Im Dezember 2017 erzählte der russische Präsident ein weiteres Mal über einen Sieg der russischen Armee in Syrien und den bevorstehenden Abzug ihrer Truppen. Bezeichnenderweise wandte sich W.Putin an die russischen Militärangehörigen auf dem Flugplatz Hmeimim – zwanzig Tage später wurde der Flugplatz durch unbekannte Islamisten beschossen.
Zwischen diesen zwei Ereignissen zeigte sich das russische Außenministerium empört über das Vorhandensein von neuen Waffen bei den Kämpfern in Syrien, was uns Maria Sacharowa am 27. Dezember 2017 auf dem abschließenden Jahresbriefing des russischen Außenministeriums mitteilte. Es ging um den Versuch, die russische Luftwaffenbasis in Hmeimim unter Beschuss zu nehmen.
Der Presse war nicht ganz klar, von welchen Waffen hier die Rede ist, denn ein Tag zuvor hatten die Söldner ein Video veröffentlicht, in dem sie zeigten, wie sie ein Flugzeug L-39 aus einem mobilen FlaRak-Komplex „Strela-3“ abschießen.
Die Islamisten hatten auch früher schon die Flugzeuge der syrischen Luftwaffe abgeschossen, von denen es immer weniger gibt (wie von ihren Piloten auch). Diesmal wurde aber extra aus mobilen FlaRak-Komplexen geschossen, so als ob man der russischen Luftwaffe einen Gruß ausrichten wollte. Interessanterweise sieht man ein Stromkabel an dem FlaRak-Komplex – anscheinend ist das chemische Element wegen Alterung außer Betrieb. Ob es sich hier um eine neue Partie der alten mobilen FlaRak-Komplexe oder um Vorräte aus Assads Armee handelt, ist nicht ganz klar. Zumal diese Art des Einsatzes die Mobilität der Luftabwehrgruppe der Islamisten einschränkt. Wenn man aber weiß, wo die russischen Flugzeuge landen oder ihre Manöver abhalten, kann man durchaus auch russische Flugzeuge und Hubschrauber auf diese Weise abschießen.
In der Konfliktzone tauchen immer mal wieder Waffen aus Osteuropa auf. Sacharowa kommentierte zum Beispiel vor einem Jahr die aufgedeckten Waffen, es handele sich um Waffen bulgarischer Herstellung, von Artilleriemunition und Mörsern bis hin zu Munition für Grad-Raketenwerfer. Die Gerüchte über Waffen aus Bulgarien erscheinen nicht zum ersten Mal in den Medien, diesmal stimmten aber gleich mehrere Fakten überein: die mobilen FlaRak-Komplexe bei den Islamisten, die bulgarische Munition für „Grad“-Raketenwerfer und die Angriffe auf die Luftwaffenbasis Hmeimim.
Somit ging das Jahr 2017 mit einer Tracht Prügel für die russische Armee zu Ende. Am 31. Dezember erschienen zuerst Informationen über einen abgeschossenen russischen Hubschrauber Mi-24. Einige Quellen sprachen von technischen Defekten, andere davon, dass der Hubschrauber an eine Starkstromleitung gekommen war. Wie auch immer, zwei Piloten starben – und die Russen erfuhren davon erst nach den Feiertagen, am 3. Januar. Es wurde wohl angeordnet, das Jahr mit einer positiven Note ausgehen zu lassen.
Am Morgen des 4. Januar wurde der Beschuss als „Mörserbeschuss“ bezeichnet, das Faktum des Todes von zwei Militärangehörigen bei dem Beschuss wurde anerkannt, die Gerüchte über Flugzeugverluste wurden aber abgestritten.
- Lesen Sie Näheres dazu hier: Russische Luftwaffenbasis Hmeimim in Syrien unter Mörserbeschuss
Bald wurde die Version mit den Mörsern aber verworfen und man begann über einen Angriff mit selbstgemachten Drohnen zu sprechen. Und neulich sollen russische Militärangehörige gar einen weiteren IS-Stab vernichtet haben, beziehungsweise ebenjene „Diversantengruppe“, die die Basis in Hmeimim angegriffen haben soll.
Parallel fand in den Medien und unter Experten eine Auseinandersetzung statt, wer schneller noch größere Verluste für die russische Armee prophezeit oder diese heroisch widerlegt. Es wurden Fotos der beschädigten russischen Flugzeugen, einer verbrannten S-400-Anlage und von verbrannten Raketen eingeworfen, mit denen die Islamisten geschossen haben sollen. Ein Teil der Experten glaubte nicht an die Beschüsse, denn niemand von den lokalen Einwohnern habe ein Video aufgenommen, weder von einer Explosion noch vom Rauch der brennenden Technik.
Das ist aber kein Hollywood, in dem jede Maschine nach einem Zusammenstoß in Stücke zerrissen wird, begleitet von einem „Atompilz“. In Wirklichkeit hätten auch ein paar Granaten gereicht, die den Rumpf des Flugzeugs oder sein Inneres mit Splittern beschädigten. „Atompilze“ hätte keiner dabei gesehen – so ein Angriff würde aber ausreichen, um zwei Militärangehörige zu töten und noch einige zu verwunden (Anm.d.Red: Den Kommentaren in sozialen Netzwerken nach, geht es hier um etwa neun Menschen).
Interessanterweise wurden die Fotos des „fliegenden Hospitals“ Il-76MD „Skalpel-MT“ erst am 3.Januar im Netz veröffentlicht. Anscheinend mussten die Schwerverletzten warten, bis die Feiertage vorbeigingen oder die Flugzeuge wieder in Hmeimim landen konnten.
Am 5. Januar wurde zum Beispiel berichtet, dass das Il-76MD nicht in Syrien landen konnte und zurück nach Sotschi fliegen musste. Zufall? Oder war hier eine Information eingegangen, dass die Situation in Hmeimim keine ruhige Landung auf den Flugplatz erlaubt?
Hier sollte man erwähnen, dass der Flugplatz Hmeimim ein Flugplatz ist, der 15 Kilometer von der Stadt Latakia entfernt in der Assad-freundlichen gleichnamigen Provinz Latakia liegt. Das ist ein ehemaliger Zivilflughafen, den die Russen zu nutzen gezwungen sind. Er ist nicht mit Flankierungsanlagen zum Schutz der Militärtechnik ausgerüstet, darum steht der Großteil der russischen Luftwaffengruppierung einfach mal unter freiem Himmel.
Rundherum auf der Basis wird Munition gelagert, die für anstehende Flüge hingebracht wird. Für den vollständigen Schutz des Flughafens muss das ganze Gelände und die Zufahrtsstraßen zu den Städten und Dörfern nahe des Flughafens kontrolliert werden. Die letzte Verteidigungs- und Kontrolllinie besteht aus russischen Militärangehörigen, auf weiter entfernten Zufahrtsstraßen und Checkpoints arbeitet die syrische Armee.
Die Situation wird aber dadurch erschwert, dass dies nominell die historische Heimat des Assad-Klans ist, tatsächlich hier aber Aleviten und Sunniten leben. Ein Dorf der Aleviten wechselt mit einem Dorf der Sunniten ab, und im Norden der Provinz beginnen schon die Ländereien der Turkmenen, die gegen das Assad-Regime eingestellt sind. Im Osten von Latakia und Hmeimim und bis zur Grenze mit der Provinz Hama verläuft ein Bergmassiv. Die nahen Zufahrtsstraßen zum Flughafen und die Küstenlinie sind einigermaßen flach, und diese kann man visuell kontrollieren, die weiteren Zufahrtsstraßen muss man aber mit zahlreichen Checkpoints und Hubschraubern kontrollieren. Und das ist genau das Problem: Eine Diversionsgruppe der Islamisten kann sowohl von Meer aus, von der Seite irgendeines Sunniten-Dorfes, als auch aus den buntgemischten Vorstädten von Latakia und dem bergischen östlichen Teil der Provinz kommen.
Die erste Version des russischen Verteidigungsministeriums über den Mörserbeschuss hat ebendeshalb so eine Resonanz bekommen, da es bedeutete, dass sich die Islamisten der russischen Basis auf einen Abstand von ein paar Kilometern genähert haben.
Andererseits gefällt es den Russen überhaupt nicht, dass die Islamisten nun in den Besitz von bulgarischen Geschossen für „Grad“-Raketenwerfer gekommen sind, denn in Syrien wird schon lange die mobile Einzelanlage „Grad-P“ und ihre verschiedenen Modifikationen eingesetzt. Die Treffgenauigkeit ist zwar sehr gering, vergrößert aber den Radius des Schutzes der russischen Hmeimim-Basis um Dutzende Kilometer. Es genügt einen genauen Treffer mit den Raketen eines „Grad“-Raketenwerfers zu machen und die russische Kampagne in Syrien kann beendet werden. Und diese mobile „Grad“-Autos fahren seit Jahren durch Syrien.
Wobei die Hmeimim-Basis nicht nur „Grad“-Raketenwerfer sondern auch iranische 106 mm M40-Kanonen angreifen könnten:
Der Einsatz von selbstgemachten Drohnen ist in dieser Hinsicht sogar noch schlimmer – gegen diese kann nicht mal die kostspielige Luftabwehr der Russen was ausrichten. Einen Teil kann man zwar beim Anflug abschießen, ein Teil wird aber trotzdem zum Ziel kommen, wie es höchstwahrscheinlich am 31. Dezember 2017 auch geschehen ist. Kaum sichtbare Ziele mit einem kleinen Nutzgewicht vergrößern den zu verteidigenden Raum noch weiter.
Und vergessen wir nicht die mobilen FlaRak-Komplexe, die hier und da bei den Islamisten auftauchen. Wenn die Russen irgendwelche stillschweigende Abmachungen verletzen sollten oder jemand einfach beschließt, ihnen zu zeigen, wer im Nahen Osten der Herr ist, wird beim Anflug auf Hmeimim einfach mal ein russisches Transportflugzeug Il-76 abgeschossen.
Es wird wohl kaum jemand in der Ukraine darüber traurig sein, denn als die Russen im Juni 2014 die Lage im Raum des Luhansker Flughafens zu ihren Gunsten ändern wollten, haben sie ganz einfach mal eine ukrainische Il-76 mit Fallschirmspringern abgeschossen. Die Kämpfer im Nahen Osten könnten genau das machen, nun aber gegen die Russen. Das erste abgeschossene russische Transportflugzeug ist nur eine Frage der Zeit und das verstehen auf der russischen Luftwaffenbasis wohl alle.
Die einfachste Lösung dieses Problems liegt auf der Hand: Man hätte gar nicht erst nach Syrien reingehen sollen. Denn das russische Kontingent in Syrien ist gezwungen, mehrere Stützpunkte in ganz Syrien zu verteidigen. Der Abstand zwischen dem Hafen von Tartus, in dem die russische Technik und Munition entladen wird, und dem Flugplatz Hmeimim, auf dem sich die russische Luftwaffengruppierung befindet, beträgt 65 Kilometer. Alle Konvois auf dem Weg müssen begleitet werden und auf den Zufahrtsstraßen zu allen Hauptbasen müssen Checkpoints stehen. Zum Beispiel liegen zwischen Latakia und Aleppo, wo das Militärpolizei-Bataillon aus Tschetschenien einquartiert wurde, ganze 200 Kilometer. Und dann gibt es ja noch Hama, Homs und Palmyra, das gewohnterweise einmal im Jahr an die Islamisten aufgegeben wird.
Daher kommen auch die unerwarteten Erklärungen von Schoigu, dass „über 48.000 Militärangehörigen der russischen Armee in Syrien eine Kampferfahrung gesammelt haben“. Und das in zweieinhalb Jahren und ohne Einbeziehung der russischen privaten Militärunternehmen, die überall in Syrien an vorderster Linie stehen.
Das ist wohl auch der Grund dafür, warum russische Amtspersonen die wirkliche Größe ihres Kontingents in Syrien nicht nennen, denn die genannten Zahlen werden der Mehrheit der Russen wohl nicht gefallen. Selbst zur Aufrechterhaltung des heutigen Status-Quo braucht man mehrere Bataillone zur technischen Unterstützung, Piloten und Flugzeuge und einige Bataillone zum Schutz. Und das alles auf einer dreimonatigen Rotationsbasis (also kann man die Gesamtanzahl duplizieren). Hinzu kommt noch die Tatsache, dass ein Teil der russischen Kriegsmarine sich faktisch in Trockenfrachter zur Lieferung von Munition und Lebensmitteln in den Hafen von Tartus verwandelt hat. Und die russischen militärischen Transportfliegerkräfte tagtäglich die Lebensfähigkeit der russischen Gruppierung in Syrien gewährleisten müssen.
Am Ende werden die Russen in Syrien solange Krieg führen, bis sie müde sind oder die Anzahl der Probleme in Russland sie dazu bringt, aus Syrien abzuziehen. So einfach werden sie aus Syrien aber nicht abziehen können. Nun können sowohl alle Teilnehmer dieses Konflikts, als auch die Ukraine und USA, ruhig beobachten, wie das russische Budget für ein weit entfernt liegendes Militärabenteuer draufgeht.
In einem bedingten 1987 konnte in der UdSSR wohl auch kaum jemand glauben, dass man ein paar Jahre später hastig aus Afghanistan, Syrien, Angola, Kuba und der DDR abziehen müssen wird. Nun müssen wir am Flussufer einfach ruhig darauf warten, bis die Leiche unseres Feindes Russlands an uns vorbei schwimmt.
Dieses Material wurde von Anton Pawluschko exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetz von Irina Schlegel, editiert von Klaus H. Walter.
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