
von Irina Schlegel
Das französische Außenministerium veröffentlichte vorgestern einen Bericht über den chemischen Angriff, der am 7. April 2018 auf die syrische Stadt Duma ausgeführt wurde. Nach französischen Angaben hatten sich am Abend des 7. April zahlreiche Menschen mit Symptomen einer chemischen Vergiftung an die Krankenhäuser in Duma gewandt. Nach Einschätzungen der französischen Behörden wurden in Syrien seit April 2017, innerhalb nur eines Jahres, 44 mal chemische Waffen eingesetzt, in elf Fällen davon gelang es den Sicherheitsdiensten, Indizien festzustellen, die diesen Verdacht bestätigten. Aufgrund der Aufklärungsangaben schlussfolgerte nun Frankreich, dass am 7. April ebenfalls ein chemischer Angriff in Duma ausgeführt wurde und die einzige wahrheitsgetreue Version hier ein Angriff der Assad-Armee im Rahmen einer allumfassenden Offensive in Ost-Gouta ist.
Mehr noch, in dem Dokument wird darauf hingewiesen, dass Russland aktive militärische Hilfe für Assad während der Operation zur Einnahme von Ghouta leistete und dem syrischen Regime permanent politische Deckung beim Einsatz von chemischen Waffen zur Verfügung stellte, sowohl im UN-Sicherheitsrat als auch bei der OPCW.
Infolge dieses chemischen Angriffs am 7. April sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation etwa 70 Menschen gestorben, weitere 500 hatten Vergiftungssymptome. Eine UN-Untersuchung schlussfolgerte, dass Assads Truppen Bomben mit Sarin eingesetzt haben.
Nikki Haley, die US-Vertreterin bei der UNO, spricht von insgesamt 50 Einsätzen chemischer Waffen in Syrien durch das Assad-Regime.
Als Reaktion auf die siebenjährige Vernichtung des eigenen Volkes durch das Regime von Assad haben die USA, Frankreich und Großbritannien vorgestern, in der Nacht auf den 14. April, einige Infrastrukturobjekte in Syrien zerstört, die Teil des syrischen Programms zur Herstellung von chemischen Waffen waren.
Erstaunlich sieht in diesem Zusammenhang die Reaktion der deutschen Presse, einiger deutscher Politiker und sonstiger Mediengestalten auf diesen Gegenangriff aus. Es wird von „Kriegstreiberei“ seitens der eigenen Verbündeten, vom „dritten Weltkrieg“ und „Angriff auf Russland“ gesprochen.
Das erste, was einem nach dem Durchlesen dieser Behauptungen in den Sinn kommt, ist die moralische Verwerflichkeit, jahrelang stattfindende chemische Angriffe auf Kinder in zivilen Gegenden mit einem hochpräzisen, vorab angekündigten Angriff auf die militärische Infrastruktur gleichzusetzen. Schon an diesem Punkt sollte bei den Lesern eigentlich Unverständnis und Zurückweisung aufkommen – aber nichtsdergleichen. Der Hass auf USA scheint bei vielen Deutschen dermaßen tief zu sitzen, dass selbst Einwände hinsichtlich der Moralität eines solchen Vergleichs auf taube Ohren stoßen.
Wenn wir nun vom dritten Weltkrieg und „Angriff auf Russland“ sprechen, so kann man im Grunde nur antworten, dass Russland den dritten Weltkrieg einseitig im Jahr 2014 begann, als es entgegen aller Abmachungen und Verträge über europäische Grenzen und die Souveränität anderer Länder die Krim annektierte und dann einen Krieg im ukrainischen Donbas anzettelte.
Im Laufe dieser Jahre haben die russische Regierung, ihre Vertreter und sonstige Lobbyisten stets klar gemacht, dass dieser Krieg für Russland ein Krieg gegen den Westen ist. In russischen Medien, in den Artikeln seiner „Philosophen“ à la Alexander Dugin oder dem wirrem Geschrei der kremlischen Hofnarre wie Schirinowski wird stets vom russsichen Traum, ein „gemeinsames Territorium von Wladiwostok bis nach Lissabon“ aufzubauen, gesprochen.
Dabei war die Ukraine für Russland ein Übungsgelände, auf dem es nicht nur seine neuen Waffen testete, sondern auch seine Kriegstaktik. Soldaten ohne Abzeichen, die sich als „ukrainische Separatisten“ ausgaben, Waffen, die in den „Bergwerken des Donbas gefunden“ oder „irgendwo im Militärladen gekauft“ wurden, massive mediale Kampagnen gegen die Ukraine mit abstrusen Beschuldigungen wie „gekreuzigter Junge“, Trollarmeen und Fakenews, gekaufte Lobbyisten im westlichen Establishment und Medien – das alles hatte Russland 2014 an der Ukraine getestet.
Und setzte es später erfolgreich auch in Syrien um.
Noch im Jahr 2015 schrieben wir über russische Angriffe auf zivile Gegenden, in denen es weit und breit keine Terroristen, dafür aber die moderate syrische Opposition und Zivilisten gab: „InformNapalm an Russlands Aussenministerium: Es gibt genug Gründe für ein Militärtribunal“.
Was die chemischen Angriffe in Syrien angeht, so haben wir in Reportagen der russischen Medien mehrmals Indizien für ihren Einsatz gefunden, solche wie Blindgänger oder Behälter für chemische Stoffe: „Syrien: Auf der Basis Schaayrat wurden Behälter für chemische Waffen entdeckt“.
Russland hat entgegen seinen Verpflichtungen bei der UNO als Garant für die Vernichtung von chemischen Waffen in Syrien nichts unternommen. Mehr noch, Russland hat sechs (6) Mal sein UN-Vetorecht dazu benutzt, um Resolutionen zur Verurteilung des Einsatzes von chemischen Waffen in Syrien zu blockieren. Zwölf (12) Mal insgesamt nutzte Russland sein Vetorecht, um das Assad-Regime bei der UNO zu schützen.
Und mordete in Syrien fröhlich weiter… Russland bombardierte Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen in Syrien, nahm den Tod von Tausenden Zivilisten in Kauf – und das alles seit 2015, also fast drei Jahre lang.
Im Januar 2018 schrieben wir in unserem Artikel „SNHR-Bericht: Russische Truppen töteten über 5783 Zivilisten in Syrien„:
Nach Angaben des SNHR wurden im Laufe der russischen Militäroperationen mindestens 5783 Zivilisten getötet, darunter 1596 Kinder und 992 Frauen. Die Russen haben mindestens 294 Massenmorde (bei denen fünf und mehr Menschen auf einmal getötet wurden) begangen. Die russischen Militärangehörigen haben mindestens 53 ärztliche Mitarbeiter getötet, 817 Angriffe auf lebenswichtige zivile Objekte ausgeführt, darunter 141 Angriffe auf medizinische Einrichtungen. Darüberhinaus haben russische Truppen etwa 217 Angriffe unter Einsatz von Streumunition und 113 Angriffe unter Einsatz von Brandmunition ausgeführt.
In ihrem Bericht betonen die Mitarbeiter des Syrischen Netzwerkes für Menschenrechte, dass russische Truppen nicht nur syrische Aufständische und ihre Basen angriffen, sondern zielgerichtet und mehrmals die syrische Zivilbevölkerung bombardierten, darunter auch unter Einsatz von verbotener Munition. Im Ergebnis dieses Vorgehens hat Baschar al-Assad einen Vorteil in einigen syrischen Provinzen erreicht, und zwar in Aleppo, Homs, den Vorstädten von Damaskus, Deir-ez-Zor und ar-Raqqa. Laut Informationen des SNHR waren 2.300.000 Syrer gezwungen, ihre Häuser zu verlassen und Flüchtlinge zu werden, da sie Racheakte seitens der vereinten Truppen Russlands, Irans und Assads fürchteten.
In den ganzen sieben Jahren dieses Krieges kamen dabei weder gegen russische Militärangehörige noch gegen das Assad-Regime zu irgendeinem Zeitpunkt chemische Waffen zum Einsatz…
Was genau hat denn der Angriff der Alliierten gestern zerstört?
– Ein Objekt nahe Damaskus, das zum Testieren von chemischen und biologischen Waffen bestimmt war;
– Ein Lager im Westen von Homs, das zur Aufbewahrung von Sarin benutzt wurde;
– Ein Lager für chemische Stoffe und ein Kommandopunkt im Westen von Homs.
Dabei wurde faktisch die ganze Welt über diesen Angriff benachrichtigt, so dass sowohl Assad-Truppen als auch die russischen „WirSindDaNichtler“ Zeit hatten, sich zurückzuziehen und keine Verluste an lebendigen Kräften zu erleiden. Informationen über menschliche Verluste infolge dieses Angriffs konnte ich auch bei bestem Willen nicht finden.
Nach all diesen Fakten stellt sich die Frage, was genau eigentlich die Gegner dieses längst überfälligen „Stop“-Zeichens stört: Die Abwesenheit von toten Kindern? Die Tatsache, dass Assad in der nächsten Zukunft wohl keine chemischen Waffen mehr einsetzen können wird (natürlich nur wenn die Russen keine neuen liefern)? Oder das Faktum, dass der Westen im Gegensatz zu Russland tatsächlich fähig ist, hochpräzise Angriffe auszuführen, die sehr genau ihre Ziele treffen, ohne dass zivile Gegenden Schaden nehmen?
Offensichtlich haben diese Menschen überhaupt kein Problem damit, jahrelang immer wieder Bilder von blutüberströmten, vergifteten, sterbenden Kindern zu sehen und zu wissen, dass dies infolge der Luftangriffe des Kremls und der Assad-Truppen geschah, erdreisten sich aber trotzdem, sich über einen Angriff, der die Quellen der Waffen für diese Bombardierungen vernichtet hat, als „rechtswidrig“ abzustempeln. Diese Denkweise kann man wohl kaum noch als verwirrt oder empathielos bezeichnen – eigentlich ist es die Befürwortung des Genozids am syrischen Volke, den Assad und seit 2015 auch Russland gegen das syrische Volk führen.
Dieser Artikel wurde von Irina Schlegel exklusiv für InformNapalmDeutsch verfasst; korrigiert von Klaus H. Walter.
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