
Am Vorabend des 9.Mai gab der russische Oppositionelle, Abgeordneter der Staatsduma RF 2. Legislaturperiode (1995-2000), Vorsitzender der politischen Partei «Westliche Wahl» Konstantin Borowoj ein Exklusiv-Interview an InformNapalm. Im Interview wurden Fragen der Bereitschaft russischer Gesellschaft zum Krieg, der Durchführung von Informationsoperationen Moskaus und des Schuldkomplexes, das die deutsche Gesellschaft daran hindert, die Verbrechen Russlands entsprechend zu bewerten, angeschnitten.
– Heute, am 8. Mai, feiern wir in der Ukraine den Tag des Gedenkens und der Versöhnung. Russland wird den Tag des Sieges am 9. Mai feiern. Was denken Sie, was sollten wir, Ukrainer, an diesem Tag von Russland erwarten? Viele Analytiker prognostizieren die Möglichkeit der Wiederaufnahme von Kampfhandlungen in Donbass, wie es oft am Vorabend von grossen religiösen und gesellschaftlichen Feiertagen geschieht, was die Praxis des letzten Jahres zeigte. Welche Stimmungen überwiegen nun in der russischen Gesellschaft, was könnten wir erwarten?
– Ich denke tatsächlich, dass Pjotr Poroschenko aggressive Handlungen von Putin zum Tag des Sieges erwartet. Das hat durchaus Sinn, denn beim letzten Mal, wo Putin abschätzig behandelt wurde – während der Olympiade 2014, nahm er es als persönliche Beleidigung wahr und begann sich zu rächen. Dazu noch an allen. Genau darauf basiert auch die Annahme, dass auch nach dem 9. Mai, nachdem viele Weltleader darauf verzichteten, an seiner Militärparade teilzunehmen, er sich zu rächen anfangen könnte. Trotz der Schlüssigkeit dieser Annahme, gibt es eine Empfindung, dass die Lage der russischen Armee fast schon katastrophal ist. Wegen den Sanktionen wurde die Verteidigungsindustrie faktisch zum Stehen gebracht. Russland hat niemals qualitative Elektronik hergestellt. Und nun steht sogar die Existenz des Atomschildes unter Frage. Die Elektronik fällt mit der Zeit aus – das ist eigentlich ein normaler Prozess. Aber nun gibt es nichts, um sie zu ersetzen. In Wirklichkeit sehe ich im Vorgehen von Poroschenko, seiner Vorsichtigkeit, sehr viel Sinn: dank dieser Vorsichtigkeit fliesst die Zeit und mit ihr zusammen fällt auch das Hauptinstrument der putinschen Einwirkung auf die Welt, das Instrument seiner Erpressung- die Atomwaffen- ausser Betrieb. Um Milosevic zu stoppen, musste man seine militärische Maschine stoppen- man war gezwungen, Belgrad zu bomben. Hier muss man einfach abwarten. Alle Erpressungsinstrumente von Putin werden mit der Zeit ausser Betrieb fallen.
– Danke Ihnen für solch‘ optimistische Sichtweise. Aber ausser letaler Waffen sehen wir in diesem Krieg auch eine gewaltige Informationskomponente. Gerade der Informationskrieg, den der Kreml gegen die Ukraine entfaltete, wurde zu einer Prämisse des Konflikts. Was denken Sie, warum?
– Heute besitzen die russischen Geheimdienste kolossale Ressourcen. In ihre Hände ist ein riesiges Land mit 140 Millionen Bevölkerung geraten. Der KGB (FSB) ist eine aggressive, erbarmungslose Organisation. Das sind Menschen, die so erzogen und nur so gefördert wurden. Sie sind Nationalisten in der schlimmsten Bedeutung dieses Wortes, sie sind Imperialisten. Übrigens unterstütze ich den ukrainischen Nationalismus, denn bei Euch geht es um die eigene Freiheit, um Unabhängigkeit und das Recht auf eigene Selbstbestimmung des Volkes. Es sind Opponenten unserer imperialistischen Nationalisten, und im Grunde- der Faschisten. Dschohar Dudajew nannte es „Russiasmus“…
Russische Geheimdienste bestehen aus Menschen, die jeglicher moralischer Beschränkungen entbehrt sind, für die ihren Opponenten mit Polonium zu vergiften eine stinknormale Sonderoperation ist. Also ist hier ein aggressives, provokatives und für die ganze Menschheit ziemlich gefährliches Instrumentarium vorhanden. Darum ist es auch gar nicht verwunderlich, dass sie an den Punkt angelangt sind, wo sie der ganzen Welt mit der Anwendung von Atomwaffen drohen. Und es gibt eine reale Möglichkeit dessen, dass diese Menschen über die Grenzen üblicher propagandistischer Bedrohungen hinausgehen. Sogar ihre Propaganda ist jeglicher moralischer Prinzipien und Einschränkungen entbehrt.
Für sie ist es nur ein Instrument der Kriegsführung, und dabei nähert sich die Zahl der in diesem unerklärten Krieg gefallenen Russen bereits der Anzahl der Gefallenen in Afghanistan. Am Ende ist die Abwesenheit jeglicher hemmender moralischer Beschränkungen eine strafrechtliche, kriminelle Praxis.
Übrigens sprach ich bereits in einem Interview über die provokativen Auftragsmorde auf dem Territorium der Ukraine, unter anderem auch über den Mord an Oles Busina – das sind auch nur Instrumente der propagandistischen Kampagne russischer Geheimdienste, deren Ziel die Destabilisierung der Ukraine ist, der Verlust des Vertrauens der Menschen zu ihrer Führung.
Es existieren auch andere Kriegsführung-Instrumente, über die man im Westen äusserst ungern spricht: das sind die Bestechungsinstrumente. Und im Sinne der Interessenlobbyierung unter dem westlichen Publikum kommen diese Bestechungsinstrumente unter anderem auch in Form der Auftragsartikel in soliden Ausgaben zum Ausdruck. Viele denken, dass so ein Artikel unter modernen Freimarkt-Bedingungen keinen grossen Schaden anrichten kann. Leider stimmt es nicht, das ist Selbstberuhigung. Zum Beispiel die Tragödie der Boeing MH-17 – zu diesem Thema erschien ein ganzer Zyklus russischer Auftragsartikel, die Verweise auf welche nun sogar im Sicherheitsrat benutzt werden. Die Veröffentlichung solcher Artikel erschafft auch ein gewaltiges Informationsfeld und lobbyiert Moskau.
Was passiert denn gerade zum Beispiel, welchen propagandistischen Zug haben sie sich nun ausgedacht: sie sagen nun, dass alle Schuld sind, alle sind Banditen: Poroschenko ist in Korruption verstrickt, Banditen sind auch im Osten der Ukraine – alles Banditen. Also erschaffen sie eine bestimmte propagandistische Einstellung. Diese Haltung der USA bezüglich des Verbots auf letale Waffen für die Ukraine- das ist auch ein Resultat wie der lobbyistischen so auch propagandistischen Tätigkeit, wobei diese Tätigkeit für den Kreml sehr teuer sein musste. Und dabei sprach sich während der Hearings im Kongress die Mehrheit der Geheimdienst-Vertreter FÜR die Waffenlieferungen aus, denn allein die Möglichkeit der Lieferung solcher Waffen besitzt eine ungeheure psychologische Wirkung. Und wir sehen aber das Resultat: es gibt keine Lieferungen, die Lobby-Arbeit des Kremls war äusserst erfolgreich.
– Am Vorabend des Siegestages möchten wir auch das Thema des deutschen Schuldkomplexes ansprechen. Denken Sie, es gelingt Putin, mit diesem Schuldkomplex zu spielen, indem er Informationsoperationen in Deutschland durchführt, mit dem Ziel, die Unterstützung der Ukraine durch die EU zu schwächen?
– Ja, wir sehen, dass die deutsche Gesellschaft sehr anfällig für die Kremlpropaganda ist. Natürlich gibt es dafür historische Voraussetzungen, unter anderem auch das berühmte Schuldkomplex. Das Umfeld Putins, wie auch er selbst, sind Experten im Bereich der Durchführung von Propagandakampagnen. Diese Kampagnen berücksichtigen viele psychologische Faktoren und wurden jahrelang ausgearbeitet. In Deutschland haben sie zwei Einwirkungsrichtungen: die erste- auf das russischsprachige Publikum, und hier haben sie fantastische Effektivität: über 50% ehemaliger UdSSR-Bürger, die in Deutschland leben, sind Putins Anhänger.
Die zweite ist unmittelbar auf die Deutschen gerichtet, auf ihr Unterbewusstsein und Komplexe. Dieser entgegenzuwirken kann man nur mit der Gegenpropaganda, mit der Enthüllung, der Unterbindung der Kremlpropaganda. Sogar die Ukraine brauchte lange Zeit, um dahin zu kommen. Lettland wachte auch erst auf, als sich in den an Russland angrenzenden Regionen Truppen zu bilden begannen… Aber das Verständnis ist nun gekommen, und die Abwehr der Falschinformation findet statt. Wobei in Lettland das Problem nicht so akut ist: ich habe mich mit der lettischen Führung unterhalten, und da wird die Gegenpropaganda nicht in dem Ausmass gebraucht, da die Bevölkerung an sich nicht zu prorussischen Stimmungen neigt, da ist es keine solch‘ gefährliche Erscheinung. Im Unterschied zur Ukraine, wo solche Ressourcen, wie Ihr die erschaffen habt, absolut notwendig sind- das ist ein Schutzmittel. Denn dieser Informationskrieg ist ein richtiger Krieg, in dem alle Mittel zum Einsatz kommen. Was die Deutschen angeht, so sind seit 1945 70 Jahre vergangen, aber ihr Schuldkomplex zwingt sie noch immer, auf viele verbrecherische Handlungen Russlands die Augen zu verschliessen.
– Was können Sie über die russische Gesellschaft sagen? Ist sie bereit, als Aggressor aufzutreten und gegen die Ukraine einen Krieg zu führen, falls der Kreml sich zu einem allumfassenden Krieg entschliessen sollte? Wie bewerten Sie die Reaktion der russischen Gesellschaft auf so eine Invasion? Wie hoch ist der Spannungsgrad in der russischen Gesellschaft?
– Der Spannungsgrad ist immens. Auf mich machte einen grossen Eindruck die kürzlich veröffentlichte soziologische Umfrage: wieviele Menschen, die Putins Politik unterstützen, verstehen, dass all das eine Lüge ist. Es hat sich herausgestellt, dass es fast 70% sind. Also nehmen sie die kremlische Propagandakampagne als ein Mittel der Kriegsführung wahr. Also wurden sie gar nicht belogen – sie verstehen das alles. Sie wissen, dass Russland einen Krieg in Donbass führt, wissen, dass ihre Bürger die Boeing abgeschossen haben, sie wissen von der Anwesenheit der russischen Streitkräfte in Donbass – und sie unterstützen Putin weiter. Also akzeptieren sie die Kremllüge als ein Kriegsführungsmittel ihres politischen Regimes gegen die Ukraine, die Bürger welcher sich anmassten, an Freiheit, an einen Austritt aus der Einflusszone Russlands zu denken, sich mit dem Westen anzufreunden anmassten. Die Bürger Russlands nehmen die Ukrainer für ihre Freundschaft mit dem Westen als Verräter wahr.
Zum Beispiel fahren in Moskau Autos mit Aufkleber „Töte einen Chochol!“ (Anm.d.Red. abfällige Bezeichnung der Ukrainer in Russland) herum. Noch vor einem Jahr wäre so etwas absolut unvorstellbar gewesen. Wie auch die Tatsache, dass Russland in die Ukraine einzudringen, ihre Bürger zu töten fähig ist. Hier sehen wir das Resultat einer Propagandakampagne einer Jahresdauer… Sie sprengt alle moralischen Grundsätze – soweit, dass Mütter ihre Kinder in den Krieg schicken, die „Ukro-Faschisten“ zu töten. Und wer glaubt denn tatsächlich daran? An die Existenz dieser „Ukro-Faschisten“? Eigentlich niemand. Nur hat der Hass solche Ausmassen erreicht, dass man die Ukrainer töten WILL. Warum? Darum. „Sie sind Faschisten, die sich mit dem Westen anfreunden wollen, den wir hassen“. Genau so eine anormale Situation ist ja auch in den USA. Ich habe da Umfragen durchgeführt. Es hat sich herausgestellt, dass über 50% russischsprachiger Bevölkerung der USA Putin unterstützen und… die USA hassen. Andererseits, ist das alles logisch: wenn sie Putin unterstützen, dann hassen sie natürlich den Westen, denn Demokratie und Putin gleichzeitig zu unterstützen sind unvereinbare Sachen.
– Was denken Sie, wenn zum Beispiel in einem Monat eine allumfassende Invasion, ein richtiger Krieg anfängt, so werden der russischen Gesellschaft drei Varianten bleiben: Unterstützung des Krieges, Passivität, oder aber der Widerstand gegen diesen Staatskurs. Wie wird die Reaktion des Volkes sein?
– Ich bin von einer absoluten Unterstützung des Krieges überzeugt. Früher traf ich ziemlich oft auf solche Aussagen, besonders von der Seite der Ukrainer, dass „man uns nie auseinanderbringen können wird – wir sind zu verbunden mit einander, wir sind Brudervölker.“… Das kann man vergessen. Das ist ein aggressiver Krieg, der vom Volk unterstützt wird. Man muss verstehen, dass der Kampf nicht nur gegen diejenigen stattfindet, die unmittelbar in Donbass am Krieg teilnehmen, sondern auch gegen jene, die ihn unterstützen. Vielleicht sind es keine 85%, aber doch mehr als 50% – jener, die Putin unterstützen, die eindeutig diesem Krieg zustimmen. Der einzige Faktor, der im jetzigen Moment die Menschen zwingt, in die Realität zurückzukehren, sind die wirtschaftlichen Sanktionen. In ganz Moskau hängen am Vorabend des 9. Mai Plakate „Unser Sieg!“ Und hier ein Detail: links hängt ein Plakat mit „Kursker Bogen“, und rechts – ein kleines „Debalzewe“- so ein Element der propagandistischen Kampagne „Unser Sieg!“. Und die Menschen glauben daran, sind stolz darauf. Also wird der 70. Jahrestag des Sieges auch als ein Sieg über die Ukrainer präsentiert, als die Rückkehr der Krim. Dieses Fest ist zu einem Fest der Plünderer und Mörder mutiert.
– Unter welchen Bedingungen kann dieser Krieg beendet werden?
– Für Putin und seine Mannschaft ist dieser Krieg eine Frage des Lebens und Tods. Diese ganze Situation entblösste die zynische Korruption all dieser Tschekisten. Zum Beispiel war Igor Setschin vor 10 Jahren ein Mensch, der ein Geschäft zur Herstellung von Büroklammern besass. Dabei war er ein KGBler, auch aus Sankt Petersburg. Und nun ist er einer der reichsten Menschen der Welt. Sein Gesamtvermögen beläuft sich auf Trillionen Dollar. Also, wenn diese Menschen die Macht verlieren, wenn all das ans Tageslicht kommt, werden sie von der ganzen Welt gesucht, verfolgt. Sie haben keinen Weg zurück, sie haben keine Möglichkeit zu einem Kompromiss – sie werden bis zum Ende kämpfen. Sie werden zurückschießen, wenn man sie holen kommt… Ich bin ein Pessimist. Ich denke, dass dieser Krieg nur in Moskau zu Ende gehen kann. Wo die Ukraine die Kapitulation Russlands entgegennehmen wird. Ich finde, dass von der Ukraine die Zukunft Russlands abhängt. Ich hoffe sehr, dass indem die Ukraine sich selbst schützt, sie schliesslich auch Russland hilft und es schützt.
– Zur Frage über die ukrainische Gesellschaft. Sie kommentieren und schreiben viel über die Ukraine. Was denken Sie, ist dieses alte Konzept der Aufteilung der ukrainischen Gesellschaft in zwei Teile entlang des Dnjeprs – in den prowestlichen und prorussischen- nach Ablauf dieses Jahres noch aktuell? Oder verschwindet diese These allmählich?
– Dank Russland haben viele verstanden, dass dieser Krieg für die Ukraine ein Krieg auf Leben und Tod ist, ein Krieg um das Überleben des eigenen Volkes. Eine ähnliche Situation gab es 1939, als die baltischen Staaten okkupiert wurden- das Erste, was die NKWD-Truppen gemacht haben: sie erschossen, vernichteten, deportierten die Intelligenz, alle halbwegs denkenden Menschen. Es geht darum, dass falls sie anfangen, nach Kiew durchzubrechen, so wird die Frage über das physische Überleben der Nation aufkommen. Denn die Beraubung dieser geistigen Komponente- also die Deportation, die „Entsendung nach GULAG“, der Abschuss dieses denkenden Teils der Gesellschaft – im Grunde ist es die Beendigung der Existenz einer Nation.
– Wir glauben auch an unseren Sieg, verstehen seine Bedeutsamkeit, die Unmöglichkeit unserer Niederlage für unsere weitere Existenz. Aber wenn der Sieg erlangt wird, wie, Ihrer Meinung nach, werden sich die Beziehungen zwischen den Ukrainern und Russen gestalten? Besonders mit jenen Russen, die, wie Sie sagen, mit Hass erfüllt sind. Wie sollen wir wieder gute Nachbarn werden?
– Eine ähnliche Situation gab es in Deutschland. Putin ist seit 15 Jahren an der Macht, Hitler war an der Macht 12 Jahre. Wonach die Umerziehung des deutschen Volkes begann, seiner Gesellschaft. Es wurde Entnazifizierung durchgeführt. Für die Unterstützung des National-Sozialismus kamen über 200 000 Deutsche vor Gericht. Die Deutschen wurden gezwungen, die Massengräber der von ihnen getöteten Menschen auszugraben und sie auf menschliche Art und Weise wieder zu begraben. Die Amerikaner haben damals eine gute psychologische Arbeit durchgeführt. All das ist ein langer und schwieriger Prozess. Bei den Deutschen hat es 20 Jahre gedauert. Ich hoffe sehr, dass sich die Ukraine wie auch die westliche Gesellschaft mit der Existenz solch‘ eines aggressiven, militaristisch gestimmten Nachbars wie das moderne Russland nicht abfinden werden. Es wird ein langer Prozess der Umerziehung eines riesigen Landes gebraucht. Genauso wie in Deutschland der 1940er gibt es keine Hoffnung auf eine schnelle Lösung dieses Problems. Und sich mit dem Faschismus abzufinden, der im 21. Jahrhundert entstand, wo die Menschheit bereits ein Verständnis davon hat, wie dieser entsteht und sich entwickelt, wo es bereits eine Erfahrung des Kampfes gegen ihn gibt, wo wir bereits solch eine Errungenschaft der Menschheit wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte besitzen, also eine Form der Koexistenz – das ist absolut ausgeschlossen…. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts machte die Mehrheit der Menschheit einen Riesensprung in ihrer Entwicklung, plötzlich erkannt, dass Menschenrechte das Wichtigste sind. Die Rechte der Persönlichkeit, die Rechte des Individuums… Nach diesem Prinzip entwickelt sich die ganze westliche Gesellschaft.
– Wir haben noch eine für alle Ukrainer wichtige Frage – die Frage der Krim. Gibt es eine Möglichkeit einer blutlosen Rückkehr der Krim in die Zusammensetzung der Ukraine?
– Natürlich wird die Krim zurückkehren- das ist doch ein gestohlenes Territorium der Ukraine. Wobei der Dieb auf frischer Tat ertappt wurde. Und das Gestohlene muss dem Besitzer zurückgegeben werden. Ich hoffe sehr, dass die Befreiung der Krim bereits diesen Sommer anfängt. So ist jedenfalls meine Meinung, denn was gerade auf der Krim passiert – das ist eine richtige Sklaverei. Und dabei spreche ich nicht nur von den Krimtataren, sondern von vielen Bürgern der Ukraine, die in diese Sklaverei gerieten. Sie müssen befreit werden.
– Gibt es eine Möglichkeit der Existenz eines multinationalen demokratischen Staates Russland in den Grenzen des modernen Russlands oder ist es eine Utopie?
– Der Prozess des Zerfalls des sowjetischen Imperiums begann vor nicht allzu langer Zeit. Zum Jahr 1991 war dieses Imperium nach keinen Gesetzen mehr im Stande zu existieren- es war verfault und begann zu zerfallen. Der Prozess seines Zerfalls ist ganz und gar nicht beendet, und die Ereignisse in der Ukraine, Georgien sind nur eine Fortsetzung dieses Zerfalls, ein Versuch, seine Unvermeidlichkeit aufzuhalten. Die heutige Spannung in Beziehungen zwischen den nationalen Republiken, zwischen dem Süden und dem Zentralen Russland, ist auch ein folgerichtiger historischer Prozess. Millionen Menschen ächzen unter dieser knechtenden Existenz. Meiner Ansicht nach muss Russland in kleine Staaten zerfallen, wo endlich Menschenrechte respektiert werden. Natürlich hoffe ich sehr, dass dieser Prozess nicht als ein Bürgerkrieg verlaufen wird. Putin versucht, die sowjetische Repressionsmaschine mithilfe der Gewaltorgane wiederherzustellen, er beschuldigt die ganze Welt, Russland schaden zu wollen, seinem Zerfall beizusteuern. In Wirklichkeit ist es ein natürlicher Prozess, den man nicht mehr aufhalten kann: ein totalitäres System wird unvermeidlich zerfallen. Es gibt die Gefahr, dass irgendwelche an seiner Stelle entstandenen kleinen Staaten auch totalitär werden, aber sie werden die Sicherheit ihrer Nachbarn nicht mehr ernsthaft bedrohen können. Den Prozess des Zerfalls kann man aber unmöglich stoppen. Putin legte sich dem Panzer der Geschichte quer. Und bald wird dieser Panzer ihn unvermeidlich zerdrücken.
Konstantin Borowoj im Interview mit InformNapalmTeam (Roman Burko/ Mykola Balaban/ Olexander Tkatschuk/ Irina Schlegel).