
Am Samstag, den 10. Dezember, berichtete Reuters, dass im Nordwesten und Südosten von der antiken syrischen Stadt Palmyra erneut heftige Kämpfe ausgebrochen sind.
Zugleich erschienen auch in den sozialen Netzwerken viele Meldungen darüber, dass die IS-Söldner zur Offensive übergehen und Palmyra faktisch eingekesselt haben.
Samstag morgen teilte der bekannte russische Blogger und Orientalist Anatoly Nesmijan (alias El Murid) mit: „Die Stadt ist eingekesselt, teilweise besetzt, gerade wird der Versuch unternommen, die Söldner aus der Luft anzugreifen, die Luftangriffe blieben bislang aber erfolglos. Die russische Militärbasis in Palmyra ist stark beschädigt. Der IS hat die Luftwaffenbasis Tijas T-4 östlicher von Palmyra eingenommen (das ist die Luftwaffenbasis, auf der im Frühling vier unsere Hubschrauber vernichtet worden waren), auf der Basis ist ein syrischer MiG-23 vernichtet worden, der nicht rechtzeitig in die Luft steigen konnte. Am sonsten bleibt alles bei altem. Die Regierung hat keine Kräfte, um einen Gegenangriff zu starten“.
Im Frühling 2016 berichteten russische Medien begeistert über die Einnahme von Palmyra. Das ist die einzige Stadt, die Assads Truppen mit Unterstützung der russischen Luftwaffe und russischer Militärspezialisten, die an der inoffiziellen Bodenoperation in Syrien teilnehmen, im Lauf der russischen Militärkampagne in Syrien dem IS „wegnehmen“ konnten. Das Wort „wegnehmen“ ist hier ziemlich relativ, da Palmyra an Russlands und Assads Truppen nach einem Pakt übergeben wurde – für den Abzug der Al-Bagdadi (Anführer des IS) Söldner wurde ein Tribut geleistet.
Wahrscheinlich hat es die Wachsamkeit des russischen Kommandos eingeschläfert, das über seinen grandiosen Sieg zu berichten eilte. Auf Anordnung Nr. 273 des Verteidigungsministers Russlands vom 14. Mai 2016 wurde im Zusammenhang mit der „Befreiung der syrischen Stadt Palmyra“ sogar eine spezielle Medaille gestiftet. Russische Künstler begannen Tournees nach Palmyra zu machen und russische Medien kosteten diesen Informationsanlaß lange Zeit genüsslich als einen „Triumph der russischen Waffen“ aus. In Wirklichkeit war es wohl ein Triumph des russischen Geldes…
Wir möchten daran erinnern, dass InformNapalm Militärangehörige aus gleich mehreren Truppenverbänden der russischen Streitkräfte registriert hat, die an der bedingten „Einnahme von Palmyra“ teilgenommen hatten.
Zum Beispiel haben wir Militärangehörige der 20. selbstständigen motorisierten Schützenbrigade (ME 22220), eine Haubitzenabteilung der 120. Artilleriebrigade (ME 59361), sowie eine Abteilung der 61. Marineinfanteriebrigade (ME 38643), die später die Kontrolle über das Territorium von Palmyra sicherstellte, festgehalten.
Wie EADaily berichtet, verlief die Chronologie des Angriffs auf Palmyra und die Einnahme von wichtigen Infrastrukturobjekten wie folgt:
Am 7. Dezember griffen die IS-Terroristen das Dorf Huweisis unweit von Gas- und Erdölfeldern „Asch-Schajer“ und „Al-Mahr“ an. Im Ergebnis von diesen Angriffen, die vom Abend des 7. Dezember bis zum Morgen des 8. Dezember andauerten, wurde Huweisis eingenommen und im Lauf der nächsten 5 Stunden gingen auch die Erdölfelder „Asch-Schajer“ und „Al-Dschasal“ unter die vollständige Kontrolle des IS über.
Parallel zur Offensive im Raum von Huweisis begann am Morgen des 8. Dezember auch der unerwartete Vorstoß des IS südwestlich von Palmyra. Tagsüber wurde schon der Raum von Kasr al-Chalabat eingenommen und die Terroristen waren 3 Km näher an Palmyra. Nach Angaben der Söldner selbst, gelang es ihnen infolge ihrer Offensive am 8. Dezember ein grosses Territorium einzunehmen, inklusive 8 Checkpoints der syrischen Armee. Die Verluste der Assad-Truppen und ihrer Verbündeten schätzen die IS-Terroristen auf 50 Tote und über 100 Verwundete, unter denen womöglich auch russische Militärangehörige sind. Dabei wird berichtet, dass die Söldner 3 Panzer, ein Fla-Geschütz, eine Panzerabwehr-Lenkrakete „Konkurs“ und Munition erbeutet hätten.
Als ein möglicher Grund für diese plötzliche Taktikänderung beim IS kann wohl die Tatsache genannt werden, dass Russlands, Assads und Hisbollah Truppen ihre Hauptkräfte auf die Erstürmung von Aleppo geworfen haben, in der Hoffnung, dass der „Tribut“, den sie für Palmyra gegeben hatten, ihnen für lange Zeit diesen Abschnitt gesichert habe. Die Garnison in Palmyra wurde stark geschwächt. Mehrere Monate lang gab es im Raum von Palmyra keine besonderen Ereignisse. Vor ein paar Tagen begann sich aber alles plötzlich zu ändern. Noch bleibt es ein Geheimnis, was genau die IS-Terroristen, die früher faktisch keine aktiven Kampfhandlungen gegen Assads Truppen geführt hatten, dazu bewegt hat, zu einer Offensive zu übergehen. Zunächst begannen die Söldner, die Stadt im Halbkreis einzukesseln, was ihnen angesichts des Abzugs von grossen Teilen der Assad-Truppen auch relativ schnell gelungen ist. Die nächste Etappe war die Vororte von Palmyra anzugreifen, Schlüsselstellungen und Höhen einzunehmen. Die Gefahr einer vollständigen Einkesselung der Gruppierung in Palmyra entstand in dem Moment, als der IS begann, die einzige Strasse aus Palmyra unter seine Feuerkontrolle zu nehmen.
Gerade diese Tatsache, und keine mythische „Waffenruhe“, zwang Russland und Assad die Erstürmung von Aleppo einzustellen. Sie begannen Truppen aus Aleppo zurück nach Palmyra zu verlegen. Auf dem Weg nach Süden ist aber ihre Kolonne in einen Hinterhalt geraten, der von der syrischen Opposition geschaffen wurde, und ist nie nach Palmyra gekommen.
Ausgehend von verfügbaren Angaben haben wohl russische Soldaten als erste die Stadt zu verlassen begonnen, ihnen folgten die Assaditen und die Hisbollah.
Dabei sind die IS-Terroristen nun auch im Raum der Stadt Homs aktiv geworden, was die Lage noch weiter verschlechtert hat.
Wie Putin und Assad nun agieren werden, ob sie für den Abzug der IS-Truppen aus Palmyra erneut zu zahlen oder aber die Stadt zurückzuerobern versuchen werden, indem sie die Angriffe auf Aleppo einstellen, ist noch nicht klar.
Höchtswahrscheinlich wird das russische Verteidigungsministerium nichtsdestotrotz eine neue Medaille für die „Zweite Befreiung von Palmyra“ stiften…
Dieses Material wurde von Sergej Repin und Andrew Lysytskiy exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
(Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
One Response to “Palmyra: Assads und Russlands Truppen in einer kritischen Lage”
15/12/2016
Palmyra: Wie Russland in eine offizielle Bodenoperation in Syrien hineingezogen wird... - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Lesen Sie zum Thema: „Palmyra: Russlands und Assads Truppen in einer kritischen Lage“ […]