von Irina Schlegel
Es lebte einmal in Deutschland ein Watnik.
Zur Info:
HOMO SOVIETICUS (andere Bezeichnungen: Watnik, Putinist, Putinversteher)
Eigenschaften des Homo Sovieticus:
1) Paranoid: Er fühlt sich eingekesselt und bedroht von der ganzen Welt
(lebt dabei auf einem Sechstel des Festlands);2) Schizophren: Er kann heute besoffen sehr lieb sein, und euch morgen mit der leeren Flasche erschlagen;
3) Chauvinistisch veranlagt: Alle schulden ihm etwas, er ist immer der Unschuldige, der Reinste, fehlerfrei und hat „einen besonderen Entwicklungsweg“.
Beispiele: „Ukrainer (Georgier, Balten, Moldauer usw.) dürfen nicht nach Europa! Die gehören zu uns, weil wir besser wissen, was für sie gut ist!“;4) Nationalistisch: siehe P.3, plus: der Arier unter den Homines Sovietici ist der Russe, und dieser ist davon überzeugt, dass alle Satellitenvölker (in den ehemaligen sowjetischen Republiken), wie auch als Homines Sovietici lebende Menschen anderer Kulturen ohnehin Untermenschen sind;
5) Neidisch: Wegen seiner Schizophrenie ist der Homo Sovieticus gleichzeitig neidisch auf andere Völker, die besser als er leben.
Eigentlich ist der Homo Sovieticus auf jeden neidisch, der klüger, ehrlicher, reicher usw. ist, darum bekämpft er entschieden und hart all diese Menschen, ob international oder im engsten Umkreis;6) Sadomasochistisch: Nichts auf der Welt liebt Homo Sovieticus mehr als seine größten Peiniger (siehe Stalin, Putin).
Er kann euch mit Sätzen wie „Man bräuchte hier Stalin!“ oder „Putin ist Russland!“ konfrontieren;7) Er ist äußerst gehorsam, ein Sklavenbewusstsein ist vorhanden (folgt aus dem P. 5).
Er kann euch mit Sätzen wie: „Sie sind doch eine in Kasachstan geborene Deutsche, wie können sie denn Europäerin sein?“ bzw. „Mächtige geheime Kräfte haben die ahnungslosen Ukrainer zur Revolution gebracht!“ oder auch „Europa muss von Amerika losgerissen werden!“ konfrontieren;8) Götzen- und Totenkult. (folgt aus den P.6 und P.7)
Er hat immer ein lebendes oder auch totes Idol, das allerdings jederzeit austauschbar ist, bzw. muss das neue Herrchen nur sadistisch genug sein, um zum Idol zu werden;9) Rückschrittlich: Der Homo Sovieticus lebt noch immer im XX. Jahrhundert (dieses Faktum beim Umgang bitte immer berücksichtigen).
„Das ist unsere Einflusszone!“ ist der Lieblingssatz eines Homo Sovieticus.P.S. Wenn Euch noch weitere besondere Merkmale des Homo Sovieticus einfallen, bitte mitteilen: leider lebt der Homo Sovieticus in Eurer unmittelbaren Nachbarschaft, daher ist das Wissen um sein Wesen sehr wichtig.
In die eigene lokale Umgebung hat er sich nicht einleben können, es schien ihm in den sozialen Plattenbauten alles öde zu sein, die Schule schwänzte er, liebte dafür Computerspiele und das russische bunte Fernsehen… So sind Jahre vergangen, und er wurde ganze 20 Jahre alt. Draußen regnete es wieder, der tägliche Zeitvertreib mit seinen Kumpels – den Hartz-IV-Empfängern – im Hinterhof seines Hauses mit ein paar Flaschen Wodka ist ihm auch schon langweilig geworden, und da fing das an: Das russische Fernsehen erzählte ihm die Geschichte von den Ukronazis. Die Geschichte war beeindruckend, bunt und darin kamen ganz viele Worte vor, die er noch in der Kindheit ganz oft gehört hatte: „Putsch“, „Faschisten“, „Vaterland“ etc. – Es wühlte sein leeres Innere auf, und da beschloss er, in den Krieg gegen die bösen Ukros zu ziehen: „Besonders nach Odessa… Wenn nicht wir, wer dann… Ich konnte nicht mehr tatenlos zuschauen…“
Man kann mit 20 natürlich auch einfach arbeiten gehen – aber das ist langwierig, anstrengend und fade. Man kann auch studieren gehen, aber was? Physik? Mathematik? Siehe oben. Ist das nicht alles völlig uninteressant, wenn da im Fernsehen gesagt wird, dass dort, dort – dort kann man die Welt retten! Jemand wird vielleicht studieren, oder Steuer zahlen, oder ein Land aufbauen, aber du – du bist ein Watnik mit deutschem Pass, und du sollst in den Krieg für Russland ziehen. Und auch wenn du eigentlich in Deutschland geboren bist, und deine Oma und Opa von einem gewissen Stalin aus dem Russland des letzten Jahrhunderts deportiert wurden und ihre Familie dabei fast gänzlich umkam – „Vaterland!“, „Verteidigen!“, „Vor Nazis retten!“, „Russland!“… Russland hat er zwar nur im Fernsehen gesehen, irgendwo in den Asi-Vierteln von Berlin oder Köln, aber dieses Russland aus dem Fernseher – das war das wahre Vaterland. Erhaben, groß, schön, verrückt und anziehend. Dieses wollte man retten.
Eine ganze Generation von Menschen, die alle Möglichkeiten bekommen haben, aus den Zweite-Welt-Ländern in ein Land der ersten Klasse hineingelassen wurden, aber am Ende kam von ihnen nur das klassische „Ich-habe-hier-keine-Zukunft“…
Eine ganze Kulturerscheinung. Lerne die Sprache, höre deinen russischen Hinterhofs-Rap nicht mehr, rauch‘ keine Scheiße, lass dir kein pathetisches Tattoo stechen, komm‘ nicht in den Knast… Scheiße, geh doch und lern irgendwas! Werde Arzt! Anwalt! Das ist tatsächlich schwieriger, als vom Hartz-IV-Geld eine Fahrkarte in den Donbas zu kaufen, aber du wirst ein Leben haben und kein schlechtes. Ein Leben, wo dich denkende Menschen respektieren werden.
Aber nein! Ein Watnik wäre doch kein Watnik, wenn er (es?) nicht ins ferne Grenada, Donbas – was gibt es da noch, was man retten könnte? – fahren würde.
Also gibt Nikolai B aus Deutschland dem russischen Watnik-TV-Sender RT Deutschland ein Interview. Pathetischer Wortsalat eines Nichtstuer-Teenagers.
RT, um seinem Watnik-Ruf gerecht zu werden, nannte ihn „Nicolaj B“, denn zuerst nannte er sich gar „Nikolai Stirliz“: Stirlitz war nämlich der Held einer Kriegsdrama-Serie, ein Geheimdienstler – der Führer aller Watnike ist nämlich ein Geheimdienstler, ein Tschekist, darum träumen alle Watnike davon, ein Spion zu sein und gegen die USA zu kämpfen, was Watnike allerdings nicht daran stört, sich beim amerikanischen Facebook zu registrieren (https://www.facebook.com/nikolaj.schtirliz), und dort sogar Fotos mit einer Waffe aus dem Schlaraffenland der Watnike – dem vom Fernsehen erfundenen „Neurussland“ – zu posten. Schnell hat aber der Stirlitz verstanden, dass sich das so gar nicht für einen Spion gehört und löschte sein Profil.
Er hat aber im sozialen Netzwerk der Watnike – VK nennt sich das – hektische Aktivität entwickelt (https://vk.com/bitardvideltotdva4. Archiv: https://archive.is/epgRr und https://archive.is/uVBLO). Dort hat er sogar eine Gruppe organisiert: „Noworossija/Neurussland-Info“. Er informierte die deutsche Öffentlichkeit über das Geschehen bei der Junta, wenn man das so sagen darf.
Er würde sich wohl auch weiter grandios versteckt halten, aber eines Tages haben sich die Journalisten vom WDR in den Donbas verirrt und sind direkt auf ihn gestoßen.
Der SaveDonbassPeople-Kämpfer gab ein Interview (ins Fernsehen zu kommen war dann doch wichtiger, als ein geheimer Spion zu sein, von dem niemand etwas weiß), wurde auf allen zentralen Kanälen gezeigt und – oh, Wunder! Keiner hat sein Opfer gewürdigt! Der Weg zurück war zu. Schwer ist das Schicksal eines Watniks. Unverstanden lebt er… Keiner möchte nachvollziehen, warum man Waffen in die Hände nimmt und bereit ist, andere Menschen zu töten, für ein vom Führer aller Watnike erfundenes Land, dessen Verfassung eigentlich aus nur einem Wort bestehen könnte: „TERROR“.
Da hat man auch herausgefunden, dass Nikolai der Stirlitz ein Nikolai ist, der am 3. Dezember 1993 in der Stadt Gladbeck geboren wurde und in Essen wohnt.
Seinen Nachnamen hatte er lange verheimlicht, aber so ist der Preis eines Fernsehruhms: „Die Welt“ hat kurze Zeit später eine Reportage über die Deutschen, die für die „Volkswehr“ („Watnik-Terror-Wehr“ zu deutsch gesagt) kämpfen, gemacht und fand selbstverständlich seinen Namen heraus: Blagaderow. Nikolai Blagaderow. Kein Stirlitz… Nicht mal verwandt.
Nun hat Nikolai B. die „Volkswehr“ wohl verlassen. Da kamen nämlich ganz andere Leute hin: burjatische Panzerfahrer und Speznas GRU… Das hat halt alles keinen Sinn mehr gemacht. Also beschloss Nikolai B Journalist zu werden! Über das schwere Schicksal eines Watnik-Terroristen zu erzählen. Die Welt soll’s wissen!
21 Jahre alt. Die richtige Zeit zum Karrierewechsel… Manche sind zwar in dem Alter schon im dritten Studiumsjahr und schauen sich die zukünftigen Arbeitsplätze an, aber er rettete doch den Donbas vor Faschisten!
Und, gerettet?
Das russische Watnik-Fernsehen versuchte nämlich ein Jahr lang, ein weiteres Mythos für die Watnike zu erschaffen, demzufolge Hunderte und Tausende und Abertausende Freiwillige aus der ganzen Welt in den Donbas fahren. Unter anderem auch Deutsche, die die Greuel der „Kyjiwer Junta“ (keine Sorge, das ist auch ein Begriff aus dem Watnik-Fernsehen, muss man nicht kennen: die Leute da sind sehr kreativ – sie haben in diesem Jahr eine gänzlich neue Sprache erfunden) nicht mehr aushalten.
Leider schauen gar nicht so viele Menschen das Watnik-Fernsehen, wie das der Watnik-Führer gerne wollte und wofür er Milliarden ausgab (dieses verschissene phantasielose Europa – die wollen immer Fakten haben! Logik! Angaben! Folgerichtigkeit! Langweiler…) und darum fahren nach „Neurussland“ nur einzelne Nichtstuer, Arbeitslose und Kriminelle. Mit jedem von ihnen versuchen die lokalen Propagandisten zu arbeiten, manch ein Überseegast wandert von einem russischen Watnikpropaganda-Kanal zum anderen. Derselbe Nikolai war schon auf allen Kanälen – es gab wohl keine ausländischen Gäste mehr…
Die deutsche Aufklärung berichtete im März, dass auf der Seite der „Separatisten“ (das sind auch Watnik-Terroristen, die haben nur viele verschiedene Namen, mehr als manch‘ einer europäischer Adliger. Ihr „Adelstitel“ müsste wohl so lauten: Volkswehrseparatist-vom-Fernsehen-verblödeter-arbeitsloser-Watnikterrorist-mit-sadistischen-Neigungen) etwa 100 Deutsche am Krieg teilnehmen.
Wobei es darunter kaum Deutsche gibt. Hauptsächlich sind es Russlanddeutsche, die nach Deutschland emigriert sind. Nur ein paar Namen wurden dabei registriert: der am 12. Februar getötete Witali Pastuchow (die übliche Watnik-Palette: Sozialhilfe, Alkohol, Gefängnis); Alexey Relke (konnte sich in Deutschland auch nicht zurechtfinden); ein 23-jähriger Simon aus Hanau. Dann gab es letztes Jahr in Slowajnsk noch einen Watnik-Terroristen unter dem Rufzeichen „Justas“. That’s it. Ende der deutschen Watnike, die die Welt im Donbas retten.
Ah! Da gab es wohl noch eine Deutsche, die sich vom Zusammensturz der DDR noch immer nicht erholt hatte: Margarita Seidler, eine orthodoxe Aktivistin. Jetzt ist aber auch wirklich Ende.
Wir möchten allen deutschen Watniken helfen! Wir sind nämlich sehr nett und kennen ein Heilmittel gegen das Watnik-Dasein und sind sogar bereit, Euch über dieses Wundermittel zu informieren.
Wie einst ein russischer Klassiker sagte: „Lesen Sie keine sowjetischen Zeitungen!“
Neuformuliert: Schalten Sie Ihren Fernseher ab! Lesen Sie keine Watnik-Medien! Natürlich wirkt jedes Heilmittel, auch wenn es ein Wundermittel ist, nicht auf der Stelle. Aber wir versprechen Ihnen: nach ein bis zwei Monaten wird sich die Watte in Ihrem Kopf langsam aber sicher auflösen, und Sie werden die Welt mit anderen Augen sehen! In dieser Welt wird es Arbeit geben und Menschen in Ihrer Nähe, denen Sie helfen können! Sie werden sich über die Probleme ihrer Nahestehenden Gedanken machen und im Garten wuseln. Ihre Wohnung wird schöner aussehen, denn Sie werden sie endlich aufräumen! Sie werden aufhören, Alkohol zu saufen, weil Sie nämlich morgen ARBEITEN gehen müssen. Und Ihr Sohn wird vielleicht in der Ausbildung, die er antritt, ein Mädchen kennenlernen und an Sex denken, anstatt an Waffen (da haben Sie auch was von – das ist die Perspektive eines Enkelkindes). Und eines Tages werden Sie sogar verstehen, dass die warmen westfälischen Roggenbrötchen und der faule ruhige deutsche Sonntag es Wert sind, sie zu verteidigen und sie vor der „russischen Welt“ zu beschützen…
Dieser Artikel wurde von Irina Schlegel auf der Basis von Anton Pawluschkos erfassten Angaben exklusiv für InformNapalmDeutsch verfasst. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unser Projekt erforderlich.
CC BY 4.0
4 Responses to “Feuilleton: Die Geschichte eines deutschen Watniks…”
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