
Russische Spezialkräfte führten geheime Bodenoperationen in Syrien aus. Die Reportage darüber in der Sendung „Westi der Woche mit Dmitry Kisseljow“ vom 11. Dezember kann man wohl als den Anfang der informativen Vorbereitung von russischen Bürgern auf die offizielle Erklärung über die Durchführung einer Bodenoperation in Syrien bezeichnen. Nach der schmählichen Niederlage in Palmyra bleibt Russland keine Wahl: Die Luftwaffe kann die mobilen Söldnergruppen nicht bekämpfen, also wird sich Russland wohl in den Bodenkrieg hineinziehen lassen müssen.
Palmyra wird wohl wieder befreit werden müssen, zum zweiten Mal in diesem Jahr…
Vorwort
Während die ganze Welt zuschaute, wie die russische Luftwaffe samt Assad die Reste von Aleppo vernichten, begann im tiefsten Hinterland, im Raum von Palmyra, unverständliche Aktivität. Die IS-Kämpfer fingen zielgerichtet an, die Checkpoints in den Vororten von Palmyra abzuarbeiten.
Eine einheitliche Frontlinie mit kilometerlangen Schützengräben gibt es dort nicht – der Kampf findet um die einen oder anderen Schlüsselstellungen und Zufahrtsstrassen, von denen man andere Strassen kontrollieren kann usw. statt. Ein paar erfolgreiche Operationen mit Dschihad-Autos, die mit genug Sprengsatz beladen sind, um einen Checkpoint in die Luft zu jagen, können die Kräfteverteilung an der Front durchaus verändern. Im Endeffekt griff der IS letzte Woche sehr gekonnt die Assaditen bei Palmyra an.
- Lesen Sie zum Thema: „Palmyra: Russlands und Assads Truppen in einer kritischen Lage“
Was Palmyra angeht, so wird dort um die Stadt Tadmor und die Höhen um sie herum gekämpft. Die Kontrolle über diese Stadt und ihren Raum erlaubt es, sich unbesorgt auf der Luftwaffenbasis T4 nahe der Ortschaft Et-Tiyas aufzuhalten (genau jene Luftwaffenbasis, wo die russischen Hubschrauber vernichtet wurden, wenn es auch niemand zugegeben hat). Die Kontrolle über diese Basis verschiebt die Frontlinie von der Stadt Homs und anderen Ortschaften nach hinten.
Im März 2016 wurde Palmyra mit Unterstützung der verfügbaren Luftwaffe vom IS zurückerobert. Und selbst um solch‘ eine kleine Ortschaft (zu Friedenszeiten lebten dort 50 000 Menschen) kämpften die syrische Armee, Hisbollah-Truppen und russische Streitkräfte ganze drei Wochen lang. Übrigens wurde gerade zu der Zeit die Anwesenheit von russischen Speznas-Soldaten in Syrien offiziell anerkannt: Am 24. März wurde offiziell über den Tod des 25-jährigen Leutnants der Spezialkräfte Russlands Alexander Prochorenko berichtet. „Der Militärangehörige starb heroisch, indem er das Feuer auf sich lenkte, als er von den Terroristen entdeckt und umzingelt wurde…“ (Link).
Der Gefallene wurde mit dem Orden „Held Russlands“ geehrt, die Tatsache seiner Bodenbeteiligung wurde dabei nur beiläufig erwähnt, wenn auch Fotos mit der russischen Uniform und den Dokumenten in russischer Sprache zu der Zeit sehr populär in den Twitter-Accounts der IS-Söldner waren.
Am 28. März 2016 wurde offiziell über die Befreiung von Palmyra berichtet. Dann kamen die TV-Mitarbeiter zu Wort und am 5. Mai fand in den Ruinen von Palmyra ein Konzert unter Teilnahme des berüchtigten Sergei Roldugin statt.
Das russische Verteidigungsministerium stiftete gleich zwei Medaillen für diese Operation: „Für Befreiung von Palmyra“ (hier bitte auf die Definition „Befreiung“ statt „Einnahme“ achten) und „Fürs Entminen von Palmyra“. Eine alltägliche Operation im Grunde, die aber so viel Lärm gemacht hat. Am Entminen von Palmyra nahmen mehrere Hunderte oder sogar Dutzende Menschen teil – wozu wurde deswegen eine Medaille gestiftet? Die Frage ist interessant, wenn man davon ausgeht, dass Palmyra nicht mehr aufgegeben werden sollte. Wenn man aber Palmyra einmal im Jahr „befreit“ und „entmint“, so kann es durchaus eine verbreitete Kampfauszeichnung werden. Jemand könnte gleich zweimal zu einem Medaillenträger werden…
Die TV-Drehteams verliessen den Ort aber schnell, das schöne Bild blieb Vergangenheit. Es begann der graue Alltag. Es hat sich herausgestellt, dass man weiter nach Osten von Palmyra nicht wirklich vorstoßen kann: Der IS war schon ziemlich nah oder kam immer wieder ziemlich nah, infolge von ein paar erfolgreichen Angriffen.
Für den Schutz und die Kontrolle über die Stadt und ihre Zufahrtsstraßen brauchte man solche Kräfte, die das Assad-Regime nach 5 Jahren Krieg einfach nicht mehr zur Verfügung hat. Eine Zeit lang konnte man den Anlauf des IS mit geringen Kräften zurückhalten. Während der Operation zur Einnahme (oder Befreiung?) von Aleppo wurde aber der Großteil von kampffähigsten Truppen aus Palmyra dorthin verlegt. Im Hinterland bei Palmyra erwartete man anscheinend keine Aktivität der Terroristen, denn genug Kräfte zur Abwehr hat man dort nicht zurückgelassen.
Der Kriegsalltag
Am Ende gingen am 8. Dezember die ersten beunruhigenden Nachrichten ein. Und bereits am 9. Dezember erschienen die ersten Videos mit den IS-Angriffen und den abziehenden Assaditen, die ihre Checkpoints verliessen.
Eingenommener Checkpoint:
Beschuss der Abziehenden:
Bereits am Morgen des 10. Dezember berichteten pro-Assad-Quellen über die Kämpfe in den Vororten der Stadt und die IS-Kämpfer selbst erzählten über die Strassenkämpfe in Tadmor und in Palmyra. Es wurde klar, dass die Situation sich zuspitzte. Hysterische Erklärungen gingen von beiden Seiten ununterbrochen ein, wenn auch ohne jegliche Beweise – man musste ein paar Stunden warten. Zum Abend des 10. Dezember verloren die BBC-Redakteure die Nerven und schrieben über die Aufgabe der Stadt an ISIS. Manche empfanden die Nachricht als Fake.
Am Abend und in der Nacht auf den 11. Dezember erschien die Information über die Angriffe der russischen Luftwaffe auf den IS. Angeblich nahm an dem Kampf selbst ein Tu-95 teil. Anscheinend wurde die Luftwaffe tatsächlich eingesetzt, es ist aber nicht ganz klar, warum so spät und warum nachts. Um die Taktik der Kämpfe zu verstehen, kann man sich folgende Videos anschauen. Ungefähr so sieht die Frontlinie in Syrien aus:
Der Einsatz von Luftwaffe gegen eine derartige Frontlinie ist eine sinnlose Ressourcenverschwendung. Die Terroristenkräfte bestehen aus Banden auf Geländewagen, die mit Schützenwaffen ausgerüstet sind, und mobiler Infanterie. Ab und zu gelangen ins Bild die von der syrischen Armee erbeuteten Panzer. Gegen so eine Armee kann nur der Speznas arbeiten, der nach und nach die Versorgungswege abschneidet und die Gruppierungen eine nach der anderen vernichtet. Dieser Prozess ist ziemlich langwierig und benötigt viel professionelle Infanterie. Wo soll sie herkommen? Ich glaube, wir wissen woher…
In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember war der Twitter voll mit Erzählungen darüber, wie der IS nach den Bombardierungen zurückgetreten sei und seine Konvois zerschlagen worden seien – am Morgen des 11. begannen aber die Islamisten ihre ersten Videos aus Palmyra-Tadmor zu posten. Die ermüdete syrische Armee wurde aus der Stadt vertrieben.
Übrigens, wenn man die Mitteilungen über diese Operation durchliest, stellt sich heraus, dass zunächst die Rede von bloß ein paar Hunderten Islamisten war (was der Realität wohl am ehesten entspricht), später wuchs ihre Anzahl auf 1 000, und dann – auf 2 000. In der letzten Version wird gar von einer IS-Gruppierung bestehend aus 4 000 Menschen gesprochen. Wahrscheinlich ist die Niederlage gegen so eine „Armee“ nicht so schandhaft, darum begannen die Medien gerade diese Zahl weiter zu verbreiten. Es wird sogar von einer US-Spezialoperation gesprochen: eine dermaßen massenhafte Truppenbewegung hätte nämlich bemerkt werden sollen, was selbstverständlich wieder auf einen „amerikanischen Komplott gegen Russland“ schliessen lässt…
Kurz darauf wurde der Verlust der Stadt auch von den offiziellen syrischen Behörden bestätigt, und zwar nachdem die IS-Terroristen viele Fotos der Trophäen, Leichen und anderen Spuren der russischen Anwesenheit veröffentlichten. Es sollte erwähnt werden, dass Palmyra ein wichtiger Stützpunkt der russischen Truppen war – in den letzten 9 Monaten haben dort Dutzende russische Soldaten Selfies gemacht. Nun drehen die Islamisten am selben Ort ihre eigenen Videos.
Hier zum Beispiel Fotos der russischen Panzerfahrzeuge:
Der IS kommt an den Toren der russischen Militärbasis an:

Russischsprachige IS-Söldner sehen nun genau, was sie eigentlich eingenommen haben.

Erste IS-Trophäen

Nun hat der IS seinen eigenen SPW: den BMP-97 „Wystrel“, wie in der „LVR“
Die IS-Söldner begannen, Foto aus der ganzen Stadt und seiner Umgebung zu posten. Die syrische Armee verliess die Stadt und ließ das Militärgerät und Waffendepots zurück.
Fazit
In kürzester Zeit wurde der nahende Sieg der Russen in Aleppo durch die Niederlage in Palmyra in den Schatten gestellt. Was als eine kleine siegreiche Operation begann, wurde zu einer Dauermilitärkampagne.
Palmyra wurde fürs schöne Bild eingenommen und zu propagandistischen Zwecken benutzt, am Ende stellte sich aber heraus, dass es niemanden gibt, der die Stadt beschützt. Und ein weiterer IS-Angriff, der zu einer für Assad ungünstigen Zeit durchgeführt wurde, lohnte sich plötzlich. Die Russen, die in Palmyra stationiert waren, haben wohl gleich den Ernst der Lage verstanden. Es wurde beschlossen, aus Palmyra keinen neuen Stalingrad zu machen, und Russlands Streitkräfte verliessen zusammen mit den Resten der syrischen Garnison die Stadt.
Was nun? Früher oder später wird man Palmyra wieder zurückerobern müssen, sonst werden Probleme mit dem Flugplatz T4 kommen. Oder man muss offiziell zugeben, dass es keine Kräfte mehr gibt, um dieses Territorium zu kontrollieren. Was macht man dann mit dem Konzert von Roldugin?
Wie auch immer, aber gerade am Abend des 11. Dezember zeigte Dmitry Kisseljow erstmals, wie der russische Speznas in Syrien arbeitet (ab der Minute 45:37):
Im Grunde ist es eine offizielle Anerkennung der Teilnahme von russischen Bodentruppen an der syrischen Kampagne. Oder ist es nur ein Zufall, dass so eine Reportage direkt nach dem Fall von Palmyra ausgestrahlt wurde? Wir denken, dass der russische Zuschauer auf eine allumfassende Bodenoperation Russlands in Syrien vorbereitet wird.
Dieses Material wurde von Anton Pawluschko exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
(Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
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4 Responses to “Palmyra: Wie Russland in eine offizielle Bodenoperation in Syrien hineingezogen wird…”
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