
Die Professorin für Neuro- und Pathopsychologie an MGU (Moskauer Staatsuniversität), Doktor der Psychologie Elena Sokolowa ist eine seltene Spezialistin. Zahlen sagen über einen Menschen manchmal mehr als Worte: Sie hat um die 200 Publikationen in den angesehensten wissenschaftlichen in- und ausländischen Ausgaben. Gerade sie, als eine Psychotherapeutin, die mit den schlimmsten Fällen zu tun gehabt hat und die tiefen Prozesse der menschlichen Psyche versteht, habe ich gebeten, sich ein Video mit den politischen Talkshows der führenden russischen Fernsehkanäle des letzten Jahres anzuschauen. Und sogar sie, die alle bekannten Methoden des psychologischen Schutzes vor einem massiven manipulierten Angriff kennt, fühlte sich unwohl.
– Ich habe mir alles angeschaut, was Sie mir zugeschickt haben, aber neue Sendungen werde ich nicht mehr schauen. Das ist ja eine echte Folter…
– Warum gibt es bei uns so viele Menschen, die man so leicht manipulieren kann?
– Die soziale Realität wird immer schwieriger, unvorhersehbarer und durch ihre Undefinierbarkeit – erschreckender. Und das Fernsehen verstärkt die Angst, indem es die Menschen absichtlich in einen Zustand von Chaos und Panik versetzt. In der Situation des erschaffenen starken Stresses sind „Brüche“ in den Mechanismen des rationalen Denkens möglich. Da, wo archaische Gesetze herrschen, werden die Menschen leicht zu einer Horde – die einfachsten Emotionen der Ansteckung und Gleichartigkeit nehmen überhand. Menschliche und individuelle Züge werden dabei verwischt. Die Menschen erwarten und dursten nach jenen „Starken“, die ihnen „Ordnung“ und beruhigende Tagträume anbieten. Erinnern wir uns doch an Gorkijs Luka: „Wenn die heilige Welt zur Wahrheit keinen Weg finden kann, so Ehre dem Wahnsinnigen, welcher der Menschheit den goldenen Traum heranweht“.
– Den vom Fernsehen geschenkten Traum kann man schwer „golden“ nennen. Es reicht, sich an die grauenhafte Lüge über den in Slowjansk „gekreuzigten“ dreijährigen Jungen zu erinnern, die im Juli vom Ersten TV-Kanal verbreitet wurde.
– Ein Manipulator denkt nicht daran, was mit dem Menschen passiert – ihn zeichnet emotionale Kälte, Herzlosigkeit, eine Art Stumpfheit aus. Im Grunde ist die Psychologie eines Manipulators die eines Mörders. Wenn Mörder zum Verbrechensort gefahren werden, fallen sie ja nicht in Ohnmacht, zerfließen nicht in Tränen, sondern sprechen ganz ruhig über das Geschehene, zeigen an extra angefertigten Puppen, wie sie jemanden erstickten, vergewaltigten, abstachen… Das ist eine absolute Gefühllosigkeit, Unfähigkeit zur Wahrnehmung, zum Verständnis, zum Gefühl, zum Mitleid. Der Manipulator, wie auch der Mörder, ist emotional defekt. Anstatt eines wertvollen Bezugs zu Menschen empfindet er für diese tiefste Verachtung.
– Ich sehe tiefste Verachtung auf den Gesichtern der Moderatoren der Sendung „Politik“ Pjotr Tolstoi und Alexander Gordon. Denselben Gesichtsausdruck hat auch der unabsetzbare Studiogast aller Zeiten und Fernsehkanäle Wladimir Schirinowski.
– Jeder hat seinen Markenstil der Manipulation, aber unter ihnen gibt es auch Universelle, deren Äußeres, Haltung, geschliffene Töne und Gesten Aufmerksamkeit erregen, wie das Glitzern eines Metallhämmerchens in den Händen eines altertümlichen Hypnotiseurs… Aber wenn Sie schon angefangen haben, über die Sendung von Pjotr Tolstoj zu sprechen, so möchte ich die Aufmerksamkeit auf eine Technologie lenken, die von ihm in einer seiner Sendungen erfolgreich angewendet wurde: die Sinnauswechslung, die Einbettung eigener Interpretationen in die Aussagen des Opponenten. Dafür muss man im „Drehbuch“ der Talkshow einfach nur die Anwesenheit von irgendeinem Ausländer einplanen. Hier gibt es nämlich eine „beruhigende“ Botschaft: Schaut her, wir sind tolerant, wir sind ein demokratisches Land! Und dann kann man den potentiellen Opponenten sanft „beseitigen“: zum Beispiel spricht der Vertreter Deutschlands schlecht Russisch. Schwer verständlich ist, was er denn sagen möchte, mühselig ringt er nach Worten, und Pjotr Tolstoj, scheinbar barmherzig, „sich anpassend“, kommt ihm zur Hilfe, „spiegelt“ ihn und „liest“ seine Gedanken. Dabei legt er in seine Antwort die „nötigen“ Worte und Urteile hinein, die jener gar nicht gesagt und womöglich auch gar nicht gemeint hatte, weil er das Wesen der äußerst schnellen Rede des Moderators gar nicht verstanden hat. Tolstoi wendet hier ein sehr bekanntes psychologisches Verfahren der Suggestion oder „Programmierung“ an: „Sie wollten doch sagen…“ oder „Tatsächlich meinten Sie doch…“. Und all das wird ganz sanft, freundlich gesagt, so dass der Gesprächspartner gezwungen ist, kleinlaut zuzustimmen….
Die Maske der Verachtung und Langeweile ist eher für den Co-Moderator von Tolstoi, Alexander Gordon, „kleidsam“. Dieser „ideologische“ Antiamerikanist ist zu all dem, meiner Meinung nach, auch noch ein Misanthrop, erbost über die ganze Welt. Seine Methode des psychologischen Mordes ist der Sarkasmus, der die Beziehung zu einem Menschen a priori entwertet. Das kann einen taktvollen und feinfühligen Studiogast verwirren, ihn in den Augen der Fernsehzuschauer in einen brabbelnden Loser verwandeln.
Warum ist in diesen Sendungen immer Schirinowski? Oder, sagen wir mal, ein bedingter „Schirinowski“, denn Menschen, die seine Verhaltensweise kopieren, gibt es auf allen Kanälen gerade zu viel. Er ist ein anerkannter Meister der Epatage, des Skandals bei jedem Anlass. Seine Lieblingsthemen sind „Das russische Imperium“, „Back to USSR“, Aufrüstung, Mobilisation, Krieg, „Ausnahmezustände“. Die Sätze baut er absichtlich einfach und immer in der affirmativen Art – sie klingen wie Slogans, wie Aufrufe zum unmittelbaren Handeln. Das ist eine typische manipulative Methode der „Überflutung mit dem Affekt“, die auf einen emotionalen und impulsiven Menschen abgestellt ist. Ich würde die Aufmerksamkeit auch auf die nonverbalen Methoden der indirekten Einwirkung lenken: die aussagekräftige Mimik und Körperhaltung, den spezifischen und sich dynamisch variierenden Tonfall, die Usurpation des Raumes und der Diskussionszeit. Es wird eine Unbeirrbarkeit und Aplomb demonstriert, was für die Anhänger der „starken Hand“ attraktiv ist. Ich betone, dass wir nun über einen bedingten „Schirinowski“ sprechen, wir sprechen eher über ein Phänomen als über einen realen Menschen: die Ethik eines Klinikpsychologen verbietet eine Anwendung der diagnostischen Kategorien außerhalb einer bestimmten Berufssituation.
Es gibt ein ausgesprochenes „Schirinowski“- Publikum – dieses kann man mit der einlullenden und plätschernden Rede a la Pjotr Tolstoj nicht in Besitz nehmen. Darum steigt hier eben die „schwere Artillerie“ ein, der aggressive Einfall, der einen Menschen psychologisch zu töten, „auszuschalten“ fähig ist – und hier ist der Mensch, schon „bereit“ für den Konsum jeglicher Ansichten. Hier gibt es eine Analogie mit der Steuerung auf einen hypnotischen Zustand zu, oder wie die Psychologen nun sagen: auf einen veränderten Bewusstseinszustand. Die Hypnose ist in der Praxis einer außerärztlichen Anwendung verboten, aber es gibt verschiedene medizinische Modelle, um eine Trance zu erzeugen. Der Effekt einer Verstandesausschaltung kann infolge einer stark expressiven Ausdrucksweise, einer unerwartet grellen und emotional beladenen Assoziierung des Sprechers, oder auch der mehrfachen Wiederholungen nach Mantra-Art erfolgen, die ein Gefühl des „Eintrimmens“ unbeschreiblicher Begeisterung oder des Grauens erwecken. Es entsteht das Bild eines Tollwütigen. Erinnern Sie sich an den Narr in der Kirchenvorhalle im Drama „Boris Godunow“? Es galt, dass er „die Wahrheit offenbart“. Vielleicht legt sich diese Assoziation mit einem von den mythischen Archetypen des Volkes übereinander: „Hört, hört, er sagt die Wahrheit!“ Er kann auf uns mit einer Brechstange losgehen, aber gerade ihm sollte man glauben. Das ist einer von den „niedrigen“ Archetypen der unbewussten Aggression, die eine prompte Entladung fordert, eine unmittelbare Handlung: „Unter Waffen! Zum Krieg!“ In einer der Talkshows schreit Schirinowski buchstäblich: „Merkel erschafft das Dritte Reich! Das deutsche Reich wird herrschen!… Wir müssen eine Teilmobilisation ausrufen!…“ Der ganze Sinn hier pulsiert von Spannung und Sorge: das war’s, es ist das Ende, weiter ist nur der Krieg…
Und während eines Krieges sind ja alle beschäftigt, sind steuerbar, benehmen sich ausgezeichnet in Bezug auf die Obrigkeit. Die einzige Erschaffung, die uns zusammenzubringen und zu motivieren fähig ist, ist wohl die Erschaffung im Namen des Krieges. Oxymoron. Im Grunde: ein Krieg und eine Erschaffung. Das ist ein sehr frühzeitlicher, primitiver Bewusstseinszustand. Und die Manipulation ist eben dazu berufen, die Einheit und Weisheit unseres Lebens zu zersplittern, den Sinn zu verpuffen, uns augenblicklich auf dieses niedrige infantile Niveau der Weltwahrnehmung herabzusetzen. In Schwäche, Unsicherheit, Unzufriedenheit dursten die Menschen nach einer Identifikation mit dem Ausnahmslosen, Heroischen, „Idealen“, und durch die Verschmelzung mit diesem kompensieren sie ihre Komplexe und Trauma, ihre Erniedrigungen. Und derjenige, der nicht mit ihnen ist – der ist gegen sie, ein „Feind“, ein „Nationalverräter“… Das ist das Ziel dieses Aufbauschens des Kriegsthemas in den politischen Talkshows – die Konsolidierung der „Unseren“ und das Abdrängen der „Fremden“. Das ist eine Vorbereitung des öffentlichen Bewusstseins auf ein Wegdrängen der Andersdenkenden, auf einen endgültigen Bruch mit der Intelligenz, mit den Ideen des europäischen Weges Russlands.
– Kann man denn all die Manipulationen aufzählen?
– Nein, einen vollständigen Katalog der Manipulationsmittel gibt es auf der Welt nicht – es gibt eine unzählige Menge davon. Zum Beispiel ist die schamlose Lobpreisung von jemandem, die Lackierung der Wirklichkeit und die Auswechslung der mehrkantigen Realität durch ein Bildchen des „Positiven“ auch nur eine Manipulation. Wie auch der Versuch, mit allen zur Verfügung gestellten Mitteln den Opponenten zu entwerten, moralisch zu vernichten. Der unübertreffliche Meister dieser aalgleichen Technologien ist Wladimir Solowjew. In seiner Sendung „Der Sonntagsabend“ fließt der Spott, die Vortäuschung, Diskreditierung, Zuschreibung von bestimmten nicht existierenden Qualitäten zu einem Menschen wie aus dem Horn der Amalthea über. Das ist ein Theater des Manipulators, in dem es zweifellos eine Dramaturgie gibt. Solowjew demonstriert ausdrücklich allen Eingeladenen gleiche Aufmerksamkeit, aber in den Übergängen von einer Seite zur anderen wirft er beiläufig mit Phrasen um sich, die einen Menschen buchstäblich an der Wand verschmieren, wie auch seinen Ruf. Der Gast wird somit kleiner, schrumpft zusammen. Und darin sehe ich die Botschaft an den Fernsehzuschauer: teilen Sie etwa die Sicht der Loser?
In der Beherrschung dieser stärksten Mittel der Manipulation – Verachtung, Erniedrigung, Diskreditierung – kann der TV-Kanal NTV, meiner Meinung nach, einen Ehrenplatz einnehmen. Die Apotheose dieser Richtung ist die Skandalsendung „13 Juntafreunde“. Da erklingt zum Beispiel im Off der Text: „Mit den ersten Akkorden von Makarewitsch…“ Hier muss man sich gar nicht anstrengen, nach keinen speziellen Technologien suchen – die Autoren dieses „Meisterwerks“ haben einfach alles genommen, was die sowjetische Propaganda im Laufe der Jahre ausgearbeitet hat: „Während das ganze sowjetische Volk.. diese Feinde…“ Aber wie haben sie es denn jetzt angewendet? Jetzt erklingen im Bild die ersten Gitarrentöne, und im nächsten Bild kommen schon die Explosionen, die zerstörten Häuser von Donezk und Luhansk, die Leichen. Das war’s! Das Bild des einst so geliebten Makarewitsch ist schon bis zum absoluten Bösen dämonisiert, jeglicher positiver Bezug zu ihm musste durch so eine Methode zunichte gemacht werden. Dasselbe ist mit Diana Arbenina (auch eine russische Musikerin).
Wie kann man eine Manipulation aussondern? Das ist wenn man schnell spricht – ohne Pausen. Da, wo es keine Pausen gibt, gibt es keinen Platz für Überlegungen. Die Sprache fließt wie ein Vollstrom, hysterisch-pathetisch, mit einer mehrfach wiederholenden menschenfeindlichen Wortwahl, sie ertrinkt Sie in Emotionen der Verzweiflung, Angst und Aggression. Sie sind vollkommen in der Macht des Sprechers. Im Grunde sind es militärische Strategien: Sie dürfen nicht nachdenken, Sie hören das Kommando: „Feuer!“ und irgendwo in sozialen Netzwerken erschiessen Sie schon jemanden, der ihnen aufgezeigt wurde. Das ist die stärkste Manipulation. Sie gelingt gut bei Menschen mit einem nekrophilen Charakter. Zum Beispiel sind fast alle Annahmen bei Dmitry Kiseljew auf der Leidenschaft für die Zerstörung aufgebaut. Wenn er und die anderen Fernsehmanipulatoren der Aggression freien Lauf lassen, strahlen sie nur so vor Vergnügen, obwohl es tatsächlich um schreckliche Sachen geht.
– Im gewöhnlichen Leben nennt sich das „Vampirismus“. Und in der Psychologie?
– In der Psychologie nennt man das im Grunde genauso: „Manipulation“.
Autor: Galina Mursalijewa; Quelle: novayagazeta.ru; übersetzt von Irina Schlegel
3 Responses to “„Die Psychologie eines Manipulators ist die Psychologie eines Mörders“”
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