Die Geschichte mit der Lieferung von Siemens-Turbinen auf die Krim gewinnt an Fahrt. Noch letzte Woche gab es nur einzelne Fotos im Internet, die ein seltsames Vorgehen im Krimer Hafen erkennen ließen – niemand wollte aber irgendetwas bestätigen. Aber schon bald schaltete sich Reuters ein und schrieb über Turbinen der Firma Siemens, die auf die Krim geliefert worden sind. Der deutsche Gigant begann seine Beteiligung an dieser Geschichte abzustreiten und die Russen sprachen vom Erwerb der Turbinen auf dem Zweitmarkt (gibt es den überhaupt?).
Und diese Woche ist allen klar geworden, dass die Turbinen auf der Krim tatsächlich deutsch sind und Siemens beabsichtigt nun, gegen die Russen einen Prozess zu führen, denn im Vertrag sei das Verbot der Lieferung von Turbinen auf die Krim festgehalten worden. Anscheinend haben die Juristen des deutschen Konzerns ihre Arbeit gut gemacht und sich vom juristischen Standpunkt aus formell abgesichert. Das könnte aber trotzdem unzureichend sein.
Fangen wir damit an, dass es sich in diesem Fall um eine mögliche Verletzung des Sanktionsregimes handelt, das wegen der Annexion der Krim eingeführt wurde. Seit 2014 versucht Russland mit allen Kräften, die Krim von der Ukraine „abzutrennen“ und sie von Russland wirtschaftlich abhängig zu machen. Zu diesem Zweck wurde die Krim nicht nur auf russische Waren „umgestellt“, sondern auch auf russische Energieträger. Zur vollständigen Umstellung der Krimer Energiewirtschaft auf Russland beschlossen die Russen die Energiebrücke Kuban-Krim zu bauen. Formell wurde für dieses Ziel die Stadt Taman ausgewählt – es wurde beschlossen, dort ein Wärmekraftwerk zu bauen, das die Krim über die Energiebrücke mit Strom versorgen soll.
Taman ist eine Stadt im Gebiet Krasnodar mit einer Bevölkerung von 10 000 Menschen. Sie befindet sich in einigen Kilometern Entfernung von der Landzunge Tusla, direkt gegenüber der ukrainischen Stadt Kertsch auf der Krim. In einem Vorort der Stadt wird gerade ein internationaler Seehafen gebaut – mit dem Bau des Wärmekraftwerks hat man aber seine Schwierigkeiten. Letztes Jahr gab es eine Ausschreibung, um einen Investor für den Bau des Wärmekraftwerks zu finden – gefunden wurde aber keiner.
Nach Meinung von Reuters ([1]) wollten die Investoren wegen eventueller Sanktionen kein Wärmekraftwerk in Taman bauen. Das bedeutet, dass selbst der Bau eines Wärmekraftwerks im russischen Taman Sanktionen nach sich ziehen könnte, denn der Strom von diesem Kraftwerk wird auf die annektierte Krim gehen. Das wussten alle – Siemens hat es aber nicht daran gehindert, Verhandlungen mit dem Auftragnehmer „Technopromexport“ über die Lieferungen nach Taman zu führen.
Allmählich wurde klar (im September 2016), dass „Technopromexport“ gar nicht die Absicht hatte, ein Wärmekraftwerk in Taman zu bauen und dass die ganze Ausrüstung schlussendlich auf der Krim landen wird.
Höchstwahrscheinlich verstand der deutsche Konzern die ganze Bedenklichkeit dieser Situation, darum wurde die Lieferung der Turbinen hinausgezögert – es wurde wohl nach irgendeiner Kompromisslösung gesucht (Oktober-November 2016).
Die Turbinen waren aber fertig und der russische Markt wurde als ein potentiell großer Markt für den Produktionsabsatz betrachtet. Womöglich musste der Konzern Zugeständnisse machen, um seine anderen Projekte in Russland zu retten.
Am Ende wurden alle vier Turbinen an die russische Firma übergeben:
„Wir haben die Turbinen an „Technopromexport“ geliefert, sagte der Leiter der Abteilung für Strom- und Gas-Produktion bei Siemens in Russland, Nikolaj Rotmistrow, gegenüber Reuters: – Laut dem Vertrag ist die Endstelle für diese Turbinen die Stadt Taman“.
An der Stelle möchte wir aber erneut daran erinnern, dass die Lieferung von Turbinen nach Taman faktisch zur Annexion der Krim beiträgt. Und das deutsche Unternehmen wusste dies seit dem Beginn der Verhandlungen.
Nun beabsichtigt der deutsche Konzern einen Prozess gegen Russland vor russischen Gerichten zu führen und den Einsatz der Turbinen auf der Krim zu verbieten. Höchstwahrscheinlich wird er aber verlieren und der Fall wird nach einem langwierigen und faden Verfahren bei irgendeinem unabhängigen Schiedsgericht landen.
Ein weiterer Spieler, der Öl ins Feuer gießen könnte, sind die USA. Kürzlich schrieben wir über das exterritoriale Prinzip der Wirkung amerikanischer Sanktionen. Für Verletzungen des Sanktionsregimes gegen Kuba und Iran verhängen amerikanische Aufsichtsbehörden Strafen gegen ausländische Unternehmen in Höhe von Milliarden Dollar pro Jahr. Und diese internationale Unternehmen sind gezwungen, diese Strafen zu zahlen, denn keiner möchte den amerikanischen Markt verlieren.
(Zum Vergrössern bitte auf die Infografik draufklicken)
Parallel läuft in letzten Jahren ein unerklärter Sanktionskrieg zwischen der USA und EU. Während amerikanische Ökologen die Abgaswerte des deutschen Volkswagen vermessen, verhängen europäische Bürokraten aktiv Strafen gegen amerikanische Internetgiganten.
Anfang des Jahres musste sich VW mit der Auszahlung von 4,3 Milliarden Dollar wegen des Diesel-Skandals einverstanden erklären.
Die Europäische Kommission hat ihrerseits Google für 2,42 Milliarden Euro wegen Manipulationen mit Suchergebnissen bestraft. Facebook wurde zu „nur“ 110 Millionen Euro Strafe wegen bereitgestellter Falschinformationen beim Erwerb von WhatsApp verdammt.
Die Situation wird noch durch die Einstellung des US-Präsidenten Trump erschwert, der vermerkte, dass Deutschland einen allzu grossen Handelsbilanzausschuss beim Handel mit Amerika habe und etwas dagegen getan werden müsse.
Es ist nicht auszuschließen, dass der Fall mit dem Verkauf von deutschen Turbinen auf die Krim zu einem angenehmen Geschenk für amerikanische Verhandlungspartner wird, die nun einen weiteren Trumpf bei Verhandlungen mit Europa haben. Am Ende werden die EU und Deutschland einige Zugeständnisse machen müssen, um eine millionenfache Strafe seitens der US-Verwaltung zu vermeiden.
Und wenn das Problem der Krim und ihrer Stromversorgung früher nur ein lokales Problem zwischen der Ukraine und Russland war, so wird diese Geschichte nun zu einer Schlüsselfrage in Beziehungen zwischen der EU und USA.
Dieses Material wurde von Anton Pawluschko exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel; editiert von Klaus H. Walter.
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