Wir möchten heute über ein effektives Beispiel für gesellschaftlichen Druck auf die Staatsbehörden erzählen, zu dessen Initiator InformNapalm letzte Woche wurde.
Am 30. Juni schrieben wir einen Artikel über die Festnahme von zwei russischen FSB-Mitarbeitern, die illegal auf das Territorium der Ukraine im Gebiet Kherson eingedrungen waren.
Der Vorsitzende des staatlichen Grenzschutzdienstes der Ukraine Wiktor Nasarenko schilderte auf seiner FB-Seite die Einzelheiten dieser Festnahme:
Heute, am 30. Juni, um circa 2:30 Uhr, haben Mitarbeiter des Kherson-Grenzschutzdienstes gemeinsam mit Militärangehörigen der ukrainischen Streitkräfte zwei unbekannte Personen ohne Dokumente am Ufer des Busen von Perekop festgenommen und das Boot entdeckt, mit dem die Festgenommenen angelegt hatten. Ihre Befragung zeigte auf, dass die Festgenommenen Angehörige des FSB-Grenzdienstes Russlands sind. Ihren Worten nach, übten sie bei den Manövern auf der Krim die Rolle von Grenzverletzern, hätten sich aber verirrt und seien somit auf dem Festland der Ukraine gelandet. Gegen die festgenommenen Staatsbürger Russlands wurden nun die in der ukrainischen Gesetzgebung vorgesehenen Verwaltungsgerichtsmassnahmen eingeleitet.
Im Beitrag waren auch Fotos der festgenommenen Russen enthalten – ihre Namen wurden aber nicht genannt.
InformNapalm hat daraufhin eine OSINT-Untersuchung durchgeführt und die Identität des einen FSB-Mitarbeiters noch am gleichen Tag festgestellt und publikgemacht:
Im sozialen Netzwerk VKontakte hatten wir das Profil eines gewissen Wladimir Kusnezow gefunden (archiviertes Profil, Foto, Kontakte), dessen äußerliche Ähnlichkeit mit dem festgenommenen FSB-Mitarbeiter offensichtlich war.
Nach der Analyse seines Profils wurde klar, dass Kusnezow aus der Stadt Blagoweschtschensk des Gebiets Amur Russlands stammt, das an China angrenzt. In Blagoweschtschensk befindet sich die FSB-Grenzdienstverwaltung fürs Gebiet Amur und viele Einheimische arbeiten seit Generationen traditionsgemäß beim Grenzdienst.
Das Gericht der Stadt Kalantschak ordnete gegen die beiden FSB-Mitarbeiter 15 Tage an. Diese Nachricht wurde auch von einigen russischen Medien aufgegriffen, darunter von der Regionalpresse des Gebiets Amur – Amur-Info, Amur-Lenta-Ru und Blagoweschtschensk-BesFormat-Ru. Interessant ist dabei die Tatsache, dass die russische regionale Presse keine Angst hatte, den Namen unserer Gemeinschaft zu erwähnen, was ziemlich untypisch für staatliche russische Medien ist.
Unsere Leser haben uns geholfen, auch den zweiten russischen FSB-„Fischer“ zu identifizieren, dessen Angaben wir am 3. Juli 2017 veröffentlichten. Dieser entpuppte sich als der russische Oberleutnant Askar Kulub, geb. am 25.12.1989, aus dem Morosowsk-Bezirk des Gebiets Rostow Russlands. Wir haben zwei Profile von Kulub gefunden: eins beim sozialen Netzwerk „Odnoklassniki“ (archiviertes Profil, Kontakte, inaktiv seit 2010, beinhaltet ein Foto) und eins beim „VKontakte“ (archiviertes Profil, Kontakte, ohne Fotos). Die Ähnlichkeit zwischen der Person auf den Fotos des Profilbesitzers und dem Festgenommenen ist offensichtlich.
Dank unseren Lesern haben wir die von uns festgestellten Namen der Festgenommen später bestätigen können. Auch die Angaben in der Datenbank der ukrainischen Rechtsprechung haben die Angaben von InformNapalm, die wir im Lauf unserer OSINT-Analyse erfasst hatten, einige Tage später bestätigt.
Und nun zurück zum Thema „Wichtigkeit des gesellschaftlichen Drucks“:
Am 5. Juli 2017 erschienen im einheitlichen Staatsregister der Gerichtsentscheidungen der Ukraine Einträge über die Gerichtsentscheidungen gegen die am 30. Juni festgenommenen FSB-Mitarbeiter (Fall № 657/1368/17, № 657/1369/17).
Beide Geheimdienstvertreter des Aggressorstaates wurden zu 15 Tagen Haft und zur Zahlung der Gerichtskosten in Höhe von 320 Hrywnja (circa 10 Euro) verurteilt. Wobei in der Gerichtsentscheidung angegeben wurde, dass alle beschlagnahmten Gegenstände den Festgenommenen zurückgegeben werden sollen. Dazu gehört wohl auch das Schlauchboot, mit dem die Diversanten aus der besetzten Krim in die Ukraine kamen.
Der Beschluss des Gerichts in Kalantschak sah sehr schlampig aus und enthielt einige Ungenauigkeiten: Zum Beispiel ließen sich im Protokoll keine Angaben finden, die darauf hinwiesen, dass die FSB-Mitarbeiter „die Rolle der Grenzverletzer im Lauf der Manöver auf der Krim trainierten“. Es gab nur den Satz: „Haben die Landmarken verwechselt und sind somit in der Ukraine gelandet“. Die Zeit der Festnahme wurde ebenfalls falsch angegeben – dort stand, dass die FSB-Mitarbeiter um 11:00 Uhr des 30. Juni 2017 in 6 Kilometer Entfernung vom Ort Alexandrowka festgenommen wurden. Früher wurde aber berichtet, dass sie um 2:30 Uhr nachts festgenommen worden waren.
Die Nummer der FSB-Militäreinheit wurde ebenfalls falsch angegeben: Im Gerichtsbeschluss wurde die Militäreinheit 9930 angegeben (das ist die Nummer des Orschan-Grenztrupps aus der Stadt Tscherkassy, Ukraine).
InformNapalm hat festgestellt, dass es auf der besetzten Krim, in der Stadt Balaklava, eine Militäreinheit des FSB-Grenzdienstes Russlands mit ähnlicher Nummer gibt: 9930-C. Adresse: Nowikow-Str. 1, Sewastopol.
Der Leiter dieser FSB-Grenzverwaltung ist der Kapitän des 1. Ranges Andrei Schein. Gerade er könnte klarstellen, auf welche Art und Weise seine Untergebenen (wenn sie über ihre Zugehörigkeit zu dieser Militäreinheit nicht gelogen haben) sich auf dem Festland der Ukraine wiederfanden. Die telefonische Kontaktnummer dieser Militäreinheit (für Journalisten z.B.) lautet: 8692 637362.
Im Protokoll des Gerichts wurden die Dienststellen der beiden FSB-Mitarbeiter angegeben: Stellvertretender Leiter des Reserve-Grenzposten des FSB-Grenzdienstes Russlands (wohnhaft im Morosowski-Bezirk des Gebiets Rostow, Russland) und Leiter der Kynologie-Abteilung des FSB-Grenzdienstes Russlands (sein Wohnort wurde im Gerichtsbeschluss nicht angegeben).
Diese Ungenauigkeiten im Gerichtsbeschluss ließen schlussfolgern, dass hier versucht wurde, die Sache herunterzuspielen und die russischen Geheimdienstler nach 15 Tagen Haft wieder auf freien Fuß zu setzen. Das Gericht hat die Informationen über die „Manöver“ der russischen Besatzungskräfte auf der Krim und das illegale Eindringen ihrer Vertreter auf das Festland der Ukraine zur Geländeerkundung und zum Abtasten der Löcher in der Verteidigung nicht berücksichtigt.
Man sollte daran erinnern, dass Russland seit drei Jahren ukrainische Staatsbürger entführt und festnimmt, Terrorismus- und Spionage-Fälle gegen sie fabriziert und Strafurteile mit langjährigen Haftstrafen gegen sie verhängt. So wurde im Mai 2014 der ukrainische Regisseur Oleh Senzow aus seiner eigenen Heimatstadt Simferopol entführt, nach Russland gebracht und dort zu 20 Jahren Haft verurteilt. Am 30. September 2016 wurde der „Ukrinform“-Journalist Roman Suschtschenko in Moskau verhaftet und wird noch immer illegal im russischen Gewahrsam gehalten.
Zwei weitere Ukrainer, Ewgenij Panow und Andrei Sachtej, wurden von russischen FSB-Mitarbeitern entführt und der „Vorbereitung eines Terrorakts auf der Krim“ beschuldigt. Sie werden seit August 2016 noch immer illegal in Haft gehalten und sind Folter und Gewalttätigkeiten ausgesetzt.
Das sind bei weitem nicht alle Beispiele für fabrizierte Fälle und illegale Entführungen von ukrainischen Staatsbürgern durch FSB-Mitarbeiter Russlands.
Und welche Antwort hat die Ukraine für die russischen Diversanten aus ebenjener Struktur parat, die seit Jahren ukrainische Staatsbürger entführt und kangaroo court gegen sie veranstaltet? 10 Euro und 15 Tage Haft?
Wir schlugen vor, den Artikel 332 (Index 1) des Strafgesetzbuchs der Ukraine anzuwenden, der besagt, dass wegen Verletzung der Einreise- und Ausreisebestimmungen auf/vom temporär besetzten Territorium der Ukraine zwecks Schädigung der Staatsinteressen eine Haftstrafe von 3 bis zu 5 Jahren vorgesehen wird. Eine derart lange Strafe würde den russischen Militärangehörigen den Appetit auf „sich auf dem ukrainischen Territorium verlaufen“ höchstwahrscheinlich für immer verderben.
Diese Publikation, die am 5. Juli auf unserer Webseite auf Russisch erschien, rief große Resonanz in der ukrainischen Gesellschaft und den Medien hervor, und bereits am nächsten Tag, am 6. Juli 2017, veröffentlichte der ukrainische Sicherheitsdienst SBU auf seinem offiziellen YouTube-Kanal einen Videokommentar zu diesem Vorfall. Laut diesem wird gegen die FSB-Mitarbeiter Anklage nach Artikel 110 Teil 2 des Strafgesetzbuchs der Ukraine erhoben.
Auch die Vorsitzende der parlamentarischen Delegation der Ukraine bei der parlamentarischen NATO-Versammlung Irina Friz bedankte sich auf ihrer offiziellen FB-Seite bei InformNapalm für die rechtzeitige Reaktion auf den Gerichtsbeschluss und versicherte alle, dass die russischen FSB-Mitarbeiter nach 15 Tagen nicht freigelassen werden, da gegen sie eine neue Anklage nach Artikel 110 Teil 2 erhoben wurde.
Und selbst der Berater des Innenministers der Ukraine, Sorjan Schkirjak, nutzte einen Screenshot aus InformNapalm-Untersuchung und teilte mit, dass die FSB-Mitarbeiter wieder auf der ukrainischen Anklagebank sitzen werden.
Somit haben wir in weniger als 24 Stunden nach der Veröffentlichung unseres Artikels und der Resonanz in den Medien offizielle öffentliche Garantien von einigen staatlichen Beamten und offizielle Videokommentare des ukrainischen SBU erreichen, sowie die Richtigkeit unserer Annahmen in der OSINT-Analyse mit den Namen der Festgenommenen bestätigen können.
Wir möchten daran erinnern, dass das Thema der Festnahme von zwei Militärangehörigen der 3. Speznas-Brigade GRU Russlands am 16. Mai 2015 ebenfalls zunächst von InformNapalm zur Sprache gebracht worden war, woraufhin die staatlichen Strukturen der Ukraine gezwungen waren, diese Festnahme öffentlich zu beleuchten und zahlreiche Fragen von Journalisten zu beantworten.
Dieses Material wurde exklusiv für InformNapalmDeutsch vorbereitet.
Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich (Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
Besuchen Sie uns beim Facebook: InformNapalmDeutsch
No Responses to “Festgenommene FSB-Mitarbeiter in der Ukraine und die Wichtigkeit des gesellschaftlichen Drucks”