Der siegreiche Feldzug von Putin in die grosse weite Welt ist anscheinend nun endgültig beendet. Und gewonnen hat diesen Kampf nicht mal der Westen, sondern das stille China, das all die Zeit besonnen die Hysterie der Europäer beobachtete. Wir möchten heute zwei Texte zum Thema russisch-chinesische Beziehungen vorstellen: die objektive Analyse einer Russin, Ania Dorn, die die Zukunft ihres Landes nüchtern bewertet, und einen bitteren Text vom ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten Russlands Alfred Koch, den er bereits letzten Oktober (2014) geschrieben hat…
Alfred Koch, den 5. Oktober 2014: „Russland erwartet ein Zusammenbruch.“
Kurz. Was haben wir hier. Sanktionen gegen uns wurden nicht abgeschafft. Donbass haben wir nicht abgenommen. Und wie es sich herausgestellt hat, wollten wir auch gar nicht. Menschen (viele) sind gestorben. Darunter auch russische Bürger.
Erdölpreis sinkt. Das Budget fährt zum Teufel. Wirtschaftliches Wachstum ist gleich null. Industriewachstum gibt es nicht. Deviseeinahmen schrumpfen zusammen. Die staatliche Zahlungsbilanz verschlechtert sich von Tag zu Tag.
Bald kommen Zeiten, wo sogar der kritische Import problematisch wird (Medikamente, Ersatzteile für Elektrogeräte, für Kontroll- und Messapparatur in der Medizin, Energetik usw.), weil es schlicht ein Defizit in konvertibler Währung geben wird.
Rubel fällt. Die Inflation wird zum Ende des Jahres eine zweistellige Zahl betragen. In Kombination mit einem Nullwachstum ist es eine klassische Stagflation – der Alptraum eines jeden Politikers.
Die Kapitalausfuhr aus Russland wird sich auf 150 Milliarden belaufen. Investitionen werden eingefroren, und solche, die der Staat machen wird, werden nur eine Geldverschwendung sein.
Der Immobilienmarkt wird zusammenstürzen. Mit ihm zusammen stürzen erst die Developer, und dann die Banken, die sie kreditiert hatten, ab. Bankeinlagen der Bürger werden zusammen mit den Banken verschwinden. Den Lohn dieser Menschen wird die Inflation auffressen.
Rechtliche Willkür wird grausame Formen annehmen. Menschen werden einfach so verschwinden wer weiss wohin. Wobei: Wohin ist bekannt. Aber da oben werden sie mit den Schultern zucken und sagen, dass sie keine Ahnung haben. Dass sie noch suchen. Aber sie sind ja keine Zauberer.
Das politische System wird zur Marottenerfüllung und wilder Phantasienausführung eines Menschen ausarten, der sich längst wegen der Langeweile und Übersättigung in einer absoluten Prostration befindet. Der Staat wird Formen annehmen, die seinen persönlichen Phobien und Komplexen am besten entsprechen.
Die Medien werden endgültig versatanisieren, und werden an allem den Westen und die Ukraine beschuldigen. Die Obrigkeit wird zum China stürzen, in der Hoffnung, dass dieses Geld zuwirft. Dieses wird nichts geben. Denn am meisten ist genau dieses an einem schwachen und agonisierenden Russland interessiert.
Dann wird die Obrigkeit zu den Amis stürzen. Die Amis werden breit grinsen und sagen: 1. Putin nach Den Haag (wie Milosevic). 2. Demonopolisierung und Privatisierung der Medien. 3. Freie Wahlen mit einem Zutrittsrecht für alle Interessenten unter der Kontrolle internationaler Beobachter. 4. Verfassungsreform. 5. Verzicht auf Atomstatus und Abrüstung unter NATO-Kontrolle. 6. NATO-Militärbasen auf dem Territorium Russlands.
Wir werden ablehnen. Dann werden die Amis sagen: – Geht doch zurück zu den Chinesen. Die Chinesen werden sagen: -Ok, na gut, wir helfen Euch. Aber wir haben eine Bedingung: Volksauswechslung. Wir haben keinerlei Beanstandungen wegen Russen, aber unser Volk ist effektiver. Nichts persönliches, nur Business.
Schaut doch selbst: Wenn Ihr einen Bauernhof als Leiter übernehmt und seht, dass die Herde da aus Kühen der mittelrussischen Rasse besteht, versteht Ihr doch, dass es gegen Holstein-Rind ausgewechselt werden muss. Einfach nur weil der Holstein-Rind bei selben Ausgaben mehr Milch bringt. Und diese Herde hier muss man zur Wurst verarbeiten.
Und dabei habt Ihr gar keine Abneigung gegen die mittelrussischen Kühe. Ihr braucht diese nur nicht für Eure Aufgaben. Genau so ist es hier: Welche Argumente sollen es denn sein? Wir brauchen Eure Ressourcen. Euch brauchen wir nicht. Wozu sollen wir Euch füttern und erhalten? Werdet zur Wurst. Unsere Chinesen werden unsere Aufgaben besser lösen können.
Erschrocken über diese Wahrheit, werden wir zurück zu den Amis stürzen. Und werden ihre sechs Bedingungen erfüllen.
Das ist, wozu unser Kampf um die Russische Welt führen wird, der Kampf um die „eigene Zivilisation“. Der Verlust der Souveränität und womöglich auch der Staatszerfall – das ist eine reale Perspektive bei dieser Ausgangslage.
Autor: Alfred Koch in rufabula.com; übersetzt von Irina Schlegel.
Ania Dorn, den 15. Juni 2015:
Heute haben die USA und China einen Vertrag über die militärische Zusammenarbeit unterzeichnet. Die USA bekamen den ersten von den 8 bei China bestellten gigantischen Tanker für den Transport vom Flüssiggas nach Europa. Und ein grosser Staatsberater Chinas fordert eine umfangreiche Umsiedlung von Chinesen auf die gepachteten Territorien in Transbaikalien – mit einem Eintrag der entsprechenden Veränderungen in die russische Gesetzgebung (das neue Gesetz über den Entzug des Rechts unserer Bürger auf die Immobilien auf den durch ausländische Staaten gepachteten Territorien schien ihnen wohl nicht genug zu sein) – um den Prozess bequemer zu machen. Der Vorwand ist selbstverständlich ein schicklicher: es gibt wohl in Russland keine qualifizierten Spezialisten für die Entwicklung der chinesischen Projekte, und auf den vom China gepachteten Territorien beobachtet man einen Mangel an Bevölkerung (Arbeitskraft). Das Puzzle legt sich endlich zusammen.
In den russischen Beziehungen zu China ist alles absolut klar. Das ist eine „friedliche“ Expansion. Und diesen Krieg, in dem wir mit China bereits mehrere äusserst spezifische Verträge unterzeichneten, haben wir bereits verloren. Russland hat keinen Weg zurück – unsere Wirtschaft wird an diesem Punkt keine derartigen Vertragsstrafen verkraften können, und ausser diesen gibt es noch Nuancen, die mit den Lieferungen von der für die russische Erdölindustrie sehr wichtigen chinesischen Betriebsanlagen verbunden sind. Im Unterschied zu Asiaten haben wir keine Erfahrung in der Führung von verdeckten Wirtschaftskriegen. Wir wissen nicht mal, wie so etwas aussehen soll. Unser Steckenpferd ist die dumpfe oder kaum verschleierte Gewalt und Erpressung – wie zum Beispiel mit dem Gas nach Europa – so nach dem Motto: Sie werden ohne uns erfrieren und sterben.
Zu anderen (eleganteren) Formen der Expansion seines Einflusses ist Russland unfähig. Zusätzlich kommt noch die Abwesenheit des Verständnisses beim Schiffskapitän, der beschlossen hat, dass auf Kosten eines Spiels mit China es zumindest gelingt, unsere wirtschaftlichen Löcher temporär zuzuflicken (und Scheiss auf die Folgen in Form der „ausgebrannten Erde“ in 49 Jahren), die eigentlich aus seinem und dem seiner Komplizen entstandenen Dilettantismus, Geiz, Angeberei und Ambitionen (Krim, Donbass, JUKOS, Stabfondes usw.) entstanden sind, aus der Tatsache, dass China uns kein Freund ist und ausschliesslich Ziele der Eigenbereicherung verfolgt, die wegen der in und um Russland entstandenen politischen und wirtschaftlichen Situation absolut einmalig sind.
Und wenn es ein Verständnis für Chinas Strategie beim Kreml doch gibt, so ändert sich nichts am Resultat der Regierungstätigkeit – es verändert sich nur der innere Sinn im Kontext des Geschehens: von Unprofessionalität und Kurzsichtigkeit zum Zynismus und Niederträchtigkeit. Nichts weiter.
Dafür können wir etwas mit den Gas-Tankern klären, denn nicht alles und nicht für alle ist offensichtlich. Die Norweger „Gasco“ verkauft bereits seit über einem halben Jahr um 30% mehr Gas nach Europa als „Gasprom“. Und nun werden der Konzern Ineos Olefins & Polymers Europe (einer der grössten europäischen Hersteller der erdölchemischen Industrie) und sein Partner- die Firma Evergas – uns mit den Lieferungen von Äthan aus den Staaten innerhalb von maximal 2-3 Jahren aus dem europäischen Gasmarkt herauswerfen.
Und der grösste aufstrebende Gasmarkt (Indien-Pakistan-Iran) ist durch China bereits sehr fachmännisch belagert (von uns getrennt): zum Beispiel ist die regionale Gaspipeline gar nicht mehr russisch-chinesisch, wie es von uns geplant wurde, sondern pakistanisch-chinesisch. Und China hat gar nicht vor, uns da durchzulassen, wofür es bereits auch zumindest zwei starke Hebel des wirtschaftlichen Einflusses besitzt.
Insgesamt ist es eine offene Umverteilung des Weltgasmarktes, die maximal bis zum Jahr 2020 dauern wird, und danach – nach ihrer Beendigung- wird der Markt eine stabile Form für die nächsten 20-30 Jahren annehmen.
Russland droht das alles mit einer Katastrophe, denn unser Anteil am Gewinn und Verkauf vom Gas beträgt 32% vom weltlichen Gesamtbeitrag (Erdölanteil übrigens nur 13,5%, was 35% unseres Exports ausmacht), darum sind wir auf dem Welterdölmarkt ein Durchschnittsspieler, zudem auch noch einer, der vom Ersatz der brüchigen Bohranlagen aus demselben China abhängig ist, an welches wir die Vorherrschaft in unserem Erdölservicesektor weggespült hatten, worüber unsere regionale Medien geschrien, die zentralen aber – geschwiegen haben.
Wir werden entweder nirgendwo unser Gas absetzen können, oder wir werden dieses an China faktisch umsonst abgeben müssen – für seine Spiele auf dem Aussenmarkt (denn für den inneren hat es sein eigenes und China wird man in Abhängigkeit von unserem Gas nicht stellen können).
Und nun das Interessanteste. In der Ukraine, gerade in Donbass grösstenteils, gibt es eine Riesenmenge an nicht abgebautem Schiefergas – der Vertrag zum Abbau von welchem Anfang 2013 mit Royal Dutch Shell und Chevron für 50 Jahre unterzeichnet wurde. Kiew hoffte auf diese Weise, sich von der energetischen Abhängigkeit von Russland zu befreien und ein Gas-Fenster nach Europa durchzubrechen.
Nun macht sich der Konzern Gedanken darüber, aus dem gemeinsamen Projekt mit dem ukrainischen Staatskonzern auszusteigen – wegen des Krieges in Donbass; und Chevron verzichtete bereits auf den Abbau wegen der Force-majeure-Kriegsrisiken. Also führen wir einen hybriden Krieg in der Ukraine nicht für einen ephemerischen politischen Einfluss, sondern für Gas – also für die Gasabhängigkeit der Ukraine und Europa von uns. Einfach und zynisch. „Menschen sterben für Metall“. (c)
Aber jetzt – selbst wenn Russland den Kampf um die Ukraine gewinnen sollte – hat es den Kampf um Europa und Indo-Asiatische Region verloren. Auf dem Weg noch den wirtschaftlichen Kampf gegen China ums Land und Industrieentwicklung verloren, den diplomatischen – um Beziehungen mit faktisch der ganzen Welt, und den finanziellen – um die Möglichkeiten eines globalen internationalen staatlichen Kredits, auf dem russische Staatsunternehmen seit den Zeiten der Perestrojka festsassen.
Und bei alledem erschuf Russland all die Endbedingungen für den eigenen wirtschaftlichen Zusammenbruch auf einen Schlag selbst (besonders wenn man die Nichtkonvertierbarkeit des Rubels berücksichtigt) – mit dem Motto „KrimUnser!“. Und die NATO-Bedrohung, über die uns als den einen Vorwand für das „KrimUnser!“ erzählt wird, interessierte den Kreml noch ein halbes Jahr vor dem Maidan und den weiteren Ereignissen mit der Annexion und dem Krieg ganz und gar nicht (wenn man nach dem Vertrag mit der NATO über den Transit über Uljanowsk urteilt, der ausschliesslich wegen des Geizes der russischen Frachtführer scheiterte).
Und das Abscheulichste daran: dass Russland an der Weiterführung des Krieges in Donbass interessiert ist, denn seine Hinziehung wird Royal Dutch Shell zwingen, aus dem Vertrag auszusteigen und dann wird Russland wenigstens den ukrainischen Gasmarkt behalten können.
Welches Interesse könnten denn dagegen die USA an diesem Krieg haben, wenn man bedenkt, dass Chevron ein grosser amerikanischer Konzern ist, der den Rockefellern gehört, und noch vor der letzten Inauguration von Putin die Vertreter der amerikanischen Exxon-Mobil 2011 in seiner Anwesenheit eine Vereinbarung mit Rosneft zum Erdöl-Abbau auf dem Schwarzmeer- und dem Kaspischen Meer-Schelf unterschrieben und somit eine strategische Allianz zwischen Rosneft und dem amerikanischen Exxon-Mobil geschlossen hatten?
Der Preis dafür ist offensichtlich: Tausende Menschenleben und Dutzende Tausende unglücklicher Verwandten in beiden Ländern, wobei auf beiden Seiten Menschen hinters Licht geführt wurden. Es gibt aber in dieser Geschichte noch etwas nicht weniger Niederträchtiges. Der Löwenanteil an den internationalen Spekulationen mit dem russischen Gas und Erdöl gehört Herr Timtschenko, der bereits ein Staatsbürger Finnlands ist und noch vor kurzem ein Mitglied der berüchtigten Genossenschaft „Osero“ war. Verstehen Sie, wer und warum – wegen seiner eigenen Finanzinteressen – die russischen Jungs nach Donbass zum Töten und Sterben entsandte? …
Dieses Material wurde von Ania Dorn vorbereitet und InformNapalm exklusiv zur Verfügung gestellt; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf den Autor und unser Projekt erforderlich.
Lesen Sie zum Thema „Krieg in der Ukraine wegen Schiefergas?“ auch folgenden Artikel, der bei uns bereits im September 2014 erschien: „Nikolai Aleksejew: Was machen wir in der Ukraine?“;
Und zum Thema Chinas Beziehung zu Russland: „Wem nützt Russlands Kehrtwende vom Westen zum Osten?“.
3 Responses to “Drei verlorene Kriege: Gas, Land und Menschlichkeit…”
22/06/2015
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14/08/2015
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30/08/2015
Ukraine und die Kunst der Erschöpfung - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Eine Annäherung an China könnte die Verschlechterung der Beziehungen mit dem Westen ausgleichen. Peking hat jedoch gezeigt, dass es nicht bereit ist, Moskau irgendwelche wirtschaftlichen Wohltaten zukommen zu lassen. Es […]