Ende November stellten die Freiwilligen der internationalen Aufklärungsgemeinschaft InformNapalm einen bedeutenden Informationsausbruch fest, dessen Wirkung lange Zeit in den russischen, belarussischen und ukrainischen Medien aufrechterhalten wurde. Zum Vorwand, der die künstliche Aufregung provoziert hat, wurden das Thema ukrainischer Flüchtlinge und die fantastische Zahl von 160 000, die von dem Repräsentanten des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (NUHCR) in Minsk erläutert wurde. Das regelmäßige Monitoring der Angaben und Statistiken offizieller Staatsämter durch die Freiwilligen von InformNapalm erlaubt es, in der Fülle an Informationen unglaubwürdige Angaben zu finden, die in diesem Bericht widerlegt werden.
Offizielle Angaben, die unglaubwürdige Informationen aufzudecken helfen.
Laut Angaben des Bürgerschafts- und Migrationsamtes des Innenministeriums der Republik Belarus, haben in den Jahren 2014-2015 1642 ukrainische Staatsbürger in Belarus Asyl oder zusätzlichen Schutz beantragt, von denen 1089 Menschen zusätzlichen Schutz bekamen und nur 1 (einer!) ukrainischer Staatsbürger offiziell als Flüchtling registriert wurde. Die absolute Mehrheit der Migranten aus Donbass in Belarus haben den Status von Arbeitsmigranten, die von den Behörden eine temporäre (1 Jahr) oder eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen. Vom 1. Januar 2014 bis 1 Juli 2016 wurden insgesamt 35157 solcher Arbeitsmigranten registriert (laut Statistikangaben des Innenministeriums RB), viele von ihnen sind Arbeitsmigranten aus ganz Ukraine, nicht nur aus Donbass. Darüber hinaus, muss man beachten, dass eine bestimmte Anzahl von ihnen Saisonarbeiter sind, die anschließend in die Ukraine zurückkehren. Ausgehend von den aufgeführten offiziellen Angaben, befinden sich zum heutigen Zeitpunkt ca. 25-30 000 Migranten aus Donbass in Belarus; diese Zahl ist aber sehr beträchtlich, denn man muss beachten, dass es keine gewöhnlichen Migranten – friedliche Bergarbeiter und Traktoristen – sind, viele von ihnen sind Befürworter und Mittäter der russisch-terroristischen Streitkräfte und Träger der aggressiven Kriegspropaganda. Unter ihnen findet man auch Kämpfer mit beachtlicher Kampferfahrung, für die der Wert eines Menschenlebens und Moralprinzipien rudimentär sind. Über konkrete Beispiele dessen, was oben beschrieben wurde, können sie in dieser Untersuchung nachlesen:
Behalten wir nun die Anzahl ukrainischer Migranten in Belarus nach offiziellen Angaben – 25-30 000 – in Erinnerung, und folgen wir weiter zur unmittelbaren Analyse des Informationsausbruchs und seiner Chronologie.
Chronologie des Aufblasens der „Seifenblase“
Die ersten Beispiele von überhöhten Statistikangaben erschienen im September 2014, als der Repräsentant des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) Oldrych Andrysek während seines Besuchs ins Gomeler Gebiet über die Anwesenheit von 25 000 ukrainischer Migranten in Belarus berichtete. Diese Information wurde damals vom Leiter des Bürgerschafts- und Migrationsamtes des Innenministeriums RB Aleksej Begun widerlegt, der die tatsächlichen Zahlen veröffentlichte:
Wir haben 250 Asylanfragen – diese Zahl gibt es. Und die restlichen… Beispielsweise, haben über 7000 Menschen eine Arbeitserlaubnis bekommen. Obwohl es klar ist, dass manche noch seit dem letzten Jahr arbeiten.
Das weitere „Aufblasen der Seifenblase“ dauerte an, was sich in den mehrfach wachsenden Unterschieden zwischen den Daten des UN-Kommissariats und offiziellen Angaben staatlicher Behörden von Belarus wiederspiegelte. So enthält ein Operativbericht von UNHCR vom 2. Dezember 2014 Angaben über 59 600 ukrainischer Migranten, dabei verweist UNHCR bezeichnenderweise auf die „Daten der Behörden“. Nach den Angaben offizieller Quellen von Belarus, die in der Jahresstatistik des Migrationsamtes veröffentlicht wurden, reisten in 2014 17 778 Migranten aus der Ukraine in Belarus ein, 664 Ukrainer haben Asyl oder zusätzlichen Schutz beantragt.
Am deutlichsten wurden die Informationsmanipulationen in 2015, als der Operativbericht von UNHCR zum 21.März – 10.April schon 80 900 ukrainischer Migranten in Belarus erwähnte, diese Informationen wurden wieder mit dem Verweis auf die mysteriösen „Regierungsquellen“ von Belarus angegeben. Die Informationsspekulation wurde im Herbst 2015 in die Spitze getrieben, als die Anzahl, die die ganze Zeit praktisch unverändert geblieben ist (mit einem geringen Zuwachs im August auf 81 600 Menschen), plötzlich rapide auf 126 450 Menschen in dem Bericht von UNHCR vom 7. September 2015 gestiegen ist. Diese im statistischen Kontext fantastische Zahl wurde wieder auf „Regierungsquellen“ und „entsprechende Nationalbehörden für Flüchtlingsfragen“ verwiesen.
Im Oktober 2015 „zählte“ der Repräsentant des UNHCR in Belarus Jean-Yves Bouchardy schon 150 000 Menschen, obwohl diese Zahl nach offiziellen Angaben seiner eigenen Behörde um über 20 000 niedriger ist. Dennoch ging Bouchardy noch einen Schritt weiter und befasste sich mit arithmetischen Operationen:
Ich finde, dass 150 Tausend Menschen eine beachtliche Anzahl sind, und wenn wir sie mit der Gesamtbevölkerung von Belarus vergleichen, bekommen wir etwa 1,7% (Archiv).
Auf dem Foto: Repräsentant von UNHCR in Belarus Jean-Yves Bouchardy | Belsat
Im Frühling 2016 – möglicherweise unter dem Einfluss der Aufhebung der Sanktionen – wurden die hochrangigsten Staatsbeamten von Belarus in den Prozess statistischer Manipulationen verwickelt. Zum ersten Mal kam dies deutlich zum Ausdruck während Lukaschenkos Treffens mit dem stellvertretenden Assistenten des Verteidigungsministers der US Michael Carpenter, als die Angaben über die Anwesenheit von 160 000 Flüchtlingen aus der Ukraine im Land unmittelbar vom Staatschef von Belarus geäußert wurden.
Foto des Treffens von der offiziellen Webseite president.gov.by
Und schon am 26. September wiederholt der Leiter der Außenpolitikbehörde von Belarus Wladimir Makej in einem Interview mit UNO Radio auf wundersame Weise die gleichen Worte über 160 000 „ukrainischer Flüchtlinge“.
Zehn Tage später, am 6. Oktober 2016, während der 67. Tagung des Exekutivkomitees von UNHCR in Genf, setzte der Angehörige der ständigen Vertretung von Belarus bei der UNO Abteilung und anderen internationalen Organisationen in Genf Jurij Ambrasewitsch die Informationsmanipulationen fort:
Belarus wurde in den letzten Jahren mit einer Migrationswelle ukrainischer Bürger konfrontiert, die ihre Häuser wegen der Krise im Südosten des Landes verlassen mussten. Nachdem wir ohne viel Aufhebens über 160 000 Menschen aus der Ukraine empfangen haben, zählt Belarus nach einer Pro-Kopf-Berechnung zu den Weltanführern (!) nach der Anzahl der notgedrungenen Migranten, die empfangen wurden (Archiv).
Foto: Jurij Ambrasewitsch | mfa.gov.by
Am 8. November 2016 machte die gleiche Äußerung der Botschafter der Republik Belarus in der Ukraine Igor Sokol bei der Konferenz „25 Jahre des ukrainisch-belarussischen Dialogs: die Perspektiven beidseitiger Beziehungen in den Zeiten globaler Herausforderungen“ in Kiew, dabei verwies er auf die Angaben von UNHCR (und der Kreis schließt sich!). Und schon am 20. November 2016 befestigt der schon oben erwähnte Angehörige von UNHCR in Flüchtlingsfragen in der Republik Belarus Jean-Yves Bouchardy die unglaubwürdige Information über die Anwesenheit auf dem Territorium von Belarus von 160 000 ukrainischer Bürger in der Sendung des belarussischen Senders „ONT“:
Es ist bekannt, dass Belarus traditionell Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern auf seinem Territorium empfängt. Bis vor kurzem war ihre Anzahl auf dem Territorium Ihres Landes gering, doch seit dem Konflikt im Osten der Ukraine sind ca. 160 000 Bürger dieses Landes nach Belarus gekommen. Etwa 2000 von ihnen haben Asyl beantragt.
Es ist signifikant, dass dieser Repräsentant des Hauptkommissars sich mehrmals mit dem Innenminister von Belarus und seinen Vertretern (1, 2, 3) getroffen hat, von denen er mit ziemlicher Sicherheit alle vorliegenden Informationen über die tatsächliche Anzahl der Migranten und Flüchtlinge in Belarus nach Angaben des Bürgerschafts- und Migrationsamtes RB bekommen musste. Wie wir jedoch schon oft bemerken mussten, glauben viele, dass sie die Wahrheit sagen (oder täuschen das nur geschickt vor).
Wir möchten die Rolle der Medien beim Aufblasen dieser „Seifenblase“ betonen. In diesem Fall haben die Massenmedien den Worten hochrangiger Funktionäre von Belarus und Beamten internationaler Organisationen vertraut und trugen dadurch der erfolgreichen Verbreitung falscher Informationen bei.
Mögliche Ziele der Statistikmanipulationen in Flüchtlingsfragen
Am Beispiel dieser Untersuchung haben wir gezeigt, welches Ausmaß falsche Informationen annehmen können, wenn hochrangige Staatsvertreter und Beamte internationaler Organisationen in sie bewusst oder unbewusst hineingezogen werden. Möglicherweise wurden diese Datenmanipulationen durch den Wunsch ausgelöst, die große Bedeutung von Belarus in Flüchtlingsfragen auf der internationalen Ebene zu unterstreichen, oder vielleicht einfach durch die banalen Finanzinteressen von einzelnen Beamten. Nach einer der Versionen können übertriebene Zahlenangaben dazu genutzt werden, um internationale Hilfen anzukurbeln. So, beispielsweise, brauchte UNHCR in 2015 die Finanzierung seines Hilfsprogramms für Migranten in der Ukraine, Belarus und Moldau in Höhe von $41,5 Millionen, $28,8 Millionen davon wurden zugesagt.
Screenshot der Angaben der offiziellen Webseite unhcr.org
Laut Angaben im letzten Operativbericht zum September, betrug der Gesamtfinanzierungsbedarf in 2016 $42,3 Millionen, ein Teil davon – 17,1 Millionen – wurde schon von verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen überwiesen. Der Gesamtbedarf für die Jahre 2015-2016 beträgt $83,8 Millionen ohne die Berücksichtigung der zusätzlichen Arbeitsfinanzierungsanfragen, für die zum September 2016 $45,9 Millionen schon erhalten wurden, zuzüglich $11,3 Millionen, die UNHCR für die Implementierung des Programms für Binnenflüchtlinge in der Ukraine in 2014 bekam. Der Endbetrag – $57,2 Millionen – ist durchaus beträchtlich. Von diesem Betrag wurde ein Teil auch an die Belarussische Vertretungsstelle von UNHCR weitergeleitet, die allein in 2015 über $2 Millionen angefordert hat.
Es ist unter anderem nicht auszuschließen, dass zu den Zielen von UNHCR die Förderung der Annahme von syrischen Flüchtlingen aus der EU in Belarus sein könnte, deren Anzahl im Vergleich zu 160 000 Migranten aus der Ukraine geringfügig erscheinen würde, auch wenn ihre Anzahl mehrere Tausend betragen würde. Diese Meinung wurde schon vom Repräsentanten von UNHCR in Belarus Jean-Yves Bouchardy geäußert.
Die Motive für die Benutzung unglaubwürdiger Informationen in Flüchtlingsfragen durch belarussische Staatsfunktionäre sind auch in ihren Aussagen erkennbar, in denen Sie die Wichtigkeit von Belarus auf der internationalen Ebene durch die Etablierung eines neuen Status für das Land – als einen der Weltanführer nach der Anzahl der Flüchtlinge – zu beweisen versuchen. Im Prinzip ist diese Taktik nachvollziehbar: nach dem „erfolgreichen“ Erlangen des Status eines Landes, das „Friedensverhandlungsprozesse“ sowohl für Karabach als auch für Donbass bedient, erscheint das Bestreben zur neuen bedingten Führungsrolle in Flüchtlingsfragen ganz und gar logisch.
An unsere Kollegen von StopFake: InformNapalm hat in dieser Untersuchung die Bloßstellung eines langfristigen und andauernden Fakes auf der höchsten Ebene mit Manipulationen zum Thema ukrainischer Migranten in Belarus durchgeführt. Wir setzen unsere Beobachtung der offiziellen Statistik und Tricksereien der Politiker in Fragen der globalen Informationsmanipulationen fort.
Dieses Material wurde von Denis Iwaschin exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Volodymyr Cernenko. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
CC BY 4.0
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One Response to “Politische Spekulationen zum Thema ukrainischer Flüchtlinge in Belarus”
30/07/2017
Ehemalige Mitarbeiter der ukrainischen „Berkut“ im Dienst bei der Polizei von Belarus - InformNapalm (Deutsch)[…] Politische Spekulationen zum Thema ukrainischer Flüchtlinge in Belarus […]