BY 4.0
Wir rufen unsere Leser dazu auf, aktiv unsere Publikationen in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Die Verbreitung der Untersuchungen im öffentlichen Diskurs, kann den Lauf des informativen und des militärischen Widerstands verändern.
11 Responses to “Korrespondenz von Wladislaw Surkow und andere Ergebnisse der Hackerarbeit im Oktober 2016”
03/11/2016
Ruh8 über den ukrainischen Hacktivismus, Cyberkrieg und die Operation SurkovLeaks - InformNapalm.org (Deutsch)[…] mit den Vertretern des ukrainischen Hacktivismus vorstellen, die kürzlich den Cyberraum mit ihren SurkovLeaks förmlich gesprengt […]
06/11/2016
SurkovLeaks Part II: Hacktivisten veröffentlichten einen weiteren Dump aus Surkows Korrespondenz - InformNapalm.org (Deutsch)[…] CyberJunta, Trinity und Ruh8 besteht, veröffentlichte neue Angaben aus ihrem Datenmassiv #SurkovLeaks, das die gehackte Korrespondenz aus dem Empfangsraum des Präsidentenberaters Russlands W.J. Surkow […]
16/11/2016
Einschätzung der Lage der Kohlenindustrie in den besetzten Territorien von Donbass - InformNapalm.org (Deutsch)[…] W. Surkow, die kürzlich von ukrainischen Hacktivisten der Cyberallianz durchgeführt wurden (SurkovLeaks | SurkovLeaks2), hat deutlich gemacht, dass jede und alle Kaderfragen in den […]
02/12/2016
Mapping Media Freedom: Wie man Meinungsfreiheit richtig berechnet - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Ereignisse im besetzten Teil von Donbass handelt, wird es hier auch noch auf die Erklärungen von Eduard Basurin hingewiesen, der bereits seit zwei Jahre mythische „ukrainische Diversionsgruppen“ im […]
02/01/2017
Der deutsche Zuschauer im Visier der russischen Propaganda - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Propagandistin – taucht auf allen öffentlichen Events zusammen. Sie nimmt ein Interview mit Eduard Basurin auf, sie bespricht ein Buch des Schweizers Daniel Ganser, eines weiteren […]
28/01/2017
CyberKrieg, ukrainische Hacktivisten und Gerichtsprozesse gegen hochrangige FSB-Beamte in Russland - InformNapalm.org (Deutsch)[…] erinnern, dass die Veröffentlichung der Korrespondenz aus der Kanzlei von Surkow (SurkovLeaks Part 1 und Part 2) richtig für Furore gesorgt hat. Der Inhalt der Korrespondenz wurde verifiziert und […]
07/02/2017
Über die seltsamen "Todesfälle" der russischen Feldkommandeure im besetzten Donbass - InformNapalm.org (Deutsch)[…] sie den Russen drohten, Informationen über ihre Beteiligung am Krieg in der Ukraine preiszugeben. Motorola schrieb an seinem Todestag, den 16. Oktober 2016, an seine Ehefrau: „Gehe nicht ‚raus. Vertraue […]
19/02/2017
In die Ukraine geflohene russische Politiker und der Wert ihrer Aussagen über einen "unschuldigen" Surkow - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Analysen der durch die ukrainische UCA gehackte Korrespondenz seiner Verwaltung, siehe #SurkovLeaks Teil 1 und Teil […]
26/02/2017
Cyberkrieg: Die erfolgreichsten Operationen der UCA (Ukrainische CyberAllianz) 2016 - InformNapalm.org (Deutsch)[…] und die Videos aus dem Handy der vom FSB RF beseitigten Medienfigur Arsenij „Motorola“ Pawlow an InformNapalm weiter. Die Untersuchung zu diesem Thema hat hohe Wellen bei der Öffentlichkeit geschlagen – die […]
03/03/2017
Donbass-Blockade: Kremls Pläne in SurkovLeaks-Unterlagen - InformNapalm.org (Deutsch)[…] gelungen, Licht auf Russlands Pläne zur Destabilisierung der Situation in der Ukraine zu werfen. Im ersten Teil der Analyse erwähnten wir das Vorhandensein eines Dokuments unter dem Titel „Über die Risiken der […]
05/09/2017
Die Komplizin der Besatzer im Donbas "Bonja" über die Lage im Terroristenbataillon "Somali" - InformNapalm (Deutsch)[…] Korrespondenz von Wladislaw Surkow und andere Ergebnisse der Hackerarbeit im Oktober 2016 […]