InformNapalm beschränkt sich nicht nur auf OSINT-Untersuchungen zu Russlands Aggression gegen die zivilisierte Welt – uns interessieren auch andere Themen, die in der einen oder anderen Form mit Propaganda und Manipulationen zu tun haben. In diesem Zusammenhang sind wir letztens auf den Bericht des Projekts Mapping Media Freedom (dessen Co-Founder interessanterweise die Europäische Kommission ist) über den Stand der Aggression gegen Journalisten aufmerksam geworden. Es stellte sich heraus, dass im 3. Quartal 2016 die Ukraine allen voran ist. Das ukrainische „Hromadske“-TV griff es genauso auf und liess uns alle wissen: „Die Ukraine ist am 3. Platz in Europa, was den Druck auf Journalisten angeht“.
Überholt wurden wir nur von der Türkei (114 registrierte Fälle im Zusammenhang mit Druck auf Medien) und Russland (58), die Ukraine besitzt hier die ehrenvolle Bronze (44 Fälle). Noch ganz klein bißchen und wir holen Russland ein. Der Karte nach, die im Bericht bereitgestellt wurde, ist die Situation bei uns wirklich eine der schlimmsten auf der Welt.
Jeder kann einen Fall der „Verhinderung von Journalistenarbeit“ melden, indem er den Ort, Fallbeschreibung und entsprechende Links bereitstellt, die diesen Fall bestätigen. Das Projekt sammelt diese Fälle zusammen und gibt einmal pro Quartal einen Bericht heraus. Der letzte Bericht umfasst den Zeitraum zwischen dem 1. Juli und 30 September 2016.
Gehen wir den mal durch:
Zum Beispiel gilt im Bericht als einer der letzten Fälle der „Verfolgung von Journalisten“ die Ausweisung des russischen TV-Senders „Doschd“ aus der russisch besetzten Bandenformation „DVR“. Kein Witz. Steht so im Bericht: „Ukraine: Two independent Russian TV reporters detained and expelled from Donetsk“.
Ähm, und was hat die Ukraine damit zu tun? Ja, Donezk ist Ukraine – es war Ukraine, es ist Ukraine und wird es auch bleiben. Aber zurzeit sind es besetzte Territorien, auf denen ukrainische Behörden die Journalisten gar nicht beschützen können. Warum werden dann diese Fälle der Ukraine zugeschrieben?
Nehmen wir mal die seltsamsten Fälle von den 44 „ukrainischen“ Fällen, die im Bericht für das 3. Quartal 2016 erwähnt werden, auseinander.
Am seltsamsten kam uns im Bericht wohl folgende Mitteilung vor: „12. September 2016: „DVR“-Kämpfer behaupten unter Hinweis auf „Angaben eigener Aufklärung“, dass ukrainische Militärangehörige angeblich Diversanten unter dem Deckmantel von Journalisten ausbilden. In der „DVR“ erklärte man, dass die sogenannten „ukrainischen Diversanten aufgedeckt und vernichtet werden“.
Abgesehen davon, dass es sich schon wieder um Ereignisse im besetzten Teil von Donbass handelt, wird es hier auch noch auf die Aussage von Eduard Basurin hingewiesen, der bereits seit zwei Jahren mythische „ukrainische Diversionsgruppen“ im Donbass ausfischt. Diesmal beschloss er wohl nach Journalisten-Diversiongruppen zu angeln. Was hat dieser Fieberwahn mit Journalistenarbeit und ihrer eventuellen Einschränkung in der Ukraine zu tun? Logik gibt es hier wohl keine.
Gehen wir weiter: „Ukraine/Україна: Fruit vendor yells explicit threats at ZIK TV journalist“.
Worum handelt es sich hier, schauen wir mal: „5. August 2016: Ein Journalist des TV-Senders ZIK Alexander Iwachnjuk erklärte, dass er am 5. August in Kiew im Bezirk Posnjaki von einem Wassermelonen-Verkäufer bedroht wurde, weil er ihm die Frage über das Vorhandensein einer Erlaubnis zum Strassenverkauf und eines Warenzertifikats gestellt hatte, wie „Detektor Media“ berichtet“.
Unruhig ist es wohl nicht nur auf den ukrainischen Märkten, sondern auch in den Kirchen.
„26. Juli 2016: Während des Kreuzzuges, der aus Borispol kam, hat einer der Gläubigen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) das Drehteam des TV-Kanals „24“ angegriffen, wie TSN berichtet“.
Auf ukrainischen Strassen ist eh die Hölle los:
„22. Juli 2016: In Sumy haben alkoholisierte Beteiligte eines Autounfalls das Drehteam des lokalen TV-Senders STS angegriffen, wie die Webseite des TV-Senders berichtet“.
„21. Juli 2016: Ein Fahrer, der einen Verkehrsunfall in Uschgorod verursachte, versuchte einem Journalisten der Webseite Mukachevo.net die Kamera aus der Hand zu schlagen, wie das Massenmedien-Institut berichtet. Der betrunkene Autofahrer ist nach Angaben von Mukachevo.net ein Mitarbeiter der Verkehrspolizei und hat mit seinem Auto das Schutzgeländer eines Kindergartens zerstört“.
Ausser Straßenhandel und Verkehrsunfällen geht es auch um die Einschränkung der Journalistenarbeit im Internet:
„11. Juli 2016: Am Morgen des 11. Juli wurde in Kherson die Webseite „Hrywna. Neues Format“ einem DDoS-Angriff ausgesetzt, ihre Arbeit wurde dadurch wesentlich erschwert, wie Kherson Online berichtet“.
Irgendjemand greift also irgendeine namenlose unbekannte Webseite an und deshalb wird Meinungsfreiheit in der Ukraine eingeschränkt? Und was ist, wenn es gar kein DDoS-Angriff war, sondern schlicht und einfach technische Probleme?
Über DDoS-Angriffe, die der russische FSB routinemässig tagtäglich auf unsere Webseite ausführt, reden wir lieber nicht, sonst gilt es womöglich auch als „Verhinderung der Journalistenarbeit in der Ukraine“.
„6.September 2016: Unbekannte haben die Webseite „Ukrainische Woche“ gehackt, wie die Webseite berichtet. Auf der Webseite haben die Hacker propagandistische antiukrainische Materialien platziert. Die Verantwortung für diesen Hackerangriff hat die Hackergruppe „Beregini“ auf sich genommen“.
Interessant. Die russische Hackergruppe „Beregini“ blockiert also die Arbeit einer ukrainischen Webseite, was selbstverständlich schlussfolgern lässt, dass Meinungsfreiheit gerade in der Ukraine beeinträchtigt wird. Russland führt seit 2,5 Jahren nicht nur einen realen Krieg gegen die Ukraine, sondern auch einen Informationskrieg, Schuld daran soll aber offensichtlich die Ukraine sein. Werden die russischen Hackerangriffe auf die Regierungscomputersysteme in Deutschland und USA auch als Einschränkung der Meinungsfreiheit in den USA und Deutschland behandelt? Wäre in dem Fall im Sinne von MappingMediaForum…
Und nun zu äußerst unangenehmen Sachen: Im Bericht wird von Morden an vier Journalisten gesprochen (Die Formulierung ist „were killed“). Zwei davon beziehen sich auf die Ukraine. Es handelt sich um Mord an Pawlo Scheremet und Alexander Schtschetinin. Und wenn im Fall mit Scheremet alles klar ist – das war ein Auftragsmord, so handelt es sich im Fall von Schtschetinin höchstwahrscheinlich um einen Selbstmord. Hier kommt die Frage auf, inwieweit es moralisch korrekt ist, einen solchen Fall in einen derartigen Bericht miteinzuschliessen…
Wenn man auf der Webseite MappingMediaFreedom ein wenig mit den Filtern herumspielt, versteht man nicht so ganz, wie die Grafik im Bericht eigentlich erstellt wurde. So wurden in Deutschland im 3. Quartal 2016 4 Fälle der Einschränkung von Journalistenarbeit registriert, im Endbericht steht bei Deutschland aber „0“.
Werden die Informationen einer Postmoderation unterzogen? Wenn ja, warum sind alle „ukrainischen“ Fälle in den Endbericht gekommen, und die deutschen nicht?
Am Ende kommen wir darauf hinaus, dass MappingMediaFreedom Berichte über die Verhinderung der Journalistenarbeit in Europa zusammenstellt, die auf äußerst widersprüchlichen Informationen basieren.
Und ukrainische Medien drucken das alles dann nach und setzen die Erschaffung einer verzerrten Realität somit fort.
Höchstwahrscheinlich werden die schönen Grafiken aus diesem Bericht durch die Büros in Brüssel wandern. Und europäische Experten werden mit Schrecken feststellen, wie schlimm das alles in der Ukraine ist und dass die Situation sich nur immer weiter verschlechtert. Und dann werden sie unseren Journalisten im Off-the-record Regime erzählen, wie müde die Europäer von der Ukraine und ihren inneren Problemen sind. Und irgendjemand wird eine weitere Förderung für den Kampf gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit bekommen. Oder auch für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Journalisten. Und das Geld wird wieder für einen weiteren Bericht draufgehen, in dem es schöne realitätsverzerrende Grafiken geben wird oder der Grad der Meinungsfreiheit anhand Informationen „gemessen wird“, die nur einen Teil der Wahrheit darstellen und in der Form, wie sie präsentiert werden, eigentlich als Falschinformationen bezeichnet werden können… Das Geld der europäischen Steuerzahler, wie auch der ukrainischen, zählt ja keiner der Beamten.
Jede von diesen Geschichten bedeutet an sich wenig, aber zusammengefasst schadet diese Information sowohl dem ukrainischen Journalismus als auch der ukrainischen Gesellschaft.
Dieses Material wurde von Anton Pawluschko exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
(Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
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