
Die internationale Gemeinschaft InformNapalm hat einen türkischen Journalisten des Verlagswerks „Timeturk“ interviewt und für unsere Leser, die das Geschehen in Syrien und im Nahen Osten genau mitverfolgen, eine Übersetzung vorbereitet. Unser Gesprächspartner Furkan Azeri hat eine Vielzahl interessanter Fakten aufgedeckt und erzählt, gegen wen die russischen Streitkräfte in Syrien in Wahrheit kämpfen.
Furkan Bej, Ihr Material wird bereits seit Langem von den OSINT-Ermittlern der internationalen Freiwilligengemeinschaft InformNapalm, die Belege für die Verbrechen des russischen Regimes sammeln, verwendet, doch ein Interview für unsere Webseite geben Sie zum ersten Mal. Erzählen Sie bitte etwas über sich, woher Sie kommen, wo haben Sie Ihre Ausbildung absolviert, warum sind Sie in Syrien gelandet?
Ich habe lange in Istanbul gelebt. Meine Ausbildung habe ich ebenfalls in Istanbul absolviert. Nach dem Medizin-College studierte ich in der höchsten medizinischen Berufsschule der Universität von Istanbul und auf der Fakultät für Journalistik der selben Universität. Ich verfasste Artikel für verschiedene Magazine, Zeitungen und Websites. Eine akademische Laufbahn war in Planung, im Jahr 2011 jedoch, als sich das syrische Volk gegen das Assad-Regime erhob, bin ich als Journalist dorthin gefahren. In den Jahren 2012-2013 befand ich mich als Journalist in Syrien. Als dort während meines Aufenthalts die von der IS organisierten Unruhen ausbrachen, bin ich zurückgekehrt. Nach einiger Zeit fuhr ich erneut in diese Region. Seitdem und bis zum heutigen Tag, habe ich alles andere beiseite geschoben und beschäftige mich ausschließlich mit der syrischen Frage und schreibe zu diesem Thema Artikel, drehe Reportagen und Nachrichten.
Wann sind Sie zum ersten Mal nach Syrien gefahren? Erzählen Sie von Ihren allerersten Eindrücken.
Als Journalist bin ich zum ersten Mal im März 2012 nach Syrien gekommen. Ich bin auch vor dem Aufstand gegen das Assad-Regime in Syrien gewesen. Zu damaliger Zeit waren alle sehr vorsichtig, hatten voreinander Angst. Man durfte nichts gegen das Regime sagen. Im Park, im Café, im Taxi, im Hotel usw., in allen Lebensbereichen waren Fotos, Denkmäler und Zitate von Baschar al-Assad und seines Vaters Hafiz allgegenwärtig. Bevor man eigentlich zum heutigen Tag kommen kann, muss das Thema angeschnitten werden, warum sich dieses Volk aufgelehnt hat. Denn ohne das syrische Volk kennenzulernen, nicht zu wissen, nicht zu verstehen, welchen historischen Prozess es durchgemacht hat, werden wir das Wesen des syrischen Aufstandes nicht begreifen und nicht in der Lage sein, eine realistische Einschätzung des Geschehens zu geben. Die Assads erzogen 50 Jahre lang das syrische Volk. Dort wird es auch so bezeichnet – „Die Assad-Erziehung“. Man meint nämlich die Erziehung, die durch Druck und Stärke aufgezwungen wird. Früher tyrannisierte Assads Vater die Bevölkerung von Hama und Homs, welches das Rückgrat von Syrien bildet. Denn in diesen Regionen leben intellektuelle und gewissenhafte Menschen und auch deshalb, weil sie Sunniten sind und ihnen die Allianz des Regimes mit dem Iran nie gefallen hat. Dafür wurde die Bevölkerung dieser zwei Städte im Laufe von 30 Jahren systematisch bestraft. Die Menschen in Syrien waren gezwungen, ihr gesamtes Leben nach den von Assad proklamierten Grundsätzen zu leben. Mithilfe von Druck und Gewalt wurden die Menschen gezwungen, Assad zu lieben, jeden Morgen zwang man sie in allen Institutionen und Schulen zu wiederholen: „Syrien, Assad für alle Ewigkeit“ – also, dass Assads Syrien ewig bestand haben wird. Dort ist Assad keine Person, das ist ein Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten. In ihrem Bewusstsein ist es so, als wäre er der große Messias Mahdi. Dort betest du nicht zuerst zu Allah, zuallererst betest du zum Großen Assad und erst dann betest du zusammen mit ihm zu Allah – so eine Regel. Auf diese Weise hat sich Assad ein Imperium der Angst aufgebaut. Ein Beispiel: Ein Student studiert Physik, Chemie oder Biologie. Er kann aber keine Experimente im Labor durchführen, da Assad sagt: „Du kannst dich bilden, in der Praxis darfst du das aber nicht anwenden.“ Denn sie glauben, dass der Student etwas erreichen und es gegen das Regime einsetzen wird. So hat Assad die gesamte wissenschaftliche und intellektuelle Entwicklung blockiert. Außerdem ist es verboten, zu Hause islamische Literatur zu lesen und aufzubewahren. Einmal traf ich eine Familie. Ihr Kind hat in der Schule in seinem Heft eine Waffe (eine Pistole) gemalt, aus seiner Fantasie heraus. Das macht jedes Kind. Sein Lehrer hat das Kind sofort beim Muchabarat (Nachrichtendienst) angezeigt. Und dann kommt der Muchabarat und verhaftet das Kind samt seiner Familie. Anschließend foltert er sie – wo die Waffe sei. Es gibt Hunderte solcher Beispiele. Gegen eben dieses Regime lehnte sich das syrische Volk auf. Entschuldigen Sie, dass ich hier etwas ausführlicher wurde, diesen Aspekt jedoch muss man sehr gut verstanden haben. Ich war einfach sprachlos, als ich das erste Mal 2012 hierher kam. Dieses Volk, das sich so sehr vor dem Assad-Regime fürchtete, durchbrach bereits die Mauer der Angst und fürchtet sich nicht davor. In Syrien sah ich zum ersten Mal, dass Menschen den Tyrannen in sich besiegten.
Wie veränderte sich die Lage, seitdem Sie in Syrien sind? Womit sind die größten Veränderungen verbunden?
Die Entstehung und die schrittweise Entwicklung des syrischen Problems sind sehr komplex. Im Grunde genommen ist viel darüber geschrieben worden und es ist weitgehend bekannt. Wenn wir über die jüngsten Geschehnisse und die Lage in letzter Zeit sprechen, dann scheinen die Regionen um Hama und Latakia besonders wichtige Gebiete für Assad zu sein, da in Latakia die alawitische Bevölkerungsdichte hoch ist, Erdöl, sowie Seehäfen, die einen Zugang zur Welt bieten, vorhanden sind und sich in Hama der zentrale Flughafen des Regimes befindet. Das Regime bombardiert mithilfe der von diesem Flughafen startenden Flugzeugen die Dörfer rund um Hama, die Umgebung von Idlib und die Regionen, die sich unter der Kontrolle der Opposition befinden. Ebenso ist in Hama die Produktion und der Transport von Waffen konzentriert. Bis zur russischen Intervention, rückten solche oppositionelle Gruppen, wie beispielsweise die Armee der Eroberung (Dschaisch), die FSA (Freie Syrische Armee) und die Ahrar al-Scham in zwei wichtige Richtungen dieser Region vor. Eine Gruppe aus der al-Ghab-Ebene und die andere aus der Region um Djurin rückten Richtung Hama und Latakia vor, die als Assads Herz bezeichnet werden können. Die Besetzung dieser Regionen durch die Opposition würde für Assad den Anfang vom Ende bedeuten. Im Zuge dieser Ereignisse einigte sich Assad mit Putin und übergab den Russen die Kontrolle über das Küstengebiet. Auf diese Weise ist Russland in einen für diese Region sehr wichtigen Bezirk hineingekommen. Momentan ist es ein Faktor, der den Lauf des Krieges verändert hat.
Bitte erzählen Sie etwas darüber, wie Sie arbeiten. Ich habe viele Ihrer Posts auf Facebook unmittelbar von dem Ort des Geschehens gesehen. Wie gelingt es Ihnen, Informationen zu beschaffen und an den richtigen Stellen aufzutauchen?
In Wirklichkeit ist es sehr schwer, in Syrien Journalismus zu betreiben. Das Ziel, weshalb wir all das Leid, die Not, die Menschenrechtsverletzungen, die Bombardierungen und die getöteten Kinder in Syrien erfassen und darüber berichten, ist es, der Welt eine Botschaft zu übermitteln, die Welt über die Lage hier aufzuklären. Doch wenn wir mittlerweile Menschen filmen, an die bombardierten Orte fahren, fangen die Leute bereits an, sich zu wehren. Wir sagen ihnen, dass es sehr wichtig sei, dass die Welt es wissen sollte. Doch die Menschen lächeln uns bitter an und sagen, dass während der letzten fünf Jahre circa 400 000 Menschen getötet und bombardiert wurden, etwa 30 000 – 40 000 Kinder sind gestorben, alles wurde gefilmt und der Welt vorgelegt, na und? Was hat die Welt getan? Wie hat sie reagiert? Wenn du jetzt das hier aufnimmst, was ändert es? So reden sie. Wir befinden uns ehrlich gesagt in einer ausweglosen Situation. Vor unseren Augen werden die Menschen bombardiert und wir können nichts machen. Wenn die Zahl der Getöteten 40 Menschen nicht übersteigt, zieht es zudem nicht mehr die Aufmerksamkeit der Welt mehr auf sich, es hat keinen Nachrichtenwert.
Russland kündigte an, dass es Truppen nach Syrien für den Kampf gegen den IS verlegt. Sie sehen die Lage von innen, wie ist Ihre Meinung – gegen wen kämpfen russische Soldaten?
Sie wissen, sowie alle anderen auch, dass die Welt, in der wir heute leben, nicht die Welt der sowjetischen Zeiten ist, die Russland kennt. Etwas im Heute zu erfahren, Zugang zu Informationen zu bekommen ist einfach, nichts bleibt verborgen und geheim. Jedes Kind, mit dem Sie in Syrien sprechen würden, würde Ihnen völlig ruhig erklären, dass Russland nicht den IS, sondern das syrische Volk tötet.
Wenn wir nun die Gebiete betrachten, in denen Russland handelt, dann gibt es dort keinen IS. Der IS befindet sich eigentlich viel östlicher, näher zur irakischen Grenze: Das sind Rakka, al-Bab, Deir ez-Zor, ein kleiner Teil von Homs und Aleppo. Der IS hat keine gemeinsame Front mit Assads Regime, außer in dem Gebiet des Flughafens al-Kusair und in der Umgebung von Palmyra. Sprich, im Wesentlichen kämpft der IS gegen die Opposition. Deshalb bekämpfen das Assad-Regime und Russland definitiv nicht gegen den IS. Wenn zum Beispiel an einem Tag 30 Bomben auf Syrien niedergehen, dann sind 28 von ihnen gegen die Zivilbevölkerung und die Opposition gerichtet. Die Einheimischen wissen und sehen das alles.
Beurteilen Sie bitte die Rolle Russlands im syrischen Konflikt – fördert sie die Stabilisierung und die Verbesserung der Lage oder eher im Gegenteil?
Wie ich bereits erwähnte, war Assads Regime in einer schwierigen Lage. Die Opposition war auf dem Vormarsch auf Latakia und Hama. Das Assad-Regime war vor dem Fall. Zum jetzigen Zeitpunkt kontrolliert Assad lediglich 25 % des syrischen Territoriums und das Assad-Regime (Alewiten) bildet nur 8-10 % der syrischen Bevölkerung. Und diese Minderheit beherrscht bereits seit 30 Jahren alles, zehrt an dem gesamten Reichtum des Landes. Das bedeutet, dass 90 % der Bevölkerung seit 30 Jahren dieser Minderheit dient. Deshalb möchte Syriens Bevölkerung das Assad-Regime definitiv nicht länger ertragen. Und Russland bombardiert und bestraft täglich 90 % der Bevölkerung mit dem Ziel, diese Minderheit zu unterstützen. Stellen Sie sich vor, die Koordinaten für Russlands Ziele liefert das Assad-Regime. Und hinter diesen Koordinaten befinden sich in der Regel von Zivilisten bewohnte Städte, Regionen und Dörfer. Das Assad-Regime arbeitet darauf hin, dass die Bevölkerung diese Gebiete verlässt, damit niemand mehr dort bleibt. Die Revolution hätte keinen Sinn mehr, wenn die Bevölkerung die von der Opposition kontrollierte Regionen verlassen würde. Das bedeutet, Russland brachte der syrischen Bevölkerung nichts außer Chaos und erhöhte Opferzahlen.
Ich bewundere das Maß an Selbstorganisation der Syrer, die sich trotz dieser schweren Prüfungen, hingebungsvoll den Rettungsarbeiten widmen. Erzählen Sie bitte von Ihren Eindrücken von den Leistungen der Retter der Weißhelme, über die Beispiele von gegenseitiger Hilfeleistung in der Bevölkerung.
Ja, Sie haben recht. Das syrische Volk erhob sich für Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit gegen das diktatorische Gauner-Regime. Ihre Devise lautet: „Revolution oder Tod“. Zudem ist das syrische Volk gläubig, deshalb wird es bis zum Tod kämpfen. Die von Ihnen erwähnten Weißhelme werden als „difa medini“ bezeichnet, was Zivilverteidigung bedeutet. In der Tat, sogar wenn über sie Bücher geschrieben werden – wäre es nicht genug. Bei den ersten russischen Bombardierungen, laufen sie trotz mangelnder Ausrüstung sofort an diesen Ort und versuchen die verschütteten Menschen zu bergen.
Wir haben Informationen darüber, dass russische Piloten die folgende verbrecherische Taktik einsetzen: Wenn sie einen bestimmten Bezirk bombardieren fliegen sie weg, warten ab bis Rettungskräfte kommen und den Menschen zu Hilfe eilen, dann kehrt das Flugzeug um und wirft erneut Bomben auf das selbe Objekt ab. Haben Sie so etwas gesehen?
Die Opposition besitzt keine Waffen, die den Abschluss von russischen Flugzeugen ermöglichen. Russland weiß das ganz genau, deshalb bombardieren sie seelenruhig und wie sie wollen die Bevölkerung. Zudem fliegen sie manchmal einfach so über die Städte, um die Bevölkerung psychologisch einzuschüchtern. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen zu Hause und über Ihnen fliegen russische Flugzeuge herum und Sie wissen nicht, wann sie eine Bombe auf Sie werfen. Somit führt Russland auch noch einen psychologischen Krieg. Zum Beispiel haben die Russen im Bezirk von Idlib eine Farm zerbombt. Unter der Erde fanden sich dutzende getöteter Menschen. Als die Zivilverteidigung dort ankam, um die Menschen zu retten, versetzten die Russen erneut einen Schlag auf dieselbe Stelle und es sind dort sehr viele Menschen gestorben, mitunter Rettungskräfte und Ärzte. Aus diesem Anlass kam es sogar in Deutschland und in anderen Ländern zu Protestaktionen.
Auf die direkte Frage des BBC-Korrespondenten „Sie behaupten, dass während der 6000 Lufteinsätze kein einziger Zivilist zu Schaden kam“, antwortet der „tapfere“ Pressegeneral ohne sich zu genieren und ohne rot zu werden mit „Ja“. Zuvor hat er sich mit Eifer für ihr Lieblingsthema eingesetzt: „Sie haben keine Belege, beweisen sie es…“ (Reportage). Mit Sicherheit haben Sie infolge direkter Handlungen von russischen Luftstreitkräften verletzte Zivilisten gesehen. Können Sie Belege vorbringen?
Zu diesem Thema kann ich ohne Übertreibung sagen, dass es Hunderte von Belegen gibt und ich ein lebender Zeuge bin. Russland bombardiert ausschließlich die Zivilbevölkerung. Die Opposition hat sogar ein Video mit dem Titel „Wer ist das Ziel“ aufgenommen. Dort wird über die zerbombte Farm berichtet, die von Russland zum IS-Objekt deklariert wurde, wohingegen sich dort nur Zivilisten befinden. Erst gestern hat Russland Bab al-Hawa und Sarmada bombardiert. Alle wissen, dass sich Sarmada und Bab al-Hawa an der türkischen Grenze befinden und es dort keine bewaffneten Kämpfer gibt. Dort lebt überwiegend die Bevölkerung, die aus den Orten in denen Krieg herrscht, wie Aleppo, Hama und Homs, Richtung Grenze geflüchtet ist. Russland hat hingegen auch diese Orte bombardiert, es gibt 50 dokumentierte Todesfälle unter den Zivilisten. Zudem bringen die russischen Medien täglich Nachrichten darüber, dass es in Latakia und Idlib Luftangriffe auf IS-Lager gab, obwohl es in Latakia und Idlib keinen einzigen IS-Kämpfer gibt.
Eine der bedeutendsten Seiten dieses Krieges ist der Informationskrieg. Russland setzt mit dem Assad-Regime Informationstechnologien zur Verzerrung der Lage ein, um seine Gegner in Schlechtem Licht darzustellen und die eigene Rolle in diesem Konflikt zu rechtfertigen. Könnten Sie über derartige Vorfälle berichten? Gelang es Ihnen, Lügen in russischen und in Assads Medien zu entlarven?
Sie wissen besser als ich, das Medien eine große Macht sind und eine sehr hohe Bedeutung haben. Die syrischen Oppositionellen jedoch waren vor der Revolution einfache Menschen, zum Beispiel Handwerker, Ärzte, Lehrer, Ingenieure usw. Das ist noch nicht einmal die Mittelklasse, das ist die niedrigste Klasse. In Syrien gibt es überhaupt keine Mittelklasse. Diese Menschen wissen nicht, wie sie einen Informationskrieg führen sollen, Propaganda machen sollen. Zudem könne Oppositionelle nur in Sozialnetzwerken von sich erzählen, in ihren Händen liegt keine Medienmacht. Russland, Assad und der Iran verfügen jedoch über Tausende gekaufte Journalisten, Fernsehagenten, Reporter usw. Sie tischen der Welt täglich Lügen auf. Zum Beispiel erzählte der russische Sender RT in einem der letzten Videos von den Luftschlägen gegen ein IS-Lager im Gebiet von Idlib und veröffentlichte seine Koordinaten. Später nahmen Oppositionelle an diesen Koordinaten einen Dokumentarfilm auf, in welchem sie bewiesen, dass an diesem Ort nur Kinder und Zivilisten waren. Dieses Video wurde der Welt in englischer und arabischer Sprachen vorgelegt.
Sie haben während Ihrer Arbeit Kontakt zu einfachen Syrern, sicher bringen sie ihre Einschätzung der Ereignisse zum Ausdruck. Können Sie anhand Ihrer Beobachtungen sagen, wie das Volk über Assad und Russland denkt?
Wir haben täglich engen Kontakt zum syrischen Volk. Das syrische Volk hasst Russland und den Iran mehr als Assad. Im Bezug auf Russland und den Iran gibt es eine große Wut, weil das Volk sagt, wenn Russland und der Iran Assads Regime nicht unterstützen würde, würde er sich nicht einmal einen Monat halten können. Letzten Endes spielt Putins Regime mit der Zukunft und dem Schicksal des russischen Volkes. Das Assad-Regime gilt in der arabischen Welt bereits als tot. Und Russland hat sich die gesamte arabische Welt zum Feind gemacht, die islamische Welt und sogar die turkvölkische Welt. Ist Assad das denn Wert? Ist Putin etwa gegen die gesamte Welt und gegen alle unterdrückten Völker?
Kann man die Situation in Syrien Ihrer Meinung nach als Genozid bezeichnen? Erläutern Sie bitte ihre Meinung diesbezüglich.
Ja, das ist eine sehr genaue Definition, darin besteht kein Zweifell. Wir haben Dokumente und Bildmaterial, welche zu einhundert Prozent belegen, dass Assad, der Iran und Russland einen Genozid verüben. Zu diesem Thema gibt es Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch. Jeder weiß, wie letztes Jahr Dokumente von etwa 200 Menschen durchsickerten, die infolge von Folter in Assads Gefängnissen starben, die ganze Welt hat es gesehen.
Sind Sie mit der Berichterstattung in den eingeschlossenen Städten und Dörfern, in denen Menschen Hunger leiden, in Berührung gekommen?
Die Bezirke von Madaya, Homs, al-Husayn, az-Zabadani und der östlichen Ghuta, die sich in der Blockade des Assad-Regimes befinden, sind tatsächlich eine Schande für das 21. Jahrhundert. Stellen Sie sich vor, dass in diesen Wintertagen keine Nahrungsmittel, Medikamente, Kindernahrung usw. in diese Bezirke geliefert werden. Die Städte sind vollständig eingekesselt. Zudem werden sie tagtäglich durch das Assad Regime bombardiert. Das Assad-Regime hasst die Bevölkerung dieser Städte, weil sie die Opposition unterstützen, die dem Regime entgegengetreten ist. Zum Beispiel waren Städte wie az-Zabadani, die östliche Ghuta und Duma die ersten Gebiete, die sich gegen Assads Regime aufgelehnt haben, wofür er sie jetzt auch bestraft.
Eines der humanitären Probleme, das uns bekannt ist, sind minenverseuchte Gebiete und eine große Menge an Blindgängern, was Menschenleben gefährdet. Haben Sie diesbezüglich Informationen?
In Syrien gibt es sehr wenige minenverseuchte Gebiete. Da die Opposition keine Flugabwehr besitzt, bombardieren sie seelenruhig aus Flugzeugen aus. Minenfelder und Scharfschützen gibt es hauptsächlich in den oben erwähnten Regionen.
Womöglich ist der schwierigste Aspekt dieses Krieges das große Leid der Kinder. Hatten Sie bei Ihrer Arbeit mit syrischen Kindern zu tun? Wie ertragen sie den Schmerz und das Leid, wie spiegelt es sich an ihnen wieder?
Die syrische Kinder haben am meisten in diesem Krieg gelitten. Einmal traf ich eines von den Kindern, die praktisch die ersten waren, die den Aufstand in Darʿā begannen. Er war etwa 16 Jahre alt. Sie sahen in arabischen Zeitungen die Parole „Das Regime muss gestürzt werden“ und schrieben sie auf eine Wand, sogar ohne ihre Bedeutung zu kennen. Dieses Kind sagte mir: „Wir wussten nicht einmal, was wir da schreiben“. Dann sah der Muchabarat diese Aufschrift und hat die Kinder verhaftet. Vielen von ihnen wurden die Fingernägel herausgerissen und sie wurden getötet. Und als ihre Familien sie abholen kamen, sagte man ihnen: „Diese Kinder sind unseres Regimes nicht würdig. Macht besser neue Kinder und vergesst diese“. Das war der Ausgangspunkt der Ereignisse in Darʿā, infolge derer Hunderte Menschen getötet wurden. Heute schlafen die Kinder Nachts nicht, ihre Augen blicken dauernd nach oben. Darüber hinaus ist momentan in Syrien bei den Kindern Harninkontinenz verbreitet, wogegen sie ständig Medikamente einnehmen, sie leben in ständiger Angst.
Große Probleme der Menschen sind damit verbunden, dass eine qualifizierte medizinische Versorgung unmöglich zu gewährleisten ist. Mir ist bekannt, dass das Regime bereits seit Langem gegen Ärzte kämpft, viele von ihnen haben Syrien verlassen. Die russische Luftwaffe hob sich zudem auch durch die Bombardierung von Krankenhäusern in verschiedenen Bezirken hervor. Indem sie unter diesen schwierigsten Bedingungen Menschen helfen, vollbringen Ärzte und das medizinische Personal de facto eine Heldentat. Haben Sie solche Beispiele von ärztlicher Arbeit gesehen?
Syrien hat momentan sehr wenige Ärzte vom Beruf. Die Doktoren, die wir trafen, waren keine Ärzte vor der Revolution. Als der Krieg jedoch ausbrach und sie sahen, wie Menschen an Krankheiten, Verletzungen und Bombardierungen starben, erlernten sie auf die eine oder andere Weise diesen Beruf. Im riesig großen Aleppo ist es wiederum sehr schwer einen Arzt für eine Operation zu finden, die professionelle medizinische Kenntnisse erfordert. Weil Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen, die der Bevölkerung Dienstleistungen bieten, vorsätzlich bombardiert werden. Das Assad-Regime bombardiert Krankenhäuser, Bäckereien und Wasserspeicher, die der Opposition ihre Dienste erweisen. Auf diese Weise bestraft er offiziell die Bevölkerung. Soweit ich gesehen habe, führen viele Krankenhäuser in Syrien ihre Tätigkeiten in den Kellern der Häuser aus. Selbstlose Ärzte gründeten unterirdische Krankenhäuser und arbeiten dort nach ihren Möglichkeiten.
Wie sehen Sie Syrien in der Zukunft?
Im Moment ist die syrische Frage tatsächlich sehr verworren, besonders nach der russischen Intervention. Es sind eine Menge Akteure auf der Bühne, von denen abgesehen der Länder wie der Türkei und Katar, niemand mehr an die Interessen des syrischen Volkes denkt. Sie denken nur an ihre eigenen Interessen, darüber was für sie abfällt, wenn morgen die Revolution siegen und Assad gehen wird. Daher wird ihre Lösung immer komplizierter. Wir glauben jedoch, dass keine Macht gegen das Volk ankommen wird und das syrische Volk letzten Endes gewinnt.
Publikationen von Furkan Azeri auf der Webseite Timeturk
Dieses Material wurde von Kateryna Jaresko exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Kateryna Matey. Die Fotos wurden uns von Furkan Azeri und seinen Kollegen zur Verfügung gestellt. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
One Response to “Türkischer Journalist Furkan Azeri: „Russland bombardiert ausschließlich syrische Zivilisten”
11/02/2016
InformNapalm an Russlands Aussenministerium: Es gibt genug Gründe für ein Militärtribunal - InformNapalm.org (Deutsch)[…] So erzählte im Interview an InformNapalm ein türkischer Journalist der Ausgabe “Timeturk”, der Reportagen über das Geschehen in Syrien und im Nahen Osten macht, Furkan Azeri, viele interessante Fakten darüber, wen die russischen Streitkräfte in Syrien tatsächlich bekriegen: “Wenn Sie mit einem beliebigen Kind in Syrien sprechen, wird er Ihnen absolut ruhig erklären, dass Russland nicht den IS vernichtet, sondern das Volk Syriens… Ausser Chaos und einer Vergrößerung der Opferanzahl hat Russland dem syrischen Volk nichts gebracht… Russland vernichtet ausschließlich die zivile Bevölkerung Syriens”: “Türkischer Journalist Furkan Azeri: „Russland bombardiert ausschließlich syrische Zivilis… […]