Roman Burko im Interview mit grani.ru
Im Frühling 2014 begaben sich Hunderttausende Ukrainer in den Kampf gegen die russische Aggression. Jeder machte was er konnte. Jemand nahm Waffen in die Hände und ging an die Front, ein anderer spendete Geld oder organisierte die Versorgung der Armee. Der Dritte begab sich auf die Informationsfront. Denn diese war und bleibt eine wichtige Komponente des Hybridkrieges. Diese Front musste genauso eilig und ebenfalls mit Kräften der Freiwilligen geschlossen werden.
Am 2. März 2014 begannen die Freiwilligen erste Einnahmen der militärischen Objekte auf der Krim durch russische Soldaten festzuhalten. In dem Moment begann auch die Geschichte des Projekts InformNapalm, einer internationalen Freiwilligengemeinschaft der Journalisten, Übersetzer, Analytiker und Blogger, die sich mit OSINT-Untersuchungen beschäftigen. Die Untersuchungen werden in 20 Sprachen veröffentlicht, am Projekt beteiligen sich Menschen aus der Ukraine, Belarus, Georgien, Deutschland und anderen EU-Ländern, Syrien, USA und sogar Südafrikanischer Republik. Diese Freiwilligenbewegung ist nicht nur einmal dem Kommando der russischen Streitkräfte gegen den Strich gegangen, indem sie Beweise für die Präsenz des russischen Militärs im Donbass und Syrien vorlegte. Die Untersuchungen von InformNapalm werden in den Berichten von Atlantic Council und Bellingcat erwähnt.
Über die einzigartige Erfahrung einer erfolgreichen Informationskonfrontation im hybriden Krieg sprechen wir heute mit dem Gründer und Anführer von InformNapalm, und in der Vergangenheit – einem Krimer Journalisten, Roman Burko.
– Ursprünglich war InformNapalm, soweit ich das verstehe, eine freiwillige Antwort auf die russische Aggression in der Ukraine. In diesen 1,5 Jahren entwickelte sich das Projekt aber bis zu einer vollwertigen Aufklärung. Wie eng arbeiten Sie mit den Geheimdiensten der Ukraine zusammen? Und wird Ihnen eine Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten anderer Länder angeboten?
– Unser Kredo ist „Den Mann nicht nach der Kleidung zu empfangen, sondern nach seinem Verstand“. Die Ereignisse auf der Krim haben uns Vorsicht gelehrt und gezeigt, dass der Ausweis eines SBU-Mitarbeiters kein Universalmittel und kein Dokument ist, dass die Treue zur Ukraine garantiert. Wir arbeiten nicht mit Organisationen zusammen, sondern mit einzelnen Menschen. Ein einzelner Mensch ist wertvoll für uns, und keine Struktur. Dieser Mensch kann ein Offizier oder ein Aufklärer sein, Mitarbeiter eines Geheimdienstes oder einer anderen Behörde, er muss aber in erster Linie ein Patriot sein und eigene Entscheidungen treffen können. Wir unterhalten Beziehungen zu Offizieren des mittleren Ranges aus verschiedenen Strukturen. Dies ist aber ein äusserst freundschaftlicher und informeller Kontakt. Die Zusammenarbeit beschränkt sich auf Informationsaustausch. Des Öfteren ist es eine einseitige Weitergabe der Angaben von uns an die Behörden zur weiteren Ausarbeitung oder Bestätigung. Wir haben keinerlei Unterstützung, weder eine finanzielle noch in Form der Protektion.
Mit den ausländischen Geheimdiensten sieht die Sache anders aus. Keine einzige Aufklärungsorganisation/Nachrichtendienst der Welt hat sich direkt an uns gewandt und seine Vertreter haben auch keinen Kontakt zu unseren Freiwilligen gesucht. Wir registrieren aber IP-Adressen, die unsere Webseite auf permanenter Basis aufrufen, und darunter sind welche, die zu verschiedenen Strukturen der NATO und USA gehören. Die Siegespalme in Beobachtung unseres Informationsportals halten aber die russischen Geheimdienste. Von den IP-Adressen des russischen FSB wird der RSS-Feed unserer Webseite alle 5 Minuten aufgerufen – manchmal spielen wir einen Streich mit ihnen und lenken ihre Anfragen auf irgendwelche Spassseiten um.
Wir verkaufen und lagern die von uns gesammelten Angaben nicht, unsere Strategie ist das öffentliche „Informationswegbrennen“. Wir machen das, indem wir nur mit Fakten aus offenen Quellen operieren und das Geheime publik machen. Womöglich gefällt diese Taktik der öffentlichen Aufklärung den Geheimdiensten nicht, aber sie ist sehr effektiv in der modernen informativen Konfrontation.
– Ich weiss, dass die Vorsichtsmassnahmen in Ihrem Projekt überaus wichtig sind. Wie findet die Auswahl der Freiwilligen statt? Haben Sie irgendeine Art inneren Sicherheitsdienst?
– Wir sind eine freie Gemeinschaft, jeder von den Freiwilligen bestimmt den Grad der Anonymität und seiner Involvierung ins Projekt selbst. Jemand kann offen vor die Kamera treten, ein anderer beschränkt sich auf anonyme Arbeit oder eine Arbeit unter Pseudonym. Das System der Arbeit unserer Gemeinschaft und die Struktur der Sicherheit funktioniert nach dem Prinzip eines „Bienenschwarms“ oder eines gelenkten Chaos: Die Arbeit der Übersetzer wird von anderen Übersetzern der Gemeinschaft geprüft, die eingegangene Information wird in anderen Quellen geprüft. Natürlich haben wir auch unsere Geheimnisse, aber gerade die Abwesenheit eines permanenten Algorithmus in unserer Vorgehensweise oder irgendwelcher Filterungsprinzipien im Team desorientiert den Gegner. Wir arbeiten situativ und treffen unsere Entscheidungen kollegial.
– Am Projekt beteiligen sich Freiwillige nicht nur aus der Ukraine, sondern aus vielen Ländern der Welt. Was ist ihr Interesse, sich mit Aufklärungstätigkeit gegen Russland zu beschäftigen?
– Die Mehrheit unserer Freiwilligen sind Menschen mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, Menschen mit einer aktiven Lebenseinstellung, die den Gedanken von Edmund Burke teilen: „Alles, was man zum Triumph des Bösen braucht, ist die Untätigkeit des Guten“. Nun ist Russland zur Verkörperung jenes Bösen geworden, das die Territorien seiner Nachbarstaaten okkupiert, Menschen versklavt und tötet, auf ihr Bewusstsein aggressiv einwirkt. Revanchistische Ambitionen Russlands gehen weit über die Grenzen der ehemaligen Sowjetunion hinaus, und jeder freier Mensch auf der Welt spürt die Gefahr der Reanimierung des totalitären Systems. Darum haben sich unserer Gemeinschaft Freiwillige aus Deutschland, Norwegen, Schweden, Polen und anderen Ländern angeschlossen.
– Sie schrieben, dass die von InformNapalm veröffentlichte Information mehr als einmal den Lauf der Kampfhandlungen beeinflusst hat. Können Sie uns irgendeine Geschichte dazu erzählen?
– In der Phase des aktiven Widerstands im Donbass beeinflussten die analytischen Lageberichte und Prognosen von InformNapalm mehrmals die Situationsentwicklung. Wir wissen zum Beispiel, dass unser Lagebericht vom 1. November 2014 richtige Aufruhr sowohl in den ukrainischen Armeestäben, als auch im Gegnerlager verursachte. Die analytische Auswertung mit entsprechender Prognose für die Hauptrichtungen des Angriffs, die rechtzeitig in den öffentlichen Raum gebracht worden war, zwang den Aggressor hastig seine Pläne zu ändern.
Die Freiwilligen von InformNapalm haben auch den Zerfall von einzelnen Abteilungen der „DVR“-Bandenformationen erzielen können, mittels initiativer und operativer Veröffentlichung der gesammelten Aufklärungsangaben. Als Beispiel kann mann hier die Auflösung der 7. „DVR“-Brigade anführen, die einige Tage nach unserer Publikation mit dem Videointerview von Andrei Kosyrenko (Rufzeichen „Kozyr“) ausgeführt wurde, oder auch die Vernichtung der Terroristen aus der Spezialkräfte-Brigade „Troja“, die von den russischen Geheimdiensten liquidiert worden sind. In beiden Fällen hat InformNapalm die Rolle eines informativen Katalysators gespielt, der ersten Flasche mit „Zündmischung“, die rechtzeitig ihr Ziel erreichte und zu unumkehrbaren Folgen für den Gegner führte.
Im Ergebnis unserer OSINT-Untersuchungen haben wir zum 2. Dezember 2015 ein illustriertes Material mit den von uns identifizierten Bodentruppen der russischen Streitkräfte bereitstellen können, die Kampfaufgaben in Syrien ausführen. Erst eine Woche später, am 8. Dezember, trat der Militärnachrichtendienst des ukrainischen Verteidigungsministeriums mit seinem Bericht auf, in dem die Information, die von uns bereits veröffentlicht worden war, vollständig wiederholt wurde. Dabei erwies sich der GUR-Bericht als weniger vollständig und beinhaltete keine Angaben zu einigen Abteilungen, darunter zur 120. Artilleriebrigade, die wir bei Latakia entdeckt haben, zu Soldaten der 336. Marineinfanteriebrigade in der Provinz As-Suweida, und auch nicht zu Mehrfachraketenwerfern TOS „Solnzepjok“, die höchstwahrscheinlich zum Bestand des 20. ABC-Regiment der russischen Streitkräfte gehören. Europäische Medien beginnen erst jetzt Informationen über die russischen Bodentruppen in Syrien zu veröffentlichen und präsentieren diese als „Sensation“, obwohl es für uns längst kein Geheimnis ist – wir veröffentlichen diese Angaben bereits seit Oktober 2015.
InformNapalm setzte die mühsame Arbeit zur Identifizierung von Piloten der Luftwaffe Russlands fort, die sich an den Luftangriffen auf die zivile Bevölkerung Syriens beteiligen, und der Veröffentlichung von entsprechenden Angaben. Unser Vorgehen zwang die russischen Propagandisten die Anzahl von Publikationen bedeutend zu verringern, in denen die „Heldentaten“ der russischen Luftwaffe hochgepriesen wurden, und führten dazu, dass russische Soldaten in Syrien begannen, die Bordnummern der Flugzeuge zu übermalen. Wir haben den Grad der russischen Propaganda gesenkt und russische Medien gezwungen, die Gesichter ihrer „Helden“ zu verstecken, haben ihre siegreiche Reportagen in jämmerliche Berichte verschreckter Propagandisten verwandelt, die sich vor ihrem eigenen Schatten fürchten, nach dessen Umriss wir ihre genaue Lage ausrechnen könnten. Wir haben die russischen Behörden dermassen an die Decke gebracht, dass sie von Kanada offiziell gefordert haben, unsere Ressource zu blockieren (unser Hosting befindet sich in Quebec) – darüber wurde aus der amerikanischen Ressource Vice News bekannt.
- Einzelheiten über die Resultate der Arbeit von InformNapalm kann man hier nachlesen: „TOP-12 von InformNapalm 2015. Chronologie des Kampfes“
Unsere wichtigste Errungenschaft wird aber erst deutlich, wenn Gerichtsverfahren gegen die Russische Föderation eingeleitet werden. Zum heutigen Tag haben wir die grösste Datenbasis erstellt, in der die Beweise für russische Aggression zusammengefasst worden sind. Dort sind Beweise für die Präsenz von regulären russischen Militärangehörigen in der Ukraine, Auflistung der Truppenverbände und Militäreinheiten, Zeitangaben und genaue Aufenthaltsorte im Donbass. Die Art der Aufdeckung vom Gegner wird ebenfalls erklärt: Selfies in den sozialen Netzwerken, Festhalten in den Propagandavideos von „Neurussland“, Expertenanalyse von Bewaffnung und Militärgerät usw.
Dieses umfangreiche Datenmassiv haben wir in Form einer Infografik präsentiert und in über 14 Sprachen übersetzt.
– Vor kurzem schrieben Sie, dass „Russland Syrien nicht nur deswegen bombardiert, um das Regime von Assad zu unterstützen. Die Piloten der russischen Luftwaffe bereiten sich auf einer Rotationsbasis auf dynamischere Kämpfe in der Ukraine vor“. Sie glauben, dass der Einsatz russischer Luftwaffe in der Ukraine durchaus möglich ist. Was kann hier als Anlass dienen?
– Die Militärführung Russlands versteht, dass ohne die Luftunterstützung keine bedeutende Erfolge in der Erweiterung der Einfluss- und Besatzungszone in der Ukraine möglich sind. Die ukrainische Armee hat sich gut befestigt, wird allmählich modernisiert, hat Kampferfahrung gesammelt. Die Idee der „Russischen Welt“ platzt aus allen Nahten und ohne die Kontrolle über das ganze ukrainische Territorium wird sie unvermeidlich ein niederschmetterndes Fiasko erleiden. Die Vorbereitungsphase mit dem Abtasten von Reaktion der Weltgemeinschaft neigt sich dem Ende zu, die Schlinge der Sanktionen zieht sich immer weiter zu. Die Agonie der russischen Machthabenden rückt immer näher, und zu deren Kulmination können äusserst aggressive Handlungen werden: vom Einsatz der Luftwaffe bis zur Anwendung von Atomwaffen. Es ist kein Zufall, dass westliche Analytiker immer öfter tragische Szenarios in Betracht ziehen.
Zur Aggressionseskalation wendet Russland traditionell dreckige Provokationen und verlogene Beschuldigungen an – das ist sein Aushängeschild, in erster Linie um seinen eigenen Bürgern ihre „göttliche Bestimmung“ zu erklären. Übrigens könnte in diesem Prozess auch der Patriarch Kirill eine bedeutende Rolle spielen, der seine Gemeinde zu einem neuen „Kreuzzug“ aufrufen könnte. Ich hoffe aber, dass man dieses apokalyptische Szenario vermeiden kann.
– Es ist schon seit langem klar, dass die Bedingungen des Minsker Abkommens nicht erfüllt werden, angefangen beim ersten Punkt. Was denken Sie, gibt es eine Alternative für „Minsk“?
– Wie Churchill einst sagte: „Wenn sich ein Land zwischen dem Krieg und der Schande entscheidet, und die Schande wählt, wird es den Krieg und die Schande ernten“. Alternative für „Minsk“ ist der Sieg einer der Seiten. Russland hat gezeigt, dass es nicht beabsichtigt, auf seine Ausgangspositionen zurückzugehen und auf seine Pläne zur Annexion von ukrainischen Territorien zu verzichten, darum ist „Minsk“ nur eine Pause vor einem grossen Krieg, seine Alternative ist nur ein vollständiger Sieg.
– Nach der von der „Ukrainische Pravda“ veröffentlichten Untersuchung darüber, dass Menschen aus dem Umfeld von Wiktor Medwedtschuk Kohle aus Donbass an die Ukraine unter dem Deckmantel von Anthrazit aus der Südafrikanischen Republik verkaufen, sind zu den Verhandlungspartnern aus der dreiseitigen Kontaktgruppe noch mehr Fragen aufgekommen. Haben sich Ihre Freiwillige mal dafür interessiert, warum gerade Medwedtschuk und Kutschma die Ukraine bei diesen Verhandlungen vertreten? Haben Sie nicht versucht, herauszufinden, was da genau geschieht, wenn die Tür des Verhandlungsraumes geschlossen wird?
– Unsere Ressourcen sind nicht unbegrenzt. In der jetzigen Phase konzentrieren wir uns auf der Aufdeckung von Informationen zum direkten Aggressor, die wir den offenen Quellen entnehmen. Ich bezweifele, dass Medwedtschuk oder Kutschma irgendwelche Dokumente über geheime Verhandlungen in ihren sozialen Netzwerkprofilen veröffentlichen werden. Ich schliesse nicht aus, dass sich über diese Fragen bereits die besten Nachrichtendienste der Welt den Kopf zerbrechen, lassen wir dem Kaiser, was des Kaisers ist.
– Die Freiwilligenbewegung in der Ukraine, die auf die materielle Hilfe für die Armee gerichtet ist, sucht nun nach Wegen der Umformatierung. Sie haben eine andere Spezifik, nichtsdestotrotz sind Sie schon lange „im Krieg“. Was empfinden Sie jetzt, im Rückblick auf die gemachte Arbeit? Und wie lange planen Sie noch, als Freiwilliger zu arbeiten?
– Im Rückblick darauf, wie uns dieser Krieg verändert hat und noch weiter verändert, kann man mit Sicherheit sagen, dass wir niemals so werden wie wir mal waren. Die Suche nach Information, die Enthüllung von Geheimnissen, die dem Streben nach Gerechtigkeit und Freiheit entsprungen sind – das ist alles wie eine Droge. Unsere Leute, die zu Friedenszeiten Programmierer oder Ingenieure waren, in verschiedenen Bereichen arbeiteten, haben in einem bestimmten Moment ihre Berufung gespürt. Wegen der mühsamen Arbeit, ihrem Forschergeist und der Flexibilität ihres Verstandes sind sie zu wahren Meister der Aufklärung geworden, sie haben das getan, was geschulte Spezialisten nicht können, und ihre Erfahrung ist unschätzbar. Ich persönlich möchte in Zukunft Bedingungen der finanziellen Unabhängigkeit für sie schaffen. Das würde ihnen erlauben, ihre Zeit voll und ganz der effektiven Tätigkeit zu widmen, in der sie sich bereits als selbstlose Freiwillige bewiesen haben.
Wir werden unseren Kampf solange führen, wie es zur vollständigen Befreiung von Ukraine, Georgien, Syrien nötig ist, bis zur Wiederherstellung vom Frieden und Gerechtigkeit. Dafür haben wir uns vereint und wir müssen unser Ziel erreichen. Wenn wir auf unserem Weg auf neue Herausforderungen für Frieden und Sicherheit treffen, werden wir auf diese entsprechend unseren Kräften reagieren. Die Philosophie von InformNapalm basiert auf dem Prinzip „Mach‘ was du musst, und soll kommen was kommt“, darum schmieden wir keine Pläne für die entfernte Zukunft. Wir sind eine Gemeinschaft von freien Menschen.
Roman Burko im Interview mit grani.ru; übersetzt von Irina Schlegel
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