„Urlauber“ – so werden nämlich russische Berufssoldaten von Russlands Propagandisten und Söldnern bezeichnet, die im entscheidenden Augenblick auf einmal rückwirkend Urlaub nehmen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort und in der richtigen bataillon-taktischen Größe mit ihren Panzern auftauchen. In drei Jahren sind zehntausende russischer „Berufsurlauber“ durch den Krieg im Donbas gegangen. Doch manch einer der russischen Soldaten nahm tatsächlich unbezahlten Urlaub, um für die sagenumwobene „Noworossija“ zu kämpfen. Die Geschichte von einem von ihnen werden wir heute dank des Computerhacks eines russischen „Freiwilligen“ durch Hacker der Ukrainischen Cyberallianz (UkrainianCyberAlliance, UCA und „CyberJunta“) erzählen.
Am 18 Mai 2014, nach genügendem Konsum des russischen Fernsehens, stellte der Anwohner der Stadt Krasnojarsk Valerij Wasiljewitsch Terentjew eine Videobotschaft an Putin ins Netz:
Von 1998 bis 2006 hat Terentjew in der russischen Armee und im Innenministerium gedient, dreimal war er in Tschetschenien (2000, 2001, 2004), wonach er eine Stelle in der Hauptverwaltung des FSIN erhielt – einfach ausgedrückt, er wurde ein Gefängniswärter in der an Gefängnissen reichen Region Krasnojarsk.
Im Netz ist Terentjew mehr unter dem Pseudonym Arthur Tschernyj bekannt – unter diesem Namen schreibt er Bücher über Tschetschenien. Und womöglich wäre niemand auf dieses Video aufmerksam geworden, doch der Bürger Terentjew war im öffentlichen Dienst angestellt und er fing an, Putin zu kritisieren. Zu seinem Pech gelangte dieses Video im August 2014 in die Verwaltung der eigenen Sicherheit des FSIN. Im Video erkannten sie in Arthur Tschernyj den Abteilungsführer der Abteilung für Erziehungsarbeit der Strafkolonie-5 der Justizvollzugsanstalt-36 Major des Innendienstes Terentjew. Er wurde beschuldigt, „in seinem Statement wiederholt den russischen Präsidenten Wladimir Putin erwähnt zu haben. Sowohl aus negativer (was die tschetschenische Kampagne angeht) als auch positiver Sicht (die Angliederung der Republik Krim an Russland)“ – im Grunde genommen reichte das aus, damit die lokale Dienstbehörde mit der Hetze gegen Terentjew loslegt.
An dieser Stelle betritt Generalleutnant Schajeschnikow W. K. die Bühne, welcher über den Rauswurf Terentjews aus den Behörden entscheidet. Verstehen kann man die Provinzgeneräle: Würde in Moskau bekannt, dass die Ortsansässigen nicht aufpassen und die Untergebenen bei ihnen Putin kritisieren, dann könnte die gesamte Führung der Hauptverwaltung des FSIN der Region Krasnojarsk fliegen. Und es wurde entschieden, Terentjew um jeden Preis zu feuern.
Am 29.09.2014 trickst Major Terentjew – er reicht das versprochene Kündigungsschreiben ein, erhält ab dem 01.10.2014 den ihm zustehenden Urlaub und… widerruft sein Kündigungsschreiben. Während die Hauptverwaltung des FSIN überlegt, wie sie ihn kündigen, fährt Terentjew zum Kämpfen in den Donbas. Hier kämpft er unter dem Kampfnamen „Angara“ unter der Führung von „Motorola“ im Bataillon „Sparta“.
Zu seinem Pech gerät „Angara“ in den propagandistischen Film „Die Schlacht um den Himmel. Eine exklusive Reportage vom Donezker Flughafen“ des Fernsehsenders „Rossija 24“:
Hier ist ein russischer Freiwilliger, der davon träumt, ein Buch über die Ereignisse im Donbass zu schreiben. Das Video hat die Führung Terentjews endgültig davon überzeugt, dass es an der Zeit wird, ihn zu entlassen. Und er wurde gefeuert. Im Dezember 2014 kehrt Terentjew zurück nach Krasnojarsk und versucht sich über ein Gericht und die Staatsanwaltschaft um die Wiedereinstellung, jedoch vergebens. Daraufhin geht er zum lokalen Fernsehen, wo er Journalisten seine ganze Geschichte erzählt.
Allerdings verschwieg er in seiner Erzählung die Vorgeschichte des Konfliktes mit der Führung und den tatsächlichen Kündigungsgrund.
Am 27.02.2015 wird Terentjew bei der Arbeit wieder eingestellt und des Scheins halber lässt man ihn einige Monate arbeiten, doch später unterbreiten sie ihm, erneut im Guten zu gehen. Er verspricht zu kündigen, selbst entscheidet er jedoch abzuwarten, bis der ihm abgeneigte General Schajeschnikow seine Rente antritt. Im Sommer 2015 verbringt Terentjew erneut seinen Urlaub im Donbas. Nach seiner Rückkehr nach Krasnojarsk kündigt er nicht, sondern lässt sich in eine psychoneurologische Fürsorgestelle einweisen (Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“).
Während Terentjew sich entweder im Donbas oder der Psychatrie versteckte, entschied sich die Führung der Hauptverwaltung des FSIN, dem in Ungnade gefallenen Major eine Lektion zu erteilen. Der verurteilte Schuwajew gewinnt für eine versprochen vorzeitige Entlassung Terentjews Vertrauen und bittet ihn, ihm für 1000 Rubel von draußen ein 3G-Modem in die Gefängniszelle zu übergeben. Terentjew nimmt das Geld und nun blühen ihm schon ein Strafverfahren und sechs Jahre Gefängnis.
Nachdem das so ist, dient er erneut ein halbes Jahr im Donbas. In Krasnojarsk wird ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet und er wird auf die Fahndungsliste gesetzt. Das Innenministerium in Krasnojarsk unterstützt aktiv die Hauptverwaltung des FSIN ein Strafverfahren zu fabrizieren und dem geächteten Major einen Denkzettel zu verpassen. Auf dieser Etappe geht nun die Führung der Hauptverwaltung des FSIN an die Presse und meldet die Festnahme des Betrügers, der sich im Donbass vor der Justiz versteckt.
Daneben verbreitet die Führung der Hauptverwaltung des FSIN das Gerücht, dass Terentjew anfangs angeblich auf Seiten der Ukraine gekämpft hätte und sich danach für Geld auf die Seite der „DVR“ schlug.
Seit Kurzem begann der Prozess gegen den Major, bei dem er alles bestreitet und die Führung weismacht, dass das ganze Theater wegen dem 3G-Modem für 1000 Rubel veranstaltet wird. Die lokale Geschichte erreichte sogar den „Kommersant“.
Beide Seiten entschieden sich, die Sache bis zum siegreichen Ende zu bringen und wir wünschen ihnen Erfolg. Letzten Endes haben sowohl die Mitarbeiter der Hauptverwaltung des FSIN als auch Major Terentjew Kampferfahrung.
Gesondert merken wir an, dass, obwohl beide Seiten entschieden haben, nicht nur vor Gericht Kämpfe auszutragen, aus irgendeinem Grund von niemandem in der Presse erwähnt wurde, dass die Geschichte aufgrund einiger kritischer Phrasen über Putin begann. Und man kann sie verstehen. Das FSIN der Region Krasnojarsk möchte nicht, dass Moskau erfährt, dass dessen Mitarbeiter Putin kritisieren können und an die Gefahrenherde zum Kämpfen reisen. Heute fährt er in den Donbass und morgen verrät er sein Vaterland wird er nach Syrien reisen. Und die gewöhnlichen russischen Silowiki können die einfache Wahrheit nicht verstehen: Zum Kämpfen im „Urlaub“ im Donbass kann man nur auf Befehl der Führung fahren.
Dieses Material wurde von Kirill Mefodijew exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Kateryna Matey.
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Die Angaben wurden von den Hackern der ukrainischen Cyberallianz exklusiv an InformNapalm zwecks Analyse und weiteren Veröffentlichung übergeben. Die Redaktion von InformNapalm trägt keine Verantwortung für die Erstquelle und die Herkunft der Angaben.
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